3. Die unkritisch-kritische Masse oder die Kritik und die »Berliner Couleur«

[164] Es ist der kritischen Kritik nicht gelungen, sich als den wesentlichen Gegensatz und darum zugleich als den wesentlichen Gegenstand der Menschheit in Masse darzustellen. Abgesehen von den Repräsentanten der verstockten Masse, welche der kritischen Kritik ihre Gegenstandslosigkeit vorhält und ihr auf die galanteste Weise zu verstehen gibt, daß sie den geistigen »Mausernprozeß« noch nicht durchgemacht habe, vor allem aber sich erst solide Kenntnisse erwerben müsse – ist der weichherzige Korrespondent einmal kein Gegensatz, dann aber ist sein eigentlicher Annäherungsgrund an die kritische Kritik ein rein persönlicher. Er will, wie man in seinem Briefe eines weiteren nachlesen mag, eigentlich nur seine Pietät für Herrn Arnold Rüge mit seiner Pietät für Herrn Bruno Bauer vermitteln. Dieser Vermittelungsversuch macht seinem guten Herzen Ehre. Er bildet aber keinenfalls ein massenhaftes Interesse. Der zuletzt auftretende Korrespondent endlich war nicht mehr wirkliches Glied der Masse, er war ein Katechumene der kritischen Kritik.

Überhaupt ist die Masse ein unbestimmter Gegenstand, der daher weder eine bestimmte Aktion ausüben noch auch in ein bestimmtes Verhältnis treten kann. Die Masse, wie sie der Gegenstand der kritischen Kritik ist, hat nichts gemein mit den wirklichen Massen, die wieder sehr massenhafte Gegensätze unter sich bilden. Ihre Masse ist von ihr selbst »gemacht«, wie wenn ein Naturforscher, statt von bestimmten Klassen zu reden, die Klasse sich gegenüberstellte.

Außer dieser abstrakten Masse, ihrem eignen Hirngespinst, bedarf die kritische Kritik daher noch einer bestimmten, empirisch aufweisbaren, nicht bloß vorgeschützten Masse, um einen wirklich massenhaften Gegensatz zu besitzen. Diese Masse muß in der kritischen Kritik zugleich ihr Wesen und zugleich die Vernichtung ihres Wesens erblicken. Sie muß kritische Kritik, Nicht-Masse sein wollen, ohne es sein zu können. Diese kritisch-unkritische Masse ist die obenerwähnte »Berliner Couleur.« Auf eine Berliner Couleur reduziert sich die mit der kritischen Kritik ernstlich beschäftigte Masse der Menschheit.

Die »Berliner Couleur«, der »wesentliche Gegenstand« der kritischen Kritik, mit dem sie immer in Gedanken beschäftigt ist und den sie immer in Gedanken mit sich beschäftigt sieht, besteht, soviel wir wissen, aus wenigen ci-devant Junghegelianern, denen die kritische Kritik, wie sie[164] behauptet, teils den horror vacui, teils das Gefühl der Nichtigkeit einflößt. Wir untersuchen nicht den Tatbestand, wir verlassen uns auf die Äußerungen der Kritik.

Die Korrespondenz ist nun hauptsächlich dazu bestimmt, dem Publikum dieses welthistorische Verhältnis der Kritik zu der »Berliner Couleur« weitläufig auseinanderzusetzen, seine tiefe Bedeutung zu enthüllen, die notwendige Grausamkeit der Kritik gegen diese »Masse« darzutun und endlich den Schein hervorzubringen, als sei alle Welt um diesen Gegensatz ängstlich bemüht, indem sie bald für, bald gegen das Verfahren der Kritik sich äußert. So schreibt die absolute Kritik z.B. einem Korrespondenten, der die Partei der »Berliner Couleur« nimmt:

»Dergleichen Dinge habe ich schon so oft gehört, daß ich gar nicht mehr darauf Rücksicht zu nehmen beschlossen hatte.«

Die Welt ahnt nicht, wie oft sie sich mit dergleichen kritischen Dingen zu schaffen machte.

Hören wir nun, wie ein Glied der kritischen Masse über die Berliner Couleur berichtet:

»›Wenn einer die Bauers anerkennt‹«, (man muß die heilige Familie immer pêlemêle anerkennen), »begann seine Antwort, ›so bin ich es: aber die ›Literatur-Zeitung‹! Alles, was recht ist!‹ Es war mir interessant zu hören, was einer dieser Radikalen, dieser Klugen von Anno 42 über Euch dächte...«

Es wird nun berichtet, daß der Unglückliche allerlei an der »Literatur-Zeitung« zu tadeln hatte.

Die Novelle des Herrn Edgar, »Die drei Biedermänner«, fand er roh und outriert. Er begriff nicht, daß die Zensur weniger ein Kampf Mann an Mann, weniger ein Kampf nach außen als ein innerlicher ist. Sie geben sich nicht die Mühe, in sich selbst einzukehren und an die Stelle der zensurwidrigen Phrase den fein durchgeführten, nach allen Seiten hin auseinandergelegten kritischen Gedanken zu setzen. Den Aufsatz des Herrn Edgar über Béraud fand er ungründlich. Der kritische Berichterstatter findet ihn gründlich. Er gesteht zwar selbst: »Ich kenne Bérauds Buch – nicht.« Dagegen glaubt er, daß es Herrn Edgar gelungen ist etc., und der Glaube macht bekanntlich selig. »Überhaupt«, fährt der kritische Gläubige fort, »ist er (der von der Berliner Couleur) mit Edgars Sachen gar nicht recht zufrieden.« Er findet auch »Proudhon nicht mit genug gründlichem Ernste behandelt.« Hier nun erteilt der Berichterstatter Herrn Edgar das Testimonium:

[165] »Ich kenne nun zwar (!?) Proudhon, ich weiß, daß die Darstellung Edgars die charakteristischen Punkte aus ihm genommen und auf anschauliche Weise nebeneinandergestellt hat.«

Der einzige Grund, warum Herrn Edgars so vortreffliche Kritik Proudhons nicht gefällt, kann nach dem Berichterstatter nur der sein, daß Herr Edgar keine übeln Winde gegen das Eigentum losgelassen. Ja, man bedenke, der Gegner findet Herrn Edgars Aufsatz über die Union ouvrière unbedeutend. Der Berichterstatter vertröstet Herrn Edgar:

»Natürlich, es ist ja darin nichts Selbständiges gegeben, und diese Leute haben sich wirklich auf den Gruppeschen Standpunkt, auf dem sie freilich immer standen, zurückbegeben. Geben, geben, geben soll die Kritik!«

Als habe die Kritik nicht ganz neue linguistische, historische, philosophische, nationalökonomische, juristische Erfindungen gegeben! Und sie ist so bescheiden, sich sagen zu lassen, sie gebe nichts Selbständiges! Selbst unser kritischer Korrespondent hat der bisherigen Mechanik Unbekanntes gegeben, wenn er Leute auf denselben Standpunkt, auf dem sie immer standen, zurückkehren läßt. Ungeschickt ist die Erinnerung an den Gruppeschen Standpunkt. Gruppe fragte in seiner sonst elenden und nicht nennenswerten Broschüre bei Herrn Bruno an, was er nun Kritisches über die spekulative Logik zu geben habe? Herr Bruno wies ihn ankommende Geschlechter, und –

»ein Narr wartet auf die Antwort.«

Wie Gott schon den ungläubigen Pharao dadurch strafte, daß er ihn verstockten Herzens machte und seiner Erleuchtung nicht wert erachtete, so versichert der Berichterstatter:

»Sie sind daher auch gar nicht wert, in Eurer ›Literatur-Zeitung‹ den Inhalt zu sehen oder zu erkennen.«

Und statt seinem Freunde Edgar anzuraten, sich Gedanken und Kenntnisse zu verschaffen, gibt er den Rat:

»Edgar möge sich einen Phrasensack anschaffen und künftig bei seinen Aufsätzen blind hineingreifen, um einen beim Publikum anklingenden Stil zu erhalten.«

Außer den Versicherungen von einer »gewissen Wut, Mißliebigkeit, Inhaltslosigkeit, Gedankenlosigkeit, Ahnung der Sache, hinter die sie nicht kommen können, Gefühl der Nichtigkeit« – alle diese Epitheta, versteht sich, gelten der Berliner Couleur – werden der heiligen Familie Elogen wie folgende gemacht:

