Fourierismus

[498] Außer einigen Übersetzungen über die Liebe aus den »Quatre mouvements« erfahren wir auch hier nichts, was nicht schon bei Stein vollständiger ist. Die Moral fertigt Herr Grün mit einem Satze ab, der schon lange vor Fourier von hundert anderen Schriftstellern gesagt war:

»Die Moral ist nach Fourier weiter nichts als der systematische Versuch, die Leidenschaften der Menschen zu unterdrücken.« p. 147.

Die christliche Moral hat sich selbst nie anders definiert. Auf Fouriers Kritik der jetzigen Landwirtschaft und Industrie geht Herr Grün gar nicht ein und begnügt sich, zur Kritik des Handels einige allgemeine Sätze aus der Einleitung (»Origine de l'économie politique et de la controverse mercantile« p. 332, 334 der »Quatre mouvements«) zu einem Abschnitt der »Quatre mouvements« zu übersetzen. Folgen dann einige Auszüge aus den »Quatre mouvements« und einer aus dem »Traité de l'association« über die französische Revolution, nebst den schon aus Stein bekannten Tabellen über die Zivilisation. So wird der kritische Teil Fouriers, der wichtigste, auf 28 Seiten wörtlicher Übersetzungen, die sich mit sehr wenigen Ausnahmen auf das Allerallgemeinste und Abstrakteste beschränken und Wichtiges und Unwichtiges durcheinanderwerfen, mit der größten Oberflächlichkeit und Hast abgefertigt.[498]

Herr Grün geht nun zur Darstellung des Fourierschen Systems über. Vollständigeres und Besseres liegt längst in der schon von Stein zitierten Schrift von Chouroa vor. Herr Grün hält es zwar für »unumgänglich nötig«, tiefe Aufschlüsse über die Serien Fouriers zu geben, weiß aber zu diesem Behufe nichts Besseres zu tun, als wörtliche Zitate aus Fourier selbst zu übersetzen und später, wie wir sehen werden, einige belletristische Phrasen über die Zahl zu machen. Er denkt nicht daran, zu zeigen, wie Fourier auf die Serien kam und wie er und seine Schüler Serien konstruiert haben: er gibt nicht den geringsten Aufschluß über die innere Konstruktion dieser Serien. Derartige Konstruktionen, gerade wie die Hegelsche Methode, werden nur kritisiert, indem man aufzeigt, wie sie zu machen sind, und dadurch beweist, daß man Herr über sie ist.

Bei Herrn Grün tritt endlich ganz in den Hintergrund, was Stein wenigstens einigermaßen hervorhebt, der Gegensatz von travail répugnant und travail attrayant.

Die Hauptsache bei dieser ganzen Darstellung ist die Kritik Fouriers durch Herrn Grün. Wir rufen dem Leser ins Gedächtnis zurück, was wir schon oben über die Quellen der Grünschen Kritik sagten, und werden nun an einigen Beispielen zeigen, wie Herr Grün die Sätze des wahren Sozialismus erst akzeptiert und dann übertreibt und verfälscht. Daß die Fouriersche Teilung zwischen Kapital, Talent und Arbeit einen prächtigen Stoff zu breiter Klugtuerei bietet, daß man hier über die Unmöglichkeit und Ungerechtigkeit der Teilung, über das Hereinkommen der Lohnarbeit usw. weitläuftiges Gerede machen kann, ohne diese Teilung aus dem wirklichen Verhältnis von Arbeit und Kapital zu kritisieren, bedarf keiner weiteren Erwähnung. Proudhon hat das vor Herrn Grün schon Alles unendlich besser gesagt, ohne damit den Kern der Frage auch nur berührt zu haben.

Die Kritik der Psychologie Fouriers schöpft Herr Grün, wie seine ganze Kritik, aus dem »Wesen des Menschen«:

»Denn das menschliche Wesen ist Alles in Allem.« p. 190.

