[20] Philopon. Neophil.
PHILOPON: Nach ihren Reden also zu urtheilen, sollte man wohl gar glauben, daß Leibnitzens Meinungen wirklich erhebliche Einwendungen gelitten hätten.
NEOPHIL: Nein; daß sie dergleichen gelitten hätten, möchte ich wohl seihst nicht gern sagen. Aber – –
PHILOPON: Sie wissen dieses Aber sehr bedenklich zu dehnen. Nur heraus – – Sie wollen sagen, was nicht geschehen sey, könne noch geschehen. Nicht?
NEOPHIL: Vielleicht! Nur glauben Sie nicht, daß ich mir einbilde, dieser neue Held selbst zu werden.
PHILOPON: Eine bescheidne Wendung, die mich aber nicht abhalten wird, weiter in Sie zu dringen. – – Wenigstens müßte dieser neue Held, wie Sie ihn nennen, ein ganz besondrer Kopf seyn. Er müßte alle Gegner, die Leibnitz jemals gehabt hat, an Scharfsinnigkeit übertreffen.
NEOPHIL: O nein. An Scharfsinnigkeit eben nicht. Wenn er sie nur an kaltem Blute, und an einer gewissen Biegsamkeit überträffe. Denn die[20] meisten, – – ja, ich wollte fast sagen: alle – – schien ein gewisser Handwerksneid verblendet zu haben. Sie fielen unsern Weltweisen mit stürmischer Hitze von der ersten, der besten Seite an, ohne zu untersuchen, ob er ihnen nicht von eben dieser Seite an Macht überlegen wäre.
PHILOPON: Wozu sollten sie dieses untersuchen? Kann man eine Unwahrheit nicht von allen Seiten mit gutem Erfolge widerlegen?
NEOPHIL: Sie würden Recht haben, wenn ich vermessen genug wäre, zu behaupten, daß Leibnitz nichts als Unwahrheiten gelehrt habe. Allein, da dieser, in Ansehung der unzehlichen Wahrheiten, durch die er den menschlichen Verstand weit über den vorher gebahnten Weg hinausgeführet, sehr wenige sind; da sie noch dazu sehr tief versteckt liegen: so ist es gantz etwas anders. Ein aufgebrachter Geist wird sie übersehen, und ein unbiegsamer wird sie nicht zu verfolgen wissen.
PHILOPON: Ein unbiegsamer? Was verstehen Sie damit?
NEOPHIL: Ich verstehe einen solchen, welcher zu stolz oder zu ungeschickt ist, sich nach der Denkungsart seines Widersachers zu bequemen, und es also unterlassen muß, desselben eigne Waffen wider ihn zu brauchen. Leibnitzen glücklich anzugreifen, muß man vorher selbst ein Leibnitzianer werden. Man muß mit seinen Hauptsätzen, mit seinen Erklärungen vorher eben so vertraut werden, als der ächteste Schüler, welcher nichts als auf seine Worte schwören will. Und alsdenn muß man die Schwierigkeiten nicht gesucht, sondern gefunden haben. Man muß darauf gestossen seyn; an der Spitze des Führers selbst, muß man darauf gestossen seyn. Man muß kein ander Verdienst dabey haben, als dieses, daß man die Augen nicht vorsetzlich dabey verschlossen.
PHILOPON: Nun wahrhaftig von so einer Schwierigkeit, wäre ich sehr begierig ein[21] Exempel zu hören. – – Sie hätten so nachdrücklich davon gesprochen, und sollten keins anzuführen haben?
NEOPHIL: Daß man mit Ihnen doch immer weiter muß, als man sich vorgesetzt hat! Ich werde schon mit einem hervorrücken müssen. – – Sagen Sie mir also, was lehret Leibnitz von der Unendlichkeit der Welt?
PHILOPON: Was die Schöpfung in der Zeit betritt, so glaubte Leibnitz, daß sie durch die Vernunft weder hinlänglich erwiesen, noch widerlegt werden könne. Die Offenbarung muß also den Ausspruch thun, und es scheinet, als ob diese sie annehme.
NEOPHIL: Leibnitz wird doch aber wenigstens ihre Möglichkeit von allen Schwierigkeiten befreyet haben?
PHILOPON: Hierzu ist genug, daß sie weder keinen Widerspruch in sich enthält, noch irgend einer an dern bestätigten Wahrheit zuwider läuft.
NEOPHIL: Kann sie denn aber mit den göttlichen Eigenschaften bestehen? Und wodurch hat Leibnitz die Schwierigkeit aufgelöset, die so alt ist, als die Weltweisheit selbst; warum nehmlich die Welt nicht eher sey erschaffen worden?
PHILOPON: O, wenn Sie weiter nichts haben! – – Diesem Einwurfe hat der Leibnitzische Begrif von der Zeit längstens den Garaus gemacht. Es ist nichts ungereimters als sich da ein eher zu gedencken, wo noch keine Reihe der Dinge, und folglich keine Zeit vorhanden gewesen.
NEOPHIL: Da haben wirs! Würde ich nun nicht von ihnen, mein lieber Leibnitzianer,[22] mit Schimpf abgewiesen seyn, wenn ich nicht ihre Sprache reden könnte? Lassen Sie mich also diese meine Frage darinne wiederholen: Warum hat GOtt nicht zu der Kette der Dinge a parte ante noch einige Glieder hinzu gethan?
PHILOPON: Nur Geduld! Auch hierauf hat Leibnitz geantwortet. Er sagt, wenn es wahr ist, daß die Welt in einer Zeit geschaffen worden ist, so müssen diejenigen Dinge, die a parte ante hätten hinzu gethan werden sollen, nicht zu der besten Welt gehört haben.
NEOPHIL: Recht! Und hier war es eben, wo ich Sie erwartete. – – Machen Sie sich nunmehr nur auf kategorische Antworten gefaßt; denn ich frage weiter. – – Hat nicht ein jeder Zustand der Welt seinen zureichenden Grund?
PHILOPON: Ja wohl!
NEOPHIL: Kann der erste augenblickliche Zustand dieser sichtbaren Welt nicht aus einem gleichsam vorhergehenden möglichen Zustande erkläret werden.
PHILOPON: Ich begreife noch nicht, was Sie hiermit sagen wollen?
NEOPHIL: Ich will mich deutlicher ausdrücken. Gesetzt b. c. d. e. stellen die Reihe der wirklichen Dinge vor. Nun kann, wie Sie selbst sagen, e. aus d, d. aus c, und c. aus b. verständlich gemacht werden – –
PHILOPON: Das kann es. Aber weiter – –[23]
NEOPHIL: Weiter? – – So frage ich dann, ob kein Zustand a möglich sey, daraus, wenn er wircklich vorhanden gewesen wäre, der Zustand b hätte begriffen werden können?
PHILOPON: Noch sehe ich nicht recht, worauf alle diese Fragen zielen. Indessen kann ich die letztere nicht anders, als mit Ja beantworten.
NEOPHIL: Das ist Schade! Sie werden mich also wider alles Vermuthen am Ziele finden. Ich sage, wenn dieser Zustand a möglich gewesen ist; so hätte er auch wircklich seyn können, und die Zustände b. c. d. e. welche die Reihe der besten Welt vorstellen, wären natürlicherweise daraus gefolgt. Folglich hat a der besten Welt unbeschadet existiren können. Warum hat aber Gott nicht mit ihm den Anfang gemacht? – – Sie sehen wohl, daß man diese Frage bis in das Unendliche hinaus führen kann.
PHILOPON: Sie haben mich wirklich aus einem kleinen Posten vertrieben. Doch geben Sie Acht, ich sitze schon in einem andern wieder feste. Ich verlange nehmlich, daß ein Vertheidiger des Leibnitzischen Systems sich in die Schrancken der Weltweisheit einschliessen muß, ohne darauf zu denken, wie er die Lehren einiger Gottesgelehrten zugleich mitbeschützen wolle. Die Unendlichkeit der Welt kann ohnedem nach seinen Lehren mit der heiligen Schrift sehr wohl bestehen, weil nach denselben nichts klarer ist, als der Unterscheid zwischen der Unendlichkeit Gottes und der unendlichen Dauer der Welt, so wenig ihn auch die Alten einzusehen vermochten.
