I

[433] Die Revolution in Spanien hat nun schon so sehr einen Dauercharakter angenommen, daß, so meldet unser Londoner Korrespondent, die besitzenden und konservativen Klassen auszuwandern beginnen und sich nach Frankreich in Sicherheit bringen. Das überrascht uns keineswegs. Spanien hat sich nie die moderne französische Manier angeeignet, die 1848 so allgemein beliebt war, innerhalb von drei Tagen eine Revolution zu beginnen und zu beenden. Spaniens Bemühungen in dieser Richtung sind verwickelter und andauernder. Drei Jahre scheinen der kürzeste Zeitraum zu sein, auf den es sich beschränkt, und sein revolutionärer Zyklus erstreckt sich bisweilen auf neun. So dauerte seine erste Revolution in diesem Jahrhundert von 1808 bis 1814, die zweite von 1820 bis 1823 und die dritte von 1834 bis 1843. Wie lange die jetzige andauern und wie sie enden wird, das vermag der gewiegteste Politiker unmöglich vorauszusagen. Wohl aber sagt man nicht zuviel, wenn man behauptet, daß kein anderer Teil Europas, nicht einmal die Türkei und der russische Krieg, dem aufmerksamen Beobachter so tiefes Interesse einzuflößen vermag wie das Spanien von heute.

Aufrührerische Erhebungen sind in Spanien so alt wie die Macht der höfischen Günstlinge, gegen die sie sich meistens richten. So revoltierte um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts die Aristokratie gegen König Juan II. und seinen Günstling Don Alvaro de Luna. Noch ernster war dann der Aufstand im fünfzehnten Jahrhundert gegen König Heinrich IV. und das Haupt seiner Kamarilla, Don Juan de Pacheco, Marquis de Villena. Im siebzehnten Jahrhundert riß das Volk in Lissabon Vasconcellos in Stücke, den Sartorius des spanischen Vizekönigs in Portugal, und so erging es auch Santa Coloma in Saragossa, dem Günstling Philipps IV. Zu Ende desselben Jahrhunderts erhob sich unter der Regierung Carlos' II. das Volk von Madrid gegen die[433] Kamarilla der Königin, bestehend aus der Gräfin von Berlepsch und den Grafen Oropesa und Melgar, die für alle nach Madrid gebrachten Lebensmittel einen drückenden Zoll erhoben, den sie unter sich teilten. Das Volk zog vor den königlichen Palast, zwang den König, auf dem Balkon zu erscheinen und selbst die Kamarilla der Königin zu brandmarken. Dann zog es zu den Palästen der Grafen Oropesa und Melgar, plünderte sie, zerstörte sie durch Feuer und versuchte, die Besitzer zu ergreifen, die aber das Glück hatten, zu entwischen, wenn auch auf Kosten eines lebenslänglichen Exils. Das Ereignis, das die revolutionären Erhebungen im fünfzehnten Jahrhundert verursachte, war der verräterische Vertrag, den der Marquis von Villena, der Günstling Heinrichs IV., mit dem König von Frankreich geschlossen hatte und dem zufolge Katalonien an Ludwig XI. ausgeliefert werden sollte. Drei Jahrhunderte später verursachte der Vertrag von Fontainebleau vom 27. Oktober 1807 – in dem der Günstling Carlos' IV. und der Liebling seiner Königin, Don Manuel Godoy, der Friedensfürst, mit Bonaparte die Teilung Portugals und den Einmarsch der französischen Truppen in Spanien vereinbarte – einen Volksaufstand in Madrid gegen Godoy, die Abdankung Carlos' IV., die Thronbesteigung seines Sohnes Ferdinands VII., den Einmarsch der französischen Truppen in Spanien und den sich anschließenden Unabhängigkeitskrieg. Der spanische Unabhängigkeitskrieg begann also mit einer Volkserhebung gegen die Kamarilla, damals personifiziert durch Don Manuel Godoy, ebenso wie der Bürgerkrieg des fünfzehnten Jahrhunderts mit einem Aufstand gegen die Kamarilla begann, zu jener Zeit personifiziert durch den Marquis von Villena, und so begann auch die Revolution von 1854 mit einer Empörung gegen die Kamarilla, die in der Person des Grafen San Luis verkörpert ist.

