XVII. Beweisgründe a priori vom Daseyn eines allervollkommensten, nothwendigen, unabhängigen Wesens.

[148] Der Begriff des Nothwendigen, wie er in der letzten Vorlesung entwickelt worden ist, konnte einen kühnen Denker, wie Cartes, leicht auf die Spur bringen, einen Beweis a priori für das Daseyn eines solchen Wesens zu entdecken. Hängt die Würklichkeit desselben blos von seiner Möglichkeit ab; giebt es einen festgegründeten Uebergang von der Denkbarkeit des Nothwendigen auf das würkliche Daseyn desselben; vielleicht ist es der menschlichen Vernunft vergönnet, diesen Uebergang zu entdecken und sich also zu der ihr so theuern Wahrheit eine neue Bahn zu brechen. Ohne irgend ein würkliches Daseyn vorauszusetzen, auch sein eigenes Daseyn nicht, so wenig es dem Zweifel unterworfen ist; ohne alle Erfahrungssätze des äußern oder innern Sinnes, würde der Mensch von der Erklärung ausgehen, und sichern Schrittes zu der Wahrheit gelangen, daß ein Gott sey!

Kühn und ohne Vorgang wäre er, dieser große Schritt. In dem ganzen Bezirk menschlicher Erkenntnisse giebt es kein Beyspiel von dieser Art zu schliessen. Allenthalben wird von Möglichkeit auf Möglichkeit, oder von Würklichkeit auf Würklichkeit geschlossen. Die Realexistenz außerhalb der Seele stehet unter sich in Verbindung, wie die Idealexistenz innerhalb derselben; die Dinge entsprechen einander; so wie die Begriffe. Macht ein Begriff den andern nothwendig, so wird auch ein Ding das andre zur Folge haben; daher die nothwendige Verbindung zwischen idealischen Wesen, die wir durch die Vernunft entdecken, auch auf reale Wesen außer uns angewendet werden kann. Aber nirgends findet sich ein Beyspiel, daß von Begriff gerade zu auf Sache, von idealischem Daseyn unmittelbar auf reales, objectives Vorhandenseyn geschlossen worden sey, wie hier in Absicht auf das nothwendige Wesen geschehen soll.

Allein diese Seltenheit, diese Einzigkeit vielmehr, kann in unserm Falle kein Bedenken verursachen; denn sie ist gerade hier Charakter der Wahrheit. Da nicht mehr, als eine einzige Substanz dieses Wesens vorhanden seyn kann; da außer dieser einzigen Substanz[148] keines Dinges Würklichkeit mit der Denkbarkeit desselben in schlußrichtiger Verbindung stehet; so kann es auch nur den einzigen Fall geben, wo diese Beweisesart anzubringen sey. In dem ganzen Bezirk aller menschlichen Erkenntnisse, muß dieser Fall der einzige, ohne Vorgang und Beyspiel seyn, wenn der Weg zur Wahrheit führen soll.

Um ihn zu finden, versuchte Cartes eine Versetzung gleichgeltender Begriffe. An statt des Nothwendigen, setzte er das Unendliche, das vollkommenste Wesen. Es ist offenbar, daß das nothwendige Wesen keine veränderliche Schranken haben, und also alle Vollkommenheiten in dem höchsten Grade besitzen müße. In der Idee eines nothwendigen Wesens liege also der Inbegriff aller vollkommenen Eigenschaften, die einem Wesen zukommen können. Nun, schloß Cartes weiter, nun ist die Existenz offenbar eine vollkommene Eigenschaft der Dinge; also schließt der Begriff des Nothwendigen, auch die Vollkommenheit der Existenz mit in sich; also muß das Nothwendige auch würklich vorhanden seyn. – Auf diese Weise hätten wir durch eine feine Wendung des Begriffes, den einzigen Uebergang entdeckt, der das Reich der Würklichkeit mit dem Reiche der Möglichkeit verbindet und von Begriff auf Sache führt. –

Zu rasch, rief Leibnitz seinem kühnen Vorgänger nach; der Sprung, den ihr bei diesem Uebergange gethan, hat zwar keine Gefahr; allein die Vernunft soll gehen, und nicht springen lernen. Wenn wir von dem Daseyn des Nothwendigen aus andern Gründen überführt sind, so ergiebt sich dessen Möglichkeit von selbst. Soll aber das Daseyn desselben aus seiner Möglichkeit geschlossen werden; so haben wir diese vorher zu beweisen. Aus andern Gründen muß vorher dargethan werden, daß der Begriff des nothwendigen, unendlichen oder vollkommensten Wesens Wahrheit enthalte, und nicht Merkmale verbinde, die sich einander aufheben.