NEOPHIL: Meine Absicht war auch gar nicht, diesen Einwurf wider das System ihres Weltweisen zu richten. Ja, was noch mehr ist; ich glaube nicht einmal, daß meine Schlüsse hinreichen, die Unendlichkeit der Welt ausser Zweifel zu setzen. Ich habe nur zeigen wollen, wie auch ein Leibnitz selbst die Augen des Verstandes nicht überall haben kann, wenn er Wahrheiten auf Wahrheiten thürmet, und gleich den Riesen den Pelion auf den Ossa setzt, um den Himmel zu ersteigen.[24]
PHILOPON: Aber ihn in einer ganz andern Absicht zu ersteigen, als jene Riesen des Alterthums, welche die Götter daraus verjagen wollten. Seine Kühnheit war eine fromme Kühnheit, welche alle unsre Verehrung verdienen würde, wenn es ihr auch ganz und gar mißlungen wäre. Doch weil gefehlt; seine Kräfte waren so groß als sein Muth, und was seiner Einsicht fehlt, gewiß, das fehlte der menschlichen Einsicht.
NEOPHIL: Ich höre Sie in dieser panegyristischen Hitze mit Vergnügen. Wer wird es wagen, Leibnitzen einen unsterblichen Ruhm abzusprechen? Voltaire sagt bey einer andern Gelegenheit witzig genung: »Die Natur braucht Jahrhunderte, einen so grossen Mann hervorzubringen.« Sie hat sie wirklich zu Leibnitzen gebraucht; denn wo findet man, lange Jahrhunderte vor ihm, seines gleichen? Ja sie scheint sich durch ihn, und durch einige andre seltne Geister, die sie, um ihn nicht ohne würdige Bewunderer zu lassen, zu seinen Zeitgenossen machte, dergestalt entkräftet zu haben, daß man glauben sollte, sie sey jezt gleichsam in einen tiefen Schlaf gerathen. Aber – –
PHILOPON: Das dachte ich, daß sich ihre Lobrede mit einem Aber schliessen würde.
NEOPHIL: Aber mit einem Aber, das man unmöglich weglassen kann, ohne ihn zu vergöttern. Und vergöttern würde man ihn, wenn man behaupten wollte, daß er allen Einwürfen begegnet habe, die man wider sein Lehrgebäude machen kann.
PHILOPON: Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen ohne Beweis glauben soll.
NEOPHIL: Eben so wenig als ich es ohne Beweis wollte gesagt haben. – – Die Lehre von der besten Welt selbst, diese natürliche und ungezwungene Lehre, die aus dem Begriffe einer unendlichen Weisheit unmittelbar zu folgen scheinet, ist noch nicht von allen Einwürfen befreyet. [25] Leibnitz selbst hat sich in seiner Theodicee einen sehr wichtigen Zweifel dawider gemacht, und wenn ich dieses vortrefliche Werk bey der Hand hätte, so könnte ich Ihnen zeigen, wie unzuverläßig und gleichsam obenhin er diesem Zweifel abhilft.
PHILOPON: Sie werden Sich doch wenigstens der Gedanken zu entsinnen wissen; oder ist es unumgänglich nöthig, seine Worte anzuführen?
NEOPHIL: Hier sind sie! Ich erinnere mich, daß ich die ganze Stelle in mein Handbuch abgeschrieben habe. »Es möchte jemand einwenden, heißt es, es wäre unmöglich das beste (die beste Welt) hervor zubringen, weil es keine vollkommene Creatur giebt, und weil immer eine vollkommenere hervorgebracht werden kann. Ich antworte, was sich von einer besondern Substanz sagen läßt, die allemal von einer andern übertroffen werden kann, das muß man nicht auf die ganze Welt deuten, welche, weil sie in alle künftige Ewigkeit dauern soll, etwas unendliches ist.« – – Was dünkt Ihnen von dieser Antwort?
