XIV. Fortgesetzter Streit mit den Pantheisten. – Annäherung, – Vereinigungspunkt mit denselben. – Unschädlichkeit des geläuterten Pantheismus, – Verträglichkeit mit Religion und Sittlichkeit, in so weit sie praktisch sind.

[114] Mit nichten, würde mein Freund, Lessing, rufen, wenn er unsrer letzten Vorlesung beygewohnet hätte; ihr seyd bey weitem noch nicht am Ziele, und rufet Sieg, bevor ihr überwunden. Wenn auch alle die Bemerkungen richtig wären, die ihr wider Spinoza vorgebracht habet; so hättet ihr am Ende doch nur blos Spinozen, nicht den Spinozismus widerlegt. Ihr hättet gezeigt, daß das System dieses Weltweisen, so gut wie jedes andre, das irgend ein Sterblicher aufgeführt hat, seine Mängel und Lücken habe, daß er in der Grundlage gefehlet, die er seinem Lehrgebäude gegeben, und Dinge ausgelassen habe, ohne welche dieses nicht bestehen kann. Folgt aber daraus schon der völlige Umsturz alles dessen, was Spinoza behauptet? Wie, wenn ein späterer Anhänger dieses großen Mannes die Lücken auszufüllen und die Mängel zu ergänzen suchte? Oder, wenn wir überall auf System Verzicht thäten und gestünden, die Dinge ließen sich von uns nicht in eine geometrische Schlußkette verbinden; müßte deswegen der Spinozismus, oder Pantheismus, wenn ihr wollet, gänzlich aufgegeben werden? Könnte demohngeachtet der Satz nicht wahr seyn: Alles ist Eins und Eins ist Alles?

Ihr habet das System eures Gegners widerlegt; ist dadurch das Eurige erwiesen? Lasset uns genauer zusehen, würde er fortfahren, wie weit wir gekommen sind. Ihr saget: Spinoza kann nach seinen Grundsätzen den Ursprung der Bewegung nicht erklären. Gut! welcher Antispinozist oder Theist weis denn hiervon besser Rechenschaft zu geben? Er berufet sich auf den Willen Gottes, der der Materie die Bewegung mitgetheilet haben soll. Auch Spinoza läßt alle Bewegung aus etwas Aehnlichem, das er Willen nennet, entspringen; wiewohl ich mir seine Aeusserung über diesen Punkt nicht völlig deutlich zu machen weis. Vielleicht findet auch der Pantheist einen andern Behelf von dieser Art, den Ursprung der Bewegung zu erklären;[114] und wenn er ihn nicht findet; so mag solcher überall unerkläret bleiben. Am Ende ist das Berufen auf den göttlichen Willen vom Geständnisse seiner Unwissenheit nicht weit entfernt, und der Vorzug, den der Theismus hierin haben mag, bey weitem nicht wichtig genug, diesem System das entschiedene Uebergewicht zu geben. Den Unterschied zwischen Wahrheit und Güte, Erkenntniß und Billigung, nebst allen Folgen, die mit Recht aus diesem Unterschiede gezogen werden, kann der Pantheist zugeben und die Quelle des Formalen, eben sowohl als des Materialen, in die einzige Substanz der Gottheit setzen. Ihr sehet, wie vieles ich in seinem Nahmen einräume, ohne deswegen das System aufzugeben. Durch eure oder ähnliche Gründe bewogen, räume ich den richtig bemerkten Unterschied zwischen dem Unendlichen der Ausbreitung und dem Unendlichen der Kraft nach willig ein, und gebe sonach zu, daß das nothwendige Wesen nicht, wie Spinoza selbst behauptet hat, in dem Innbegriff unendlich vieler zufälligen Wesen bestehen könne; denn auf diese Weise würde es blos der Ausbreitung nach unendlich seyn, der Kraft nach aber immer noch endlich und unabhängig bleiben. Ich nehme also, wie wahrscheinlicher Weise Spinoza selbst gethan haben würde, mit euch an, daß das einzige nothwendige Wesen in seiner Einheit und der Kraft nach unendlich seyn müsse: und so können wir nach unserm System, eben sowohl als der Theist nach dem seinigen, nicht nur den Ursprung des Wahren, sondern auch den Ursprung aller Güte, in das Wesen der Gottheit setzen. Da wir also (ich rede immer noch im Nahmen meines abgeschiedenen Freundes) da wir das System nunmehr in etwas abgeändert haben und der Gottheit eben so wohl, als der Theist, die allerhöchste Vollkommenheit zuschreiben; so nehmen wir dem zufolge auch mit diesem an, daß sich der göttliche Verstand alle möglichen zufälligen Dinge, nebst ihren unendlichen Mannigfaltigkeiten und Veränderungen, sammt ihrer Verschiedenheit und Güte, Schönheit und Ordnung, auf das allerdeutlichste und ausführlichste vorgestellt, und daß er vermöge seiner allerhöchsten Billigungskraft der besten und vollkommensten Reihe der Dinge den Vorzug gegeben habe. Alles dieses muß auch nach dem System des wahren Theisten in dem Verstande Gottes vorgegangen seyn, und unaufhörlich vorgehen. Auch der Theist muß also der würklich gewordenen Reihe der Dinge eine Art von idealischem Daseyn in dem göttlichen Verstande zuschreiben, und dieses[115] kann der Pantheist seinem System unbeschadet zugeben. Er bleibt aber bey diesem idealischen Daseyn stehen, und wenn der Theist fortrückt und zu dieser Behauptung hinzusetzt: Gott habe dieser würklichen Reihe der Dinge auch außer sich ein objectives Daseyn mitgetheilt; so ziehet jener sich bescheiden zurück und siehet keinen Grund dieses einzuräumen. Wodurch überführt ihr ihn von dieser objectiven Existenz außerhalb des göttlichen Verstandes? Wer sagt uns, daß wir selbst und die Welt, die uns umgiebt, etwas mehr haben, als das idealische Daseyn in dem göttlichen Verstande; etwas mehr sind, als bloße Gedanken Gottes und Modificationen seiner Urkraft?

