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[86] Deine Lebensmaximen werden stete ihre Gültigkeit für Dich behalten, so lange Dir die ihnen entsprechenden Grundbegriffe nicht abhanden gekommen sind. Das aber kannst Du verhindern, indem Du dieselben immer wieder zu neuem Leben in Dir anfachst und über das, was nothwendig ist, nicht aufhörst nachzudenken –: wobei Dich Nichts zu stören vermag, weil Alles, was Deinem Gedankenleben äusserlich ist, als solches keinen Einfluss auf dasselbe hat. Halte Dich also nur so, dass es Dir äusserlich bleibt! Hast Du aber Deine Lebenshaltung einmal eingebüsst: Du kannst sie wieder gewinnen. Siehe die Dinge wieder gerade so an, wie Du sie angesehen hattest! Darin besteht alles Wiederaufleben.
Das Leben ist freilich weiter Nichts als ein eitles Jagen nach Pomp, als ein Bühnenspiel, wo Züge von Last- und anderem Vieh erscheinen, oder ein Lanzenrennen, ein Herumbeissen junger Hunde um den hingeworfenen Knochen, ein Geschnappe der Fische nach dem Bissen, die Mühen und Strapazen der Ameisen, das Hin- und Herlaufen unruhig gemachter Fliegen,[86] oder ein Guckkasten, wo ein Bild nach dem andern abschnurrt: aber mitten in diesem Getreibe festzustehen mit ruhigem und freundlichem Sinn, das eben ist unsere Aufgabe.
Bei einer Rede gilt es Acht zu haben auf die Worte, bei einer Handlung auf das ihr zu Grunde liegende Motiv. Dort ist die Frage nach der Bedeutung jedes Ausdrucks, hier handelt sich's um den Zweck, der verfolgt wird.
Die Frage ist, ob meine Einsicht ausreicht, was ich mir vorgenommen, auszuführen oder nicht. Genügt sie, so brauche ich sie als ein Werkzeug, das die Natur mir an die Hand gegeben. Reicht sie nicht aus, dann überlasse ich entweder das Werk dem, der es besser im Stande ist zu vollbringen, wofern dies nicht für mich geradezu unziemlich ist, oder ich handle so gut ich kann mit Zuziehung dessen, der zur Vollendung eines gemeinnützigen Werkes eben meiner Einsicht als Ergänzung bedarf. Denn Alles, was ich thue, mag ich es nun durch meine eigene Kraft oder mit Hilfe eines Andern zu Stande bringen – dem Wohl des Ganzen muss es immer dienen.
Du hast Dich nicht zu schämen, wenn Du Hilfe brauchst. Thu' nur Dein Mögliches! wie bei der Erstürmung einer Mauer jeder Soldat eben auch nur sein Möglichstes thun muss! Denn wie, wenn Du – gelähmt[87] – die Brustwehr allein nicht erklimmen kannst, mit Hilfe eines Andern es aber wohl im Stande bist?
Lass Dich das Zukünftige nicht anfechten! Du wirst, wenn's nöthig ist, schon hinkommen, getragen von derselben Geisteskraft, die Dich das Gegenwärtige beherrschen lässt.
Aus Allem was ist, resultirt doch nur die eine Welt; in Allem, was ist, lebt nur der eine Gott. Es ist nur ein Stoff und ein Gesetz, in den vernunftbegabten Wesen die eine Vernunft. Nur eine Wahrheit giebt's und für die Wesen derselben Gattung auch nur eine Vollkommenheit.
Für die vernünftigen Wesen ist eine naturgemässe Handlungsweise auch immer zugleich eine vernunftgemässe.
Was in dem einzelnen Organismus die Glieder des Leibes, das sind in dem Gesammt-Organismus die einzelnen vernunftbegabten Wesen. Auch sie sind zum Zusammenwirken geschaffen. Sagst Du Dir nur recht oft: Du seist ein Glied in dem grossen System der Geister, so kann ein solcher Gedanke nicht anders als Dich aufs Tiefste berühren. Siehst Du Dich aber nur als einen Theil dieses Ganzen an, so liebst Du die Menschen auch noch nicht von Herzen, so macht Dir[88] das Gutesthun noch nicht an sich selbst Freude, so übst Du es nur als eine Pflicht, so ist es noch keine Wohlthat für Dich selber.
