XVII. Die erste Druckerschwärze.

[183] Ich war just 22 Jahre alt geworden, als ich das Abenteuer erleben sollte, die erste eigene Arbeit gedruckt zu sehen. Schwarz auf weiß. In einer richtigen, wenn auch nicht ganz richtig gehenden Zeitung. In Prag. Im »Tagesboten aus Böhmen«. Ich wurde etwa zwei Jahre später ein Mitarbeiter an diesem Blatte und werde darum noch über den starken Geist und den schwachen Betrieb des »Tagesboten« ausführlich zu berichten haben. Das Blatt lehrte mich die idealistischgrotesken Untergründe der Journalistik kennen, wie etwa ein junger Schauspieler nicht eben gerade am Wiener Burgtheater stehen, gehen und sprechen lernen mag.

Mein erster Aufsatz galt seltsamerweise einem Musiker. Ich hatte im Wintersemester nach meinem Staatsexamen wieder ein Kolleg bei A.W. Ambros belegt, bei dem berühmten Musikhistoriker. Der entzückend wunderliche Mann war seines bürgerlichen Zeichens Staatsanwalt am Prager Landesgericht; dann hatte er daneben auf dem Polytechnikum über italienische Malerei lesen dürfen; und seit einigen Jahren las er auf der Universität über Musik. Der Musik galt seine ganze Liebe und Sehnsucht. Als Komponist soll er nicht Eigener genug gewesen sein: als Kenner und Liebhaber der Musik hatte er kaum seinesgleichen. Mein lieber Mitschüler[183] August Freund aus Jungbunzlau, ein tüchtiger Klavierspieler, hatte mich, der ich keine Note lesen oder gar singen konnte, davon überzeugt, daß ich bei Ambros Theorie und Musikgeschichte hören müßte. An unserer Prager Universität; in demselben Hörsaale des Klementinums, aus welchem die Tschechen den Philologen Linker kurz vorher hinausgeworfen hatten.

Der Kreis war klein: ein älterer Musiker tschechischer Nationalität, sodann der blutjunge Träger eines alten fürstlichen Namens, ein bildhübscher Jüngling, der es denn auch später zum Ministerpräsidenten brachte; ferner die erste Studentin der Prager Universität (Fräulein Susanna Rubinstein aus Czernowitz) und endlich mein Freund und ich. Fünf Hörer, von denen drei nicht recht »musikalisch« waren und sicherlich nicht allzutief in die Geheimnisse der altgriechischen Tonarten eingedrungen sind.

Aber die Persönlichkeit des Lehrers hatte es uns angetan. Dem Zauber seiner Vorlesungen und seines Umgangs bin ich tief verschuldet; die Nachwirkung hat bis zu dieser Stunde nicht aufgehört. Mich wenigstens hat Ambros Musik hören gelehrt, da er uns, sooft die Aufführung einer Beethovenschen Symphonie bevorstand, in jede Probe mitnahm und uns auf jede Änderung eines Tempo, auf jede Wirkung eines Instrumentes in einem Akkorde, auf jede Absicht des Kapellmeisters, vor allem aber auf die Führung der Motive unermüdlich aufmerksam machte. Und Musik lieben lehrte uns sein Enthusiasmus, wenn so etwas überhaupt gelehrt werden kann. Wir sahen da ein schweres, erdgebundenes Leben, das durch die Wunder der Musik himmelrein und himmelleicht geworden war. Ambros hatte in seiner Jugend Schumann nahegestanden, hatte Aufsätze[184] für dessen »Zeitschrift« geschrieben (als Davidsbündler nannte Ambros sich Flamin), galt in der ganzen musikalischen Welt als eine Autorität und wurde in Prag trotz seiner musik-konservativen Gesinnung von Musikrebellen wie Berlioz und Liszt zu Rate gezogen. In seinem Hause, wo es von Kindern wimmelte, war es nicht möglich, der Musik nicht irgendwie zu dienen. Sogar ich habe einmal bei der Haydn'schen Kindersymphonie mitgewirkt, die unter der Leitung des Paters Barnabas, des Augustinerpriors, zum Geburtstage des Hausherrn aufgeführt wurde.