»Wenn ich Sie recht verstehe, würde ich ihm antworten, so geben Sie, im Nahmen Ihres Pantheisten, zwar einen außerweltlichen Gott zu, läugnen aber eine außergöttliche Welt, und machen Gott gleichsam zum unendlichen Egoisten.«

Meine Gedanken habt Ihr richtig gefaßt, und Ihr wisset, wie wenig ich den lächerlichen Anstrich achte, den ihr ihm zu geben suchet. Mein Pantheismus gleichet, wenn ihr wollet, einer zweyköpfigen Hydra. Einer dieser Köpfe führt die Ueberschrift: Alles ist Eins; der andre: Eins ist Alles. Ihr müßt beide zugleich abschlagen, wenn Ihr das Ungeheuer tödten wollt. Bevor ihr euch aber an die herkulische Arbeit waget, gebet wohl auf die Waffen Acht, mit welchen es sich vertheidigen dürfte.

Gedanken, das Denkende, das Gedachte; das sind drey Rücksichten, deren Verschiedenheiten wir uns bewußt sind, so lange das Denken noch blos im Vermögen ist; so lange noch nicht würklich gedacht wird. So lange nehmlich das denkende Wesen, als Subject, blos das Vermögen zu denken hat, das Gedachte, als das Object bloß die Fähigkeit hat, gedacht zu werden, und aus der Beziehung des Objects auf das Subject, der Gedanke noch nicht würklich entstanden ist. So bald aber das Denken würklich vor sich gehet; so tritt das Subject mit dem Object in die innigste Verbindung, und erzeuget den Gedanken. Dieser ist innerhalb des Denkenden befindlich, und in so weit er ein treuer Abdruck des Gedachten ist, von dem Objecte selbst nicht zu unterscheiden. Merket also wohl, bevor ihr meinen Pantheisten widerleget! Ihr gestehet ein, daß bey würklichem Denken, und in so weit der Gedanke wahr ist, jener Unterschied der Rücksichten verschwinde, und das Gedachte von dem würklichen[116] wahren Gedanken nicht zu unterscheiden, und also mit demselben völlig Eins sey. Nun ist der Gedanke ein Accidens des denkenden Wesens und kann von seiner Substanz nicht getrennet werden; mithin wird der Gedanke nirgends anders, als in dem Denkenden, und als eine bloße Abänderung desselben, anzutreffen seyn. Da nun in Gott, wie wir alle gestehen, kein bloßes Vermögen Statt findet, alles vielmehr in der thätigsten Würklichkeit seyn muß; da ferner alle Gedanken Gottes wahr und treffend sind; so wird kein Gedanke in Gott von seinem Urbilde zu unterscheiden seyn; oder vielmehr die Gedanken Gottes, die als Abänderungen desselben in ihm anzutreffen sind, werden zugleich ihre eigne Urbilder selbst seyn. Die innere stets würkende Thätigkeit der göttlichen Vorstellungskraft, erzeugt in ihm selbst unvergängliche Bilder zufälliger Wesen, mit der unendlichen Reihe aller ihrer auf einander folgenden Abänderungen und Verschiedenheiten, und dieses sind wir sammt der Sinnenwelt außer uns. Von dieser