a) Schatzbildung

[104] Das Gold schied sich zunächst als Geld vom Zirkulationsmittel dadurch, daß die Ware den Prozeß ihrer Metamorphose abbrach und in ihrer Goldverpuppung verharrte. Es erfolgt dies jedesmal, sobald der Verkauf nicht in Kauf umschlägt. Die Verselbständigung des Goldes als Geld ist also vor allem sinnfälliger Ausdruck des Zerfallens des Zirkulationsprozesses oder der Metamorphose der Ware in zwei getrennte, gleichgültig nebeneinander bestehende Akte. Die Münze selbst wird Geld, sobald ihr Lauf unterbrochen wird. In der Hand des Verkäufers, der sie für eine Ware einlöst, ist sie Geld, nicht Münze; sobald sie seine Hand verläßt, wird sie wieder Münze. Jeder ist Verkäufer der einseitigen Ware, die er produziert, aber Käufer aller andern Waren, deren er zur gesellschaftlichen Existenz bedarf. Während sein Auftreten als Verkäufer von der Arbeitszeit abhängt, die seine Ware zu ihrer Produktion erheischt, ist sein Auftreten als Käufer durch beständige Erneuerung der Lebensbedürfnisse bedingt. Um kaufen zu können, ohne zu verkaufen, muß er verkauft haben, ohne zu kaufen. In der Tat ist die Zirkulation W – G – W nur die prozessierende Einheit des Verkaufs und Kaufs, insofern sie zugleich der beständige Prozeß ihrer Trennung ist. Damit das Geld als Münze beständig fließt, muß die Münze beständig zu Geld gerinnen. Der beständige Umlauf der Münze ist bedingt durch ihre beständige Stockung in größern oder kleinern Portionen, in allseitig innerhalb der Zirkulation ebensowohl entspringenden als sie bedingenden Reservefonds von Münze, deren Bildung, Verteilung, Auflösung und Wiederbildung stets wechselt, deren Dasein beständig verschwindet, deren Verschwinden beständig da ist. Adam Smith hat diese unaufhörliche Verwandlung der Münze in Geld und des Geldes in Münze so ausgedrückt, daß jeder Warenbesitzer neben der besondern Ware, die er verkauft, eine gewisse Summe der allgemeinen Ware, womit er kauft, stets vorrätig haben müsse. Wir sahen, daß in der Zirkulation W – G – W das zweite Glied G – W sich in eine Reihe Käufe zersplittert, die sich nicht auf einmal, sondern sukzessiv in der Zeit vollziehen, so daß eine Portion von G als Münze umläuft, während die andere als Geld ruht. Das Geld ist hier in der Tat nur suspendierte Münze und die einzelnen Bestandteile der umlaufenden Münzmasse erscheinen stets wechselnd, bald in der einen, bald in der andern Form. Diese erste Verwandlung des Zirkulationsmittels in Geld stellt daher ein nur technisches Moment des Geldumlaufs selbst dar.89[104]

Die erste naturwüchsige Form des Reichtums ist die des Überflusses oder des Überschusses, der nicht als Gebrauchswert unmittelbar erheischte Teil der Produkte, oder auch der Besitz solcher Produkte, deren Gebrauchswert außerhalb des Kreises bloßer Bedürftigkeit fällt. Bei der Betrachtung des Übergangs von Ware zu Geld sahen wir, daß dieser Überfluß oder Überschuß der Produkte auf unentwickelter Produktionsstufe die eigentliche Sphäre des Warenaustausches bildet. Überflüssige Produkte werden austauschbare Produkte oder Waren. Die adäquate Existenzform dieses Überflusses ist Gold und Silber, die erste Form, worin der Reichtum als abstrakt gesellschaftlicher Reichtum festgehalten wird. Die Waren können nicht nur in der Form des Goldes oder Silbers, d.h. in dem Material des Geldes, aufbewahrt werden, sondern Gold und Silber sind Reichtum in präservierter Form. Jeder Gebrauchswert als solcher dient, indem er konsumiert, d.h. vernichtet wird. Der Gebrauchswert des Goldes als Geld aber ist, Träger des Tauschwerts zu sein, als formloser Rohstoff Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit. Als formloses Metall besitzt der Tauschwert eine unvergängliche Form. Gold oder Silber so als Geld immobilisiert, ist Schatz. Bei Völkern von rein metallischer Zirkulation, wie bei den Alten, zeigt sich Schatzbildung als ein allseitiger Prozeß vom einzelnen bis zum Staat, der seinen Staatsschatz hütet. In den ältern Zeiten, in Asien und Ägypten, erscheinen diese Schätze in der Hut der Könige und der Priester mehr als Zeugen ihrer Macht. In Griechenland und Rom wird es Politik, Staatsschätze zu bilden, als die stets gesicherte und stets schlagfertige Form des Überflusses. Das schnelle Überführen solcher Schätze von einem Land in das andere durch Eroberer und ihre teilweise plötzliche Ausgießung in die Zirkulation bilden eine Eigentümlichkeit der antiken Ökonomie.