Glücklicher Weise läßt der Mangel hier sich leicht ersetzen und die Lücke sich ausfüllen. Wenn Merkmale sich widersprechen sollen; so muß das Eine aufheben, was das Andre setzet, das Eine verneinen, was das Andre von eben demselben Subjecte bejahet. Nun werden von dem nothwendigen Wesen alle Realitäten im höchsten Grade bejahet, und alle Mängel und Einschränkungen verneinet. Alle positive Prädicate werden ihm zugeschrieben und alle negative von ihm entfernet. Hier kann also nichts widersprechendes, nichts sich einander[149] aufhebendes zu besorgen seyn. Alle Vollkommenheiten im höchsten Grade sind auch im höchsten Grade vertragsam, stimmen in dem vollkommensten Wohlklang zusammen, können also auch durch ihre Vereinigung nicht Widerspruch, Undenkbarkeit, und also den höchsten Mißlaut, Unwahrheit hervorbringen. Dieses gründet sich auf eine andre Lehre des Leibnitz, daß alle Vollkommenheiten bejahende Merkmale, so wie umgekehrt auch alle bejahende Prädicate der Dinge Vollkommenheiten sind. Wenn nun die Vereinigung aller bejahenden Prädicate oder Vollkommenheiten nichts undenkbares ist, und zum Inbegriff aller Vollkommenheiten offenbar die Existenz mitgehört; so hat die Folge ihre Richtigkeit, daß von dem Begriffe des Unendlichen oder Allervollkommensten die Existenz unzertrennlich sey. Alles Endliche kann, als Begriff, wahr seyn, ohne daß ihm würkliches Daseyn zugeschrieben werde. Das Unendliche hingegen, das Schrankenlose, das Vollkommenste, würde auch als Begriff unwahr seyn müssen, wenn es nicht existiren sollte. – Und nunmehr stünde es da, das reine wissenschaftliche Argument für das Daseyn Gottes, unerschüttert stünde es da, gegründet auf seine eigene Evidenz.

Keineswegs, sprechen einige Gegner dieser Beweisesart; ihr bauet noch immer auf einem Grunde, dessen Festigkeit ihr nicht gehörig untersucht habt. Willkürlich bildet ihr euch einen abgezogenen Begriff, und leget demselben alle Eigenschaften bey, die sich nur erdenken laßen. Wir können euch die Freyheit hierzu nicht verweigern und laßen den Begriff gelten. Kaum habt ihr aber dieses erschlichen; so greift ihr schon nach der Existenz und sprecht: Um das Bündel vollständig zu machen, müssen wir auch diese Eigenschaft mitnehmen und dem Begriffe würkliches Daseyn ertheilen. Ist dieses Verfahren nicht sycophantisch?

Nichts weniger, wie mich dünkt. Ich glaube, das Verfahren wider alle Beschuldigungen dieser Art rechtfertigen zu können.

Zuvörderst sind die abstracten Begriffe nicht blos willkührlich. Sie müssen wenigstens Wahrheit enthalten, und diese Wahrheit hängt nicht von unserer Willkühr ab. Sie müßen, als Modificationen unsers denkenden Wesens, ein idealisches Daseyn haben, müßen denkbar seyn, um gedacht zu werden. Nun sprechen wir weiter: Ein eingeschränktes Wesen kann, als Modification von mir selbst, gedacht werden, ohne daß ich ihm würkliches Daseyn zuschreibe. Es[150] kann idealische Existenz haben, und die reale Existenz ihm abgesprochen werden. Es kann bloßer Begriff ohne Sache seyn. Das nothwendige Wesen hingegen kann entweder nicht gedacht werden, entweder auch als Modification von mir selbst keine Wahrheit haben, oder ich muß es wenigstens als würklich vorhanden denken. Es ist entweder Begriff und Sache zugleich; oder es ist weder dieses noch jenes. Bloßer Begriff ohne Sache kann dieses Wesen schlechterdings nicht seyn; als bloße Modification von unserer Denkungskraft kann dieses Wesen nicht gedacht werden. Wir haben also immer nur die Denkbarkeit dieses Begriffs zu beweisen und sind alsdenn gezwungen, uns solches, als würklich existirend zu denken. Außer der idealischen Existenz, die auch in einem endlichen Wesen als Wahrheit zukommt, muß dem Unendlichen auch reale Existenz zugeschrieben werden. Ich finde in diesem Verfahren nichts unredliches, nichts erschlichenes, wie die Gegner vorgeben.