Trotz dieser stets wiederkehrenden Aufstände hat es in Spanien bis in das jetzige Jahrhundert keine ernsthafte Revolution gegeben, abgesehen von dem Krieg der Heiligen Junta zur Zeit Carlos' I. oder Karls V., wie ihn die Deutschen nennen. Den unmittelbaren Vorwand lieferte, wie gewöhnlich, eine Clique, die unter dem Schutz des Vizekönigs Kardinal Adrian, eines Flamen, die Kastilianer durch ihre habgierige Frechheit zur Verzweiflung brachte, indem sie öffentliche Ämter an die Meistbietenden verkaufte und offenen Schacher mit Gerichtsprozessen trieb. Die Opposition gegen die flämische Kamarilla berührte jedoch nur die Oberfläche der Bewegung. Was ihr zugrunde lag, das war die Verteidigung der Freiheiten des mittelalterlichen Spaniens gegen die Übergriffe des modernen Absolutismus.

Die materielle Basis der spanischen Monarchie war durch die Vereinigung von Aragonien, Kastilien und Granada unter Ferdinand dem Katholischenund Isabella I. gelegt worden. Diese noch feudale Monarchie versuchte Karl I. in eine absolute umzuwandeln. Er attackierte gleichzeitig die beiden Stützpfeiler der spanischen Freiheit, die Cortes und die Ayuntamientos – die ersteren sind eine Modifikation der alten gotischen Concilia, die letzteren, die eine Mischung des erblichen und wählbaren Charakters der römischen Munizipalitäten darstellen, bestanden fast ohne Unterbrechung seit den Zeiten der Römer. Im Hinblick auf die städtische Selbstverwaltung weisen die Städte Italiens, der Provence, Nordgalliens, Großbritanniens und eines Teils von Deutschland eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem damaligen Zustand der spanischen Städte auf. Mit den spanischen Cortes aber kann man weder die französischen Generalstände noch die britischen Parlamente des Mittelalters vergleichen. Die Bildung des spanischen Königreichs vollzog sich unter Bedingungen, die für die Begrenzung der königlichen Machtsphäre besonders günstig waren. Einerseits wurden kleine Teile der Halbinsel zu einer Zeit wiedererobert und in selbständige Königreiche verwandelt, als noch die langwierigen Kämpfe mit den Arabern tobten. In diesen Kämpfen entstanden neue Volkssitten und Gesetze. Die einander folgenden Eroberungen, die hauptsächlich von den Adligen gemacht wurden, erhöhten deren Macht außerordentlich, während sie die königliche Machtsphäre einschränkten. Andrerseits erlangten die Städte und Gemeinden im Innern des Landes immer größere Bedeutung, denn die Menschen sahen sich gezwungen, in befestigten Plätzen beisammenzuwohnen, um sich gegen die fortgesetzten Einfälle der Mauren zu schützen. Die günstige Form einer Halbinsel, die das Land besitzt, wie auch der stete Verkehr mit der Provence und Italien schufen wiederum hervorragende Handels- und Hafenstädte an der Küste. Schon im vierzehnten Jahrhundert bildeten die Städte den mächtigsten Bestandteil der Cortes, die sich aus ihren Repräsentanten und aus denen der Geistlichkeit und des Adels zusammensetzten. Auch darf man nicht außer acht lassen, daß die langsame Überwindung der maurischen Herrschaft, die einen achthundert Jahre dauernden hartnäckigen Kampf erforderte, der Halbinsel nach ihrer vollen Emanzipation einen Charakter verlieh, der von dem des übrigen Europa der damaligen Zeit gänzlich verschieden war; im Norden Spaniens herrschten zur Zeit der europäischen Renaissance die Sitten und Gebräuche der Goten und Vandalen und im Süden die der Araber.

