Dritter Baustein

[469] »Auf dem polaren Gegensatz, der Wechselwirkung meines besondern Lebens mit dem allgemeinen Naturleben, beruht der Kampf des Menschen mit der Natur. Wenn dieser Kampf als bewußte Tätigkeit erscheint, heißt er Arbeit.« p. 164.

Sollte nicht umgekehrt die Vorstellung von dem »polaren Gegensatz« auf der Beobachtung eines Kampfes der Menschen mit der Natur beruhen? Erst wird eine Abstraktion aus einem Faktum gezogen; dann erklärt, daß dies Faktum auf dieser Abstraktion beruhe. Wohlfeilste Methode, deutsch-tief und spekulativ zu erscheinen.

Z.B.: Faktum: Die Katze frißt die Maus.

Reflexion: Katze – Natur, Maus – Natur, Verzehren der Maus durch die Katze = Verzehren der Natur durch die Natur = Selbstverzehren der Natur.

[469] Philosophische Darstellung des Faktums: Auf dem Selbstverzehren der Natur beruht das Gefressenwerden der Maus von der Katze.

Nachdem also auf diese Weise der Kampf des Menschen mit der Natur mystifiziert ist, wird die bewußte Tätigkeit des Menschen in Beziehung auf die Natur mystifiziert, indem sie als Erscheinung dieser bloßen Abstraktion wirklicher Kämpfe gefaßt wird. Schließlich wird dann das profane Wort Arbeit als Resultat dieser Mystifikation hereingeschmuggelt, ein Wort, das unser wahrer Sozialist von Anfang an auf der Zunge hatte, aber erst nach gehöriger Legitimierung auszusprechen wagte. Die Arbeit wird aus der bloßen, abstrakten Vorstellung des Menschen und der Natur konstruiert und daher auch auf eine Weise bestimmt, die auf alle Entwicklungsstufen der Arbeit gleich gut paßt und nicht paßt.

»Die Arbeit ist demnach jede bewußte Tätigkeit des Menschen, wodurch er die Natur seiner Herrschaft in geistiger und materieller Beziehung zu unterwerfen strebt, um sie zum bewußten Genuß seines Lebens zu bringen, sie zu seiner geistigen oder körperlichen Befriedigung zu verwenden.« (ibid.)

Wir machen bloß auf die glänzende Schlußfolgerung aufmerksam:

»Wenn dieser Kampf als bewußte Tätigkeit erscheint, heißt er Arbeit – die Arbeit ist demnach jede bewußte Tätigkeit des Menschen« usw.

Diese tiefe Einsicht verdanken wir dem »polaren Gegensatz«.

Man rufe sich den obigen saint-simonistischen Satz von dem libre développement de toutes les facultés ins Gedächtnis zurück. Man erinnere sich zu gleicher Zeit, daß Fourier an die Stelle des heutigen travail répugnant den travail attrayant gesetzt sehen wollte. Dem »polaren Gegensatz« verdanken wir folgende philosophische Begründung und Explikation dieser Sätze:

»Da aber« (dies Aber soll andeuten, daß hier kein Zusammenhang stattfindet) »das Leben in jeder Entfaltung, Übung und Äußerung seiner Kräfte und Fähigkeiten zu seinem Genusse, zu seiner Befriedigung kommen soll, so ergibt sich, daß die Arbeit selbst eine Entfaltung und Entwicklung menschlicher Anlagen sein und Genuß, Befriedigung und Glück gewähren soll. Die Arbeit selbst muß mithin zu einer freien Äußerung des Lebens und dadurch zum Genuß werden.« (ibid.)

Hier wird gezeigt, was in der Vorrede der »Rh[einischen] Jahrb[ücher]« versprochen ist, nämlich »inwiefern die deutsche Gesellschaftswissenschaft in ihrer bisherigen Ausbildung sich von der französischen und englischen[470] unterscheidet«, und was das heißt, »die Lehre des Kommunismus wissenschaftlich darzustellen«.

Es ist schwer, jeden logischen Lapsus in diesen wenigen Zeilen aufzudecken, ohne langweilig zu werden. Zunächst die Schnitzer gegen die formelle Logik.