Daß der Begriff des Unendlichen denkbar sey, ist bereits im vorigen mit Leibnitz ausgeführet worden. Ich glaube noch auf eine andere faßlichere Weise die Denkbarkeit desselben darthun zu können.

Alle Wahrheit muß erkennbar seyn, und zwar je reiner die Wahrheit ist, desto größer der Verstand, der sie fasset und begreift, je vollkommner die Erkenntniß, desto vollkommener das erkennende Wesen.

Die reinste Wahrheit kann nur von dem vollkommensten Verstande gefaßt und begriffen werden. Zur höchsten Erkenntniß gehöret die allerhöchste Erkenntnißkraft. Nur eine unendliche Kraft umfasset die Wahrheit in ihrer ganzen Lauterkeit.

Nun ist die reinste Wahrheit unstreitig ein denkbarer Begriff, also muß es auch ein Verstand seyn, der allein sie fassen kann, also ist auch der allerhöchste Verstand, eine unendliche Denkungskraft, kein undenkbarer Begriff. Sollten die Merkmale dieses Begriffs sich einander aufheben; so müßte die reinste Wahrheit etwas sich selbst widersprechendes seyn, und dieses ist ungereimt.

Aber wie? Bleibt dieser Begriff des Allervollkommensten auch ohne die Vollkommenheit der Existenz noch denkbar? Kann der Inbegriff aller Realitäten ohne die Realität des würklichen Daseyns gedacht werden? Wenn dieses nicht ist; so stehet unser Schlußfeste; so muß das Allervollkommenste auch würklich vorhanden seyn.

Eben hier liegt das Erschlichene, rufen die Gegner. Ihr nehmet die[151] Existenz als eine Eigenschaft des Dinges an, die zu allen seinen möglichen Eigenschaften hinzukommt, um sie ins Daseyn zu rufen. Ihr betrachtet das Daseyn, vermöge eurer Schuldefinition, als eine Ergänzung der Wesenheit, (complementum essentiae) gleichsam als einen Zusatz zur Möglichkeit eines Dinges. Weil wir die Existenz in der Sprache eben so aussagen, als die Eigenschaften der Dinge; weil wir sprechen: ein Ding ist würklich; so wie wir sagen: eine Zahl ist gerade; eine Figur ist rund; darum nehmet ihr an: die Existenz sey mit den übrigen Eigenschaften und Merkmalen der Dinge von gleicher Beschaffenheit, und bauet auf diese Voraussetzung euer Schlußgebäude. Allein diese Voraussetzung selbst kann euch nicht eingeräumet werden. Die Existenz ist keine bloße Eigenschaft, kein Zusatz, keine Ergänzung, sie ist vielmehr die Position aller Eigenschaften und Merkmale des Dinges, ohne welche jene bloße abgesonderte Begriffe bleiben.

Die Existenz muß vielmehr erkläret werden, sprechen sie ferner – – Jedoch die Existenz mag lieber unerklärt bleiben. Ihr wisset, wie abgeneigt ich bin, dergleichen Wahrnehmung des innern Sinnes in Worte einzuhüllen. Genug, wir alle haben bey diesem Worte beynahe dieselbe Vorstellung. Der Begriff ist bey uns allen auf eine ähnliche Weise entstanden, indem wir ein Merkmal aufsuchten, das allen unsern eignen Handlungen und Leidenschaften gemeinschaftlich ist: und da dieses Merkmal eine solche Allgemeinheit hat; so kann es schwerlich, oder vielleicht gar nicht weiter zergliedert, oder in Bestandtheile aufgelöset werden. Dem sey indessen, wie ihm wolle; so haben unsere Gegner doch immer nicht Unrecht, zu behaupten, daß die Existenz ihre eigenen Kennzeichen habe, wodurch sie sich von allen Merkmalen und Beschaffenheiten der Dinge unterscheidet, und daß wir nicht so schlechterdings darauf zugreifen dürfen, um den Inbegriff aller Eigenschaften des vollkommensten Wesens gleichsam vollzählig zu machen.

