Überleben der stärkeren und nützlicheren Tiere

[194] Damals mußten wohl viele der lebenden Gattungen ausgehn,

Da sie imstand nicht waren für Nachwuchs weiter zu sorgen.

Denn die Geschöpfe, die jetzt sich erfreun des belebenden Odems,

Können von Jugend auf nur so das Geschlecht sich erhalten,

Daß sie durch Kraft sich und List und endlich durch Schnelligkeit schützen.

Viele sind auch uns Menschen durch ihren Nutzen empfohlen,

Und so bleiben sie leben, da wir sie hegen und pflegen.

Erstlich das wilde Geschlecht und die grausamen Scharen der Löwen

Hielten durch Kraft sich, der Fuchs durch List und der Hirsch durch die Schnelle.

Aber der wachsame Hund mit dem Herzen von goldener Treue

Und das gesamte Geschlecht, das stammt aus dem Samen des Lastviehs,

Ferner die wolligen Schafe und hörnergeschmückten Geschlechter

Sind in dem menschlichen Schutze, mein Memmius, alle verblieben.

Denn sie flohen mit Hast vor dem wilden Getiere und suchten

Frieden und reichliche Nahrung, um die sie sich selbst nicht bemühen;

Denn wir geben sie ihnen als Lohn für nützliche Dienste.

Aber die Tiere, die nichts von solcher natürlichen Mitgift

Mitbekamen, die weder sich selbst zu ernähren vermochten

Noch uns Dienste zu leisten, wofür wir In unserem Schutze

Ihnen zu leben gestatten und ihre Vermehrung zu sichern,

Diese nun freilich verfielen dem Raub und der Beute der ändern,

Da sie alle so lange des Schicksals Fessel umstrickte,

Bis die Natur solch schwaches Geschlecht zum Untergang führte.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 194.
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