Als vergegenständlichte Arbeitszeit bürgt das Gold für seine eigene Wertgröße, und da es Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit ist, bürgt ihm der Zirkulationsprozeß für seine stete Wirkung als Tauschwert. Durch die bloße Tatsache, daß der Warenbesitzer die Ware in ihrer Gestalt als Tauschwert oder den Tauschwert selbst als Ware festhalten kann, wird der Austausch der Waren, um sie in der verwandelten Gestalt des Goldes zurückzuerhalten,[105] eigenes Motiv der Zirkulation. Die Metamorphose der Ware W – G findet statt um ihrer Metamorphose willen, um sie aus besonderm natürlichen Reichtum in allgemeinen gesellschaftlichen Reichtum zu verwandeln. Statt des Stoffwechsels wird der Formwechsel Selbstzweck. Aus der bloßen Form schlägt der Tauschwert um in den Inhalt der Bewegung. Als Reichtum, als Ware erhält sich die Ware nur, sofern sie sich innerhalb der Sphäre der Zirkulation erhält, und sie erhält sich nur in diesem flüssigen Zustand, soweit sie zu Silber und Gold verknöchert. Sie bleibt im Fluß als Kristall des Zirkulationsprozesses. Gold und Silber fixieren sich indes selber nur als Geld, sofern sie nicht Zirkulationsmittel sind. Als Nicht-Zirkulationsmittel werden sie Geld.A5 Das Entziehen der Ware aus der Zirkulation in der Form des Goldes ist also das einzige Mittel, sie beständig innerhalb der Zirkulation zu halten.

Der Warenbesitzer kann von der Zirkulation nur als Geld zurückerhalten, was er ihr als Ware gibt. Beständiges Verkaufen, fortwährendes Werfen von Waren in Zirkulation, ist daher erste Bedingung der Schatzbildung vom Standpunkte der Warenzirkulation. Andrerseits verschwindet das Geld beständig als Zirkulationsmittel im Zirkulationsprozeß selbst, indem es sich stets in Gebrauchswerten verwirklicht und in vergängliche Genüsse auflöst. Es muß also dem verzehrenden Strom der Zirkulation entrissen, oder die Ware muß in ihrer ersten Metamorphose festgehalten werden, indem es verhindert wird, seine Funktion als Kaufmittel zu vollziehen. Der Warenbesitzer, der nun zum Schatzbildner geworden ist, muß möglichst viel verkaufen und möglichst wenig kaufen, wie schon der alte Cato lehrte: patrem familias vendacem, non emacem esse. Wie Arbeitsamkeit die positive, ist Sparsamkeit die negative Bedingung der Schatzbildung. Je weniger das Äquivalent der Ware in besondern Waren oder Gebrauchswerten der Zirkulation entzogen wird, um so mehr wird es ihr in der Form des Geldes oder Tauschwerts entzogen.90 Die Aneignung des Reichtums in seiner allgemeinen Form bedingt also die Entsagung auf den Reichtum in seiner stofflichen Wirklichkeit. Der lebendige Trieb der Schatzbildung ist daher der Geiz, für den nicht die Ware als Gebrauchswert, sondern der Tauschwert als Ware Bedürfnis ist. Um sich des Überflusses in seiner allgemeinen Form zu bemächtigen, müssen die[106] besonderen Bedürfnisse als Luxus und Überfluß behandelt werden. So machten im Jahre 1593 die Cortes Philipp II. eine Vorstellung, worin es unter anderm heißt:

»Die Cortes von Valladolid vom Jahre 1586 baten Ew. Majestät, nicht ferner die Einfuhr in das Königreich zu erlauben von Kerzen, Glaswaren, Bijouterien, Messern und ähnlichen Dingen, die vom Ausland kommen, um diese dem menschlichen Leben 80 unnützen Dinge auszutauschen gegen Gold, als ob die Spanier Indianer wären.«

Der Schatzbildner verachtet die weltlichen, zeitlichen und vergänglichen Genüsse, um dem ewigen Schatz nachzujagen, den weder die Motten noch der Rost fressen, der ganz himmlisch und ganz irdisch ist.