Ich kann dieses zugeben. Sey immer das würkliche Daseyn nicht eine Eigenschaft, sondern die Position aller Eigenschaften eines Dinges, oder sey sie sonst etwas unerklärbares, das uns allen bekannt ist; genug, ich kann das Zufällige ohne diese Position denken. Ich kann von der Idee des Zufälligen das Daseyn weglassen, ohne die Idee selbst aufzuheben. Sie bleibt Begriff ohne Sache. So aber nicht in Absicht auf das nothwendige Wesen. Ich kann von der Idee desselben[152] das Daseyn nicht trennen, ohne die Idee selbst zu zernichten. Ich muß Begriff und Sache denken, oder den Begriff selbst fahren laßen. Auf diesem wichtigen Unterschiede beruhet alles, und dieser Unterschied beruhet keineswegs auf einer willkürlichen Definition; er ergiebt sich aus dem Begriffe selbst, und kann von dem hartnäckigsten Gegner nicht in Zweifel gezogen werden.

Wem das unerklärbare Daseyn noch immer Bedenken verursachet, dem habe ich in einer frühem Schrift2 gerathen, dem Worte auszuweichen, und vom Nichtseyn anzufangen, welches weniger Schwierigkeit zu haben scheinet. »Was nicht ist, heißt es daselbst, muß entweder unmöglich, oder blos möglich seyn. Im erstern Falle müssen sich seine innren Bestimmungen widersprechen, d.h. dasselbe Prädicat von demselben Vorwurfe zugleich bejahen und verneinen. Im letztern aber werden sie zwar keinen Widerspruch enthalten; es wird sich aber aus denselben nicht begreifen laßen, warum dasselbe vielmehr seyn, als nicht seyn soll. Eins wird mit dem wesentlichen Theil desselben so wohl bestehen können, als das andre, aus welchem Grunde das Ding möglich genannt wird. Das Daseyn eines solchen Dinges gehöret nicht zu seiner innren Möglichkeit; nicht zu seinem Wesen, auch nicht zu seinen Eigenschaften, und ist daher eine bloße Zufälligkeit (modus), deren Würklichkeit nicht anders, als aus einer andern Würklichkeit begriffen werden kann. Denn eine Zufälligkeit ist eine Bestimmung, die aus der bloßen Möglichkeit weder folget, noch begriffen werden kann, deren Würklichkeit sich nicht anders, als aus einer andern Würklichkeit erklären läßt. – Ein solches Daseyn ist also abhängig, nicht selbstständig. Dieses bedarf keines weitem Beweises. – Nun kann dem vollkommensten Wesen ein solches Daseyn nicht zukommen; denn es würde seinem Wesen widersprechen; indem ein jeder einsiehet, daß ein unabhängiges Daseyn eine größre Vollkommenheit sey, als ein abhängiges; daher der Satz: das allervollkommenste Wesen hat ein zufälliges Daseyn, einen offenbahren Widerspruch enthält. Das allervollkommenste Wesen ist also entweder würklich, oder es enthält einen Widerspruch. Denn blos möglich kann es nicht seyn, wie vorher erwiesen worden: daher bleibt für dasselbe nichts weiter übrig, als die Würklichkeit oder die Unmöglichkeit.«