»Fourier appelliert ebenfalls an dies menschliche Wesen, dessen inneres Gehäuse«(!) »er uns auf seine Weise in der Tafel der zwölf Leidenschaften enthüllt; auch er will, was alle redlichen und vernünftigen Köpfe wollen, das innere Wesen des Menschen zur Wirklichkeit, zur Praxis machen. Was drinnen ist, soll auch draußen sein, und so der Unterschied zwischen drinnen und draußen überhaupt aufgehoben werden. Die Geschichte der Menschheit wimmelt von Sozialisten, wenn wir sie an diesem Merkmale erkennen wollen... es kommt bei Jedem nur darauf an, was er sich unter dem Wesen des Menschen denkt.« p. 190.[499]

Oder vielmehr, es kommt den wahren Sozialisten nur darauf an, Jedem Gedanken über das Wesen des Menschen unterzuschieben und die verschiedenen Stufen des Sozialismus in verschiedne Philosophien des Wesens des Menschen zu verwandeln. Diese ungeschichtliche Abstraktion verleitet hier Herrn Grün dazu, die Aufhebung alles Unterschiedes zwischen Innen und Außen zu proklamieren, eine Aufhebung, die sogar der Fortpflanzung des Wesens des Menschen ein Ende machen würde. Man sieht übrigens gar nicht ein, weshalb die Deutschen so erschrecklich mit ihrer Weisheit vom Wesen des Menschen renommieren, da ihre ganze Weisheit, die drei allgemeinen Eigenschaften, Verstand, Herz und Wille, bereits seit Aristoteles und den Stoikern ziemlich allgemein bekannt sind. Von diesem Standpunkt aus wirft Herr Grün Fourier vor, daß er den Menschen in zwölf Leidenschaften »zerklüftet«.

»Von der Vollständigkeit dieser Tafel, psychologisch gesprochen, will Ich gar nicht reden; Ich halte sie für ungenügend« – (wobei sich, »psychologisch gesprochen«, das Publikum beruhigen mag). – »Weiß man etwa durch diese Zwölfzahl, was der Mensch ist? Noch keinen Augenblick. Fourier hätte ebensogut bloß die fünf Sensitiven nennen können; in ihnen liegt der ganze Mensch, wenn man sie erklärt, wenn man den menschlichen Inhalt derselben zu deuten versteht« (als wenn dieser »menschliche Inhalt« nicht ganz von der Stufe der Produktion und des Verkehrs der Menschen abhinge). »Ja, der Mensch liegt ganz allein in Einem Sinne, im Gefühle, er fühlt anders als das Tier« pp, p. 205.

Man sieht, wie Herr Grün, hier zum ersten Male im ganzen Buche, sich anstrengt, um vom Feuerbachschen Standpunkte nur irgend etwas über Fouriers Psychologie zu sagen. Man sieht ebenfalls, welch eine Phantasie dieser »ganze Mensch« ist, der in einer einzigen Eigenschaft eines wirklichen Individuums »liegt« und vom Philosophen aus ihr heraus interpretiert wird; was das überhaupt für ein »Mensch« ist, der nicht in seiner wirklichen geschichtlichen Tätigkeit und Dasein angeschaut wird, sondern aus seinem eignen Ohrläppchen oder sonstigen Unterscheidungsmerkmal vom Tier gefolgert werden kann. Dieser Mensch »liegt« in sich selbst, wie sein eigner Komedon. Daß das menschliche Gefühl menschlich und nicht tierisch ist, diese Einsicht macht natürlich nicht nur jeden psychologischen Versuch überflüssig, sondern ist auch zugleich die Kritik aller Psychologie.

