Fünfte Bemerkung

[133] »In der absoluten Vernunft sind alle diese Ideen ... gleich einfach und generell ... In der Tat gelangen wir zur Wissenschaft nur dadurch, daß wir unsere Ideen zu einer Art von Gerüst aufbauen. Aber die Wahrheit an sich ist unabhängig von diesen dialektischen Figuren und frei von den Kombinationen unseres Geistes.« (Proudhon, Bd. II, S. 97.)

Da sehen wir plötzlich, vermittelst einer Kehrtwendung, deren Geheimnis wir jetzt kennen, die Metaphysik der politischen Ökonomie zur Illusion geworden! Niemals hat Herr Proudhon wahrer gesprochen. Ganz gewiß, von dem Augenblick an, wo der Prozeß der dialektischen Bewegung sich reduziert auf die einfache Prozedur, Gut und Schlecht einander gegenüberzuhalten, Probleme zu stellen, die darauf hinauskommen, das Schlechte auszumerzen und eine Kategorie als Gegengift gegen die andere zu verabreichen, von da an[133] haben die Kategorien keine Selbsttätigkeit mehr; die Idee »funktioniert nicht mehr«, es ist kein Leben mehr in ihr. Weder setzt noch zersetzt sie sich ferner hin in Kategorien. Die Aufeinanderfolge der Kategorien hat sich verwandelt in ein bloßes Gerüst. Die Dialektik ist nicht mehr die Bewegung der absoluten Vernunft. Es gibt keine Dialektik mehr, es gibt höchstens nur noch pure Moral.

Als Herr Proudhon von der Reihenfolge im Verstande, von der logischen Aufeinanderfolge der Kategorien sprach, erklärte er positiv, daß er nicht die Geschichte nach der Ordnung der Zeit geben wolle, das heißt nach Herrn Proudhon die historische Aufeinanderfolge, in welcher die Kategorien sich offenbart haben. Alles vollzog sich damals für ihn in dem reinen Äther der Vernunft. Alles sollte sich mittelst der Dialektik aus diesem reinen Äther ableiten. Jetzt, wo es sich darum handelt, diese Dialektik in die Praxis zu übersetzen, läßt ihn die Vernunft im Stich. Die Dialektik des Herrn Proudhon schlägt der Dialektik Hegels ein Schnippchen, und so muß Herr Proudhon uns mitteilen, daß die Ordnung, in der er uns die ökonomischen Kategorien gibt, nicht mehr die Ordnung ist, in der sie sich auseinanderentwickeln. Die ökonomischen Evolutionen sind nicht mehr die Evolutionen der reinen Vernunft.

Was denn gibt uns eigentlich Herr Proudhon? Die wirkliche Geschichte, das heißt nach dem Verstande des Herrn Proudhon die Aufeinanderfolge, in der sich die Kategorien in der Zeitordnung offenbart haben? Nein. Die Geschichte, wie sie sich in der Idee selbst vollzieht? Noch weniger. Also weder die profane Geschichte der Kategorien noch ihre heilige Geschichte! Welche Geschichte gibt er uns denn nun? Die Geschichte seiner eigenen Widersprüche. Sehen wir, wie sie marschieren und Herrn Proudhon hinter sich herschleppen.

Bevor wir uns an diese Untersuchung machen, welche zu der sechsten wichtigen Bemerkung Veranlassung gibt, haben wir noch eine weniger wichtige Bemerkung zu machen.

Nehmen wir einmal mit Herrn Proudhon an, die wirkliche Geschichte nach der Zeitordnung sei die historische Aufeinanderfolge, in welcher die Ideen, die Kategorien, die Prinzipien sich offenbart haben.

Jedes Prinzip hat sein Jahrhundert gehabt, worin es sich enthüllte. Das Autoritätsprinzip hat z.B. das 11. Jahrhundert gehabt wie das Prinzip des Individualismus das 18. Folgerichtigerweise gehörte das Jahrhundert dem Prinzip, nicht das Prinzip dem Jahrhundert. Mit anderen Worten: Das Prinzip macht die Geschichte, nicht die Geschichte das Prinzip. Fragt man sich endlich, um Prinzipien wie Geschichte zu retten: warum dieses Prinzip sich gerade im 11. oder im 18. Jahrhundert und nicht in irgendeinem andern offenbart[134] hat, so sieht man sich notwendigerweise gezwungen, im einzelnen zu untersuchen, welches die Menschen des 11. und die des 18. Jahrhunderts waren, welches ihre jedesmaligen Bedürfnisse, ihre Produktivkräfte, ihre Produktionsweise, die Rohstoffe ihrer Produktion, welches endlich die Beziehungen von Mensch zu Mensch waren, die aus allen diesen Existenzbedingungen hervorgingen. Alle diese Fragen ergründen, heißt das nicht, die wirkliche, profane Geschichte der Menschen eines jeden Jahrhunderts erforschen, diese Menschen darstellen, wie sie in einem Verfasser und Schausteller ihres eigenen Dramas waren? Aber von dem Augenblick an, wo man die Menschen als die Schausteller und Verfasser ihrer eigenen Geschichte hinstellt, ist man auf einem Umweg zum wirklichen Ausgangspunkt zurückgekehrt, weil man die ewigen Prinzipien fallengelassen hat, von denen man ausging.

Aber Herr Proudhon hat sich nicht einmal weit genug vorgewagt auf dem Querpfad, den der Ideologe einschlägt, um die große Heerstraße der Geschichte zu gewinnen.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1959, Band 4, S. 133-135.
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Das Elend der Philosophie
Das Elend der Philosophie: Antwort auf Proudhon's 'Philosophie des Elends'. Mit Vorwort und Noten von Friedrich Engels
Das Elend der Philosophie: Antwort auf Proudhons
Nishcheta filosofii / Das Elend der Philosophie (in Russischer Sprache / Russian)