Mit einem Worte, zufällige Wesen können, als bloße Gedanken,[153] ohne würkliche Existenz, noch gedacht werden, enthalten mit dem Prädicat des Nichtseyns keinen Widerspruch. Die Idee derselben kann ein bloßer Gedanke seyn, Begriff ohne Sache, Abänderung eines denkenden Wesens, ohne gegenständliches Daseyn. Ihr Wesen verbindet nicht alle bejahende Merkmale und keines derselben im höchsten Grade. Ihr könnet diesen Gedanken haben, und das bejahende Merkmal der Existenz davon weglassen. Das nothwendige Wesen hingegen verbindet alle bejahende Merkmahle und Beschaffenheiten im höchsten Grade. Eines derselben ist ohne alle übrige nicht denkbar. Daher ist das unendliche Wesen, ohne das bejahende Prädicat des Daseyns, etwas Widersprechendes. Es kann entweder gar nicht, oder nicht anders, als mit dem Prädicate des würklichen Daseyns gedacht werden. Die Vorstellung selbst, die Idee des nothwendigen Wesens, ist ein ungereimter Gedanke, so lange wir das Daseyn davon absondern. Wir denken entweder Begriff und Sache zugleich; oder der Begriff selbst verschwindet. Wir können das nothwendige Wesen, entweder schlechterdings nicht denken, oder wir müssen ihm würkliches Daseyn zuschreiben.

Schließet ihr aber nicht am Ende, fahren die Gegner fort, von euren Gedanken auf die Würklichkeit, von eurem Vermögen oder Unvermögen zu Begriffen auf die Natur der Dinge? Das nothwendige Wesen soll würklich vorhanden seyn müssen, weil der Mensch es sich nicht anders denken kann. Geziemt dieses auch unsrer Kurzsichtigkeit? Wer leistet uns die Gewähr, daß dasjenige auch würklich vorhanden sey, was wir uns als würklich denken müssen?

Ich antworte: Wohl uns, wenn wir vor der Hand schon so viel erhalten; wenn unsre Gegner einräumen, daß der Mensch sich eine Gottheit, als würklich vorhanden, denken müsse. Der Schritt wäre von großer Wichtigkeit. Für das ganze System menschlicher Einsichten, Gesinnungen und Handlungen wäre nunmehr alles gewonnen; denn was kann der Mensch mehr, als durch menschliche Kräfte Ueberzeugung suchen, und nach seiner Ueberzeugung handeln? Aber nunmehr würde ich, der speculativen Wißbegierde zu gefallen, einen Schritt weiter gehen, und zu dem Eingestandenen hinzuthun: nicht nur der kurzsichtige Mensch allein; sondern jedes denkende Wesen, von welchem Umfange und Gesichtskreis auch seine Verstandeskräfte seyn mögen, muß sich das nothwendige Wesen, als würklich vorhanden denken. Das Gegentheil ist nicht nur uns, sondern an und[154] für sich undenkbar. Etwas Widersprechendes, das sich selbst aufhebt und zernichtet, kann von keinem denkenden Wesen gedacht werden. Wenn der Satz: A ist nicht würklich, undenkbar und also nicht wahr ist; so ist entweder das Subject A nicht denkbar, oder der Gegensatz: A ist würklich vorhanden, muß zugegeben werden, muß also Wahrheit seyn. Nun ist erwiesen, daß der verneinende Satz, das nothwendige Wesen ist nicht würklich, undenkbar sey, indem das verneinende Prädicat dem Subjecte schnurstracks widerspricht. Dieser Satz kann also weder von uns, noch von irgend einem denkenden Wesen, als wahr gedacht werden. Das Gegentheil davon, oder der bejahende Satz: Das nothwendige Wesen ist würklich vorhanden, muß von jedem denkenden Wesen angenommen werden, ist eine Folge der positiven Denkkraft, und also Wahrheit. Und nunmehr wäre der Sieg auf unserer Seite vollkommen. Denn was wünschten wir mehr, als zu beweisen, daß der Satz: das allervollkommenste Wesen ist würklich vorhanden, eine Folge unserer positiven Denkungskraft, und also nicht blos subjective, sondern auch objective unumstößliche Wahrheit sey? die Versicherung, daß alle denkende Wesen, vermöge ihrer Denkungskraft, in einem Vernunftsatz übereinstimmen, giebt die höchste Ueberzeugung von seiner Wahrheit. Was alle vernünftige Wesen so, und nicht anders denken müssen, ist so und nicht anders wahr. Wer mehr verlangt, als diese Ueberzeugung, der sucht etwas, davon er keinen Begriff hat, davon er nie einen Begriff erlangen kann, und hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn er am Ende findet, daß sein Bemühen vergeblich gewesen.