Als Karl I. aus Deutschland zurückgekehrt war, wo man ihm die Kaiserwürde verliehen hatte, versammelten sich die Cortes in Valladolid, um seinen Eid auf die alten Gesetze entgegenzunehmen und ihn mit der Krone zu belehnen. Karl weigerte sich zu erscheinen und sandte Bevollmächtigte, die,[437] wie er forderte, von den Cortes den Untertaneneid entgegenzunehmen hätten. Die Cortes weigerten sich, die Bevollmächtigten vor sich erscheinen zu lassen, und bedeuteten dem Monarchen, daß er, wenn er nicht erschiene und auf die Landesgesetze schwöre, niemals als König von Spanien anerkannt werden würde. Karl gab daraufhin nach; er erschien vor den Cortes und schwor den Eid – wie die Geschichtsschreiber berichten, sehr unwillig. Bei dieser Gelegenheit sagten ihm die Cortes: »Señor, Ihr müßt wissen, daß der König bloß der bezahlte Diener der Nation ist.« Das war der Beginn der Feindseligkeiten zwischen Karl I. und den Städten. Infolge seiner Intrigen brachen in Kastilien zahlreiche Aufstände aus, die Heilige Junta von Avila wurde gebildet, und die vereinigten Städte beriefen die Versammlung der Cortes nach Tordesillas ein, von wo aus am 20. Oktober 1520 ein »Protest gegen die Mißbräuche« an den König gerichtet wurde, der diesen Protest damit beantwortete, daß er alle in Tordesillas versammelten Abgesandten ihrer persönlichen Rechte beraubte. Damit war der Bürgerkrieg unvermeidlich geworden. Die Bürger riefen zu den Waffen, und ihre Soldaten bemächtigten sich unter Padillas Führung der Festung Torrelobaton; sie wurden aber schließlich durch überlegenere Kräfte in der Schlacht von Villalar am 23. April 1521 entscheidend geschlagen. Die Häupter der vornehmsten »Verschwörer« fielen auf dem Schafott, und die alten Freiheiten Spaniens verschwanden.

Mehrere Umstände vereinigten sich zugunsten der wachsenden Macht des Absolutismus. Der Mangel an Einigkeit unter den verschiedenen Provinzen zersplitterte ihre Kräfte; vor allem aber nützte Karl den tiefen Klassengegensatz zwischen Adel und Stadtbürgern dazu aus, sie beide niederzudrücken. Wir erwähnten schon, daß seit dem vierzehnten Jahrhundert der Einfluß der Städte in den Cortes vorherrschte. Seit Ferdinand dem Katholischen war die Heilige Bruderschaft (Santa Hermandad) ein mächtiges Werkzeug in den Händen der Städte gegen die kastilischen Adligen geworden, die die Städte der Übergriffe auf ihre alten Privilegien und Rechtstitel anklagten. Der Adel brannte deshalb darauf, Carlos I. bei seinem Vorhaben beizustehen, die Heilige Junta zu unterdrücken. Nachdem er den bewaffneten Widerstand der Städte gebrochen hatte, ging Carlos daran, ihre städtischen Privilegien einzuschränken; die Städte verloren schnell an Bevölkerung, Reichtum und Bedeutung und gingen daher auch bald ihres Einflusses in den Cortes verlustig. Jetzt wandte sich Carlos gegen die Adligen, die ihm geholfen hatten, die Freiheiten der Städte zu zerstören, die aber selbst noch großen politischen Einfluß behielten. Meuterei in seiner Armee wegen rückständiger Löhnung zwang ihn 1539, die Cortes einzuberufen, um Gelder bewilligt zu[438] erhalten. Die Cortes, darüber empört, daß frühere Bewilligungen zu Zwecken verwendet worden waren, die mit spanischen Interessen nichts zu tun hatten, verweigerten alle Hilfsmittel. Carlos entließ sie in heller Wut, und da die Adligen auf dem Privileg der Steuerfreiheit bestanden hatten, erklärte er, alle, die ein solches Vorrecht für sich beanspruchten, hätten das Recht verwirkt, in den Cortes zu erscheinen, und schloß sie infolgedessen von dieser Versammlung aus. Das bedeutete für die Cortes den Todesstoß, und ihre Zusammenkünfte waren von nun an auf die Ausübung einer bloßen Hofzeremonie beschränkt. Das dritte Element der alten Institution der Cortes, die Geistlichkeit, hatte sich seit Ferdinand dem Katholischen um das Banner der Inquisition geschart und längst aufgehört, seine Interessen mit denen des feudalen Spaniens zu identifizieren. Durch die Inquisition war die Kirche vielmehr in das furchtbarste Werkzeug des Absolutismus umgewandelt worden.