Fouriers Behandlung der Liebe kann Herr Grün sehr leicht kritisieren, indem er dessen Kritik der jetzigen Liebesverhältnisse an den Phantasien mißt, in denen Fourier sich eine Anschauung von der freien Liebe zu geben suchte. Herr Grün nimmt diese Phantasien ernsthaft als echter deutscher Philister. Sie sind das Einzige, das er ernsthaft nimmt. Wollte er einmal auf[500] diese Seite des Systems eingehen, so ist nicht abzusehen, weshalb er nicht auch auf Fouriers Ausführungen über Erziehung einging, die bei weitem das beste sind, was in dieser Art existiert, und die genialsten Beobachtungen enthalten. Übrigens verrät Herr Grün bei Gelegenheit der Liebe, wie wenig er als echter jungdeutscher Belletrist von Fouriers Kritik gelernt hat. Er meint, es sei einerlei, ob man von der Aufhebung der Ehe oder des Privateigentums ausgehe, eins müsse immer das Andre nach sich ziehen. Es ist aber reine belletristische Phantasie, von einer andern Auflösung der Ehe, als wie sie sich schon jetzt in der bürgerlichen Gesellschaft praktisch vorfindet, aussehen zu wollen. Bei Fourier selbst konnte er finden, daß dieser überall nur von der Umänderung der Produktion ausübt.

Es nimmt Herrn Grün wunder, daß Fourier, der doch überall von der Neigung (soll heißen Attraktion) ausgeht, allerlei »mathematische« Versuche macht, weshalb er auch p. 203 der »mathematische Sozialist« genannt wird. Selbst die ganzen Lebensverhältnisse Fouriers aus dem Spiel gelassen, hätte Herr Grün auf die Attraktion näher eingehen müssen, wo er sehr bald gefunden haben würde, daß solch ein Naturverhältnis nicht ohne Berechnung näher bestimmt werden kann. Statt dessen regaliert er uns mit einer belletristischen, mit Hegelschen Traditionen verquickten Philippika gegen die Zahl, worin Stellen vorkommen wie:

Fourier »berechnet die Moleküle Deines abnormsten Geschmackes«,

ein wahres Wunder – ferner:

»Die so hart befehdete Zivilisation beruhte auf dem herzlosen Einmaleins... die Zahl ist nichts Bestimmtes... Was ist Eins? Die Eins hat keine Ruhe, sie wird Zwei, Drei, Vier« –

es geht ihr wie dem deutschen Landpfarrer, der auch »keine Ruhe« hat, bis er eine Frau und neun Kinder hat...

»Die Zahl tötet alles Wesentliche und Wirkliche, was ist eine halbe Vernunft, was ist ein Drittel Wahrheit« –

er hätte auch fragen können: Was ist ein grün angelaufener Logarithmus?...

»bei der organischen Entwicklung wird die Zahl verrückt«...

ein Satz, worauf die Physiologie und organische Chemie beruhen, (p. 203, 204.)

»Wer die Zahl zum Maße der Dinge nimmt, der wird, nein – der ist ein Egoist.«

An diesen Satz kann er den ihm von Heß überlieferten (s. oben) übertreibend anknüpfen:

»Der ganze Fouriersche Organisationsplan beruht auf Nichts als auf Egoismus... der ärgste Ausdruck des zivilisierten Egoismus ist gerade Fourier.« p. 206, 208.[501]

Er beweist dies sogleich, indem er erzählt, wie in der Fourierschen Weltordnung der Ärmste täglich von 40 Schüsseln speist, 5 Mahlzeiten täglich genommen werden, die Leute 144 Jahre alt werden und dergl. mehr. Die kolossale Anschauung der Menschen, die Fourier der bescheidnen Mittelmäßigkeit der Restaurationsmenschen mit naivem Humor gegenüberstellt, gibt Herrn Grün bloß Gelegenheit, die unschuldigste Seite herauszunehmen und darüber moralische Philisterglossen zu machen.

Indem Herr Grün Fourier Vorwürfe macht über seine Auffassung der französischen Revolution, gibt er zugleich einen Vorschmack seiner eignen Einsicht in die Revolutionszeit:

»Hätte man nur vierzig Jahre früher um die Assoziation gewußt« (läßt er Fourier sagen), »so wäre die Revolution vermieden worden. Wie kam es denn aber« (fragt Herr Grün), »daß der Minister Turgot das Recht zur Arbeit kannte und daß dennoch der Kopf Ludwigs XVI. fiel? Mit dem Rechte zur Arbeit hätte man doch leichter als mit Hühnereiern die Staatsschuld bezahlen können.« p. 211.