Bei seinen Vorlesungen auf der Universität hatte Ambros kein Klavier zur Verfügung; das wäre damals gegen die Würde der hohen Schule gewesen. Waren wir aber bei ihm zu Hause eingeladen, dann spielte er uns etwa stundenlang die schwer zugänglichen alten Meister vor, immer auswendig, und erzog uns auch da durch kurze Zwischenbemerkungen zum Hören. Und wenn wir einmal spät in der Nacht müde geworden waren – wir, nicht er –, dann unterbrach er wohl ein Stück von Palestrina mit dem Rufe: »Na, Kinderl, ihr habt wohl genug von denen alten Musikanten?« Und setzte mit einem Wiener Walzer ein und spielte uns und seinen Töchtern noch eine Stunde zum Tanze auf. Er war kein Virtuose, aber er spielte wundervoll.

Beethoven war ihm Andacht, Mozart war ihm Glück. Aber geheult, geheult vor Seligkeit wurde gewiß erst immer bei Haydn. Wie haben sie damals nach jener Kindersymphonie geheult, die beiden alten Knaben, der Augustinerprior Barnabas und der kaiserliche Staatsanwalt Ambros, und sich unter Tränen umarmt; und wir jungen Dachse standen andächtig daneben und hatten allen Grund zur Andacht. Weinen bei höchstem[185] Musikgenuß war diesen romantischen Davidsbündlern selbstverständlich. So ein bißchen Jean Paulisch wurde geweint, rührsam unter Lachen und Anekdotenerzählen.

Mich hatte Ambros ganz besonders in sein Herz geschlossen, und zwar eben als er erfahren hatte, daß ich ein musikalisches Rindvieh wäre und keine Note lesen könnte. Gerade darum wäre ich ein guter »Hörer« (so heißt in Österreich jeder Student), sagte er öfter. Und einmal machte er den Witz: er sei auch ein Mauthner; denn erstens könne er Musik viel besser genießen als machen, und zweitens sei er zu Mauth geborenVIII.

Dieser unser Ambros wurde nun im Spätherbste 1871 nach Wien berufen. Gleich wieder in einige Stellungen zugleich. Er sollte an der Wiener Universität über Musikgeschichte lesen und außerdem irgendwie bei der Erziehung des Kronprinzen Rudolf mitwirken. Er hat für diesen Schüler ein ganz kleines, aber sehr reiches Werkchen über Musikgeschichte verfaßt; sein großes Werk »Geschichte der Musik« ist bekanntlich Fragment geblieben, aber ein Fragment von vier Bänden, das den Musikern – so versichern sie mir – unentbehrlich ist.

Die Trennung von Ambros wurde uns schwer. Wenige Tage vor Weihnachten überreichten wir ihm einen silbernen oder goldenen Lorbeerkranz. Der Einfall war von der Studentin ausgegangen; sie und der junge Fürst werden wohl das Wesentlichste dazu getan haben, daß der bestellte Kranz auch bezahlt werden konnte. Die Studentin hatte übrigens bei Überreichung der Gabe Schönheit und Feierlichkeit aus Eigenem zu bestreiten1.[186]

Sie war es auch, die mich veranlaßte, dem scheidenden Lehrer eine innige Ehrung in Form eines herzlich gut gemeinten Zeitungsartikels anzutun. Das eben war meine erste Arbeit, die ich schwarz auf weiß zu Gesicht bekam. »Himmelblau auf Goldgrund« nannte Ambros nachher meinen Aufsatz. Ich habe das Zeitungsblatt nicht wieder auftreiben können; ich weiß aber, daß ich sehr viel Schwärmerei (nicht für Ambros allein) in die Abschiedsworte mit hineingeschrieben habe. Das Ganze hatte ich mit drei Kreuzen unterzeichnet; das sollte heißen: von einem, der nicht schreiben kann.

Nun sollte der jugendliche Erguß aber auch gedruckt werden. Natürlich in dem »Tagesboten aus Böhmen«, dem deutschnationalen Blatte. Auf dieses Blatt war mein Vater abonniert; und da ich kein anderes kannte, hielt ich es für ein ganz ausgezeichnetes »Organ der öffentlichen Meinung«.

Nun war mir der Begründer, Besitzer und Leiter des »Tagesboten« verschwägert und also recht gut bekannt. Aber nie hätte ich mich in dieser heiligen Sache an ihn gewandt; nie und nimmer hätte ich die Zufallsbeziehung einer Verschwägerung benützen mögen, um der Ehre der Druckerschwärze teilhaftig zu werden. Ein anderer, mir angenehmerer Gradus ad parnassum war mir gewiß.