Seite vorgestellt, scheint mir der Pantheismus, den Ihr gestürzt zu haben glaubtet, völlig wieder auf seinen Füßen zu stehen. Ihr weitet ihn widerlegen? Zeiget erst die Möglichkeit hiervon an! Wenn dieses geschehen soll; so muß gezeigt werden, daß die Urbilder außer Gott nicht dieselben Prädicate haben, als die Vorstellungen oder die Bilder derselben, die in Gott anzutreffen sind. Dieses aber läugnet ihr ja selbst nach eurem eigenen System. Die Gedanken Gottes müssen ja im höchsten Grade wahr und anpassend seyn, müssen also alle Prädicate haben, die ihren Vorwürfen zukommen.

Ja wohl, würde ich meinem Freunde hier einfallen, die Prädicate alle, jedoch mit Ausnahme derjenigen, die dem Urbilde, blos als Urbilde zukommen, und die das Subject nicht annehmen kann, ohne daß es aufhöre Subject zu seyn. So weit erstrecket sich nicht die von der Wahrheit vorausgesetzte Uebereinstimmung zwischen Urbilde und Abbilde, daß dadurch die Verschiedenheit ihrer Verhältnisse aufgehoben würde. Das allertreueste Bild muß nicht aufhören Bild zu seyn, würde von seiner Wahrheit verlieren, wenn es zum Urbilde werden sollte. Wenn also dieses der Punkt ist, mein Freund! auf den es in unserm Streite ankommt; so wird er, wie ich hoffe, noch zu entscheiden seyn. Mich dünkt, es giebt untrügliche Merkmahle, die mich, als Gegenstand, von mir, als Vorstellung in Gott; mich als Urbild, von mir als Bild in dem göttlichen Verstande, auf das untrüglichste[117] unterscheiden. Das Bewußtseyn meiner selbst verbunden mit völliger Unkunde alles dessen, so nicht in meinen Denkungskreis fällt, ist der sprechendeste Beweis von meiner außergöttlichen Substantialität, von meinem urbildlichen Daseyn. Gott hat zwar den richtigsten Begriff von dem Maaße meiner Kräfte, also auch von dem Umfange meines Bewußtseyns. Aber dieses Bild meines Bewußtseyns ist in ihm nicht von dem Bewußtseyn seiner Unendlichkeit abgesondert, nicht so wie in mir, mit der Würklichkeit so mancher Dinge verbunden, die ich selbst nicht kenne, und die doch zum Theil mit meinem Wesen verbunden sind. Ein anderes ist Schranken haben, eingeschränkt seyn; ein anderes ist, die Schranken kennen, die ein von uns selbst verschiedenes Wesen besitzt. Das allerhöchste Wesen kennt auch meine Schwachheit, aber es besitzet sie nicht. Weit gefehlet, daß der Begriff, den er von mir hat, deswegen aufhöre wahr zu seyn; so würde er vielmehr auf keine andere Weise der wahreste seyn können.

»Muß zum Gedanken Gottes noch etwas hinzukommen, wenn er außer Gott würklich werden soll?«

Ich glaube, diese Frage führt bis auf den Grund unsers Streits, und ich will mich mit aller Aufrichtigkeit und Deutlichkeit, deren ich fähig bin, darüber erklären.