Herr Grün übersieht nur die Bagatelle, daß das Recht zur Arbeit, wovon Turgot spricht, die freie Konkurrenz ist, und daß ebendiese freie Konkurrenz die Revolution nötig hatte, um sich durchzusetzen.

Herr Grün kann seine ganze Kritik Fouriers zusammenfassen in dem Satz, daß Fourier »die Zivilisation« keiner »gründlichen Kritik« unterworfen habe. Und warum tat Fourier dies nicht? Man höre:

»Sie ist kritisiert worden in ihren Erscheinungen, nicht in ihren Grundlagen; sie ist als Daseiendes perhorresziert, lächerlich gemacht, in ihrer Wurzel aber nicht untersucht worden. Weder die Politik noch die Religion sind vor das Forum der Kritik gezogen worden, und deshalb blieb das Wesen des Menschen ununtersucht.« p. 209.

Herr Grün erklärt hier also die wirklichen Lebensverhältnisse der Menschen für Erscheinungen, Religion und Politik aber für die Grundlage und Wurzel dieser Erscheinungen. Man sieht an diesem abgeschmackten Satze, wie die wahren Sozialisten die ideologischen Phrasen der deutschen Philosophie gegenüber den wirklichen Darstellungen französischer Sozialisten als höhere Wahrheit geltend machen und zugleich, wie sie ihr eigentliches Objekt, das Wesen des Menschen, mit den Resultaten der französischen Kritik der Gesellschaft zu verbinden streben. Daß, wenn Religion und Politik als Grundlage der materiellen Lebensverhältnisse gefaßt werden, Alles in letzter Instanz auf Untersuchungen über das Wesen des Menschen, d.h. über das Bewußtsein des Menschen von sich selbst ausläuft, ist ganz natürlich. – Man sieht zugleich, wie wenig es dem Herrn Grün darauf ankommt, was er abschreibt; an einer späteren Stelle, wie auch in den »Rhein[ischen] Jahrbüchern«,[502] eignet er sich in seiner Weise an, was in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« über das Verhältnis von citoyen und bourgeois gesagt war und was dem obigen Satze direkt widerspricht.

Wir haben dem Leser bis zuletzt die Ausführung des vom wahren Sozialismus Herrn Grün anvertrauten Satzes über Produktion und Konsumtion vorbehalten. Sie ist ein schlagendes Exempel, wie Herr Grün die Sätze des wahren Sozialismus als Maßstab an die Leistungen der Franzosen legt und sie dadurch, daß er sie aus ihrer völligen Unbestimmtheit herausreißt, als vollständigen Unsinn darlegt.

»Produktion und Konsumtion lassen sich in der Theorie und in der äußern Wirklichkeit zeitlich und räumlich trennen, dem Wesen nach sind sie nur Eins. Ist nicht die Tätigkeit des gewöhnlichsten Gewerbes, z.B. des Brotbackens, eine Produktion, welche für hundert Andre zur Konsumtion wird? Ja, welche es für den Backenden selbst ist, der ja Korn, Wasser, Milch, Eier pp. konsumiert? Ist die Konsumtion von Schuhen und Kleidern nicht die Produktion bei Schustern und Schneidern?... Produziere ich nicht, wenn Ich Brot esse? Ich produziere ungeheuer. Ich produziere Mühlen, Backtröge, Backöfen und folglich Pflüge, Eggen, Dreschflegel, Mühlräder, Schreinerarbeit, Maurerarbeit« (»und folglich« Schreiner, Maurer und Bauern, »folglich« ihre Eltern, »folglich« alle ihre Vorfahren, »folglich« Adam). »Konsumiere ich nicht, wenn ich produziere? Ebenfalls ungeheuer... Lese ich ein Buch, so konsumiere ich zwar zunächst das Produkt ganzer Jahre, wenn Ich es für mich behalte oder verderbe, ich konsumiere den Stoff und die Tätigkeit der Papierfabrik, der Buchdruckerei, des Buchbinders. Produziere ich aber nichts? Ich produziere vielleicht ein neues Buch, und dadurch neues Papier, neue Typen, neue Druckerschwärze, neue Buchbinderwerkzeuge; lese ich es bloß, und lesen es tausend Andre auch, so produzieren wir durch unsre Konsumtion eine neue Auflage und dadurch alle jene Materialien, die zur Beschaffung derselben erforderlich sind. Die Alles das verfertigen, konsumieren wieder eine Masse Rohmaterial, das aber produziert werden will und nur durch Konsumtion produziert werden kann... Mit Einem Worte, Tätigkeit und Genuß sind Eins, eine verkehrte Welt hat sie nur auseinandergerissen, hat den Begriff des Wertes und Preises zwischen Beide hineingeschoben, durch diesen Begriff den Menschen mitten auseinandergerissen und mit dem Menschen die Gesellschaft.« p. 191, 192.