»Die allgemeine entfernte Ursache unseres Mangels an Gold«, sagt Misselden in der angeführten Schrift, »ist der große Exzeß dieses Königreichs im Konsum von Waren fremder Länder, die sich uns statt als commodities als discommodities erproben, indem sie uns von ebenso vielem Schatze abschneiden, der sonst an die Stelle dieser Spielsachen (toys) importiert würde. Wir konsumieren unter uns einen viel zu großen Überfluß an Weinen von Spanien, Frankreich, Rheinland, Levante; die Rosinen von Spanien, die Korinthen der Levante, die Lawns (Sorte feiner Leinwand) und Cambrics von Hainaut, die Seidenzeuge von Italien, Zucker und Tabak von Westindien, die Gewürze von Ostindien, alles das ist kein absolutes Bedürfnis für uns, und dennoch werden diese Dinge gekauft mit hartem Gold.«91

Als Gold und Silber ist der Reichtum unvergänglich, sowohl weil der Tauschwert in unverwüstlichem Metall existiert, als namentlich weil das Gold und Silber verhindert wird, als Zirkulationsmittel zur nur verschwindenden Geldform der Ware zu werden. Der vergängliche Gehalt wird so der unvergänglichen Form geopfert.

»Wird das Geld durch die Steuer von einem genommen, der es verißt und vertrinkt und einem gegeben, der es in Verbesserung des Landes, Fischfang, Minenwerken, Manufakturen oder selbst in Kleidern verwendet, so ist immer ein Vorteil für das Gemeinwesen vorhanden, denn selbst Kleider sind nicht so vergänglich als Mahlzeiten und Getränke. Wird es in Hausmöbeln verwandt, so ist der Vorteil um so größer, im Bauen von Häusern noch größer usw., am größten von allem, wenn Gold und Silber in das Land gebracht wird, weil diese Dinge allein nicht vergänglich sind, sondern zu allen Zeiten und allen Orten als Reichtum geschätzt werden; alles andere ist nur Reichtum pro hic et nunc.«92[107]

Das Entreißen des Geldes aus dem Strom der Zirkulation und Retten vor dem gesellschaftlichen Stoffwechsel zeigt sich auch äußerlich im Vergraben, so daß der gesellschaftliche Reichtum als unterirdischer unvergänglicher Schatz in ein ganz heimliches Privatverhältnis zum Warenbesitzer gebracht wird. Doktor Bernier, der sich eine Zeitlang zu Delhi am Hofe Aurangzebs aufhielt, erzählt, wie die Kaufleute ihr Geld heimlich und tief vergraben, besonders aber die nichtmohammedanischen Helden, die fast allen Handel und alles Geld in der Hand haben,

»befangen wie sie sind im Glauben, daß das Gold und Silber, welches sie während ihres Lebens verbergen, ihnen nach dem Tode in der andern Welt dienen wird«93.

Der Schatzbildner ist übrigens, soweit sein Asketismus mit tatkräftiger Arbeitsamkeit verbunden ist, von Religion wesentlich Protestant und noch mehr Puritaner.

»Das kann man nicht leugnen, daß Kaufen und Verkaufen ein nötig Ding ist, das man nicht entbehren, und wohl christlich brauchen kann, sonderlich in Dingen, die zur Not und Ehre dienen, denn also haben auch die Patriarchen verkauft und gekauft, Vieh, Wolle, Getreide, Butter, Milch und andere Güter. Es sind Gottesgaben, die er aus der Erde gibt und unter die Menschen teilt. Aber der ausländische Kaufhandel, der aus Kalikat und Indien und dergleichen War herbringt, als solch köstlich Seiden und Goldwerk und Würze, die nur zur Pracht und keinem Nutzen dient, und Land und Leuten das Geld aussaugt, sollte nicht zugelassen werden, so wir ein Regiment und Fürsten hätten. Doch hievon will ich jetzt nicht schreiben; denn ich achte, es werde zuletzt, wenn wir nicht mehr Geld haben, von ihm selbst ablassen müssen, wie auch der Schmuck und Fraß: es will doch sonst kein Schreiben und Lehren helfen, bis uns die Not und Armut zwingt.«94

In Zeiten der Erschütterung des gesellschaftlichen Stoffwechsels findet selbst in der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft das Vergraben des Geldes[108] als Schatz statt. Der gesellschaftliche Zusammenhang in seiner kompakten Form – für den Warenbesitzer besteht dieser Zusammenhang in der Ware und das adäquate Dasein der Ware ist Geld – wird gerettet vor der gesellschaftlichen Bewegung. Der gesellschaftliche nervus rerum wird bestattet neben dem Körper, dessen Nerv er ist.