[166] »Die Sache durchdringende Leichtigkeit der Behandlung, die Beherrschung der Kategorien, die durch Studium gewonnene Einsicht, kurz, die Herrschaft über die Gegenstände. Er (der von der Berliner Couleur) macht es sich mit der Sache leicht. Ihr macht die Sache leicht.« Oder: »Ihr übt in der ›Literatur-Zeitung‹ die reine, darstellende, die Sache ergreifende Kritik.«

Schließlich heißt's:

»Ich habe Euch das alles so weitläufig geschrieben, weil ich weiß, daß ich Euch durch Mittellungen der Ansichten meines Freundes eine Freude mache. Ihr seht daraus, daß die ›Literatur-Zeitung‹ ihren Zweck erfüllt.«

Ihr Zweck ist ihr Gegensatz zur Berliner Couleur. Haben wir soeben die Polemik der Berliner Couleur gegen die kritische Kritik und ihre Zurechtweisung für diese Polemik erlebt, so wird uns nun in doppelter Weise ihr Streben nach der Erbarmung der kritischen Kritik geschildert.

Ein Korrespondent schreibt:

»Meine Bekannten in Berlin sagten mir, als ich Anfang dieses Jahres dort war, daß Sie alles von sich zurückstießen und fernhielten, sich ganz vereinsamten und jede Annäherung, jeden Umgang mit Geflissentlichkeit vermeiden. Ich kann natürlich nicht wissen, auf welcher Seite die Schuld ist.«

Die absolute Kritik antwortet:

»Die Kritik macht keine Partei, will keine Partei für sich haben, sie ist einsam – einsam, indem sie sich in ihren (!) Gegenstand vertieft, einsam, indem sie sich ihm gegenüberstellt. Sie löst sich von allem ab.«

Wie die kritische Kritik sich über alle dogmatischen Gegensätze zu erheben meint, indem sie an die Stelle der wirklichen Gegensätze den eingebildeten ihrer selbst und der Welt, des heiligen Geistes und der profanen Masse setzt, so glaubt sie sich über die Parteien zu erheben. Indem sie unter den Parteistandpunkt herabfällt, indem sie sich selbst als Partei der übrigen Menschheit gegenüberstellt und alles Interesse in der Persönlichkeit des Herrn Bruno & Comp. konzentriert. Daß die Kritik in der Einsamkeit der Abstraktion thront, daß sie selbst, wenn sie sich scheinbar mit einem Gegenstand beschäftigt, nicht aus ihrer gegenstandslosen Einsamkeit heraus in ein wahrhaft gesellschaftliches Verhältnis zu einem wirklichen Gegenstand tritt, weil ihr Gegenstand nur der Gegenstand ihrer Einbildung, nur ein eingebildeter Gegenstand ist: die Wahrheit dieses kritischen Geständnisses beweist unsere ganze Darstellung. Ebenso richtig bestimmt sie den Charakter ihrer Abstraktion als der absoluten Abstraktion dahin, daß »sie sich von allem ablöst«, also eben diese Ablösung des Nichts von allem, von allem Denken, Anschauen etc., der absolute Unsinn ist. Die Einsamkeit übrigens, welche durch[167] die Ablösung, Abstraktion von allem erreicht wird, ist ebensowenig frei von dem Gegenstand, wovon sie abstrahiert, als Origenes frei von dem Zeugungsgliede war, das er von sich ablöste.

Ein anderer Korrespondent beginnt damit, daß er einen von der »Berliner Couleur«, den er gesehen und gesprochen habe, als »mißmutig«, »gedrückt«, »nicht mehr den Mund auftun könnend«, der sonst immer mit einem »recht frechen Worte bei der Hand gewesen sei«, als »kleinmütig« schildert. Dies Mitglied der »Berliner Couleur« erzählt dem Korrespondenten, der seinerseits der Kritik referiert:

»Er könne nicht begreifen, wie Leute wie ihr beide, die doch sonst dem Humanitätsprinzip huldigten, sich so abschließend, so abstoßend, ja hochmütig benehmen könnten.« Er wisse nicht, »warum es einige gibt, die, wie es scheint, absichtlich eine Spaltung hervorrufen. Wir stehen doch alle auf demselben Standpunkte, wir huldigen alle dem Extrem, der Kritik, sind alle fähig, einen extremen Gedanken, wenn auch nicht zu erzeugen, so doch aufzufassen und anzuwenden.« Er »finde bei dieser Spaltung kein anderes leitendes Prinzip als Egoismus und Hochmut.«

