II. Die Arbeitsrente

[797] Betrachtet man die Grundrente in ihrer einfachsten Form, der Arbeitsrente, wo der unmittelbare Produzent einen Teil der Woche mit faktisch oder juristisch ihm gehörigen Arbeitswerkzeugen (Pflug, Vieh etc.) den ihm faktisch gehörigen Boden bestellt und die andern Tage der Woche auf dem Gute des Grundherrn arbeitet, für den Grundherrn, unentgeltlich, so ist hier die Sache noch ganz klar, Rente und Mehrwert sind hier identisch. Die Rente, nicht der Profit, ist die Form, worin sich hier die unbezahlte Mehrarbeit ausdrückt. Wieweit der Arbeiter (self-sustaining serf) hier einen Überschuß über seine unentbehrlichen Subsistenzmittel gewinnen kann, also einen Überschuß über das, was wir in der kapitalistischen Produktionsweise den Arbeitslohn nennen würden, dies hängt bei sonst gleichbleibenden Umständen ab von dem Verhältnis, worin seine Arbeitszeit sich teilt in Arbeitszeit für ihn selbst und Fronarbeitszeit für den Grundherrn. Dieser Überschuß über die notwendigsten Subsistenzmittel, der Keim dessen, was in der kapitalistischen Produktionsweise als Profit erscheint, ist also ganz und gar bestimmt durch die Höhe der Grundrente, welche hier nicht nur unmittelbar unbezahlte Mehrarbeit ist, sondern auch als solche erscheint; unbezahlte Mehrarbeit für den »Eigentümer« der Produktionsbedingungen, die hier mit dem Grund und Boden zusammenfallen und, soweit sie sich von ihm unterscheiden, nur als sein Zubehör gelten. Daß das Produkt des Fröners hier hinreichen muß, außer seiner Subsistenz seine Arbeitsbedingungen zu ersetzen, ist ein Umstand, der in allen Produktionsweisen derselbe bleibt, da es kein Resultat ihrer spezifischen Form, sondern eine Naturbedingung aller kontinuierlichen und reproduktiven Arbeit überhaupt, jeder fortgesetzten Produktion ist, die immer zugleich Reproduktion, also auch Reproduktion ihrer eignen Wirkungsbedingungen ist. Es ist ferner klar, daß in allen Formen, worin der unmittelbare Arbeiter »Besitzer« der zur Produktion seiner eignen Subsistenzmittel notwendigen Produktionsmittel und Arbeitsbedingungen bleibt, das Eigentumsverhältnis zugleich als unmittelbares Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis auftreten muß, der unmittelbare Produzent also als Unfreier; eine Unfreiheit, die sich von der Leibeigenschaft mit Fronarbeit bis zur bloßen Tributpflichtigkeit abschwächen kann. Der unmittelbare Produzent befindet sich hier der Voraussetzung nach im Besitz seiner eignen Produktionsmittel, der zur Verwirklichung seiner Arbeit und zur Erzeugung seiner Subsistenzmittel notwendigen[798] gegenständlichen Arbeitsbedingungen; er betreibt seinen Ackerbau wie die damit verknüpfte ländlich-häusliche Industrie selbständig. Diese Selbständigkeit ist nicht dadurch aufgehoben, daß, etwa wie in Indien, diese Kleinbauern unter sich ein mehr oder minder naturwüchsiges Produktionsgemeinwesen bilden, da es sich hier nur von der Selbständigkeit gegenüber dem nominellen Grundherrn handelt. Unter diesen Bedingungen kann ihnen die Mehrarbeit für den nominellen Grundeigentümer nur durch außerökonomischen Zwang abgepreßt werden, welche Form dieser auch immer annehme.138 Es unterscheidet sie dies von der Sklaven- oder Plantagenwirtschaft, daß der Sklave hier mit fremden Produktionsbedingungen arbeitet und nicht selbständig. Es sind also persönliche Abhängigkeitsverhältnisse nötig, persönliche Unfreiheit, in welchem Grad immer, und Gefesseltsein an den Boden als Zubehör desselben, Hörigkeit im eigentlichen Sinn. Sind es nicht Privatgrundeigentümer, sondern ist es wie in Asien der Staat, der ihnen direkt als Grundeigentümer und gleichzeitig Souverän gegenübertritt, so fallen Rente und Steuer zusammen, oder es existiert vielmehr dann keine von dieser Form der Grundrente verschiedne Steuer. Unter diesen Umständen braucht das Abhängigkeitsverhältnis politisch wie ökonomisch keine härtere Form zu besitzen als die ist, welche aller Untertanenschaft gegenüber diesem Staat gemeinsam ist. Der Staat ist hier der oberste Grundherr. Die Souveränität ist hier das auf nationaler Stufe konzentrierte Grundeigentum. Dafür existiert dann aber auch kein Privatgrundeigentum, obgleich sowohl Privat- wie gemeinschaftlicher Besitz und Nutznießung des Bodens.

