[448] Die Verteilung der Macht unter die einzelnen Provinzialjuntas hatte Spanien vor dem ersten Anprall der französischen Invasion unter Napoleon gerettet. Nicht nur weil sie die Hilfsquellen des Landes vervielfältigte, sondern weil sie es auch dem Eindringling unmöglich machte, auf ein bestimmtes Ziel loszuschlagen; die Franzosen waren höchst erstaunt, daß das Zentrum des spanischen Widerstands überall und nirgends war. Nichtsdestoweniger machte sich, kurz nachdem Baylen kapituliert und Joseph Madrid geräumt hatte, die Notwendigkeit, eine Art Zentralregierung zu schaffen, allgemein fühlbar. Nach den ersten Erfolgen waren die Uneinigkeiten zwischen den Provinzialjuntas so heftig geworden, daß Sevilla zum Beispiel nur mit Mühe durch General Castaños davon abgehalten werden konnte, gegen Granada vorzurücken. Die französische Armee, die – mit Ausnahme der unter Marschall Bessières stehenden Truppen – sich in größter Verwirrung auf die Linie am Ebro zurückgezogen hatte, wäre bei kraftvoller Verfolgung mit Leichtigkeit zu zerstreuen gewesen, oder sie hätte mindestens wieder die Grenze überschreiten müssen, so aber gelang es ihr, sich zu erholen und eine starke Position einzunehmen. Besonders die blutige Unterdrückung des Aufstandes in Bilbao durch General Merlin löste in der ganzen Nation einen Schrei der Empörung gegen die Eifersüchteleien der Juntas und gegen das unbekümmerte laissez faire der Befehlshaber aus. Die Dringlichkeit eines[448] gemeinsamen militärischen Vorgehens; die Gewißheit, daß Napoleon bald wieder an der Spitze eines siegreichen Heeres erscheinen würde, das von den Ufern des Njemen, der Oder und den Küsten der Ostsee zusammengezogen war; das Fehlen einer allgemeinen Autorität zum Abschluß von Bündnisverträgen mit Großbritannien oder anderen auswärtigen Mächten und zur Aufrechterhaltung der Verbindung mit Spanisch-Amerika und zur Erhebung der Abgaben von ihm; das Bestehen einer französischen Zentralgewalt in Burgos und die Notwendigkeit, dem fremden Altar seinen eigenen gegenüberzustellen – alle diese Umstände zusammengenommen zwangen die Junta von Sevilla, auf ihr nur unbestimmtes, eigentlich nur nominelles Übergewicht, wenn auch ungern, zu verzichten und den verschiedenen Provinzialjuntas vorzuschlagen, aus ihren eigenen Körperschaften je zwei Deputierte zu wählen, deren Vereinigung eine Zentraljunta bilden sollte, während die Provinzialjuntas mit der inneren Verwaltung ihrer betreffenden Gebiete betraut bleiben sollten, »jedoch mit gebührender Subordination unter die Zentralregierung«. So trat am 25. September 1808 in Aranjuez die Zentraljunta zusammen, die sich aus 35 Deputierten der Provinzialjuntas (34 für die spanischen Juntas und einer für die Kanarischen Inseln) zusammensetzte – gerade einen Tag, ehe die Potentaten von Rußland und Deutschland sich in Erfurt vor Napoleon demütigten.
In revolutionären Verhältnissen – mehr noch als in normalen Zeiten – spiegeln die Geschicke der Armeen die wahre Natur der zivilen Regierung wider. Die mit der Vertreibung der Eindringlinge vom spanischen Boden betraute Zentraljunta wurde durch den Erfolg der feindlichen Waffen von Madrid nach Sevilla und von Sevilla nach Cadiz getrieben, um dort ein ruhmloses Ende zu finden. Ihre Herrschaft war durch eine Kette schmachvoller Niederlagen gekennzeichnet, durch die Vernichtung der spanischen Armeen und schließlich durch die Auflösung der regulären Kriegführung in Guerillakämpfe. Urquijo, ein spanischer Edelmann, äußerte am 3. April 1808 zu Cuesta, dem Generalkapitän von Kastilien:
»Unser Spanien ist ein gotisches Gebäude, das aus den heterogensten Stückchen zusammengesetzt ist, mit ebenso vielen Gewalten, Privilegien, Gesetzgebungen und Gebräuchen, als es Provinzen gibt. In Spanien existiert nichts von dem, was man in Europa Sinn für das öffentliche Wohl nennt. Diese Gründe werden bei uns stets die Errichtung einer Zentralgewalt verhindern, die mächtig genug wäre, unsere nationalen Kräfte zu vereinen.«
Wenn schon der Zustand, in dem Spanien sich zur Zeit der französischen Invasion befand, der Bildung eines revolutionären Zentrums die größten Schwierigkeiten bereitete, so machte gerade die Zusammensetzung[449] der Zentraljunta das Land vollends unfähig, sich aus der furchtbaren Krise zu retten, in der es sich befand. Zu zahlreich und zu wahllos zusammengewürfelt, um als Exekutivgewalt auftreten zu können, waren es doch wieder zu wenig Delegierte, um die Autorität eines Nationalkonvents beanspruchen zu können. Allein die Tatsache, daß sie von Provinzialjuntas delegiert waren, machte sie dazu untauglich, die ehrgeizigen Neigungen, den bösen Willen und den eigensinnigen Egoismus dieser Körperschaften zu überwinden. Diese Juntas, deren Mitglieder, wie wir schon in einem früheren Artikel erwähnten, im großen und ganzen auf Grund ihrer Stellung in der alten Gesellschaft gewählt waren und nicht in Anbetracht ihrer Fähigkeiten, eine neue Gesellschaft ins Leben zu rufen, sandten nun ihrerseits in die »Zentrale« spanische Granden, Prälaten, Würdenträger von Kastilien, ehemalige Minister, hohe Zivil- und Militärbeamte, anstatt Personen, die aus der Revolution hervorgingen. Die spanische Revolution ging schon in ihren ersten Anfängen an dem Bestreben zugrunde, legitim und anständig zu sein.