Nun legt der Korrespondent ein gutes Wort ein:

»Haben denn nicht wenigstens einige unter unsern Freunden die Kritik erfaßt, oder vielleicht den guten Willen der Kritik... ›ut desint vires, tarnen est laudanda voluntas‹.«

Die Kritik antwortet durch folgende Antithesen zwischen sich und der Berliner Couleur:

»Es seien verschiedene Standpunkte der Kritik.« Jene »glaubten die Kritik in der Tasche zu haben«, sie »kenne und wende wirklich die Macht der Kritik an«, d.h. sie behalte sie nicht in der Tasche. Für die erste sei die Kritik reine Form, für sie dagegen das »Inhaltvollste, vielmehr das einzig Inhaltvolle.« Wie das absolute Denken sich selbst als für alle Realität gilt, so die kritische Kritik. Sie erblickt daher außer sich keinen Inhalt, sie ist daher nicht die Kritik wirklicher, außer dem kritischen Subjekt hausender Gegenstände, sie macht vielmehr den Gegenstand, sie ist absolutes Subjekt-Objekt. Weiter ! »Die erste Art der Kritik setze sich mit Redensarten über alles, über das Studium der Sachen hinweg, und die zweite löse sich mit Redensarten von allem ab.« Die erstere »unwisssend klug«, die zweite ist »lernend.« Die zweite ist allerdings unklug und lernt par ça, par là, aber nur scheinbar, aber nur, um das oberflächlich Erlernte als selbsterfundene Weisheit zum »Stichwort« gegen die Masse, von der sie gelernt, schleudern und es in kritisch-kritischen Unsinn auflösen zu können.

[168] »Der ersteren sind Worte wie ›Extrem‹, ›weitergehen‹, ›nicht weit genug gehen‹ von Bedeutung und höchste angebetete Kategorien, die andere ergründet die Standpunkte und wendet nicht die Maße jener abstrakten Kategorien auf sie an.«

Die Ausrufungen der Kritik Nr. 2, es sei nicht mehr die Rede von der Politik, die Philosophie sei abgetan, ihr Hinwegsetzen über soziale Systeme und Entwickelungen durch Worte wie »phantastisch«, »utopisch« etc., was ist das alles anders als eine kritisch-emendierte Wendung des »Weitergehens«, »Nicht-weit-genug-Gehens«? Und ihre »Maße«, wie »die Geschichte«, »die Kritik«, »Zusammenfassen der Gegenstände«, »das Alte und das Neue«, »Kritik und Masse«, »die Ergründung der Standpunkte« – kurz, alle ihre Stichworte, sind etwa keine kategorischen und abstrakt kategorischen Maße!?

»Die erstere ist theologisch, boshaft, neidisch, kleinlich, anmaßend, die andere das Gegenteil von alledem.«

Nachdem die Kritik auf diese Weise sich in einem Atemzuge ein Dutzend Lobsprüche gespendet hat und alles das von sich aussagt, was der Berliner Couleur abgeht, wie Gott alles das ist, was der Mensch nicht ist, stellt sie sich das Zeugnis aus:

»Sie erreichte eine Klarheit, eine Lernbegierde, eine Ruhe, in der sie unangreifbar und unübewindlich ist

Sie kann daher über ihren Gegensatz, die Berliner Couleur, »höchstens das Geschäft des olympischen Gelächters auf sich nehmen.« Dieses Auslachen – mit gewohnter Gründlichkeit entwickelt sie, was dieses Auslachen ist und was es nicht ist – »dieses Auslachen ist kein Hochmut.« Beileibe nicht! Es ist die Negation der Negation. Es ist »nur der Prozeß, den der Kritiker mit Behagen und Seelenruhe gegen einen untergeordneten Standpunkt, der sich ihm gleich dünkt« – welcher Dünkel! – »anwenden muß.« Also wenn der Kritiker lacht, so wendet er einen Prozeß an! Und in seiner »Seelenruhe« wendet er den Prozeß des Lachens nicht gegen Personen, sondern gegen einen Standpunkt. Selbst das Lachen ist eine Kategorie, die er anwendet und gar anwenden muß!