Für den »Tagesboten aus Böhmen« hatten nacheinander manche genialische und sogar begabte junge Herren geschrieben, die nachher bekannte Schriftsteller wurden; ich werde später den Grund erraten lassen, der diese jungen Herren ihre Verbindung mit dem »Tagesboten« immer wieder bald lösen ließ. Damals nun war Alfred Klaar die Stütze des Blattes. Wir kannten einander seit unserer Knabenzeit. Er ist ziemlich[187] genau um ein Jahr älter als ich, war mir auch auf dem Piaristengymnasium immer um eine Klasse voraus. Sonst um die Erfahrung vieler Jahre. Er war in Prag schon als Lyriker und Journalist eine kleine Lokalberühmtheit, als ich noch froh sein mußte, in unserem heimlichen Pennälerverein meine ersten Gedichte vorlesen zu dürfen. Er war noch nicht der beliebte Dozent am Polytechnikum, noch nicht der Prager Literaturpapst als Theaterkritiker der »Bohemia«, aber er war schon stillschweigend als unser Präsident anerkannt an dem historischen Kaffeehaustische (Café Europe), an welchem vor uns Alfred Meißner und Joseph Bayer gesessen hatten. Ein fertiger Schriftsteller.

An Alfred Klaar wandte ich mich. Er nahm mich sehr freundlich auf und las sofort einige Stichproben aus dem Manuskript. Ich mußte über die Schnelligkeit staunen, mit der so ein Redakteur die wichtigsten Entschlüsse zu fassen imstande ist. Das Ding werde sofort »in Satz« gegeben werden und – ich erschrak fast – am nächsten Morgen erscheinen. Heute abend noch, um 10 Uhr, sollte ich auf die Redaktion kommen und »Korrektur« lesen; er werde mir die »Fahne« selbst aus der »Setzerei« holen.

Mich erfaßte der Taumel des Erfolges. Ein Rausch der Druckerschwärze und ihrer neuen Begriffe: »Fahne – Setzerei – Korrektur.« So hatten Lessing und Schiller gewiß auch angefangen. Ich verstand auf einmal die Bedeutung der Buchdruckerkunst. Wäre an jenem Tage für die Errichtung eines Gutenberg-Denkmals gesammelt worden, ich hätte mein ganzes Vermögen beigesteuert: die zwölf Kreuzer, die ich dem historischen Kellner des historischen Kaffeehauses für[188] einen kleinen »Schwarzen« in der Aufregung schuldig geblieben war.

Pünktlich und stolz, nicht eine Minute zu früh oder zu spät, war ich zur Stelle. Alfred Klaar erwartete mich und überreichte mir mit seiner Herzenshöflichkeit die »Fahnen«, die den Bürstenabzug meines Aufsatzes enthielten; es kränkte mich, daß diese Fahnen so feucht und so übelduftend waren; trotzdem war es ein Moment, der im Leben zählt.

Mein Jugendfreund gab mir rasch die ersten Anweisungen in der Technik des Korrekturlesens. Ich faßte die kleinen Zeichen schnell auf, mit deren Hilfe der Setzer erfährt, was der Verfasser gebessert haben will; aber ich machte von diesen Zeichen wenig Gebrauch: zu verbessern fand ich nichts und die Druckfehler übersah ich.

Etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht erschien der Verleger auf der Redaktion; bis zu dieser Stunde hatte er nach seiner Gewohnheit im »Deutschen Kasino« gesessen, bei Pilsner Bier, im Kreise der deutschböhmischen Politiker; jetzt kam er aufgeregt, um noch rasch den Leitartikel für die Morgennummer zu schreiben. Ich hatte den Mann, den Bruder meines Schwagers, noch niemals in seiner Werkstatt gesehen, wie nachher so oft. David Kuh war zu jener Zeit in meiner Schätzung ein Heros. Anno 1848 beinahe ein Märtyrer, jetzt beinahe Reichsratsmitglied. Und schrieb täglich seinen Leitartikel, in dem er die deutsche Sache in Böhmen mit leidenschaftlicher Tapferkeit verfocht. Daß er ein schlechter Geschäftsmann war, worüber ich klagen gehört hatte, konnte meine Achtung keineswegs mindern. Und die Liebenswürdigkeit in Person war er immer gewesen.[189]