Die spezifische ökonomische Form, in der unbezahlte Mehrarbeit aus den unmittelbaren Produzenten ausgepumpt wird, bestimmt das Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis, wie es unmittelbar aus der Produktion selbst hervorwächst und seinerseits bestimmend auf sie zurückwirkt. Hierauf aber gründet sich die ganze Gestaltung des ökonomischen, aus den Produktionsverhältnissen selbst hervorwachsenden Gemeinwesens und damit zugleich seine spezifische politische Gestalt. Es ist jedesmal das unmittelbare Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten – ein Verhältnis, dessen jedesmalige Form stets naturgemäß einer bestimmten Entwicklungsstufe der Art und Weise der Arbeit und daher ihrer gesellschaftlichen Produktivkraft entspricht –, worin wir das innerste Geheimnis, die verborgne Grundlage der ganzen gesellschaftlichen[799] Konstruktion und daher auch der politischen Form des Souveränitäts- und Abhängigkeitsverhältnisses, kurz, der jedesmaligen spezifischen Staatsform finden. Dies hindert nicht, daß dieselbe ökonomische Basis – dieselbe den Hauptbedingungen nach – durch zahllos verschiedne empirische Umstände, Naturbedingungen, Racenverhältnisse, von außen wirkende geschichtliche Einflüsse usw., unendliche Variationen und Abstufungen in der Erscheinung zeigen kann, die nur durch Analyse dieser empirisch gegebnen Umstände zu begreifen sind.

Mit Bezug auf die Arbeitsrente, die einfachste und ursprünglichste Form der Rente, ist soviel einleuchtend: Die Rente ist hier die ursprüngliche Form des Mehrwerts und fällt mit ihm zusammen. Ferner aber bedarf das Zusammenfallen des Mehrwerts mit unbezahlter fremder Arbeit hier keiner Analyse, da es noch in seiner sichtbaren, handgreiflichen Form existiert, denn die Arbeit des unmittelbaren Produzenten für sich selbst ist hier noch räumlich und zeitlich geschieden von seiner Arbeit für den Grundherrn, und die letztre erscheint unmittelbar in der brutalen Form der Zwangsarbeit für einen Dritten. Ebenso ist die »Eigenschaft«, die der Boden hat, eine Rente abzuwerfen, hier auf ein handgreiflich offenkundiges Geheimnis reduziert, denn zu der Natur, die die Rente liefert, gehört auch die an den Boden gekettete menschliche Arbeitskraft und das Eigentumsverhältnis, das ihren Besitzer zwingt, diese Arbeitskraft anzustrengen und zu betätigen über das Maß hinaus, welches zur Befriedigung seiner eignen unentbehrlichen Bedürfnisse erheischt wäre. Die Rente besteht direkt in der Aneignung dieser überschüssigen Verausgabung der Arbeitskraft durch den Grundeigentümer; denn weiter zahlt der unmittelbare Produzent diesem keine Rente. Hier, wo nicht nur Mehrwert und Rente identisch sind, sondern der Mehrwert handgreiflich noch die Form von Mehrarbeit besitzt, liegen denn auch die natürlichen Bedingungen oder Schranken der Rente, weil der Mehrarbeit überhaupt, auf flacher Hand. Der unmittelbare Produzent muß 1. genug Arbeitskraft besitzen und 2. die Naturbedingungen seiner Arbeit, in erster Instanz also des bearbeiteten Bodens, müssen fruchtbar genug sein, mit einem Wort, die naturwüchsige Produktivität seiner Arbeit muß groß genug sein, damit ihm die Möglichkeit überschüssiger Arbeit bleibe, über die zur Befriedigung seiner eignen unentbehrlichen Bedürfnisse nötige Arbeit hinaus. Diese Möglichkeit schafft nicht die Rente, dies tut erst der Zwang, der aus der Möglichkeit eine Wirklichkeit macht. Aber die Möglichkeit selbst ist an subjektive und objektive Naturbedingungen gebunden. Auch hierin liegt durchaus nichts Mysteriöses. Ist die Arbeitskraft klein und sind die Naturbedingungen der Arbeit dürftig, so ist die Mehrarbeit[800] klein, aber so sind dann auch einerseits die Bedürfnisse der Produzenten, andrerseits die relative Zahl der Ausbeuter der Mehrarbeit, endlich das Mehrprodukt, worin sich diese wenig erträgliche Mehrarbeit für diese geringre Zahl von ausbeutenden Eigentümern verwirklicht.