Die Gedanken, als Gegenstand des Erkenntnißvermögens, sind in Gott im höchsten Grade wahr. Das Unwahre, so wohl Irrthum, als Sinnentäuschung, findet in dem göttlichen Verstande nur Statt, als Prädicat eingeschränkter zufälliger Wesen. Er kennt mich sammt allen meinen Mängeln und Schwachheiten; also auch die Irrthümer meines Verstandes und die Täuschung meiner Sinne.

Als Gegenstand des Billigungsvermögens, kennet Gott das Böse so wohl, als das Gute, beides nach der Wahrheit, d.h. mit dem ihnen auf das genaueste angemessenen Grad der Billigung und Mißbilligung, und also das Beste mit der kräftigsten Billigung, mit der lebendigsten Erkenntniß. Diese dringet auf Würksamkeit. Die höchstlebendige Kraft in Gott, die von unendlicher Würksamkeit ist, würkt in ihm selbst die ihm zukommende Prädikate und ist die Quelle seines eigenen Daseyns, des absoluten Besten. Da aber auch das Beste in Verbindung, optimum secundum quid, als Gedanke in Gott, seine Vergleichungsweise höchste Billigung mit sich führt; so muß auch dieses vermöge seiner höchstlebendigen Kraft zur Würklichkeit[118] kommen, und zwar nicht in ihm; denn in ihm kann nur das absolute Beste vorhanden seyn; sondern abgesondert von seiner Substanz, eine außergöttliche Reihe und Verbindung zufälliger Dinge, eine objective Welt.

»Was thut aber Gott zu seinen Gedanken, zu seinen Vorstellungen des Besten hinzu, daß sie außer ihm auch wirklich werden?« – – Wer dieses so eigentlich verstehet und sagen kann, mein Bester! der verstehet es auch zu thun, und dieses werdet ihr von einem schwachen Hypothesenkrämer nicht fordern. Indessen, wenn von eingeschränkten Geistern die Rede ist; so habe ich auf diese Frage bereits so viel geantwortet, als ich antworten kann. Zur Vorstellung eines endlichen Geistes in Gott, muß das eigene Bewußtseyn, mit Unkunde alles dessen, so außerhalb seiner Schranken fällt, hinzukommen; so ist der Geist eine außergöttliche Substanz. Von den übrigen Dingen weiß ich es nicht, kann ich euch auch kein solches Merkmal angeben. Was ich von einem sich selbst bewußtseyenden Wesen anzugeben weiß, erkenne ich aus mir selber, weil ich selbst ein solches Wesen bin und mein eignes Bewußtseyn habe. Ob die übrigen eingeschränkten Wesen neben mir eine Substantialität haben, die der meinigen ähnlich ist, ob mit Leibnitzen zu reden, alle Wesen nur in so fern vor sich bestehen, in so fern sie Vorstellungskräfte haben, die Materie aber eine bloße Scheinsubstanz zu nennen sey; oder ob es auch eine Art von Substantialität gebe, die der Materie eigen ist; diese Untersuchung würde mich zu weit von meinem Vorhaben abführen, und kann vor jetzt dahin gestellet bleiben. Vorjetzt habe ich blos mich und denkende Wesen meines Gleichen zu betrachten, um den Streit mit den Pantheisten zu entscheiden. Um zu beweisen, daß nicht alle Dinge bloße Gedanken des Unendlichen sind, habe ich blos darzuthun, daß es außergöttliche endliche Geister gebe, die ihre eigene Substantialität haben, ohne mich auf Substanzen anderer Art einzulassen; ja es ist genug, wenn ich zeige, daß ich selbst ein mir eignes Bewußtseyn habe, und daher eine für mich bestehende außergöttliche Substanz seyn müsse. Hiervon den Pantheisten zu überführen, wird nunmehr nicht schwer seyn.