Der Edelstein spricht: was auch Einer thun oder sagen mag, ich muss Edelstein sein und meinen Glanz bewahren. So sprech' auch ich: mag Einer thun und sagen, was er will, ich muss die Tugend bewahren.
Die Seele beunruhige und erschrecke sich nicht. Kann's ein Anderer, mag er's thun. Sie selbst für sich sei solchen Regungen unzugänglich. Dass aber der Leib Nichts leide, dafür mag er, wenn er kann, selbst sorgen, und wenn er leidet, mag er's sagen. Doch die Seele, der eigentliche Sitz der Furcht und jeder schmerzlichen Empfindung, kann nicht leiden, wenn Du ihr nicht die Meinung, dass sie leide, erst beibringst. Denn an und für sich, und wenn sie sich nicht selbst die Bedürfnisse schafft, ist die Seele bedürfnisslos und deshalb auch, wenn sie sich nicht selbst beunruhigt, unerschütterlich.
Das Glück beruht auf der Gesinnung. Das Unglück hat in tausend Fällen Dir die Phantasie nur vorgespiegelt.
Wäre es möglich, dass Dir der Wechsel, dem Alles unterworfen ist, Furcht einjage? Was könnte denn geschehen,[89] wenn sich die Dinge nicht veränderten? Was giebt es Angemesseneres für die Natur als diese Veränderung? Könntest Du Dich denn nähren, wenn die Speisen sich nicht verwandelten? Ueberhaupt hängt von dieser Eigenschaft der Nutzen jedes Dinges ab. Und siehst Du nun nicht, dass die Veränderung, der Du unterworfen bist, von derselben Art und ebenso nothwendig ist für's Universum?
Das Eine liegt mir am Herzen, dass ich Nichts thue, was dem Willen der menschlichen Natur zuwider ist, oder was sie in dieser Art oder was sie gerade jetzt nicht will.
Es ist ein dem Menschen eigenthümlicher Vorzug, dass er auch die liebt, die ihm weh gethan haben. Und es gelingt ihm, wenn er bedenkt, dass Menschen Brüder sind, dass sie aus Unverstand und unfreiwillig fehlen, dass Beide, der Beleidigte und der Beleidiger nach kurzer Zeit den Todten angehören werden, und vor Allem: dass eigentlich Niemand ihm schaden, d.h. sein Inneres schlechter machen kann als es vorher gewesen.
Wie man aus Wachs formt, so formt das Universum aus der Materie die verschiedenen Wesen; jetzt das Ross, dann, wenn dieses zerschmolz, den Baum, bald den Menschen, bald etwas Anderes, und ein Jegliches[90] nur zu kurzem Bestehen. Aber wie es dem Schifflein gleichgültig war, dass man's gezimmert, so auch, dass man es nun wieder auseinander nimmt.
Wem das Gewissen ausgegangen, hat keine Ursache zu leben.
Sobald Dir Jemand weh gethan hat, musst Du sogleich untersuchen, welche Ansicht über Gut und Böse ihn dazu vermochte. Denn sowie Dir dies klar geworden, wirst Du Mitleid fühlen mit ihm und Dich weder wundern noch erzürnen. Entweder nämlich findest Du, dass Du über das Gute gar keine wesentlich andere Ansicht hast als er; und dann musst Du ihm verzeihen. Oder Du siehst den Unterschied; dann aber ist's ja nicht so schwer, freundlich zu bleiben dem, der – sich geirrt hat. –
Denke nicht so oft an das, was Dir fehlt, als an das, was Du besitzest. Und wenn Dir bewusst wird, was davon das Allerbeste sei, musst Du Dir klar machen, wie Du's gewinnen könntest, im Fall Du es nicht besässest. Je zufriedener Dich aber sein Besitz macht, um so mehr musst Du Dich hüten, es mit einem solchen Wohlgefallen zu betrachten, dass Dich sein Verlust beunruhigen könnte.