Die beiden hervorragendsten Mitglieder der Zentraljunta, um deren Banner sich ihre beiden großen Parteien scharten, waren Floridablanca und Jovellanos, beide Märtyrer der Godoyschen Verfolgung, frühere Minister, beide kränklich und alt geworden in den regelmäßigen und pedantischen Gepflogenheiten des saumseligen spanischen Regimes, dessen steife, umständliche Langsamkeit schon zu Bacons Zeiten sprichwörtlich geworden war, der einst ausrief: »Wenn der Tod mich holt, dann möge er von Spanien kommen, er kommt dann zu einer späteren Stunde.«
Floridablanca und Jovellanos repräsentierten einen Gegensatz, der noch jener Epoche des achtzehnten Jahrhunderts angehörte, die dem Zeitalter der französischen Revolution voranging; der erstere ein plebejischer Bürokrat, der letztere ein aristokratischer Philanthrop. Floridablanca war ein Anhänger und Vertreter des aufgeklärten Despotismus, den ein Pombal, ein Friedrich II., ein Joseph II. vertrat. Jovellanos, ein »Volksfreund«, hoffte das Volk durch ein sorgfältig ausgeklügeltes System ökonomischer Gesetze und durch die literarische Propagierung großherziger Theorien zur Freiheit zu führen. Beide waren Gegner der Traditionen des Feudalismus; der eine suchte die Monarchie, der andere die bürgerliche Gesellschaft von ihren Fesseln zu befreien. Die Rolle, die jeder von ihnen in der Geschichte ihres Vaterlandes spielte, entsprach der Verschiedenheit ihrer Ansichten. Floridablanca regierte an höchster Stelle als Premierminister Karls III., und seine Herrschaft wurde in dem Maße despotisch, wie er auf Widerstand stieß. Jovellanos, dessen Ministerlaufbahn unter Karl IV. nur kurz war, gewann seinen Einfluß auf das spanische Volk nicht als Minister, sondern als Gelehrter, nicht durch[450] Dekrete, sondern durch Essays. Floridablanca war ein Achtzigjähriger, als ihn der Sturm der Zeiten an die Spitze einer revolutionären Regierung trug; was bei ihm unerschüttert geblieben, war nur seine Glaube an den Despotismus und sein Unglaube an die schöpferischen Kräfte des Volkes. Als er nach Madrid delegiert wurde, hinterließ er dem Gemeinderat von Murcia einen geheimen Protest, worin er erklärte, daß er nur der Gewalt und der Furcht vor Attentaten des Volkes nachgebe, und daß er dieses Protokoll zu dem ausdrücklichen Zwecke unterzeichne, daß König Joseph es ihm niemals verüble, wenn er das Mandat aus den Händen des Volkes annehme. Nicht zufrieden damit, zu den Traditionen seines Mannesalters zurückzukehren, widerrief er auch noch jene Schritte aus seiner ministeriellen Vergangenheit, die ihm jetzt als übereilt erschienen. Er, der die Jesuiten aus Spanien verbannt hatte, war kaum in die Zentraljunta eingesetzt, als er die Erlaubnis zu ihrer Rückkehr »als Privatleute« beantragte. Die einzige Veränderung, die sich seiner Meinung nach seit seiner Zeit vollzogen hatte, bestand lediglich darin, daß Godoy, der ihn verbannt und den mächtigen Grafen von Floridablanca seiner ministeriellen Allmacht beraubt hatte, nun durch denselben Grafen Floridablanca ersetzt und seinerseits vertrieben wurde. So war der Mann beschaffen, den die Zentraljunta zu ihrem Präsidenten wählte und den ihre Mehrheit als unfehlbaren Führer anerkannte.