Kein Wesen hat einen unmittelbaren Begriff von einer großem Realität, als die ihm selbst zukömmt. Wenn wir uns höhere Wesen denken wollen; so denken wir blos anschauend und unmittelbar den Umfang unserer eigenen Kräfte, und setzen die Schranken immer[119] weiter und weiter hinaus, um uns vollkommenere Wesen, als wir selbst sind, vorzustellen; oder entfernen sie ganz, um zu dem Begriff eines höchst vollkommenen Wesens zu gelangen. Das ganze Gebiet aber der Realität, die wir nicht selbst besitzen, ist auch unserer Erkenntniß fremd, und kann von uns nicht anschauend erkannt werden. Dieses ist ein allgemein erkannter philosophischer Grundsatz. Aber eben so wahr ist von der andern Seite der Satz: Kein Wesen kann sich irgend eines Grades seiner Realität würklich entäußern. Ich kann mir kein Wesen denken, das geringere und eingeschränktere Fähigkeiten hat, als ich, mit würklicher Entäußerung und Unkunde alles dessen, so mir mehr zu Theile geworden. Wenn ich mir die Sinneskraft eines Blinden vorstellen will; so muß ich meine Aufmerksamkeit blos auf die Eindrücke und Empfindungen der übrigen Sinne richten, und dadurch die Eindrücke des Gesichts zu schwächen und zu verdunkeln suchen, oder ich lasse auch die sichtlichen Bilder bey ihrer anschaulichen Vollkommenheit, und spreche sie nebst ihren Folgen und Würkungen dem Blindgebohrnen ab.

In dem ersten Falle erlange ich einen Begriff von dem Positiven, in dem zweiten Falle von den Schranken seiner Sinnesfähigkeit. Aber die völlige Abwesenheit aller sinnlichen Eindrücke kann ich bey mir selbst nicht bewerkstelligen. Eben so wenig kann Gott, vermöge der Fülle seiner Vollkommenheit, sich irgend ein eingeschränktes Wesen, mit würklicher Entäusserung seiner Gottheit, denken. Er denkt sich einen eingeschränkten Grad seiner Realität, mit allen aus dieser Eingeschränktheit folgenden Schwachheiten und Unvermögen. Er selbst aber bleibt sich seiner unendlichen Realität unentäussert. Der Gedanke in Gott also, der ein eingeschränktes Wesen zum Object hat, kann in ihm zu keinem eigenen, gleichsam abgerissenen Bewustseyn gelangen. Der Wahrheit der göttlichen Begriffe wird dadurch nichts entzogen; vielmehr muß, nach unserer Erklärung von Wahrheit, dieser Begriff in Gott blos subjective bleiben, und kein eigenes Bewustseyn mit Entäusserung aller höhern Vollkommenheit würklich besitzen; sonst würde es Object und nicht mehr Begriff des Objects seyn.

Lasset uns den Grad der Realität, der einem eingeschränkten Wesen zukommt, A, die Einschränkung aber, oder die Realität, die ihm verweigert wird, B nennen; so wird Gott, indem er sich dieses eingeschränkte Wesen vorstellet, A nebst allen seinen Folgen von diesem[120] Wesen bejahend; B aber nebst allen seinen Folgen von demselben verneinend denken, und eben dadurch den allervollständigsten, richtigsten und wahresten Begriff von diesem Wesen haben. Unmöglich aber kann Gott in sich selbst das Bewußtseyn von A mit würklicher Entäusserung und Abwesenheit des B hervorbringen oder besitzen; denn dieses wäre wahre Entäusserung seiner Göttlichkeit.