Der Schatz wäre nun bloß nutzloses Metall, seine Geldseele wäre aus ihm entflohen und er bliebe als ausgebrannte Asche der Zirkulation, als ihr caput mortuum zurück, stünde er nicht in beständiger Spannung zu ihr. Geld oder verselbständigter Tauschwert ist seiner Qualität nach Dasein des abstrakten Reichtums, andererseits aber ist jede gegebene Geldsumme quantitativ begrenzte Wertgröße. Die quantitative Grenze des Tauschwerts widerspricht seiner qualitativen Allgemeinheit, und der Schatzbildner empfindet die Grenze als Schranke, die in der Tat zugleich in qualitative Schranken umschlägt, oder den Schatz zum bloß beschränkten Repräsentanten des stofflichen Reichtums macht. Geld, als das allgemeine Äquivalent, stellt sich, wie wir sahen, unmittelbar dar in einer Gleichung, worin es selbst die eine Seite, die unendliche Reihe der Waren aber die andere Seite bildet. Von der Größe des Tauschwerts hängt es ab, wieweit es sich annähernd als solche unendliche Reihe realisiert, d.h. seinem Begriff als Tauschwert entspricht. Die Bewegung des Tauschwerts als Tauschwert, als Automat, kann überhaupt nur die sein, über seine quantitative Grenze hinauszugehen. Indem aber eine quantitative Grenze des Schatzes überschritten wird, wird eine neue Schranke geschaffen,[109] die wieder aufgehoben werden muß. Es ist nicht eine bestimmte Grenze des Schatzes, die als Schranke erscheint, sondern jede Grenze desselben. Die Schatzbildung hat also keine immanente Grenze, kein Maß in sich, sondern ist ein endloser Prozeß, der in seinem jedesmaligen Resultat ein Motiv seines Anfangs findet. Wenn der Schatz nur vermehrt wird, indem er konserviert wird, so wird er aber auch nur konserviert, indem er vermehrt wird.

Das Geld ist nicht nur ein Gegenstand der Bereicherungssucht, es ist der Gegenstand derselben. Sie ist wesentlich auri sacra fames. Die Bereicherungssucht im Unterschied von der Sucht nach besonderm natürlichen Reichtum oder Gebrauchswerten, wie Kleider, Schmuck, Herden usw., ist nur möglich, sobald der allgemeine Reichtum als solcher in einem besondern Ding individualisiert ist und daher als einzelne Ware festgehalten werden kann. Das Geld erscheint also ebensosehr als Gegenstand wie Quelle der Bereicherungssucht.95 Was in der Tat zugrunde liegt, ist, daß der Tauschwert als solcher und damit seine Vermehrung zum Zweck wird. Der Geiz hält den Schatz fest, indem er dem Geld nicht erlaubt, Zirkulationsmittel zu werden, aber die Goldgier erhält seine Geldseele, seine beständige Spannung gegen die Zirkulation.

