I. Die Verhandlungen mit K[arl] Hirsch

[150] Liebknecht fragt bei Hirsch an, ob dieser die Redaktion des in Zürich neuzugründenden Parteiorgans übernehmen will. Hirsch wünscht Auskunft über die Fundierung des Blatts: welche Fonds zur Verfügung stehn und wer sie liefert. Ersteres, um zu wissen, ob das Blatt nicht schon nach ein paar Monaten erlöschen muß. Das andre, um sich zu vergewissern, wer den Knopf auf dem Beutel und damit die schließliche Herrschaft über die Haltung des Blatts behält. Liebknechts Antwort an Hirsch: »alles in Ordnung, wirst von Zürich das Weitere erfahren« (Liebknecht an H[irsch], 28. Juli) kommt nicht an. Von Zürich aber kommt ein Brief Bernsteins an Hirsch (24. Juli), worin B[ernstein] mitteilt, daß »man mit der Inszenierung und Beaufsichtigung (des Blattes) uns beauftragt hat«. Es habe eine Besprechung »zwischen Vier[eck] und uns« stattgefunden, worin man fand,

»daß ihre Stellung durch die Differenzen, welche Sie als Laternenmann mit einzelnen Genossen gehabt, etwas erschwert werden würde, doch halte ich dies Bedenken für nicht sehr gewichtig«.[150]

Über die Fundierung kein Wort.

Hirsch antwortet umgehend 26. Juli mit der Frage nach der materiellen Situation des Blatts. Welche Genossen haben sich zur Deckung des Defizits verpflichtet? Bis zu welchem Betrag und für wie lange Zeit? – Die Gehaltsfrage des Redakteurs spielt hierbei absolut keine Rolle, Hirsch will lediglich wissen, ob »die Mittel gesichert sind, das Blatt mindestens ein Jahr lang zu sichern«.

Bernstein antwortet 31. Juli: Ein etwaiges Defizit wird durch freiwillige Beiträge gedeckt, deren einige (!) schon gezeichnet sind. Auf Hirschs Bemerkungen über die Haltung, die er dem Blatt zu geben denke, worüber unten, erfolgen mißbilligende Bemerkungen und Vorschriften:

»Darauf muß die Aufsichtskommission um so mehr bestehn, als sie selbst wiederum unter Kontrolle steht, d.h. verantwortlich ist. Über diese Punkte müßten Sie sich also mit der Aufsichtskommission verständigen.«

Umgehende, womöglich telegraphische Antwort erwünscht.

Also, statt aller Antwort auf seine berechtigten Fragen, erhält Hirsch die Nachricht, daß er unter einer in Zürich sitzenden Aufsichtskommission redigieren soll, deren Ansichten von den seinigen sehr wesentlich abweichen und deren Mitglieder ihm nicht einmal genannt werden!

Hirsch, mit vollem Recht entrüstet über diese Behandlung, zieht es vor, sich mit den Leipzigern zu verständigen. Sein Brief vom 2. August an Liebk[necht] muß Ihnen bekannt sein, da H[irsch] ausdrücklich Mitteilung an Sie und Viereck verlangte. Hirsch will sogar sich einer Züricher Aufsichtskommission insoweit unterwerfen, als diese der Redaktion soll schriftliche Bemerkungen machen und die Entscheidung der Leipziger Kontrollkommission anrufen dürfen.

Liebkn[echt] inzwischen schreibt 28. Juli an Hirsch:

»Natürlich ist das Unternehmen fundiert, da die ganze Partei + (inklusiv) Höchberg dahinter steht. Um die Details kümmere ich mich aber nicht.«

Auch der nächste Brief L[iebknecht]s enthält über die Fundierung wieder nichts, dagegen die Versicherung, daß die Züricher Kommission keine Redaktionskommission sei, sondern nur mit der Verwaltung und dem Finanziellen betraut. Noch am 14. August schreibt L[iebknecht] dasselbe an mich und verlangt, wir sollen H[irsch] zureden, daß er annimmt. Sie selbst sind noch am 29. August so wenig vom wahren Sachverhalt in Kenntnis gesetzt, daß Sie mir schreiben:

»Er (Höchberg) hat bei der Redaktion des Blattes nicht mehr Stimme als jeder andre bekannte Parteigenosse[153]

Endlich erhält Hirsch einen Brief von V[iereck], 11. August, worin zugegeben wird, daß

»die 3 in Zürich Domizilierten als Redaktionskommission die Gründung des Blattes in Angriff nehmen und unter Zustimmung der 3 Leipziger einen Redakteur auswählen sollten... soviel mir erinnerlich, war in den mitgeteilten Beschlüssen auch ausgesprochen, daß das zu 2 erwähnte (Züricher) Gründungskomitee sowohl die politische wie die finanzielle Verantwortlichkeit der Partei gegenüber übernehmen sollten ... Aus diesem Sachverhalt scheint sich nun für mich zu ergeben, daß ... ohne Mitwirkung der 3 in Zürich Domizilierten und von der Partei mit der Begründung Beauftragten an eine Übernahme der Redaktion nicht gedacht werden kann«.

Hier hätte nun Hirsch endlich wenigstens etwas Bestimmtes, wenn auch nur über die Stellung des Redakteurs zu den Zürichern. Sie sind eine Redaktionskommission; sie haben auch die politische Verantwortlichkeit; ohne ihre Mitwirkung kann keine Redaktion übernommen werden. Kurz, Hirsch wird einfach darauf hingewiesen, sich mit den 3 Leuten in Zürich zu verständigen, deren Namen ihm noch immer nicht angegeben sind.

Damit aber die Konfusion vollständig werde, schreibt Liebkn[echt] eine Nachschrift unter den Brief Vierecks:

»Soeben war S[inger] aus B[erlin] hier und berichtete: Die Aufsichtskommission in Zürich ist nicht, wie V[iereck] meint, eine Redaktionskommission, sondern wesentlich Verwaltungskommission, die der Partei, d.i. uns gegenüber für das Blatt finanziell verantwortlich ist; natürlich haben die Mitglieder auch das Recht und die Pflicht, sich mit Dir über die Redaktion zu besprechen (ein Recht und eine Pflicht, die beiläufig jeder Parteigenosse hat); Dich unter Kuratel zu stellen, sind sie nicht befugt.«

Die drei Züricher und ein Leipziger Ausschußmitglied – das einzige, das bei den Verhandlungen zugegen gewesen – bestehn darauf, daß H[irsch] unter amtlicher Direktion der Züricher stehn soll, ein zweites Leipziger Mitglied leugnet dies gradezu. Und da soll Hirsch sich entscheiden, ehe die Herren unter sich einig sind? Daß Hirsch berechtigt war, Kenntnis zu nehmen von den gefaßten Beschlüssen, die die Bedingungen enthielten, denen zu unterwerfen ihn zugemutet wurde, daran wurde um so weniger gedacht, als es den Leipzigern nicht einmal einzufallen schien, selbst von jenen Beschlüssen authentische Kenntnis zu nehmen. Wie war sonst obiger Widerspruch möglich?

Wenn die Leipziger nicht einig werden können über die den Zürichern übertragenen Befugnisse, so sind die Züricher darüber vollständig im klaren.

Schramm an Hirsch, 14. August:

»Hätten Sie nun nicht seiner Zeit geschrieben, Sie würden im gleichen Falle« (wie der Kaysersche) »wieder ebenso vorgehn und damit eine gleiche Schreibweise in Aussicht[154] gestellt, dann würden wir kein Wort darüber verlieren. So aber müssen wir uns dieser Ihrer Erklärung gegenüber das Recht vorbehalten, über Aufnahme von Artikeln in das neue Blatt ein entscheidendes Votum abzugeben.«

Der Brief an Bernstein, in dem Hirsch dies gesagt haben soll, ist vom 26. Juli, lange nach der Konferenz in Zürich, auf der die Vollmachten der 3 Züricher festgestellt worden waren. Man schwelgt aber in Zürich schon so sehr im Gefühl seiner bürokratischen Machtvollkommenheit, daß man auf diesen späteren Brief Hirschs bereits die neue Befugnis beansprucht, über die Aufnahme der Artikel zu entscheiden. Die Redaktionskommission ist bereits eine Zensurkommission.

Erst als Höchberg nach Paris kam, erfuhr Hirsch von ihm die Namen der Mitglieder der beiden Kommissionen.

Wenn also die Unterhandlungen mit Hirsch sich zerschlugen, woran lag es?

1. an der hartnäckigen Weigerung sowohl der Leipziger wie der Züricher, ihm irgend etwas Tatsächliches mitzuteilen über die finanziellen Grundlagen und damit über die Möglichkeit, das Blatt am Leben zu erhalten, wenn auch nur für ein Jahr. Die gezeichnete Summe hat er erst von mir hier (nach Ihrer Mitteilung an mich) erfahren. Es war also kaum möglich, aus den früher gemachten Mitteilungen (die Partei + H[öchberg]) einen andern Schluß zu ziehn als den, daß das Blatt entweder schon jetzt vorwiegend von Höchberg fundiert sei oder doch bald ganz von seinen Zuschüssen abhängen werde. Und diese letztere Möglichkeit ist auch jetzt lange nicht ausgeschlossen. Die Summe von – wenn ich recht lese – 800 Mark ist genau dieselbe (40 Pfd. St.), die der hiesige Verein der »Freiheit« im ersten Halbjahr hat zusetzen müssen.

2. die wiederholte, seitdem als total unrichtig erwiesene Versicherung Liebkn[echt]s, die Züricher hätten die Redaktion gar nicht amtlich zu kontrollieren und die daraus erwachsene Komödie der Irrungen;

3. die endlich erlangte Gewißheit, daß die Züricher die Redaktion nicht nur zu kontrollieren, sondern selbst zu zensieren hätten, und daß ihm (Hirsch) dabei nur die Rolle des Strohmanns zufalle.

Daß er daraufhin ablehnte, darin können wir ihm nur recht geben. Die Leipziger Kommission, wie wir hören von H[öch] b[er]gA1, ist noch durch 2 nicht am Ort wohnende Mitglieder verstärkt worden, kann also nur dann rasch einschreiten, wenn die 3 Leipziger einig sind. Dadurch wird der wirkliche Schwerpunkt vollends nach Zürich verlegt, und mit den dortigen würde[155] Hirsch ebensowenig wie irgendein andrer wirklich revolutionär und proletarisch gesinnter Redakteur auf die Dauer haben arbeiten können. Darüber später.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 19, S. 150-151,153-156.
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