Lasset uns das Resultat unserer Schlußreden in wenig Worte zusammenfassen. Um die Würklichkeit eines Dinges durch die Vernunft zu behaupten, muß die Wahrheit und höchste Güte desselben gegeben seyn. Jene, als Erforderniß des Erkenntnißvermögens; diese als Erforderniß des Billigungsvermögens. Wahrheit macht es zum denkbaren Begriff, zur Modification des denkenden Wesens, giebt ihm idealische Anwesenheit. Höchste Güte macht es zur Sache, er theilt ihm würkliches Daseyn. Alles, was ist, hat Wahrheit und höchste Güte; so wie im Gegentheil, alles, was Wahrheit und höchste Güte hat, auch würklich seyn muß.

Zufällige Wesen haben die Erfordernisse des Denkungsvermögens, haben Wahrheit, aber nicht unter allen Umständen auch höchste Güte. Sie können als bloße Gedanken, als Begriffe und Modificationen[155] des denkenden Wesens, ohne würkliches Daseyn als Sache, gedacht werden. Da sie unter Bedingungen (secundum quid) das Beste sind; so hängt ihr Daseyn als Sache, von dieser Bedingung ab. So bald die Umstände, oder die Bedingung der Zeit und des Raums, es mit sich bringen, daß ein zufälliges Ding die höchste Güte erreicht; sobald es irgendwo und irgendwann das Beste wird; so entstehet es würklich, und dem Begriff entspricht auch die Sache, dem idealischen Daseyn entspricht Würklichkeit.

Das nothwendige Wesen aber ist an und für sich das allervollkommenste, hängt nicht von Umständen und Bedingungen ab, hat nicht nur alle Erfordernisse der Denkbarkeit; sondern muß von jedem denkenden Wesen auch als würklich gedacht werden, ist als Begriff ohne Sache, als Modification ohne eigene Existenz, als möglich ohne Würklichkeit, schlechterdings nicht denkbar; denn es ist unter allen Umständen und Bedingungen eben so vollkommen, als wahr; eben so nothwendig würklich, als nothwendig möglich; Sache nicht minder nothwendig, als Gedanke.

Und in dem Verstande dieses allerhöchsten Wesens ist das Zufällige nothwendig, als Begriff, aber nicht als Sache; unabhängig, als Wahrheit; aber abhängig von Zeit und Raum, in Absicht seiner Güte und Vollkommenheit. Sobald die Umstände der Zeit und des Raums eintreffen und die Bedingungen, von welchen das Zufällige abhängt, würklich werden; so wird das Daseyn des Zufälligen zur Wahrheit; und es entsteht. Zu diesen Bedingungen gehöret, daß das Zufällige Alsdann und Alsda auch das Beßte sey, und also nicht nur ein Gegenstand der göttlichen Erkenntniß, sondern auch der göttlichen Billigung werde. Die Erkenntniß des Unendlichen ist im höchsten Grade lebendig, und seine Billigung im höchsten Grade würksam. Sobald das Zufällige ein Gegenstand seiner Billigung wird; so wird es würklich. Was Gott sich als das Beste denkt, das stehet da! Er spricht, und es wird, er befiehlt und es stehet da.

Es ist also keine unbescheidne Anmaßung von dem Erdensohne, wenn er von seiner Endlichkeit auf das Daseyn des Unendlichen, von seiner Eingeschränktheit auf die Würklichkeit des Allervollkommensten zu schließen wagt. Es geziemet dem unsterblichen Geiste des Menschen gar wohl, sich der Gottheit so verwandt zu glauben, daß von jedem seiner Gedanken ein Weg zu derselben zu finden sey. Seiner Kurzsichtigkeit ungeachtet, ist ihm doch vergönnt,[156] die große Wahrheit einzusehen, daß er selbst im doppelten Verhältnisse, als Begriff, und als Sache, von der Gottheit abhänge, daß er, als Begriff, von Ewigkeit her ein Gegenstand der göttlichen Erkenntniß gewesen; und als Sache, dazumal auch Würklichkeit erhielt, als die Bedingungen der Zeit und des Raumes ihn auch zum würdigen Gegenstand der göttlichen Billigung machten; als er irgendwo und irgendwann, zum Besten gehörig, selbst das Beste ward.[157]

2

Von der Evidenz.

Quelle:
Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Band 3.2, Berlin 1929 ff. [ab 1974: Stuttgart u. Bad Cannstatt], S. 148-159.
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