3. Ratschläge für die Regierung

[91] Der Herzog Wen von Tong befragte den Mong Dsï über die Leitung des Staates.

Mong Dsï sprach: »Die Geschäfte des Volkes darf man nicht vernachlässigen. Im Buch der Lieder14 heißt es:


›Indes der Tag ist, schneidet Binsengras,

Und wird es Nacht, so flechtet Seile draus.

Behende steiget zu dem Boden auf,

Hebt an und worfelt alle das Getreide.‹


Dem Volk geht es also: Hat es einen festen Lebensunterhalt, so hat es ein festes Herz. Hat es keinen festen Lebensunterhalt, so verliert es auch die Festigkeit des Herzens. Ohne Festigkeit des Herzens aber kommt es zu Zuchtlosigkeit, Gemeinheit, Schlechtigkeit und Leidenschaften aller Art. Wenn die Leute so in Sünden fallen, hinterher sie mit Strafen verfolgen: das heißt dem Volke Fallstricke stellen. Wie kann ein milder Herrscher auf dem Throne sein Volk also verstricken? Darum ist ein weiser Fürst stets ernst und sparsam und höflich gegen Untergebene. Und was er von dem Volke nimmt, hat feste Grenzen. Yang Hu15 sprach: ›Wem es um Reichtum zu tun ist, der kann nicht gütig sein. Wem es um Güte zu tun ist, der wird nicht reich.‹

Das Herrscherhaus von Hia gab den Leuten 50 Morgen und nahm Steuern. Das Haus Yin gab ihnen 70 Morgen und nahm Frondienste. Das Haus Dschou gab ihnen 100 Morgen und nahm Abgaben. In Wirklichkeit nahmen sie alle den Zehnten. Die ›Abgaben‹ beruhten auf der Einrichtung der Ertragsgemeinschaft. Die ›Fronden‹ beruhten auf der Einrichtung der Arbeitsgemeinschaft.

Lung Dsï16 sprach: ›Bei der Ordnung des Grundbesitzes ist am geeignetsten die Fron, am ungeeignetsten die Steuer.‹ Die Steuer wird für immer festgesetzt nach dem mittleren Ertrag mehrerer Jahre. In guten Jahren, wenn das Korn im Überfluß umherliegt, könnte man mehr nehmen, ohne daß es als Härte wirkte. Statt dessen wird verhältnismäßig wenig genommen. In übeln Jahren, wenn man die Felder düngen muß und doch nicht genug hat, muß dann doch der volle Betrag erhoben werden. Wenn ein Landesvater es dahin bringt, daß seine Leute mit Falten auf der Stirn das ganze Jahr sich abmühen und selbst so es noch nicht fertig bringen, ihre Eltern zu ernähren, sondern Anleihen aufnehmen[92] müssen, um den Mangel auszugleichen, so daß die Greise und Säuglinge sich in den Straßengräben wälzen: worin besteht da seine Landesvaterschaft?

Im Buch der Lieder17 heißt es:


›Und regnet's auf des Fürsten Acker,

So kommt's auch auf die unsern dann!‹


Nur beim System der Arbeitsgemeinschaft gibt es Fürstenäcker. Von hier aus angesehen, kommt es auch zur Dschou-Zeit auf das System der Arbeitsgemeinschaft hinaus.

Man richte Akademien18, Gymnasien, Schulen und Lehranstalten ein, um das Volk zu belehren. Akademien sind Anstalten, wo die Lehrer auf öffentliche Kosten unterhalten werden; Lehranstalten sind Anstalten, wo gelehrt wird; Gymnasien waren für den Unterricht in Körperübungen da. Zur Zeit der Hia-Dynastie sprach man von Lehranstalten, zur Zeit der Yin-Dynastie von Gymnasien, zur Zeit der Dschou-Dynastie von Akademien. Was die Schulen anlangt, so sind sie allen drei Dynastien gemein. Bei allen war das Ziel die Klärung der Pflichten innerhalb der menschlichen Gesellschaft. Wenn die Pflichten innerhalb der menschlichen Gesellschaft bei den oberen Ständen geklärt sind, so wird das gewöhnliche Volk in den unteren Schichten Liebe bekommen. Und wenn ein König der Welt aufsteht, so wird er kommen und sich ein Beispiel an Euch nehmen, und Ihr werdet so Lehrer der Könige sein.

Im Buch der Lieder19 heißt es:


›Ist Dschou auch schon ein altes Land,

Es hat sein Amt erst neu erlangt.‹


Das ist vom König Wen gesagt. Wenn Ihr kräftig daran wirkt, so wird dadurch auch Euer Staat erneuert werden.«

Der Fürst stellte Bi Dschan an. Der befragte den Mong Dsï über die Einteilung des Landes nach dem Brunnensystem20.

Mong Dsï sprach: »Euer Fürst will ein mildes Regiment ausüben, und seine Wahl ist auf Euch gefallen, da müßt Ihr Euch die größte Mühe geben. Ein mildes Regiment beginnt mit der Feststellung der Grenzen. Sind die Grenzen der Ländereien nicht geregelt, so ist das öffentliche Land mit den Brunnen nicht gerecht verteilt und das Getreide für die Gehälter nicht gleichmäßig. Darum pflegen grausame Herrscher und unreine Beamte stets die Grenzen zu vernachlässigen. Sind die Grenzen reguliert,[93] so läßt sich die Verteilung der Felder und die Bestimmung der Gehälter festsetzen, während man ruhig zu Hause sitzt.

Das Ackerland von Tong ist beschränkt und klein, aber es gibt doch wohl Gebildete, es gibt doch wohl Bauern. Gäbe es keine Gebildeten, so wäre niemand da, die Bauern zu regieren; gäbe es keine Bauern, so wäre niemand da, die Gebildeten zu ernähren. Ich würde raten, auf dem Lande die Felder so zu verteilen, daß unter je neun Feldern ein staatliches Feld ist. In der Nähe der Hauptstadt dagegen mögen die Leute den Zehnten für sich selbst bezahlen. Vom Minister an abwärts soll jeder Beamte ein Feld für die Bestreitung der Unkosten des Ahnendienstes haben im Umfange von 50 Morgen. Die jüngeren Söhne sollen 25 Morgen bekommen. Kein Toter und kein Wandernder soll seine Markung verlassen. Die Felder einer Markung haben einen gemeinsamen Brunnen, beim Aus-und Eingehen sind die Leute einander befreundet, im Schutz und bei der Aufsicht helfen sie einander, in Krankheitsfällen pflegen und warten sie einander. So herrscht Liebe und Eintracht unter dem Volke.

Jede Geviertmeile bildet einen Brunnenverband. Ein solcher Brunnenverband besteht aus neunmal hundert Morgen. Die mittleren hundert Morgen sind öffentliches Land. Acht Familien haben je hundert Morgen zum eigenen Anbau und bebauen gemeinsam das öffentliche Land. Sind die öffentlichen Arbeiten beendigt, dann erst wagen sie, an ihre eigenen Arbeiten zu gehen. Dadurch unterscheiden sie sich als Bauern.

Das sind die großen Grundzüge. Wie das Volk noch weiter gefördert werden mag, das steht bei Eurem Fürsten und Euch.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 91-94.
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