Jovellanos, der die einflußreiche Minderheit in der Zentraljunta leitete, war auch alt geworden und hatte während der ihm von Godoy auferlegten langen, schweren Kerkerhaft viel von seiner Energie eingebüßt. Aber selbst in seiner besten Zeit war er kein Mann der revolutionären Aktion, sondern eher ein wohlmeinender Reformer gewesen, der aus lauter Bedenklichkeit in der Wahl seiner Mittel nie gewagt hätte, seinen Endzweck zu erreichen. In Frankreich wäre er vielleicht so weit wie Mounier oder Lally-Tollendal gegangen, jedoch keinen Schritt weiter. In England wäre er ein populäres Mitglied des Oberhauses geworden. Im aufrührerischen Spanien taugte er wohl dazu, die strebsame Jugend mit Ideen zu erfüllen, in der Praxis aber war er nicht einmal der servilen Zähigkeit eines Floridablanca gewachsen. Nicht ganz frei von aristokratischen Vorurteilen und daher stark zur Anglomanie eines Montesquieu neigend, schien dieser untadelige Charakter den Beweis dafür zu liefern, daß, wenn Spanien einmal ausnahmsweise einen wissenschaftlichen Geist hervorbrachte, dies nur auf Kosten der persönlichen Energie geschehen konnte, die das Land nur zur Erfüllung seiner lokalen Aufgaben zu besitzen schien.
Wohl gehörten der Zentraljunta einige Männer an – an deren Spitze Don Lorenzo Calvo de Rozas, der Delegierte von Saragossa, stand –, die[451] Anhänger von Jovellanos Reformansichten waren und gleichzeitig eine lebhaftere revolutionäre Aktion anstrebten. Ihre Zahl war aber zu klein und ihre Namen zu unbekannt, als daß sie die schwerfällige Staatskutsche der Junta aus dem ausgefahrenen Geleise des spanischen Zeremoniells hätten schieben können.
Diese Gewalt, so plump zusammengefügt, so schwächlich organisiert, an deren Spitze solche überlebten Reliquien standen, war dazu berufen, eine Revolution zu vollbringen und Napoleon zu schlagen. Wenn ihre Proklamationen ebenso kraftvoll waren, wie ihre Taten kraftlos, so verdankte sie dies Don Manuel Quintana, einem spanischen Dichter; denn die Junta hatte so viel Geschmack besessen, ihn als ihren Sekretär anzustellen und mit der Abfassung ihrer Manifeste zu betrauen.
Gleich den prunkenden Helden Calderons, die nicht müde werden, alle ihre Titel aufzuzählen, weil sie konventionelle Auszeichnung mit echter Größe verwechseln, war es auch die erste Sorge der Junta, die Ehren und Auszeichnungen zu dekretieren, die ihrer gehobenen Stellung gebührten. Ihr Präsident bekam das Prädikat »Hoheit«, die anderen Mitglieder den Titel »Exzellenz« und die Junta in corpore erhielt die Bezeichnung »Majestät«. Sie versahen sich mit einer Art Phantasieuniform, die der eines Generals ähnelte, schmückten ihre Brust mit Abzeichen, die Alte und die Neue Welt darstellend, und genehmigten sich ein Jahresgehalt von 120000 Realen. Es entsprach ganz den Ideen der alten spanischen Schule, daß sich die Führer des aufständischen Spaniens erst in theatralische Kostüme stecken müßten, damit sich ihr Einzug auf die historische Bühne Europas großartig und würdevoll gestalte.
Wir würden den Rahmen dieser Skizzen überschreiten, wollten wir auf die innere Geschichte der Junta und die Einzelheiten ihrer Verwaltung eingehen. Für unsere Zwecke genügt es, zwei Fragen zu beantworten. Welchen Einfluß hatte sie auf die Entwicklung der spanischen revolutionären Bewegung und auf die Verteidigung des Vaterlands? Sind diese beiden Fragen beantwortet, so wird vieles, was bis jetzt an den spanischen Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts geheimnisvoll und unerklärlich erschien, seine Aufklärung gefunden haben.
Ihre Hauptpflicht sah die Mehrheit der Zentraljunta gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Unterdrückung des ersten revolutionären Überschwangs. Sie knebelte daher die Presse aufs neue und ernannte einen neuen Großinquisitor, der glücklicherweise durch die Franzosen verhindert wurde, seine[452] Funktionen wieder aufzunehmen. Obzwar der größte Teil des spanischen Grundbesitzes in der toten Hand festgelegt war – teils in adligen Fideikommissen, teils in unveräußerlichen Kirchengütern –, befahl die Junta, den bereits begonnenen Verkauf der Güter der toten Hand einzustellen, sie drohte sogar, die Privatverträge abzuändern, die sich auf die bereits verkauften Kirchengüter bezogen. Sie erkannte die Staatsschuld an, traf aber keinerlei finanzielle Maßnahmen, weder um das Budget von dem Berg von Lasten zu befreien, den eine jahrhundertelange Aufeinanderfolge von korrupten Regierungen aufgehäuft hatte, noch um das sprichwörtlich gewordene ungerechte, sinnlose und drückende Steuersystem zu reformieren, noch um der Nation neue Produktionsmöglichkeiten zu eröffnen, indem sie die Fesseln des Feudalismus sprengte.
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