PHILOPON: Er hat vermuthlich damit sagen wollen, die Welt könne in ihrer Art wirklich die vollkommenste seyn, weil nur ein endliches Wesen allemal von einem andern übertreffen werden könne; die Welt hingegen sey als ein unendliches Wesen anzusehen, weil sie unendlich viel Creaturen in sich faßt, und diese in Ewigkeit dauern sollen.
NEOPHIL: Unmöglich kann Leibnitz diesen Gedanken vollkommen überlegt haben, oder er muß mit Spinosen in einerley Irrthum verfallen seyn, indem er, so wie jener, geglaubt, es könnte aus einer unendlichen Menge endlicher Vollkommenheiten eine unendliche gleichsam zusammen gesetzt werden. Ein Irrthum, den Wolf glücklich bestritten, und dessen Gegentheil er mit unumstößlichen Gründen dargethan hat. Nach Wolfens Widerlegung ist gar nicht mehr zu zweifeln, daß nicht die endlichen Vollkommenheiten aller Theile der Welt zusammen genommen, eine bloß endliche Vollkommenheit ausmachen sollten. Es kann also allemal eine grössere geben, denn sonst wäre sie nicht[26] endlich; und die Leibnitzische Auflösung des von ihm selbst vorgebrachten Zweifels hält keinen Stich.
PHILOPON: Sie schliessen zu übereilt. Leibnitz scheinet ihrem Einwurfe zuvorgekommen zu seyn, denn, wie ich mich selbst erinnere, so setzt er zu den angeführten Worten hinzu, daß die Welt nicht als eine besondere Substanz betrachtet werden könne, weil sie aus unendlich vielen Creaturen bestellet, eben so wenig, wie man von einer unendlichen Zahl sagen kan, ob sie grade oder ungrade sey. Er sagt also nicht, daß die endlichen Vollkommenheiten eine Unendlichkeit ausmachen; sondern er behauptet vielmehr, daß die Welt eine unendliche Menge Vollkommenheiten in sich faßt, die niemals zusammen genommen werden können, und also gleich das Gegentheil von Spinosen.
NEOPHIL: Wenn Leibnitz irgendwo sein eigen System aus den Augen gesetzt hat; so ist es gewiß bey dieser Stelle geschehen. Eine unendliche Zahl, eine unendliche Linie, sind nichts anders als Zahlen und Linien, deren Grentzen man nicht bestimmt. Wenn Euclides eine Linie ziehen heißt, welcher er keine Grentzen fest setzen will, so sagt er allezeit: Ziehet eine unendliche Linie. In diesem Verstande sagen die Leibnitzianer auch, die Materie sey unendlich theilbar, und eben deswegen kann man auch nicht sagen, ob eine unendliche Zahl gerade oder ungerade sey. Mit welchem Grunde aber kann dieses von der Menge der wirklich existirenden Substanzen behauptet werden? Müssen diese nicht, nach Leibnitzens Begriffen selbst von allen Seiten her vollkommen bestimmt seyn? Wie kann also ihre Anzahl unbestimmt bleiben?
PHILOPON: In der That; Sie setzen mich in Verwirrung. Sie sollten mir ein Lehrgebäude zerritten, welches ich mit guten Grunde annehmen zu können geglaubt habe?
NEOPHIL: Ich habe Ihnen schon gesagt, die Lehre von der besten Welt fließt unmittelbar aus den göttlichen Eigenschaften, und Bayle selbst hat[27] sie von dieser Seite betrachtet, zugeben müssen. Sie ist auch die einzige die uns in Zufriedenheit setzen kann, und wir müssen uns, um unserer eigenen Ruhe Willen, an sie halten. Die Einwürfe, die ich dawider vorgebracht habe, dienen nur uns zu überzeugen, wie weit wir in diesen Lehren noch von der vollkommenen Gewißheit entfernet sind, und wie viel Behutsamkeit erfordert wird, etwas in der speculativischen Weltweisheit zuverläßig zu entscheiden.[28]
Buchempfehlung
Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.
54 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro