b) »Die Armenbank«

[209] Rudolph errichtet eine Armenbank. Die Statuten dieser kritischen Armenbank sind folgende:

Sie soll honette Arbeiter, welche Familie haben, während der arbeitslosen Zeit unterstützen. Sie soll die Almosen und die Pfandhäuser ersetzen. Sie verfügt über eine Jährliche Revenue von 12000 Francs und verteilt Hülfsanleihen von 20 bis 40 Francs ohne Interessen. Sie erstreckt ihre Wirksamkeit zunächst auf das siebte Arrondissement von Paris, wo die meisten Arbeiter wohnen. Die Arbeiter oder Arbeiterinnen, welche auf Unterstützung Anspruch machen, müssen Träger eines Zertifikats sein, welches von ihrem letzten Patron ausgestellt ist. Ihr gutes Betragen verbürgt und die Ursache wie das Datum der Unterbrechung ihrer Arbeit angibt. Diese Anleihen sind monatlich zurückzuzahlen, zum sechsten oder zum zwölften Teil je nach der Wahl des Leihers, von dem Tag an, wo er wieder Beschäftigung gefunden hat. Als Garantie der Anleihe gilt die Verpflichtung auf Ehrenwort. Zwei andre Arbeiter müssen überdem Bürgschaft leisten für die parole jurée des Leihers. Da der kritische Zweck der Armenbank darin besteht, einen der schwersten Unfälle des Arbeiterlebens, die Unterbrechung der Arbeit, zu heilen, so würden die Hülfsleistungen durchaus nur den arbeitslosen Handwerkern zukommen. Herr Germain, der dies Institut verwaltet, bezieht ein jährliches Gehalt von 10000 Francs.[209]

Werfen wir nun einen massenhaften Blick auf die Praxis der kritischen Nationalökonomie. Die jährliche Revenue beträgt 12000 Francs. Die Unterstützungen belaufen sich für jede Person auf 20 bis 40, also im Durchschnitt auf 30 Francs. Die Anzahl der offiziell als »elend« anerkannten Arbeiter des siebenten Arrondissements beläuft sich wenigstens auf 4000. Es können also jährlich 400, d.h. der zehnte Teil der allerhülfsbedürftigsten Arbeiter des siebenten Arrondissements unterstützt werden. In Paris ist es wenig, wenn wir die Durchschnittszahl der arbeitslosen Zeit auf vier Monate (viel zu gering taxiert), also auf 16 Wochen reduzieren. 30 Francs, auf 16 Wochen verteilt, sind auf die Woche etwas weniger als 37 Sous und 3 Centimes, macht auf den Tag noch nicht 27 Cts. Die tägliche Ausgabe für einen einzelnen Gefangnen beträgt in Frankreich durchschnittlich etwas mehr als 47 Cts., wovon die Speisung allein etwas über 30 Cts. wegnimmt. Der Arbeiter, den Herr Rudolph unterstützt, besitzt aber Familie. Schätzen wir die Familie im Durchschnitt außer Mann und Frau auf nur zwei Kinder, so bleiben 27 Cts. unter vier Personen zu verteilen. Hiervon geht die Wohnung – das Minimum auf den Tag 15 Cts. – ab, bleiben 12 Cts. Das Brot, welches ein einzelner Gefangener im Durchschnitt verzehrt, kostet ungefähr 14 Cts. Der Arbeiter samt Familie wird also, abgesehn von allen andern Bedürfnissen, mit der Unterstützung der kritischen Armenbank noch nicht den vierten Teil des nötigen Brots kaufen können und einem gewissen Hungertod anheimfallen, wenn er nicht zu den Mitteln, denen diese Armenbank vorbeugen will, zu dem Pfandhaus, dem Bettel, dem Diebstahl und der Prostitution seine Zuflucht nimmt.

Um so glänzender bedenkt der Mann der rücksichtslosen Kritik dagegen den Verwalter der Armenbank. Die verwaltete Revenue beträgt 12000, das Gehalt des Verwalters 10000 Frcs. Die Verwaltung kostet also 45 Prozent, beinahe das Dreifache der massenhaften Armenverwaltung in Paris, welche ungefähr 17 Prozent kostet.

Nehmen wir aber einen Augenblick an, die Unterstützung, welche die Armenbank gewährt, sei eine wirkliche und nicht bloß illusorische Unterstützung, so beruht die Einrichtung des enthüllten Geheimnisses aller Geheimnisse auf dem Wahn, daß es nur einer andern Distribution des Salärs bedürfe, damit der Arbeiter das ganze Jahr hindurch leben könne.

Im prosaischen Sinne zu sprechen, beträgt das Einkommen von 7500000 französischen Arbeitern auf den Kopf nur 91 Frcs., das Einkommen von andern 7500000 französischen Arbeitern auf den Kopf nur 120 Frcs., also schon von 15000000 Arbeitern weniger, als absolut zum Leben nötig ist.

Der Gedanke der kritischen Armenbank reduziert sich darauf – wenn er anders vernünftig gefaßt wird –, daß dem Arbeiter während der Zeit, wo er[210] Beschäftigung hat, soviel vom Salär abgezogen wird, als er braucht, um in der arbeitslosen Zeit zu leben. Ob ich ihm eine bestimmte Summa Geldes in der arbeitslosen Zeit vorstrecke und er mir diese Summe in der Arbeitszeit zurückgibt, oder ob er mir in der Arbeitszeit eine bestimmte Summe abgibt und ich sie ihm in der arbeitslosen Zeit zurückgebe, ist ein und dasselbe. Er gibt mir immer das in seiner Arbeitszeit, was er von mir in seiner arbeitslosen Zeit erhält.

Die »reine« Armenbank unterschiede sich also von den massenhaften Sparkassen nur durch zwei sehr originelle, sehr kritische Eigenschaften, einmal, daß die Bank ihr Geld à fonds perdu ausleiht, in der törichten Voraussetzung, daß der Arbeiter zurückzahlen könne, wenn er wolle, und daß er immer zurückzahlen wolle, wenn er könne; dann aber dadurch, daß die Bank keine Zinsen für die vom Arbeiter hinterlegten Summen zahlt. Weil die hinterlegte Summe in der Form des Vorschusses erscheint, tut die Bank schon ein Großes, wenn sie selbst keine Zinsen vom Arbeiter nimmt.

Die kritische Armenbank unterscheidet sich also dadurch von den massenhaften Sparkassen, daß der Arbeiter seine Zinsen und die Bank ihr Kapital verliert.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 209-211.
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