Die außerweltliche Kritik ist keine Wesenstätigkeit des wirklichen, darum in der gegenwärtigen Gesellschaft lebenden, leidenden, an ihren Qualen und Freuden teilnehmenden menschlichen Subjekts. Das wirkliche Individuum ist nur ein Akzidens, ein irdisches Gefäß der kritischen Kritik, die sich in ihm als die ewige Substanz offenbart. Nicht die Kritik des menschlichen Individuums, sondern das unmenschliche Individuum der Kritik ist Subjekt. Nicht die Kritik ist eine Äußerung des Menschen, sondern der Mensch[169] eine Entäußerung der Kritik, der Kritiker lebt daher völlig außer der Gesellschaft.

»Kann der Kritiker in derjenigen Gesellschaft leben, die er kritisiert?«

Vielmehr: Muß er nicht in dieser Gesellschaft leben, muß er nicht selbst eine Lebensäußerung dieser Gesellschaft sein? Warum verkauft der Kritiker seine Geistesprodukte, da er hiermit das schlechteste Gesetz der heutigen Gesellschaft zu dem seinigen macht?

»Der Kritiker darf es nicht einmal wagen, sich persönlich in die Gesellschaft einzulassen.«

Darum bildet er sich eine heilige Familie, wie auch der einsame Gott in der heiligen Familie seine langweilige Trennung von aller Gesellschaft aufzuheben trachtet. Wenn der Kritiker sich von der schlechten Gesellschaft losmachen will, so mache er sich vor allem von der Gesellschaft seiner selbst los.

»So entbehrt der Kritiker aller Freuden der Gesellschaft, aber auch ihre Leiden bleiben ihm fern. Er kennt weder Freundschaft« – mit Ausnahme der kritischen Freunde – »noch Liebe« – mit Ausnahme der Selbstliebe - , »dafür prallt aber die Verleumdung machtlos an ihm ab; nichts kann ihn beleidigen; ihn berührt kein Haß, kein Neid; Ärger und Gram sind ihm unbekannte Affekte

Kurz, der Kritiker ist frei von allen menschlichen Leidenschaften, er ist eine göttliche Person, er kann von sich das Lied der Nonne singen:


Ich gedenk' an keine Liebe,

Ich gedenk' an keinen Mann,

Ich gedenk' an Gott den Vater,

Der mich erhalten kann.


Es ist der Kritik nicht gegeben, irgendeinen Passus zu schreiben, ohne sich zu widersprechen. So sagt sie uns schließlich:

»Das Philistertum, das den Kritiker mit Steinen wirft« – nach biblischer Analogie muß er gesteinigt werden –, »das ihn mißkennt und ihm unreine Motive unterschiebt« – der reinen Kritik unreine Motive unterzuschieben! –, »um ihn sich gleich zu machen« – der oben gerügte Gleichheitsdünkel – »es wird von ihm nicht verlacht, denn das ist es nicht wert, sondern durchschaut und von ihm mit Ruhe in seine unbedeutende Bedeutendheit zurückgewiesen.«

Mehr oben mußte der Kritiker den Prozeß des Auslachens gegen den sich »gleichdünkenden, untergeordneten Standpunkt anwenden.« Die Unklarheit der kritischen Kritik über ihre Verfahrungsweise gegen die gottlose[170] »Masse« scheint fast auf eine innerliche Gereiztheit, auf eine Galle hinzudeuten, für welche die »Affekte« keine »Unbekannten« sind.

Man darf indes nicht verkennen. Nachdem die Kritik bisher als ein Herkules gekämpft, um sich von der unkritischen »profanen Masse« und »allem« abzulösen, hat sie endlich ihre einsame, göttliche, selbstgenügsame absolute Existenz glücklich herausgearbeitet. Wenn in dem ersten Aussprechen dieser ihrer »neuen Phase« die alte Welt der sündlichen Affekte über sie selbst noch eine Macht zu haben scheint, so werden wir sie nun in einer »Kunstgestalt« ihre ästhetische Abkühlung und Verklärung finden und ihre Buße vollbringen sehen, damit sie endlich als zweiter, triumphierender Christus das kritische jüngste Gericht feiern und nach ihrem Sieg über den Drachen ruhig zum Himmel fahren könne.[171]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 164-172.
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