Es gab niemals Centauren und dergleichen

[194] Aber Centauren hat's nie und nirgend gegeben. Denn niemals

Können aus Doppelnaturen und doppeltem Körper sich Wesen

Bilden, zumal wenn sie Gliedern von fremder Gattung entstammen,

Deren Kräfte doch ungleich sind bei dem zwiefachen Ursprung.

Selbst ein stumpfer Verstand kann dies nach dem Folgenden einsehn.

Erstlich ein rüstiges Pferd wird, wenn drei Jahre vergangen,

Fertig: nicht also das Kind; denn oftmals wird es auch dann noch

Schlafend die Mutterbrust, die Milch ihm spenden soll, suchen.

Dann, wenn mit nahendem Alter dem Rosse versaget die Vollkraft

Und, wo sein Leben sich neigt, ihm längst schon die Glieder erschlafft sind,

Da erst beginnt der Knabe die blühende Jugend des Lebens,

Und mit wolligem Flaum umkleidet sich männlich die Wange.

Glaube drum nicht, es könnten aus tierischem Samen von Pferden

Und aus Menschen Centauren entstehen und weiter so leben.

Oder Geschöpfe wie Scylla mit ihrem von rasenden Hunden

Rings umgürteten Leib und dem Fischschwanz, oder auch andre

Wesen, bei denen die Glieder so ungleichartig erscheinen,

Die nicht erblühen zur selbigen Zeit, nicht die Kräfte der Körper

Alle zugleich sich gewinnen, zugleich auch im Alter verlieren,

Die auch nicht ähnliche Liebe entflammt, noch die gleiche Gewohnheit

Zueinander gesellt, noch die selbigen Speisen erfreuen.

Kann man doch öfter bemerken, daß bärtige Böcke sich mästen,

Wenn sie Schierling fressen, der Menschen ein tödliches Gift ist.

Da doch ferner die Flamme die goldenen Leiber der Löwen

Ebenso dörrt und brennt wie alles, was sonst noch auf Erden

Körper besitzt von Fleisch und Blut, wie war es denn möglich,

Daß die Chimäre sich setzt aus dreifachem Leibe zusammen,

Vorne als Leu, als Drache am Schwanz, in der Mitte als Ziege,

Und bei solcher Gestalt aus dem Mund schnob flammendes Feuer?

Drum wer meint, in der rüstigen Jugend von Himmel und Erde

Könnten wohl auch derart wahnschaffne Gebilde entstehen,

Und sich lediglich stützt auf das nichtige Wörtchen der Jugend,

Der kann ebensogut viel anderes Ähnliches faseln.

Damals, so mag er behaupten, da strömten noch goldene Flüsse

Über das Land und den Bäumen entsproßten da Blüten von Demant,

Oder es gab noch Menschen mit derart wuchtigen Gliedern,

Daß sie die Tiefen des Meers mit Riesenschritten durchmaßen

Und mit den Händen den Himmel im Kreise zu drehen vermochten.[195]

Gab's nun zwar in der Erde zur Zeit, als sie lebende Wesen

Brachte zuerst ans Licht, viel Keime, so fehlt uns doch jedes

Zeichen, daß je Mischformen entstehen konnten von Tieren

Und ein lebendig Geschlecht aus zusammengestoppelten Gliedern.

Mögen auch jetzt noch der Erde in reichlicher Fülle entsprießen

Allerlei Arten von Kräutern und Frucht und die labenden Bäume:

Nimmer können sie doch sich gegenseitig verbinden,

Sondern jegliche Gattung entsteht auf die eigene Weise,

Und das Gesetz der Natur hält alle genau auseinander.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 194-196.
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