Produktion und Konsumtion stehen in der Wirklichkeit vielfach im Widerspruch gegeneinander. Man braucht aber nur diesen Widerspruch wahrhaft zu interpretieren, das wahre Wesen der Produktion und Konsumtion zu begreifen, um die Einheit Beider herzustellen und allen Widerspruch aufzuheben. Diese deutsch-ideologische Theorie paßt daher auch ganz vortrefflich auf die bestehende Welt; die Einheit von Produktion und Konsumtion wird an Exempeln aus der gegenwärtigen Gesellschaft bewiesen, sie existiert an sich.[503] Herr Grün beweist vor allen Dingen, daß überhaupt ein Verhältnis zwischen Produktion und Konsumtion existiert. Er setzt auseinander, daß er keinen Rock tragen, kein Brot essen kann, ohne daß Beides produziert ist, und daß es in der heutigen Gesellschaft Leute gibt, die Röcke, Schuhe, Brot produzieren, von welchen Dingen andre Leute die Konsumenten sind. Herr Grün hält diese Einsicht für neu. Er drückt sie in einer klassischen, belletristisch-ideologischen Sprache aus. Z.B.:

»Man glaubt, der Genuß des Kaffees, des Zuckers usw. sei bloße Konsumtion; ist dieser Genuß aber nicht Produktion in den Kolonien?«

Er hätte ebensogut fragen können: Ist dieser Genuß nicht der Genuß der Peitsche für den Negersklaven und die Produktion von Prügeln in den Kolonien? Man sieht, wie bei dieser überschwenglichen Manier nichts als eine Apologie der bestehenden Zustände herauskommt. Die zweite Einsicht des Herrn Grün besteht darin, daß er konsumiert, wenn er produziert, nämlich das Rohmaterial, überhaupt die Produktionskosten; dies ist die Einsicht, daß Nichts aus Nichts wird, daß er Material haben muß. Er konnte in jeder Ökonomie unter dem Kapitel »Reproduktive Konsumtion« ausgeführt finden, welche verwickelten Beziehungen in dies Verhältnis hereinkommen, wenn man sich nicht mit Herrn Grün auf die triviale Erkenntnis beschränkt, daß man ohne Leder keine Stiefel machen kann.