Indessen mag vielleicht auch hier eintreffen, was Spinoza bey einer andern Gelegenheit anmerkt: Pleraeque oriuntur controversiae, quia homines mentem suam non recte explicant, vel quia alterius mentem male interpretantur. Nam re vera, dum sibi maxime contradicunt, vel eadem vel diversa cogitant ita, ut quos in aliis errores et absurda esse putant, non sint. Lasset uns also abermals untersuchen, wie weit wir mit dem Pantheisten aus einander sind; vielleicht, daß wir am Ende uns näher kommen, als wir selbst glauben. Alles ist Eins, sagt der Pantheist. Wir sagen: Gott und die Welt; er: Gott ist auch die Welt. Das Unendliche, sprechen wir, hat alles Endliche, Eins dieser Viele zur Würklichkeit gebracht; jener hingegen: das Unendliche umfasset alles, ist selbst alles, ist Eins und zugleich Alles. So wenig das Viele ohne das Eine vorhanden seyn kann; eben so wenig kann, nach dem Pantheisten, das unendliche Eins ohne Alles existiren. Unserer Seits gestehen wir ein, daß die Existenz des Endlichen ohne das Unendliche nicht denkbar sey. Wir geben ferner zu, daß die Existenz des Unendlichen ohne die deutlichste Erkenntniß alles Endlichen nicht gedacht werden könne. Wir halten aber dafür, daß das Daseyn des Unendlichen ohne Würklichkeit alles Endlichen gar wohl möglich und denkbar sey; daß also zwar dieses von jenem, aber nicht jenes von diesem, der Existenz nach, abhängig sey. Wir trennen also Gott von der Natur, schreiben jenem ein ausserweltliches, so wie der Welt ein aussergöttliches Wesen zu. Der Anhänger des vorgedachten Pantheismus hingegen, mit dem wir es hier zu thun haben, nimmt an: Es gebe überall kein aussergöttliches Daseyn; sondern die Vorstellungen des Unendlichen erlangten durch ihre Nothwendigkeit eine Art von Daseyn in Gott selbst, das im Grunde mit seinem Wesen auf das innigste vereint sey. Lassen Sie uns einstweilen alles bey Seite setzen, was wir vorhin wider diese Hypothese erinnert haben, und jetzt blos diese Frage aufwerfen: Haben alle Gedanken Gottes dieses eigne Selbstbewußtseyn, das wir in uns selbst wahrnehmen,[121] und nicht verläugnen können, oder haben es nur einige mit Ausschliessung der übrigen? Das erstere wird Niemand behaupten; denn, wenn alle Gedanken Gottes blos, weil sie Gedanken Gottes sind, das haben, was zum Daseyn gefordert wird; so kann keiner derselben in der Thai würklich vorhanden seyn. So viel ist doch am Ende vom Daseyn unläugbar, daß die Existenz einer gewissen Bestimmung die entgegengesetzte Bestimmung ausschließet; daß die gegenwärtigen Abänderungen der Dinge nicht mit den vergangenen und zukünftigen Abänderungen derselben gleichwürklich seyn können; daß ich, der ich jetzt sitze und spreche, nicht mehr liege und schlafe. Lasset immer seyn, daß nach dem Spinoza (wie im Grunde nach der Wahrheit) das Aufeinanderfolgen verschiedener Zustände, nur in mir, als einem eingeschränkten Wesen, Statt findet; so ist es doch immer ein Aufeinanderfolgen verschiedener Zustände, die sich einander wechselweise ausschließen, und also das Würklichwerden eines Gedankens Gottes, mit Ausschliessung der übrigen, voraussetzen.

Es haben also nur einige Gedanken Gottes vorzugsweise dasjenige erlangt, was wir Existenz nennen, und worüber itzt gestritten wird: ob sie dabey immer noch innerhalb seines Wesens geblieben, oder ausserhalb desselben ihre eigene Substanzialität erlangt haben. Diese Gedanken Gottes, welche vorzüglich zur Existenz gelangen, haben ihren Vorzug nicht vermöge ihrer Wahrheit und Denkbarkeit; denn ihr Gegentheil ist eben so denkbar, war es wenigstens oder wird es seyn, und die Verschiedenheit der Zeit ändert nichts in der Wahrheit und Denkbarkeit der Dinge. Die Mittelursachen thun der Sache eben so wenig Genüge; denn, da sie nach dem Spinoza in unendliche Reihen auflösbar sind; so verschieben sie nur die Frage, ohne sie zu beantworten. Alles dieses haben wir in den vorigen Vorlesungen zur Genüge auseinandergesetzt. Die Gedanken Gottes, die mit Ausschließung der übrigen zur Würklichkeit kommen, werden also diesen Vorzug, vermöge ihrer relativen Güte und Zweckmäßigkeit erhalten, in so weit sie nämlich so und nicht anders, jetzt und hier, der Idee des Vollkommnen und Besten entsprechen. Diese sichtbare Welt ist also, nach dem Pantheisten, als ein Gedanke Gottes innerhalb seinem Wesen würklich vorhanden; in so weit sie in ihm eine Vorstellung des besten und vollkommensten Inbegriffs mannigfaltiger endlicher Wesen ist, die im Zusammenhange gedacht[122] werden können. In diesem unermeßlichen Gedanken ist der Mensch, bin ich Mensch, auch ein Gedanke Gottes, mit dem abgesonderten, eingeschränkten Bewustseyn meiner selbst begabt, völlig alles dessen unkundig, was ausserhalb meiner Eingeschränktheit liegt. Ich bin dieser Eingeschränktheit halber auch der Glükseligkeit und des Elendes fähig; zum Theil durch mich selbst, und durch meine eigne Handlungen; zum Theil auch, ohne mein Hinzuthun, und in Absicht auf meine Glükseeligkeit oder mein Elend, von andern Gedanken Gottes abhängig.

