Vierte Bemerkung

[131] Sehen wir nunmehr, welchen Änderungen Herr Proudhon die Dialektik Hegels unterwirft, sobald er sie auf die politische Ökonomie anwendet.

Für Herrn Proudhon hat jede ökonomische Kategorie zwei Seiten, eine gute und eine schlechte. Er betrachtet die Kategorien, wie der Spießbürger die großen Männer der Geschichte betrachtet: Napoleon ist ein großer Mann, er hat viel Gutes getan, er hat auch viel Schlechtes getan.

Die gute Seite und die schlechte Seite, der Vorteil und der Nachteil zusammengenommen bilden für Herrn Proudhon den Widerspruch in jeder ökonomischen Kategorie.

Zu lösendes Problem: Die gute Seite bewahren und die schlechte beseitigen.

Die Sklaverei ist eine ökonomische Kategorie wie eine andere. Sie hat also gleichfalls ihre zwei Seiten. Halten wir uns nicht bei der schlechten Seite auf und sprechen wir von der schönen Seite der Sklaverei. Wohlverstanden, es[131] handelt sich hier nur um die direkte Sklaverei, um die Sklaverei der Schwarzen in Surinam, in Brasilien, in den Südstaaten Nordamerikas.

Die direkte Sklaverei ist der Angelpunkt der bürgerlichen Industrie, ebenso wie die Maschinen etc. Ohne Sklaverei keine Baumwolle; ohne Baumwolle keine moderne Industrie. Nur die Sklaverei hat den Kolonien ihren Wert gegeben; die Kolonien haben den Welthandel geschaffen; und der Welthandel ist die Bedingung der Großindustrie. So ist die Sklaverei eine ökonomische Kategorie von der höchsten Wichtigkeit.

Ohne die Sklaverei würde Nordamerika, das vorgeschrittenste Land, sich in ein patriarchalisches Land verwandeln. Man streiche Nordamerika von der Weltkarte, und man hat die Anarchie, den vollständigen Verfall des Handels und der modernen Zivilisation. Laßt die Sklaverei verschwinden, und ihr streicht Amerika von der Weltkarte.6

So hat die Sklaverei, weil sie eine ökonomische Kategorie ist, stets in den Institutionen der Völker figuriert. Die modernen Völker haben die Sklaverei in ihren Ländern lediglich zu maskieren gewußt, während sie sie in der Neuen Welt unverhüllt eingeführt haben.

Wie wird es Herr Proudhon anfangen, die Sklaverei zu retten? Er wird das Problem stellen: die gute Seite dieser ökonomischen Kategorie zu erhalten und die schlechte auszumerzen.

Hegel hat keine Probleme zu stellen. Er kennt nur die Dialektik. Herr Proudhon hat von der Hegelschen Dialektik nur die Redeweise. Seine eigene dialektische Methode besteht in der dogmatischen Unterscheidung von gut und schlecht.

Nehmen wir einmal Herrn Proudhon selbst als Kategorie; untersuchen wir seine gute und seine schlechte Seite, seine Vorteile und seine Nachteile.

Wenn er vor Hegel den Vorteil voraus hat, Probleme zu stellen, die er sich vorbehält zum Besten der Menschheit zu lösen, so hat er den Nachteil[132] vollständiger Unfruchtbarkeit, sobald es sich darum handelt, durch die Tätigkeit der dialektischen Zeugung eine neue Kategorie ins Leben zu rufen. Was die dialektische Bewegung ausmacht, ist gerade das Nebeneinanderbestehen der beiden entgegengesetzten Seiten, ihr Widerstreit und ihr Aufgehen in eine neue Kategorie. Sowie man sich nur das Problem stellt, die schlechte Seite auszumerzen, schneidet man die dialektische Bewegung entzwei. Es ist nicht die Kategorie mehr, die sich hier selbst, infolge ihrer widerspruchsvollen Natur, setzt und entgegensetzt; es ist vielmehr Herr Proudhon, der zwischen den beiden Seiten sich hin- und herzerrt, zerarbeitet und abquält.

So in einer Sackgasse gefangen, aus der es schwer ist mittelst erlaubter Mittel freizukommen, macht Herr Proudhon plötzlich einen wahren Riesenkraftsprung, der ihn mit einem einzigen Satz in eine neue Kategorie versetzt. Und nun enthüllt sich vor seinen erstaunten Augen die Reihenfolge in der Vernunft.

Er nimmt die erste beste Kategorie und legt ihr willkürlich die Eigenschaft bei, den Nachteilen der Kategorie abzuhelfen, die er weißzuwaschen hat. So beseitigen die Steuern, wenn wir nämlich Herrn Proudhon glauben, die Nachteile des Monopols; die Handelsbilanz die Nachteile der Steuern; der Grundbesitz die Nachteile des Kredits.

Indem er so nach und nach die ökonomischen Kategorien einzeln vornimmt und aus der einen das Gegengift der anderen macht, bringt es Herr Proudhon fertig, mit diesem Mischmasch von Widersprüchen und Gegenmitteln für Widersprüche zwei Bände Widersprüche herzustellen, die er ganz richtig betitelt: »System der ökonomischen Widersprüche«.

6

Dies war vollkommen richtig für das Jahr 1847. Damals beschränkte sich der Welthandel der Vereinigten Staaten hauptsächlich auf die Einfuhr von Einwanderern und Industrieprodukten und auf die Ausfuhr von Baumwolle und Tabak, also von Produkten der südlichen Sklavenarbeit. Die nördlichen Staaten produzierten hauptsächlich Korn und Fleisch für die Sklavenstaaten. Erst seitdem der Norden Korn und Fleisch für die Ausfuhr produzierte und daneben ein Industrieland wurde und seitdem dem amerikanischen Baumwollmonopol in Indien, Ägypten, Brasilien etc. eine mächtige Konkurrenz entstanden, war die Abschaffung der Sklaverei möglich. Und selbst dann hatte sie zur Folge den Ruin des Südens, dem es nicht gelungen ist, die offene Negersklaverei durch die verdeckte Sklaverei indischer und chinesischer Kulis zu ersetzen. F. E.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1959, Band 4, S. 131-133.
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Das Elend der Philosophie: Antwort auf Proudhon's 'Philosophie des Elends'. Mit Vorwort und Noten von Friedrich Engels
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