Bisher hat Herr Grün sich davon überzeugt, daß produziert werden muß, um zu konsumieren, und daß bei der Produktion Rohmaterial konsumiert wird. Die eigentliche Schwierigkeit für ihn beginnt da, wo er beweisen will, daß er produziert, wenn er konsumiert. Herr Grün macht hier einen gänzlich verfehlten Versuch, sich über das allertrivialste und allgemeinste Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr ein geringes Licht zu verschaffen. Er bringt es zu der Einsicht, daß seine Konsumtion, d.h. seine Nachfrage, neue Zufuhr produziert. Er vergißt aber, daß seine Nachfrage eine effektive Nachfrage sein, daß er ein Äquivalent für das verlangte Produkt bieten muß, damit sie neue Produktion hervorrufe. Die Ökonomen beziehen sich ebenfalls auf die Untrennbarkeit von Konsumtion und Produktion und die absolute Identität von Nachfrage und Zufuhr, gerade wenn sie beweisen wollen, daß nie Überproduktion stattfindet; aber so ungeschickte und triviale Dinge wie Herr Grün bringen sie nicht vor. Übrigens ist diese Manier ganz dieselbe, wodurch alle Adlige, Pfaffen, Rentiers usw. von jeher ihre Produktivität bewiesen haben. Herr Grün vergißt ferner, daß Brot heutzutage durch Dampfmühlen, früher durch Wind- und Wassermühlen, noch früher durch Handmühlen produziert wurde, daß diese verschiedenen Produktionsweisen vom bloßen Brotessen gänzlich unabhängig sind und also eine geschichtliche Ent-[504] wicklung der Produktion hereinkommt, an die der »ungeheuer produzierende« Herr Grün nicht denkt. Daß mit diesen verschiedenen Stufen der Produktion auch verschiedene Verhältnisse der Produktion zur Konsumtion, verschiedne Widersprüche Beider gegeben sind, daß diese Widersprüche zu verstehen sind nur aus einer Betrachtung, zu lösen nur durch eine praktische Veränderung der jedesmaligen Produktionsweise und des ganzen darauf basierenden gesellschaftlichen Zustandes, das ahnt Herr Grün nicht. Wenn Herr Grün in seinen übrigen Beispielen an Trivialität schon unter den allergewöhnlichsten Ökonomen steht, so beweist er bei seinem Beispiel vom Buch, daß diese viel »menschlicher« sind als er. Sie verlangen gar nicht, daß er, wenn er ein Buch konsumiert hat, sogleich ein neues produziere! Sie sind damit zufrieden, daß er seine eigne Bildung dadurch produziert und damit auf die Produktion überhaupt günstig wirkt. Durch die Auslassung des Mittelgliedes, der baren Zahlung, die Herr Grün durch bloße Abstraktion von ihr überflüssig macht, wodurch seine Nachfrage erst effektiv wird, verwandelt sich die reproduktive Konsumtion des Herrn Grün in ein blaues Wunder. Er liest, und durch sein bloßes Lesen setzt er die Schriftgießer, Papierfabrikanten und Drucker in den Stand, neue Typen, neues Papier, neue Bücher zu produzieren. Seine bloße Konsumtion ersetzt allen diesen Leuten die Produktionskosten. Wir haben übrigens bisher die Virtuosität hinreichend nachgewiesen, womit Herr Grün aus alten Büchern neue Bücher herauszulesen und sich als Produzent von neuem Papier, neuen Typen, neuer Druckerschwärze und neuen Buchbinderwerkzeugen um die kommerzielle Welt verdient zu machen weiß. Der erste Brief des Grünschen Buchs endet mit den Worten: »Ich stehe im Begriff, mich in die Industrie zu stürzen.« Nirgendwo im ganzen Buche verleugnet Herr Grün diese seine Devise.

Worin bestand also die ganze Tätigkeit des Herrn Grün? Um den Satz des wahren Sozialismus von der Einheit von Produktion und Konsumtion zu beweisen, nimmt Herr Grün seine Zuflucht zu den allertrivialsten Sätzen der Ökonomie über Nachfrage und Zufuhr, und um diese wieder für seinen Zweck zurechtzustutzen, wirft er aus ihnen die notwendigen Mittelglieder heraus und verwandelt sie damit in reine Phantasien. Der Kern des Ganzen ist also eine unwissende und phantastische Verklärung der bestehenden Zustände.

Charakteristisch ist noch der sozialistische Schluß, worin er wieder ganz seinen deutschen Vorgängern nachstammelt. Produktion und Konsumtion sind getrennt, weil eine verkehrte Welt sie auseinandergerissen hat. Wie fing das diese verkehrte Welt an? Sie schob einen Begriff zwischen Beide. Durch diesen Schub riß sie den Menschen mitten auseinander. Damit nicht zufrieden,[505] reißt sie hierdurch die Gesellschaft, d.h. sich selbst, ebenfalls mitten auseinander. Diese Tragödie hat sich im Jahre 1845 zugetragen.