Ich Mensch kann ferner alles Gute, was mir werden soll, blos von der Substanz erwarten, deren Gedanke und Modification ich seyn soll; in so weit sie einen Theil desselben von mir selbst, einen Theil aber von andern ihrer Gedanken, abhängen lassen will. Zwar nicht eigentlich will: denn Spinoza hält Willen und Verstand für einerley. Indessen, wenn ich ihn recht verstehe, und so, wie ihn mein Freund erkläret, unterscheidet er doch Kenntniß des Wahren von Kenntniß des Guten, und nennet das Erkenntniß des Guten Willen, in so weit durch dasselbe ein Gedanke vor dem andern einen Vorzug erhält. Mithin können wir immer sagen: Alles Gute, das wir erhalten, ist eine Würkung des göttlichen Willens, und auch in so weit eine Würkung seines freyen Willens, in so weit er für gut befunden, unsere Glückseeligkeit von uns oder von andern seiner Gedanken abhängig seyn zu lassen. Nehmet alles dieses an, und ich frage, worin unterterscheidet sich nunmehr das von meinem Freunde vertheidigte System von dem unsrigen?

Ich Mensch, Gedanke der Gottheit, werde nie aufhören, ein Gedanke der Gottheit zu bleiben, und werde in dieser unendlichen Folge von Zeiten glückseelig oder elend seyn, je nachdem ich ihn, meinen Denker, mehr oder weniger erkenne, mehr oder weniger liebe; je nachdem ich mich bestrebe, (denn auch ein Bestreben muß Spinoza diesem Gedanken Gottes zukommen lassen) je nachdem ich mich mehr oder weniger bestrebe, dieser Quelle meines Daseyns ähnlich zu werden, und seine übrigen Gedanken zu lieben, wie mich selbst. Wenn mein Freund, der Vertheidiger des geläuterten Spinozismus, alles dieses zugiebt, wie er, vermöge seiner Grundsätze, sicherlich gethan haben würde; so ist Moral und Religion geborgen; so unterscheidet sich ferner diese Schule von unserm System blos in einer Subtilität, die niemals praktisch werden kann; in einer unfruchtbaren[123] Betrachtung: ob Gott diesen Gedanken des besten Zusammenhanges zufälliger Dinge hat ausstrahlen, ausfliessen, ausströmen, oder mit welchem Bilde soll ich es vergleichen? (denn diese Subtilität läßt sich kaum anders, als durch Bilder beschreiben,) ob er das Licht hat von sich wegblitzen, oder nur innerlich leuchten lassen? Ob es blos Quelle geblieben, oder ob die Quelle sich in einen Strom ergossen habe? Wenn man sich durch dergleichen bildliche Redensarten das Hervorbringen, Erschaffen, Würklichmachen u.s.w. sinnlich machen will; so ist schwer zu verhüten, daß nicht Mißdeutung oder Mißverständniß die Metapher über ihre Gränzen ausdehne und auf Abwege führe; auf Atheismus oder Schwärmerey, je nachdem das Gemüth sonst zu Verzuckungen, oder zum trocknen Nachdenken gestimmt ist. Die Systeme scheinen in ihren Folgesätzen noch so weit von einander entfernt zu seyn, und im Grunde ist es Mißdeutung derselben Metapher, die bald Gott zu bildlich in die Welt, bald die Welt zu bildlich in Gott versetzt. Aufrichtige Liebe zur Wahrheit führet gar bald auf den Punkt zurück, von welchem man ausgegangen ist, und zeigt, daß man sich blos in Worten verwickelt habe. Thuet auf Worte Verzicht, und Weisheitsfreund, umarme deinen Bruder![124]

Quelle:
Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Band 3.2, Berlin 1929 ff. [ab 1974: Stuttgart u. Bad Cannstatt], S. 114-125.
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