Er wunderte sich kaum, mich in so später Stunde auf der Redaktion zu finden; als er aber erfuhr, daß Klaar meinen Aufsatz über Ambros hätte setzen lassen, ohne den Chef zu fragen, da polterte er los: »Was? Einen Huldigungsartikel für Ambros? Nehme ich nicht auf. Ambros ist ein verkappter Tscheche; ist ein Reaktionär, ist Staatsanwalt. Für die Satzkosten mache ich Sie verantwortlich.« (Später habe ich erfahren, daß der Staatsanwalt Ambros auch gegen Kuh vorgegangen war.)

Er machte uns also für den Satz kostenpflichtig. Alfred Klaar oder mich? Eins so schrecklich wie das andere. Den Streit, der nun folgte, einen Streit zwischen dem müden Verleger und seinem durch Talent und Fleiß unersetzlich gewordenen Mitarbeiter, nahm ich für blutigen Ernst. Der Chef machte große Worte: Banner der Partei oder so etwas. Klaar stellte die Kabinettsfrage für den Fall, daß die druckfähige und vortreffliche Erstlingsarbeit seines jüngern Freundes nicht aufgenommen würde. Kuh leistete heilige Eide: die Partei und ihr einziges Blatt dürften um einer Studentenlaune willen nicht zu den Tschechen übergehen. Klaar blieb fest; wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, versprach er aber einlenkend, zum Danke für die Aufnahme des Ambros-Aufsatzes den Leitartikel, nach welchem der Setzer junge schon zweimal geschickt worden war, entweder selbst zu verfassen oder nach dem Diktate des Chefs zu schreiben. Kuh wiederholte nur immer, ein liberales Blatt dürfte einen Staatsanwalt nicht verherrlichen. Er, der Verleger, stehe seit 1848 furchtlos und treu auf seinem Posten, halte wie Moses an irgendeiner Stelle der Bibel unentwegt die Fahne hoch; und nun komme die pietätslose Jugend, den verdienten Veteranen zu stürzen.[190]

Einem solchen Auftritte war ich nicht gewachsen. Beschämt und geknickt ging ich von dannen. In unser Nachtcafé neben dem Goldenen Engel. Und hätte wenigstens den Bürstenabzug meines Aufsatzes so gern mitgenommen.

Eine Stunde später erschien am nächtlichen Stammtisch Alfred Klaar, als ob nichts geschehen wäre. Er hatte gesiegt. Die Morgennummer, an deren kleiner Auflage man eben zu drucken anfing, enthielt meinen Aufsatz.

Natürlich war mir das Ereignis wichtiger, als dieser Rückblick erkennen läßt. Zum ersten Male gedruckt zu werden, wäre es auch nur für die wenigen hundert Leser eines Provinzblättchens, muß in jedem jungen Menschen ein Gefühl der Kraft erwecken; die Eitelkeit schaut nur aus einem niedern Stockwerk zu; viel später als ich schon ein Dutzend Bücher und über tausend Zeitungsartikel veröffentlicht hatte, stand ich einmal in später Nachtstunde daneben, während die Rotationsmaschinen des »Berliner Tageblatt« einen Bogen, der einen von mir mit besonderer Liebe geschriebenen Aufsatz enthielt, druckten und in endloser Reihe, in atemraubender Schnelligkeit, wohl hundert Exemplare in jeder Minute zwischen ihren Rädern und Rollen herausschütteten: da kam mir wieder das Gefühl der Kraft und der Verantwortung und der ernsten Aufgabe. Ganz anders, als es der Kaiser gemeint hat, soll sich der Schriftsteller, dessen Worte auf Tausende oder Hunderttausende von Lesern wirken können, wie ein kommandierender General fühlen.

1

Sie wurde bald darauf in Leipzig zum Doktor der Philosophie promoviert und hat später recht feine Abhandlungen über philosophische Persönlichkeiten und Begriffe veröffentlicht. Im vorigen Jahre fand ich in der Zeitung die Nachricht von ihrem Tode.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Erinnerungen, Band 1: Prager Jugendjahre, München 1918, S. 183-192.
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