Um zu beweisen, daß die Arbeit, eine Äußerung des Lebens, Genuß bringen soll, wird unterstellt, daß das Leben in jeder Äußerung Genuß bringen soll, und hieraus geschlossen, daß das Leben dies auch in seiner Äußerung als Arbeit soll. Mit dieser paraphrastischen Verwandlung eines Postulats in eine Konklusion nicht zufrieden, macht der Verfasser die Konklusion noch dazu falsch. Daraus, daß »das Leben in jeder Entfaltung nun Genuß kommen soll«, ergibt sich für ihn, daß die Arbeit, die eine dieser Entfaltungen des Lebens ist, »selbst eine Entfaltung und Entwicklung menschlicher Anlagen«, also wieder des Lebens, »sein soll«. Sie soll also sein, was sie ist. Wie hätte die Arbeit es anfangen sollen, um jemals nicht eine »Entfaltung menschlicher Anlagen« zu sein? Damit nicht genug. Weil die Arbeit dies sein soll, »muß« sie es »mithin« sein, oder noch besser: Weil sie eine »Entfaltung und Entwicklung menschlicher Anlagen sein soll«, muß sie mithin ganz etwas Andres werden, nämlich »eine freie Äußerung des Lebens«, wovon bisher noch gar nicht die Rede war. Und während oben direkt von dem Postulat des Lebensgenusses auf das Postulat der Arbeit als Genuß geschlossen wurde, wird hier dies letztere Postulat als Konsequenz des neuen Postulats der »freien Äußerung des Lebens in der Arbeit« dargestellt.

Was den Inhalt dieses Satzes angeht, so ist nicht abzusehen, warum die Arbeit nicht immer das war, was sie sein soll, und warum sie es jetzt werden muß, oder warum sie etwas werden soll, was sie bis dato nicht muß. Aber bisher war freilich nicht das Wesen des Menschen und der polare Gegensatz des Menschen und der Natur entwickelt.

Folgt eine »wissenschaftliche Begründung« des kommunistischen Satzes von dem gemeinschaftlichen Eigentum an den Produkten der Arbeit:

»Das Produkt der Arbeit aber« (dies abermalige Aber hat denselben Sinn wie das obige) »muß zugleich dem Glücke des Einzelnen, Arbeitenden und dem allgemeinen Glücke dienen. Dies geschieht durch die Gegenseitigkeit, durch die gegenseitige Ergänzung aller gesellschaftlichen Tätigkeiten.« (ibid.)

Dieser Satz ist nichts als eine durch das Wort »Glück« schwankend gemachte Kopie dessen, was in jeder Ökonomie der Konkurrenz und Teilung der Arbeit nachgerühmt wird.

Endlich philosophische Begründung der französischen Organisation der Arbeit:

[471] »Die Arbeit als eine genußreiche, Befriedigung gewährende und zugleich dem allgemeinen Wohle dienende freie Tätigkeit ist die Grundlage der Organisation der Arbeit.« p. 165.

Da die Arbeit erst »eine genußreiche pp. freie Tätigkeit« werden soll und muß, es also noch nicht ist, so wäre eher zu erwarten, daß die Organisation der Arbeit umgekehrt die Grundlage der »Arbeit als einer genußreichen Tätigkeit« ist. Aber der Begriff der Arbeit als dieser Tätigkeit reicht vollständig hin.

Der Verfasser glaubt am Schlusse seines Aufsatzes zu »Resultaten« gekommen zu sein.

Diese »Bausteine« und »Resultate«, zusammen mit den übrigen Granitblöcken, die sich in den »Einundzwanzig Bogen«, dem »Bürgerbuch« und den »Neuen Anekdotis« finden, bilden den Felsen, auf den der wahre Sozialismus, alias deutsche Sozialphilosophie, seine Kirche bauen wird.

Wir werden gelegentlich einige der Hymnen, einige Fragmente des cantique allégorique hébraique et mystique hören, die in dieser Kirche gesungen werden.[472]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 469-473.
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