[91] Alles, sagt Jemand, geschieht nach bestimmten Gesetzen, ob Götter sind oder ob aus Atomen Alles entsteht, gleichviel. Genug eben, dass Alles gesetzmässig ist.
Der Tod ist Zerstreuung oder Auflösung oder Entleerung, ein Auslöschen oder ein Versetzen.
Der Schmerz – ist er unerträglich, führt er auch den Tod herbei; ist er anhaltend, so lässt er sich auch ertragen. Wenn nur die Seele dabei an sich hält, bewahrt sie auch ihre Ruhe und leidet keinen Schaden. Die vom Schmerz getroffenen Glieder mögen dann, wenn sie können, sich selbst darüber aussprechen.
Plato fragt: Wem hoher Sinn und Einsicht in die Zeiten und in das Wesen der Dinge verliehen ward – glaubst Du, dass der das menschliche Leben für etwas Grosses halten kann? und antwortet: Unmöglich kann er's. Nun, und ebenso unmöglich ist's, dass er den Tod für etwas Furchtbares hält.
Ein Ausspruch des Antisthenes: Herrlich ist's, durch Gutesthun in schlechten Ruf kommen.
[92] Schändlich ist's, wenn die Seele nur Macht hat über unsere Mienen, nicht über sich selbst, wenn sie nur jene, nicht aber sich selber umzugestalten vermag.
»Wie kann Dich denn bald Dies, bald Jenes ärgern, das Dich doch Nichts angeht?«
»Freude den ewigen Göttern! doch uns auch Freude verleihe!«
»Die Früchte sind zum Pflücken, so das Leben auch! Hier keimt das Leben, dort der Tod.«
»Wenn von den Göttern ich einmal verlassen bin,
Grund ist auch dafür.« –
»Was recht und gut, trag' ich mit mir herum.«
»Mit Andern weinen oder jubeln, nicht geziemt's.«
Blicke oft zu den Sternen empor – als wandeltest Du mit ihnen. Solche Gedanken reinigen die Seele von dem Schmutz des Erdenlebens.
[93] Schön ist, was Plato gesagt hat, dass, wer vom Menschen reden wolle, das Irdische gleichsam von einem höheren Standpunkt aus betrachten müsse.
»Zur Erde muss, was von der Erde stammt;
Und zu des Himmels Pforte drängt
Jegliche Art, die seiner Flur entsprossen - «
Was nichts Anderes besagt, als dass sich die ineinander verschlungenen Atome trennen und die fühllosen Elemente sich zerstreuen.
»Durch Essen, Trinken und durch andres Gaukelwerk
Sind wir bemüht, den Tod uns fern zu halten.
Doch müssen wir den Fahrwind, der von Oben her,
Sei's auch zu unserm Leid, hinnehmen ohne Weh.«
Bei einer Wirksamkeit, die sich nach göttlichem und menschlichem Gesetz vollzieht, ist niemals Gefahr. Nichts hast Du zu befürchten, sobald Deine Thätigkeit, ihr Ziel in aller Ruhe verfolgend, sich nur auf eine Deiner Bildung angemessene Art entfaltet.
Immer steht es bei Dir, das gegenwärtige Geschick zu segnen, mit denen, die Dir grade nahe stehen, nach[94] Recht und Billigkeit zu verfahren, und die Gedanken, die sich Dir eben darbieten, ruhig durchzudenken, ohne Dich an das Unbegreifliche zu kehren.
Siehe stets nur auf den Weg, den Dich die Natur zu führen Willens ist, die allgemeine sowohl wie Deine besondere. Jene offenbart sich Dir durch die Schickung, die sie Dir zuerkennt, und diese durch die Richtung, die sie Deiner Thätigkeit zu geben sucht.
Lebe so, als solltest Du jetzt scheiden und als wäre die Dir noch vergönnte Zeit ein überflüssiges Geschenk.