Wenn nach der Regierung Carlos' I. Spaniens politischer und gesellschaftlicher Niedergang alle Symptome jener unrühmlichen und langwierigen Fäulnis aufwies, die uns in den schlimmsten Zeiten des Türkischen Reichs so sehr abstößt, so waren unter dem Kaiser die alten Freiheiten wenigstens glanzvoll zu Grabe getragen worden. Dies war die Zeit, da Vasco Nuñez de Balboa an der Küste von Darien, Cortez in Mexiko und Pizarro in Peru das Banner Kastiliens aufpflanzten, da spanischer Einfluß in ganz Europa vorherrschend war und ihre südliche Phantasie den Iberern Visionen von Eldorados, ritterlichen Abenteuern und Weltmonarchie vorgaukelte. Damals verschwand die spanische Freiheit unter Waffengeklirr, unter einem wahren Goldregen und beim schrecklichen Schein der Autodafés.

Wie aber können wir uns das sonderbare Phänomen erklären, daß nach einer fast dreihundertjährigen Herrschaft der habsburgischen Dynastie, der noch die Dynastie der Bourbonen folgte – von denen jede einzelne genügt hätte, ein Volk zugrunde zu richten –, dennoch die städtischen Freiheiten Spaniens mehr oder weniger noch vorhanden waren? Daß gerade in dem Land, wo vor allen anderen Feudalstaaten die absolute Monarchie in ihrer brutalsten Form zuerst entstand, sich die Zentralisation niemals einwurzeln konnte? Die Antwort ist nicht schwer. Überall bildeten sich im sechzehnten Jahrhundert die großen Monarchien auf den Trümmern der kämpfenden feudalen Klassen: der Aristokratie und der Städte. In den anderen großen Staaten Europas tritt jedoch die absolute Monarchie als ein zivilisierendes Zentrum, als der Urheber gesellschaftlicher Einheit auf. Dort war sie das Laboratorium, in dem die verschiedenen Elemente der Gesellschaft so gemischt und bearbeitet wurden, daß es den Städten möglich wurde, ihre[439] lokale Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Mittelalters gegen die allgemeine Herrschaft der Bourgeoisie und gegen die gemeinsame Herrschaft der bürgerlichen Gesellschaft einzutauschen. Im Gegensatz dazu versank jedoch in Spanien die Aristokratie in die tiefste Erniedrigung, ohne ihre schlimmsten Privilegien zu verlieren, während die Städte ihre mittelalterliche Macht einbüßten, ohne moderne Bedeutung zu gewinnen.

Seit der Errichtung der absoluten Monarchie vegetierten die Städte in einem Zustand andauernden Verfalls. Es ist nicht unsere Sache, hier die politischen oder ökonomischen Verhältnisse zu erörtern, die den Handel, die Industrie, die Schiffahrt und die Landwirtschaft Spaniens zugrunde richteten. Für den jetzigen Zweck genügt es, auf diese Tatsache einfach hinzuweisen. In dem Maße, wie das kommerzielle und industrielle Leben der Städte abnahm, wurde der Austausch im Inland geringer, der Verkehr zwischen den Bewohnern der einzelnen Provinzen spärlicher, wurden die Verkehrsmittel vernachlässigt, und die großen Straßen verödeten allmählich. Das lokale Leben Spaniens, die Unabhängigkeit seiner Provinzen und Gemeinden, die mannigfaltigen Unterschiede der Gesellschaft – die ursprünglich auf der natürlichen Gestaltung des Landes beruhte und die sich historisch je nach der Art entwickelt hatte, wie sich die einzelnen Provinzen von der maurischen Herrschaft emanzipiert und kleine unabhängige Gemeinwesen gebildet hatten – wurden nun schließlich durch die ökonomische Umwälzung bestärkt und bekräftigt, die die Quellen nationaler Tätigkeit austrocknete. Die absolute Monarchie, die in Spanien ein Material vorfand, das seiner ganzen Natur nach der Zentralisation widerstrebte, tat denn auch alles, was in ihrer Macht stand, das Wachstum gemeinsamer Interessen – wie sie die nationale Arbeitsteilung und die Vielfältigkeit des In landsverkehrs mit sich bringen – zu verhindern, und zerstörte so die Basis, auf der allein ein einheitliches Verwaltungssystem und eine allgemeine Gesetzgebung geschaffen werden kann. Daher ist die absolute Monarchie in Spanien eher auf eine Stufe mit asiatischen Herrschaftsformen zu stellen, als mit anderen absoluten Monarchien in Europa zu vergleichen, mit denen sie nur geringe Ähnlichkeit aufweist. Spanien blieb, wie die Türkei, ein Konglomerat schlechtverwalteter Provinzen mit einem nominellen Herrscher an der Spitze. In den verschiedenen Provinzen nahm der Despotismus verschiedene Formen an, entsprechend der verschiedenen Art, in der königliche Statthalter und Gouverneure die allgemeinen Gesetze willkürlich auslegten. So despotisch aber die Regierung war, so verhinderte sie doch die einzelnen Provinzen nicht, mit verschiedenartigen Gesetzen und Gebräuchen, verschiedenartigen Münzen, militärischen Fahnen von verschiedenen Farben und verschiedenartigen[440] Steuersystemen zu operieren. Der orientalische Despotismus wendet sich gegen die munizipale Selbstregierung nur dann, wenn sie seinen unmittelbaren Interessen zuwiderläuft, ist aber nur zu geneigt, die Fortexistenz dieser Einrichtungen zu gestatten, solange diese ihm die Pflicht abnehmen, selbst etwas zu tun, und ihm die Mühen einer geordneten Verwaltung ersparen.