Die Tätigkeit nun, wodurch der Schatz gebildet wird, ist einerseits Entziehen des Geldes aus der Zirkulation durch beständig wiederholten Verkauf, andrerseits einfaches Aufspeichern, Akkumulieren. Es ist in der Tat nur in der Sphäre der einfachen Zirkulation, und zwar in der Form der Schatzbildung, daß die Akkumulation des Reichtums als solche stattfindet, während, wie wir später sehen werden, die andern sog. Formen der Akkumulation nur mißbräuchlich, nur durch Erinnerung an die einfache Geldakkumulation, als Akkumulation gelten. Alle andern Waren werden aufgehäuft entweder als Gebrauchswerte, und dann ist die Art ihrer Aufhäufung bestimmt durch die Besonderheit ihres Gebrauchswerts. Aufhäufen von Getreide z.B. erfordert besondre Vorrichtungen. Schafe aufhäufen macht mich zum Hirten, Sklaven und Land aufhäufen macht Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse nötig usw. Die Vorratbildung des besondern Reichtums erfordert besondere Prozesse, unterschieden vom einfachen Akt des Aufhäufens selbst, und entwickelt besondre Seiten der Individualität. Oder der Reichtum in der[110] Form von Waren wird als Tauschwert aufgehäuft, und dann erscheint die Aufhäufung als eine kaufmännische oder spezifisch ökonomische Operation. Das Subjekt derselben wird Kornhändler, Viehhändler usw. Gold und Silber sind Geld nicht durch irgendeine Tätigkeit des Individuums, das sie aufhäuft, sondern als Kristalle des ohne sein Zutun vor sich gehenden Zirkulationsprozesses. Er hat nichts zu tun, als sie beiseite zu schaffen und Gewicht zu Gewicht zu häufen, eine ganz inhaltslose Tätigkeit, die auf alle anderen Waren angewandt, sie entwerten würde.96

Unser Schatzbildner erscheint als Märtyrer des Tauschwerts, heiliger Asket auf dem Gipfel der Metallsäule. Es ist ihm nur um den Reichtum in seiner gesellschaftlichen Form zu tun, und darum vergräbt er ihn vor der Gesellschaft. Er verlangt die Ware in ihrer stets zirkulationsfähigen Form, und darum entzieht er sie der Zirkulation. Er schwärmt für den Tauschwert, und darum tauscht er nicht aus. Die flüssige Form des Reichtums und sein Petrefakt, Elixier des Lebens und Stein der Weisen, spuken alchimistisch toll durcheinander. In seiner eingebildeten schrankenlosen Genußsucht entsagt er allem Genüsse. Weil er alle gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigen will, befriedigt er kaum die natürliche Notdurft. Indem er den Reichtum in seiner metallischen Leiblichkeit festhält, verdunstet er ihn zum bloßen Hirngespinst. In der Tat aber ist das Aufhäufen des Geldes um des Geldes willen die barbarische Form der Produktion um der Produktion willen, d.h. Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit hinaus über die Schranken herkömmlicher Bedürfnisse. Je unentwickelter die Warenproduktion,[111] um so wichtiger ist die erste Verselbständigung des Tauschwerts als Geld, die Schatzbildung, die daher eine große Rolle spielt bei den alten Völkern, in Asien bis auf die heutige Stunde, und bei den modernen Bauernvölkern, wo der Tauschwert noch nicht alle Produktionsverhältnisse hat. Die spezifisch ökonomische Funktion der Schatzbildung innerhalb der metallischen Zirkulation selbst werden wir sogleich betrachten, erwähnen aber noch vorher eine andre Form der Schatzbildung.