Bei Allem, was Dir widerfährt, stelle Dir diejenigen vor Augen, denen dasselbe widerfahren ist, und die sich dabei widerwillig, voll eitler Verwunderung oder höchst vorwurfsvoll bewiesen haben. Denn wolltest Du diesen wohl gleichen? oder wolltest Du nicht lieber solche ungehörige Eigenschaften Anderen überlassen, selbst aber nur darauf achten, wie Du Deine Erfahrungen zu benutzen habest? Und Du wirst sie aufs Beste benutzen, sie werden Dir einen herrlichen Stoff liefern, wenn Du keine andere Absicht hast, als Dich bei Allem, was Du thust, als edler Mensch zu zeigen, dessen eingedenk, dass alles Andere gleichgültig für Dich ist, nur nicht, wie Du handelst!
[95]
Blicke in Dein Inneres! Da drinnen ist eine Quelle des Guten, die nimmer aufhört zu sprudeln, wenn Du nur nicht aufhörst nachzugraben.
Auch der Körper muss eine feste Haltung haben und weder in der Bewegung noch in der Ruhe diese Festigkeit verleugnen. Denn wie Deine Seele auf Deinem Gesicht zu lesen ist und eben darum Deine Mienen zu beherrschen und zu formen weiss, so soll auch der ganze Körper ein Ausdruck der Seele sein. Aber wohlgemerkt! ohne jede Affectation!
Dieselbe Kunst, wie in den Kampfspielen, wo man gerüstet sein muss auch auf solche Streiche, die unvorhergesehen, plötzlich kommen, gilt es auch im Leben.
Kenntest Du die Quellen, aus denen bei so Vielen Urtheile und Interessen fliessen, Du würdest nach der Menschen Lob und Zeugniss nicht begierig sein.
Keine Seele, heisst es irgendwo, kommt anders um die Wahrheit als wider ihren Willen. Nicht anders also auch um die Gerechtigkeit und Mässigkeit und Güte, um alle diese Tugenden. – Je mehr man das beherzigt, desto milder wird man gegen Alle.
[96] So Manches ist dem Schmerze eng verwandt, was nur mehr auf verborgene Weise lästig wird, z.B. Schläfrigkeit, innere Gluth, Appetitlosigkeit. Drum sage Dir, wenn so Etwas Dich trifft, nur geradezu: Du littest.
Du darfst gegen Unmenschen nicht so gesinnt sein, wie die Menschen gegen Menschen gesinnt zu sein pflegen.
Die Natur hat Dich nicht so dem grossen Teige einverleibt, dass Du Dich nicht eingrenzen und das Deinige allein aus Dir selbst heraus thun könntest. Du kannst fürwahr ein göttlicher Mensch sein, ohne von irgend einer Seele gekannt zu werden. Und magst Du daran verzweifeln, in der und jener Wissenschaft oder Kunst jemals Dich auszuzeichnen: ein freier, edler, hilfreicher, gottesfürchtiger Mensch kannst Du immer werden.
Bei Allem, was Dir geschieht, schäle Dein Verstand das Wesen der Sache heraus aus dem Scheine, der sie so oft entstellt, und der Gebrauch, den Du von ihr machst, beweise wo möglich, dass Du sie gesucht. Denn Alles muss Dir dienen zum Material der Uebung in irgend einer göttlichen und menschlichen Kunst.
[97] Den unsterblichen Göttern ist es keine Last, die ganze Ewigkeit hindurch fortwährend eine solche Masse Nichtswürdiger zu dulden – vorausgesetzt, dass sie sich um sie kümmern. Und Du – Du wolltest ungeduldig werden? und bist vielleicht gar selbst Einer von ihnen?
Lächerlich ist es, der Schlechtigkeit Anderer aus dem Wege gehen zu wollen, was unmöglich, aber der eigenen nicht, was doch möglich ist.
Wenn Du ein gutes Werk gethan und dem Anderen wirklich wohl gethan hast, warum dann so gar thöricht, ein Drittes zu begehren, nämlich den Ruhm ob solcher That oder irgend eine Erwiederung?
Niemand bekommt es überdrüssig, sich Vortheile zu verschaffen. Vortheil verschaffen aber ist eine Thätigkeit, an die wir von Natur gewiesen sind. Darum werde nie müde, Dir Vortheile zu verschaffen, indem Du selber Vortheil schaffst.[98]
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»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge
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