Anfängliche Mißgeburten

[193] Einstmals schuf auch die Erde noch zahlreiche Wundergestalten

Wie zum Versuch, an Gestalt wie an Gliedern seltsam gebildet:

Hermaphroditen mit Doppelgeschlecht, doch zu keinem gehörig,

Manche der Füße ermangelnd und andere wieder der Hände,

Einige mundlos stumm, blind andere ohne die Augen,

Andere steif, da jegliches Glied mit dem Leib war verwachsen.

Deshalb konnte ein solches Geschöpf nichts tun noch wohingehn

Noch der Gefahr sich entziehn noch das, was es brauchte, beschaffen.

Dieses und derart mehr, Mißbildungen, scheußliche Wunder,[193]

Schuf sie umsonst; die Natur verweigerte ihnen den Nachwuchs;

Denn zur ersehnten Blüte vermochten sie nicht zu gelangen

Noch sich die Nahrung zu schaffen, noch gar sich in Liebe zu paaren.

Denn gar vielerlei muß, wie wir sehen, zusammen sich finden,

Soll sich ein sterblich Geschlecht fortpflanzen und weiter vermehren:

Erstens bedarf es der Nahrung und weiter des zeugenden Samens

In Gefäßen, durch die er sich löst aus den Gliedern und ausfließt.

Endlich bedarf es der Glieder, durch die sich die beiden Geschlechter

Können vereinen und tauschen die wechselseitigen Wonnen.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 193-194.
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