2. Trauer um den alten Fürsten

[90] Herzog Ding von Tong war entschlafen7. Der Thronfolger sprach zu Jan Yu8: »Einst hat Mong Dsï mit mir gesprochen in Sung. Das habe ich nie in meinem Herzen vergessen. Heute nun, da ich die traurige Pflicht habe, meinen Vater zu bestatten, möchte ich Euch senden, um den Mong Dsï zu befragen, ehe ich ans Werk gehe.«

Jan Yu kam nach Dsou und befragte den Mong Dsï.

Mong Dsï sprach: »Seid mir willkommen! Die Trauer um die Eltern ist allerdings etwas, dem man sich ganz widmen muß.

Dsong Dsï sprach9: ›Sind die Eltern am Leben, ihnen dienen, wie es sich geziemt; nach ihrem Tode sie bestatten, wie es sich geziemt, und ihnen opfern, wie es sich geziemt: das mag man Kindesehrfurcht nennen.‹ Der Fürsten10 Bräuche habe ich nicht gelernt. Immerhin, ich habe gehört, daß eine Trauerzeit von drei[90] Jahren, Kleidung aus grobem, ungesäumten Tuch und einfache Nahrung ohne Fleisch, vom Himmelssohne bis hernieder auf den Mann des Volkes seit alten Zeiten11 immer üblich ist.«

Jan Yu brachte den Bescheid zurück. Es ward bestimmt, drei Jahre Trauer einzuhalten. Die Anverwandten und die Beamten waren alle nicht einverstanden. Sie sprachen: »In Lu12, dem Reiche unserer Ahnen, hat unter den früheren Fürsten keiner so gehandelt; unter den früheren Fürsten unseres Landes hat gleichfalls keiner so gehandelt. Es geht nicht an, daß Ihr nun plötzlich alles anders machen wollt. Auch steht geschrieben: »Bei Bestattung und Opfern folge den Ahnen.‹ Das heißt also, wir sollen uns ans Überkommene halten.«

Da sprach der Fürst zu Jan Yu: »Ich habe früher nicht der Bildung gelebt, ich liebte Wagenrennen und Kampfspiele. Darum sehen mich die Verwandten und Beamten nicht für voll an. Ich fürchte der Wichtigkeit der Sache nicht gewachsen zu sein. Frage für mich bei Mong Dsï an.«

Jan Yu kam abermals nach Dsou und befragte den Mong Dsï.

Mong Dsï sprach: »So ist's. Doch soll er es nicht bei den anderen suchen. Meister Kung sprach13: ›Stirbt der Fürst, so führt der Kanzler die Regierung, der Thronfolger ernährt sich von dünnem Reis, sein Angesicht verfärbt sich zu tiefem Schwarz, er begibt sich auf seinen Platz und weint. Dann ist unter allen Beamten und Dienern keiner, der es wagte, nicht zu trauern, wenn er ihnen mit seinem Beispiel vorangeht. Was die Oberen lieben, das lieben die Unteren sicher noch mehr. Das Wesen des Herrschers ist wie der Wind, das Wesen der Leute ist wie das Gras. Das Gras muß sich beugen, wenn der Wind darüber kommt.‹ Die Sache steht beim Thronfolger.«

Jan Yu brachte den Bescheid zurück. Der Thronfolger sprach: »Ja, es steht wirklich bei mir.«

Er verweilte bis zur Beerdigung im Trauerzelt. Und kein Gebot oder Verbot erließ er während dieser Zeit. Alle Beamten und Verwandten sagten von ihm, daß er die Bräuche verstehe. Als die Bestattung war, da kamen von allen Seiten her die Leute, um ihn zu sehen. Seine Mienen waren so bekümmert, seine Tränen so echt, daß alle Leidtragenden damit zufrieden waren.

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 90-91.
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