Endlich ergibt sich bei der Arbeitsrente von selbst, daß, alle andren Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt, es ganz und gar abhängt von dem relativen Umfang der Mehr- oder Fronarbeit, wieweit der unmittelbare Produzent fähig sein wird, seine eigne Lage zu verbessern, sich zu bereichern, einen Überschuß über die unentbehrlichen Subsistenzmittel zu erzeugen, oder wenn wir die kapitalistische Ausdrucksweise antizipieren wollen, ob oder wieweit er irgendeinen Profit für sich selbst, d.h. einen Überschuß über seinen von ihm selbst produzierten Arbeitslohn produzieren kann. Die Rente ist hier die normale, alles absorbierende, sozusagen legitime Form der Mehrarbeit, und weit entfernt davon, ein Überschuß über den Profit, d.h. hier über irgendeinen andern Überschuß über den Arbeitslohn zu sein, hängt nicht nur der Umfang eines solchen Profits, sondern selbst sein Dasein, bei sonst gleichen Umständen, ab von dem Umfang der Rente, d.h. der dem Eigentümer zwangsweise zu leistenden Mehrarbeit.

Einige Historiker haben ihre Verwunderung darüber ausgesprochen, daß, da der unmittelbare Produzent nicht Eigentümer, sondern nur Besitzer ist und in der Tat de jure alle seine Mehrarbeit dem Grundeigentümer gehört, unter diesen Verhältnissen überhaupt eine selbständige Entwicklung von Vermögen und, relativ gesprochen, Reichtum auf seiten der Fronpflichtigen oder Leibeignen vor sich gehn kann. Es ist indes klar, daß in den naturwüchsigen und unentwickelten Zuständen, worauf dies gesellschaftliche Produktionsverhältnis und die ihm entsprechende Produktionsweise beruht, die Tradition eine übermächtige Rolle spielen muß. Es ist ferner klar, daß es hier wie immer im Interesse des herrschenden Teils der Gesellschaft ist, das Bestehende als Gesetz zu heiligen und seine durch Gebrauch und Tradition gegebnen Schranken als gesetzliche zu fixieren. Von allem andern abgesehn, macht sich dies übrigens von selbst, sobald die beständige Reproduktion der Basis des bestehenden Zustandes, des ihm zugrunde liegenden Verhältnisses, im Lauf der Zeit geregelte und geordnete Form annimmt; und diese Regel und Ordnung ist selbst ein unentbehrliches Moment jeder Produktionsweise, die gesellschaftliche Festigkeit und Unabhängigkeit von bloßem Zufall oder Willkür annehmen soll. Sie ist eben die Form ihrer gesellschaftlichen Befestigung und daher ihrer relativen Emanzipation von bloßer Willkür und bloßem Zufall. Sie erreicht diese Form bei stagnanten Zuständen sowohl des Produktionsprozesses wie der[801] ihm entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnisse durch die bloße wiederholte Reproduktion ihrer selbst. Hat diese eine Zeitlang gedauert, so befestigt sie sich als Brauch und Tradition und wird endlich geheiligt als ausdrückliches Gesetz. Da nun die Form dieser Mehrarbeit, die Fronarbeit, auf der Unentwickeltheit aller gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit, auf der Roheit der Arbeitsweise selbst beruht, muß sie naturgemäß einen viel kleinern aliquoten Teil der Gesamtarbeit der unmittelbaren Produzenten wegnehmen als in entwickelten Produktionsweisen, und namentlich als in der kapitalistischen Produktion. Nehmen wir z.B. an, die Fronarbeit für den Grundherrn sei ursprünglich zwei Tage der Woche gewesen. Diese zwei Tage wöchentlicher Fronarbeit stehn damit fest, sind eine konstante Größe, gesetzlich reguliert durch Gewohnheitsrecht oder geschriebnes. Aber die Produktivität der übrigen Wochentage, worüber der unmittelbare Produzent selbst verfügt, ist eine variable Größe, die sich im Fortgang seiner Erfahrung entwickeln muß, ganz wie die neuen Bedürfnisse, mit denen er bekannt wird, ganz wie die Ausdehnung des Markts für sein Produkt, die wachsende Sicherheit, mit der er über diesen Teil seiner Arbeitskraft verfügt, ihn zu erhöhter Anspannung seiner Arbeitskraft spornen wird, wobei nicht zu vergessen, daß die Verwendung dieser Arbeitskraft keineswegs auf Ackerbau beschränkt ist, sondern ländliche Hausindustrie einschließt. Die Möglichkeit einer gewissen ökonomischen Entwicklung, natürlich abhängig von der Gunst der Umstände, vom angebornen Racencharakter usw., ist hier gegeben.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 797-802.
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