Ganz abgesehn von ihren ästhetischen Eigenschaften sind silberne und goldne Waren, sofern das Material, woraus sie bestehen, Material des Geldes ist, umwandelbar in Geld, wie Goldgeld oder Goldbarren in sie umwandelbar sind. Weil Gold und Silber das Material des abstrakten Reichtums sind, besteht die größte Schaustellung des Reichtums in ihrer Benutzung als konkrete Gebrauchswerte, und wenn der Warenbesitzer auf gewissen Stufen der Produktion seinen Schatz verbirgt, treibt es ihn überall, wo es mit Sicherheit geschehn kann, als rico hombre den andern Warenbesitzern zu erscheinen. Er vergoldet sich und sein Haus.97 In Asien, namentlich in Indien, wo die Schatzbildung nicht wie in der bürgerlichen Ökonomie als eine untergeordnete Funktion des Mechanismus der Gesamtproduktion erscheint, sondern der Reichtum in dieser Form als letzter Zweck festgehalten wird, sind Gold- und Silberwaren eigentlich nur ästhetische Form der Schätze. Im mittelaltrigen England waren Gold- und Silberwaren, da ihr Wert nur wenig durch die zugefügte rohe Arbeit vermehrt wurde, gesetzlich als bloße Form des Schatzes betrachtet. Ihr Zweck war, wieder in Zirkulation geworfen zu werden und ihre Feinheit daher ganz ebenso vorgeschrieben, wie die der Münze selbst. Der wachsende Gebrauch von Gold und Silber als Luxusgegenstände mit wachsendem Reichtum ist eine so einfache Sache, daß sie den Alten völlig klar war98, während die modernen Ökonomen den falschen Satz aufgestellt haben, daß der Gebrauch silberner und goldner Waren nicht zunehme im Verhältnis zum Steigen des Reichtums, sondern nur im Verhältnis zum Wertfall der edeln Metalle. Ihre sonst genauen Nachweisungen über die Verwendung[112] des kalifornischen und australischen Goldes zeigen daher stets einen Ausfall, weil der gestiegne Konsum des Goldes als Rohmaterial in ihrer Einbildung nicht gerechtfertigt ist durch entsprechenden Fall in seinem Wert. Von 1810 bis 1830, infolge des Kampfs der amerikanischen Kolonien mit Spanien und der Unterbrechung der Minenarbeit durch Revolutionen, hatte die jährliche Durchschnittsproduktion der edeln Metalle um mehr als die Hälfte abgenommen. Die Abnahme der in Europa zirkulierenden Münze betrug beinahe 1/6, 1829 verglichen mit 1809. Obgleich also die Quantität der Produktion abgenommen hatte und die Produktionskosten gestiegen, wenn überhaupt verändert waren, nahm nichtsdestoweniger der Konsum der edeln Metalle als Luxusgegenstände außerordentlich zu, in England schon während des Krieges, auf dem Kontinent seit dem Pariser Frieden. Er stieg mit dem Wachstum des allgemeinen Reichtums.99 Als allgemeines Gesetz kann aufgestellt werden, daß die Umwandlung von Gold- und Silbergeld in Luxusgegenstände während des Friedens, ihre Rückverwandlung in Barren oder auch Münze aber nur in sturmvollen Zuständen vorwiegt.100 Wie bedeutend das Verhältnis des in der Form von Luxusware existierenden Gold- und Silberschatzes zu dem als Geld dienenden edeln Metall ist, mag daraus ersehn werden, daß 1829 das Verhältnis nach Jacob in England wie 2 zu 1 war, in ganz Europa und Amerika aber 1/4 mehr edles Metall in Luxusgegenständen als in Geld existierte.

Wir sahen, daß der Geldumlauf bloß die Erscheinung der Metamorphose der Waren ist oder des Formwechsels, worin sich der gesellschaftliche Stoffwechsel vollzieht. Mit der wechselnden Preissumme der zirkulierenden Waren oder dem Umfang ihrer gleichzeitigen Metamorphosen einerseits, mit der jedesmaligen Geschwindigkeit ihres Formwechsels andrerseits, mußte daher die Gesamtquantität des zirkulierenden Goldes beständig expandieren oder kontrahieren, was nur möglich unter der Bedingung, daß die Gesamtquantität des in einem Lande befindlichen Geldes fortwährend in wechselndem Verhältnis steht zur Quantität des in Zirkulation befindlichen Geldes. Diese Bedingung wird durch die Schatzbildung erfüllt. Fallen die Preise oder steigt die Zirkulationsgeschwindigkeit, so absorbieren die Schatzreservoirs den aus der Zirkulation abgesonderten Teil des Geldes; steigen die Preise oder fällt[113] die Zirkulationsgeschwindigkeit, so öffnen sich die Schätze und strömen teilweise in die Zirkulation zurück. Die Erstarrung des zirkulierenden Geldes in Schatz und das Ergießen der Schätze in die Zirkulation ist beständig wechselnde oszillatorische Bewegung, worin das Vorwiegen der einen oder der andern Richtung ausschließlich durch die Schwankungen der Warenzirkulation bestimmt ist. Die Schätze erscheinen so als Zufuhr- und Abzugskanäle des zirkulierenden Geldes, so daß immer nur das durch die unmittelbaren Bedürfnisse der Zirkulation selbst bedingte Quantum Geld als Münze zirkuliert. Dehnt sich der Umfang der Gesamtzirkulation plötzlich aus und wiegt die flüssige Einheit von Verkauf und Kauf vor, so daß aber die Gesamtsumme der zu realisierenden Preise noch rascher wächst als die Geschwindigkeit des Geldumlaufs, so entleeren sich die Schätze zusehends; sobald die Gesamtbewegung ungewöhnlich stockt oder die Trennung von Verkauf und Kauf sich befestigt, erstarrt das Zirkulationsmittel in auffallenden Proportionen zu Geld und füllen sich die Schatzreservoirs weit über ihr Durchschnittsniveau. In Ländern rein metallischer Zirkulation oder unentwickelter Produktionsstufe sind die Schätze unendlich zersplittert und zerstreut über die ganze Oberfläche des Landes, während sie in bürgerlich entwickelten Ländern in den Bankreservoirs konzentriert werden. Der Schatz ist nicht zu verwechseln mit der Münzreserve, die selbst einen Bestandteil der stets in Zirkulation befindlichen Gesamtquantität Geld bildet, während das aktive Verhältnis von Schatz und Zirkulationsmittel das Sinken oder Steigen jener Gesamtquantität unterstellt. Gold- und Silberwaren bilden, wie wir gesehn, ebenfalls sowohl einen Abzugskanal der edlen Metalle, wie latente Zufuhrquelle. In gewöhnlichen Zeiten ist nur ihre erstere Funktion wichtig für die Ökonomie der metallischen Zirkulation.101[114]

89

Boisguillebert wittert in der ersten Immobilisierung des perpetuum mobile, d.h. der Verneinung seines funktionellen Daseins als Zirkulationsmittel, sofort seine Verselbständigung gegen die Waren. Das Geld, sagt er, soll sein »in einer beständigen Bewegung, was es nur sein kann, solange es beweglich ist, aber sobald es unbeweglich wird, ist alles verloren«. (»Le détail de la France«, p. 213.) Was er übersieht, ist, daß dies Stillstellen Bedingung seiner Bewegung ist. Was er in der Tat will, ist, daß der Tauschwert [Note im Handexemplar: Soll heißen: die Wertform der Waren.] der Waren als bloß verschwindende Form ihres Stoffwechsels erscheine, aber nie sich als Selbstzweck befestige.

A5

Im Handexemplar unterstrichen; (1859) nicht hervorgehoben

90

»Je mehr der Vorrat in Waren wächst, um so mehr nimmt der als Schatz (in treasure) existierende ab.« E. Misselden, l.c. p. 23.

91

l.c. p. 11-13 passim.

92

Petty, »Political Arithmetic«, l.c. p. 196.

93

François Bernier, »Voyages contenant la description des états du Grand Mogol«, Pariser Ausgabe 1830, t. l, conf. p. 312-314.

94

Doktor Martin Luther, »Bücher vom Kaufhandel und Wucher«, 1524. An derselben Stelle sagt Luther: »Gott hat uns Deutsche dahin geschleudert, daß wir unser Gold und Silber müssen in fremde Länder stoßen, alle Welt reich machen und selbst Bettler bleiben. England sollte wohl weniger Goldes haben, wenn Deutschland ihm sein Tuch ließe, und der König von Portugal sollte auch weniger haben, wenn wir ihm seine Würze ließen. Rechne Du, wie viel Geldes eine Messe zu Frankfurt aus deutschen Landen geführt wird, ohne Not und Ursache: so wirst Du Dich wundern, wie es zugehe, daß noch ein Heller in deutschen Landen sei. Frankfurt ist das Silber- und Goldloch, dadurch aus deutschem Lande fließt, was nur quillet und wächst, gemünzt oder geschlagen wird bei uns: wäre das Loch zugestopft, so dürft man itzt der Klage nicht hören, wie allenthalben eitel Schuld und kein Geld, alle Land und Städte ausgewuchert sind. Aber laß gehen, es will doch also gehen: wir Deutsche müssen Deutsche bleiben! wir lassen nicht ab, wir müssen denn.« [p. 4/5.]

Misselden in der oben angeführten Schrift will das Gold und Silber wenigstens im Kreis der Christenheit halten: »Das Geld wird vermindert durch den Handel jenseits der Christenheit mit der Türkei, Persien und Ostindien. Diese Handelszweige werden größtenteils mit barem Geld geführt, jedoch ganz anders wie die Handelszweige der Christenheit in sich selbst. Denn obgleich der Handel innerhalb der Christenheit mit barem Geld getrieben wird, ist doch das Geld fortwährend eingeschlossen innerhalb seiner Grenzen. Da ist in der Tat Strömung und Gegenströmung, Flut und Ebbe des Geldes in dem innerhalb der Christenheit geführten Handel, denn manchmal ist es reichlicher an einem Teil, mangelnder an einem andern, je nachdem ein Land Mangel hat und ein anderes Überfluß: es kommt und geht und wirbelt im Kreis der Christenheit, aber bleibt stets von seiner Linie umfangen. Aber das Geld, womit außerhalb der Christenheit in die oben angegebenen Länder hinausgehandelt wird, ist beständig ausgegeben und kehrt nie zurück.« [p. 19, 20.]

