Entstehung der Pflanzen- und Tierwelt

[192] Anfangs wirkte die Erde den Schimmer grünender Gräser

Rings um alle die Hügel; die blumigen Auen erglänzten

Überall über die Felder gebreitet in grünlicher Färbung.

Dann hob an für der Bäume Geschlecht ein gewaltiger Wettlauf;

Um in die Lüfte zu schießen, ward ihnen der Zügel gelockert.

Gleichwie Federn und Haare einmal und Borsten sich bilden

Beim Vierfüßergeschlecht und am Leib der befiederten Vögel,

So ließ damals zuerst die jugendlich fruchtbare Erde

Gras und Gesträuche zunächst, dann lebende Wesen erstehen,

Die in vielerlei Arten sich zahlreich und mannigfach regten.

Denn es konnten vom Himmel die lebenden Wesen nicht fallen,

Noch auch Bewohner des Landes aus salzigem Meere erstehen.

So bleibt übrig: die Erde erwarb mit Recht sich den Namen

Einer Mutter. Denn alles, was lebt, hat die Erde geschaffen.

Und wenn jetzt noch der Erde unzählige Tiere entschlüpfen,

Welche der Regen erzeugt und der Sonne erwärmende Dünste,

Wundert's uns auch nicht weiter, wenn damals mehr noch und größre

Tiere entstanden vom Äther genährt und der jüngeren Erde.

Erst kroch jetzt das geflügelte Volk und das bunte Gevögel

Aus den Eiern heraus, die bebrütet waren zur Lenzzeit,

So wie im Sommer Zikaden von selbst aus den rundlichen Larven

Schlüpfen, um Nahrung zu suchen und Lebensfristung zu finden.

So entstanden zuerst auch damals Tiere und Menschen.

Denn viel Wärme und Nässe war noch auf den Fluren vorhanden,

Und so wuchsen denn da, wo der Ort die Gelegenheit darbot,

Schläuche hervor, die zur Erde hinab die Wurzeln versenkten.

Wo nun das Lebensalter der reifenden Jungen die Schläuche[192]

Sprengte, indem sie der Nässe entflohn nach den Lüften sich reckend,

Dahin lenkte von selbst die Natur die Kanäle der Erde

Und ließ dort milchähnlichen Saft aus der Öffnung der Adern

Fließen, so wie ja auch jetzt bei allen entbundenen Frauen

Süßliche Milch in die Brust sich ergießt, weil hierin der ganze

Sonstige Nahrungsstrom aus dem weiblichen Körper gelenkt wird.

So gab Speise den Kleinen die Erde und Kleidung die Wärme;

Lagerstätte gewährte des Rasens schwellendes Polster.

Aber die Jugend der Welt verhinderte Strenge des Frostes

Wie unmäßige Hitze und übergewaltige Stürme.

Denn gleichmäßig erwächst und erstarkt dies alles zusammen.

Darum (ich sag es noch einmal) erhielt die Erde den Namen

Mutter und trägt ihn mit Recht. Denn sie hat den Menschen geschaffen.

Sie auch alles Getier in fast regelmäßiger Wurfzeit,

Was da überall springt und tobt in den hohen Gebirgen,

Wie auch die bunten Gestalten der flüchtigen Segler der Lüfte.

Doch nun hörte sie auf, wie ein Weib, das vom Alter erschöpft ist,

Da auch bei ihr das Gebären sich einmal endigen mußte.

Denn das Alter verändert die ganze Natur in dem Weltall,

Da notwendig sich stets ein Zustand reiht an den ändern.

Nichts bleibt immer sich gleich: es wechselt und wandelt sich alles;

Alles verändert und zwingt die Natur zu steter Verwandlung.

Denn wenn das eine verfault und vor Altersschwäche dahinsiecht,

Wächst gleich andres empor und entsteigt dem verachteten Dunkel.

Also verändert das Alter die ganze Natur in dem Weltall,

Und auch die Erde, wo stets ein Zustand folgte dem ändern,

Schafft, was sie konnte, nicht mehr und erschafft, was sie früher nicht konnte.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 192-193.
Lizenz:
Kategorien: