Stimmbildung

[146] Alle die Töne nun weiter, die tief aus dem Innern uns kommen

Und die wir grade hinaus aus der Öffnung des Mundes entsenden,

Gliedert beweglich die Zunge, die Wörterbildnerin, während

Auch die Formung der Lippe zum Teil sie weiter gestaltet.

Ist nun gering die Entfernung, aus der uns die einzelnen Laute

Zugehn, müssen wir auch notwendigerweise die Wörter

Selbst mit Bestimmtheit hören und deutlich gegliedert vernehmen;

Denn sie behalten die Form, sie behalten die weitre Gestaltung.

Doch wenn ein allzu beträchtlicher Raum in der Mitte dazwischen

Liegt, muß Wörtervermengung und Stimmverwirrung entstehen,

Da ja der Ton durch die Masse von Luft nur mühsam hindurchdringt.

So kommt's, daß man den Schall wohl zu hören vermag, doch die Worte

Selbst nicht mehr nach dem Sinn voneinander zu scheiden imstand ist.

So kommt vielfach gehemmt und verwirrt ein Laut uns zu Ohren.

Andererseits dringt öfter das einzelne Wort, das verkündet

Wird aus des Herolds Mund, in das Ohr der gesamten Gemeinde.

So zerflattert mithin im Momente die einzelne Stimme

In viel tausende Stimmen und teilt sich dem einzelnen Ohr mit,

Wenn sie dem Worte Gestalt aufprägt und deutliche Lautung.

Was von den Lauten jedoch nicht ins Ohr kann richtig gelangen,

Fliegt vorbei und vergeht umsonst in die Lüfte verschwebend,

Während ein anderer Teil, der an festeren Körpern zurückprallt,

Widerhallt und bisweilen mit äffenden Worten uns täuschet.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 146.
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