95

»Im Geld liegt der Ursprung des Geizes... allmählich entbrennt hier eine Art Tollheit, schon nicht mehr Geiz, sondern Goldgier.« (Plinius, »Historia naturalis«, L. XXXIII, C. III, Sect. 14.)

96

Horaz versteht also nichts von der Philosophie der Schatzbildung, wenn er sagt (»Satiren«, L. II, Satire III):

»Kaufte sich jemand Lauten und häufte den Kram aufeinander,

Während er weder der Laute, noch einer der Musen sich hingab.

Ahlen und Leist, wer nicht Schuhmacher, und Segel zur Schiffahrt,

Wer nicht hold dem Verkehre zur See: Wahnwitzig und hirnlos

Nennte mit Recht ihn jeder. In was ist von diesen verschieden,

Wer sein Silber und Gold einscharrt, nicht weiß zu gebrauchen,

Und das Gesammelte nicht, gleich Heiligem, wagt zu berühren?«

Herr Senior versteht die Sache besser: »Das Geld scheint das einzige Ding zu sein, nach dem das Verlangen allgemein ist, und zwar deshalb, weil das Geld ein abstrakter Reichtum ist und weil die Menschen, wenn sie es besitzen, alle ihre Bedürfnisse befriedigen können, welcher Art sie auch seien.« (»Principes fondamentaux de l'économie politique, traduit par le Comte Jean Arrivabene«, Paris 1836, p. 221.) Oder Storch: »Da das Geld alle andern Reichtümer repräsentiert, hat man es nur aufzuhäufen, um sich alle in der Welt existierenden Arten von Reichtum zu verschaffen.« (l. c. t. II, p. 135.)

97

Wie sehr der inner man des Warenindividuums unverändert bleibt, auch wo es sich zivilisiert und zum Kapitalisten entwickelt hat, beweist z.B. der Londoner Repräsentant eines kosmopolitischen Bankierhauses, der als passendes Familienwappen eine Banknote von 100000 Pfd. St. in Glas und Rahmen hängen hat. Die Pointe ist hier das spöttisch vornehme Herabsehen der Note auf die Zirkulation.

98

Siehe die später zitierte Stelle von Xenophon.

99

Jacob, l. c. t. II, ch. 25 und 26.

100

»In Zeiten großer Erregung und Unsicherheit, besonders während innerer Aufstände oder Invasionen, werden Gold- und Silbergegenstände schnell in Geld verwandelt; in Perioden der Ruhe und des Wohlstandes hingegen wird Geld in Silbergeschirr und Schmuckgegenstände verwandelt« (l. c. t. II, p. 357).

101

In der folgenden Stelle entwickelt Xenophon Geld in seiner spezifischen Formbestimmtheit als Geld und Schatz: »In diesem einzigen Gewerbe von allen, die ich kenne, erregt niemand der andern damit Beschäftigten Neid... Denn je reicher die Silberbergwerke erscheinen, und je mehr Silber gefördert wird, desto mehr Leute ziehen sie zu dieser Arbeit heran. Wenn man für die Wirtschaft genügend Hausgerät erworben hat, wird man wenig mehr kaufen; Silber jedoch besitzt niemand so viel, daß er nicht noch mehr zu haben wünscht, und wenn es bei jemand in Fülle, dann vergräbt er das Überflüssige und freut sich daran nicht weniger, als wenn er es gebrauchte. Wenn nämlich die Städte aufblühn, dann brauchen die Leute das Silber besonders. Denn die Männer wollen außer schönen Waffen auch gute Pferde, prächtige Häuser und Einrichtungen kaufen, die Frauen aber begehren allerlei Gewänder und goldenen Schmuck. Wenn aber die Städte Not leiden durch Mißernte oder Krieg, dann braucht man Geld infolge Unfruchtbarkeit des Bodens zum Kauf von Lebensmitteln oder zur Anwerbung von Hilfstruppen.« (Xenophon, »De Vectigalibus«, C. IV.) Aristoteles in C. 9, L. I der »Republik« entwickelt die beiden Bewegungen der Zirkulation W – G – W und G – W – G in ihrem Gegensatz unter dem Namen der »Ökonomik« und »Chrematistik«. Beide Formen werden von den griechischen Tragikern, namentlich von Euripides, gegenübergestellt als dikê und kerdos.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1961, Band 13, S. 104-115.
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