Die Einheit von Konsumtion und Produktion, die bei den wahren Sozialisten ursprünglich die Bedeutung hat, daß die Tätigkeit selbst Genuß bieten soll (bei ihnen freilich eine rein phantastische Vorstellung), wird von Herrn Grün dahin weiter bestimmt, daß »Konsumtion und Produktion, ökonomisch gesprochen, sich decken müssen« (p. 196), daß kein Überschuß der Produktenmasse über die unmittelbaren Konsumtionsbedürfnisse stattfinden darf, womit natürlich alle Bewegung ein Ende hat. Er wirft daher auch Fourier mit wichtiger Miene vor, daß er diese Einheit durch eine Überproduktion stören wolle. Herr Grün vergißt, daß die Überproduktion nur durch ihren Einfluß auf den Tauschwert der Produkte Krisen hervorruft, und daß nicht nur bei Fourier, sondern auch in der besten Welt des Herrn Grün der Tauschwert verschwunden ist. Über diese philisterhafte Albernheit ist weiter nichts zu sagen, als daß sie des wahren Sozialismus würdig ist.

Herr Grün wiederholt an vielen Orten mit großer Selbstgefälligkeit seinen Kommentar zur Theorie des wahren Sozialismus über Produktion und Konsumtion. So auch bei Gelegenheit Proudhons:

»Predigt die soziale Freiheit der Konsumenten, so habt Ihr die wahre Gleichheit der Produktion.« p. 433.

Nichts leichter als das zu predigen! Der Fehler lag bisher bloß daran,

»daß die Konsumenten nicht erzogen, nicht gebildet sind, daß nicht Alle menschlich konsumieren«, p. 432. »Dieser Gesichtspunkt, daß die Konsumtion der Maßstab der Produktion ist, nicht umgekehrt, ist der Tod jeder bisherigen ökonomischen Anschauung.« (ibid.) »Die wahre Solidarität der Menschen untereinander macht sogar den Satz zur Wahrheit, daß die Konsumtion eines Jeden die Konsumtion Aller zur Voraussetzung hat.« (ibid.)

Die Konsumtion eines Jeden hat innerhalb der Konkurrenz plus ou moins fortwährend die Konsumtion Aller zur Voraussetzung, ebenso wie die Produktion eines Jeden die Produktion Aller. Es handelt sich nur darum, wie, in welcher Weise dies der Fall ist. Hierauf antwortet Herr Grün nur mit dem moralischen Postulat der menschlichen Konsumtion, der Erkenntnis des »wahren Wesens der Konsumtion« (p. 432). Da er von den wirklichen Produktionsund Konsumtionsverhältnissen nichts weiß, so bleibt ihm keine andre Zuflucht übrig als der letzte Schlupfwinkel der wahren Sozialisten, das Wesen des Menschen. Aus demselben Grunde beharrt er darauf, nicht von der[506] Produktion, sondern von der Konsumtion auszugeben. Wenn man von der Produktion ausgeht, so muß man sich um die wirklichen Produktionsbedingungen und die produktive Tätigkeit der Menschen bekümmern. Wenn man aber von der Konsumtion ausgeht, so kann man sich bei der Erklärung, daß jetzt nicht »menschlich« konsumiert werde, und bei dem Postulat der »menschlichen Konsumtion«, der Erziehung zur wahren Konsumtion und dergleichen Phrasen beruhigen, ohne sich im Geringsten auf die wirklichen Lebensverhältnisse der Menschen und ihre Tätigkeit einzulassen.

Schließlich ist noch zu erwähnen, daß gerade die Ökonomen, die von der Konsumtion ausgingen, reaktionär waren und das revolutionäre Element in der Konkurrenz und großen Industrie ignoriert haben.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 498-507.
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