So konnte es geschehen, daß Napoleon, der gleich allen seinen Zeitgenossen in Spanien nichts als einen leblosen Leichnam sah, höchst peinlich überrascht wurde, als er die Entdeckung machen mußte, daß wohl der spanische Staat tot sei, aber die spanische Gesellschaft voll gesunden Lebens stecke und in allen ihren Teilen von Widerstandskraft strotze. Gemäß dem Vertrag von Fontainebleau hatte Napoleon seine Truppen nach Madrid dirigiert; nachdem er die königliche Familie zu einer Unterredung nach Bayonne gelockt, hatte er Carlos IV. gezwungen, seine Abdankung zurückzunehmen, damit ihm dieser dann sein Reich abtreten könne; von Ferdinand VII. hatte er eine ähnliche Erklärung erpreßt. Als nun Carlos IV., seine Gemahlin und der Friedensfürst nach Compiègne gebracht worden und Ferdinand VII. mit seinen Brüdern im Schloß von Valençay gefangengesetzt war, übertrug Bonaparte die Krone von Spanien seinem Bruder Joseph, versammelte in Bayonne eine spanische Junta und versah sie mit einer seiner bereitgehaltenen Konstitutionen. Da er in der spanischen Monarchie sonst nichts Lebendiges sah als die elende Dynastie, die er unter sicherem Verschluß hielt, so fühlte er sich bei dieser Konfiskation Spaniens seiner Sache ganz sicher. Nur wenige Tage jedoch nach seinem coup de main bekam er die Nachricht von einem Aufstand in Madrid. Murat unterdrückte zwar diesen Aufruhr, indem er etwa 1000 Menschen tötete. Als sich aber die Nachricht von dieser Metzelei verbreitete, brach in Asturien der Aufstand los, der bald die ganze Monarchie ergriff. Bemerkenswert ist, daß diese erste spontane Erhebung im Volke entstand, während die »besseren« Klassen sich ruhig dem fremden Joch gebeugt hatten.

In dieser Weise wurde also Spanien für seine jüngste revolutionäre Laufbahn vorbereitet und in die Kämpfe hineingetrieben, die für seine Entwicklung in diesem Jahrhundert bezeichnend sind. Kurz und bündig haben wir hier die Tatsachen und Einflüsse verzeichnet, die noch heute seine Geschicke bestimmen und die Impulse seines Volkes leiten. Wir haben jedoch nicht nur auf sie hingewiesen, weil sie zum Verständnis der heutigen Krisis notwendig sind, sondern auch zum Verständnis alles dessen, was Spanien seit der napoleonischen Usurpation leistete und litt. Dieser Zeitraum von nun[441] bald fünfzig Jahren – reich an tragischen Episoden und heldenmütigen Anstrengungen – ist eines der ergreifendsten und lehrreichsten Kapitel der modernen Weltgeschichte.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1961, Band 10, S. 433-435,437-442.
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