2. Schuns Familienverhältnisse

[137] Wan Dschang fragte: »Im Buch der Lieder heißt es:


›Ein Weib zu frei'n, wie fängt man's an? –

Man geht darum die Eltern an.‹


Wenn dies Wort wirklich wahr ist, so sollte man doch denken, daß Schun am ehesten danach gehandelt hätte. Wie kommt es, daß Schun geheiratet hat, ohne es seinen Eltern anzuzeigen?«3 Mong Dsï sprach: »Hätte er es ihnen angezeigt, so hätten sie die Heirat vereitelt. Nun ist das Zusammenleben von Mann und Frau in der Ehe die wichtigste aller menschlichen Beziehungen. Hätte er seinen Eltern Anzeige gemacht, so hätte er diese wichtigste aller menschlichen Beziehungen versäumen müssen und hätte sich dadurch doch auch den Unwillen der Eltern zugezogen. Darum hat er ihnen keine Anzeige gemacht.«

Wan Dschang sprach: »Warum Schun heiratete, ohne es seinen Eltern anzuzeigen, darüber habe ich nun Belehrung empfangen. Warum aber hat der Herr den Schun heiraten lassen, ohne es dessen Eltern zu sagen?«

Mong Dsï sprach: »Der Herr hat auch gewußt, daß, wenn er's ihnen gesagt hätte, die Heirat vereitelt wor den wäre.«

Wan Dschang sprach: »Schuns Eltern befahlen ihm, eine Scheune auszubessern. Sie zogen dann die Leiter weg, und sein Vater Gu Sou zündete die Scheune an. Sie befahlen ihm ein anderesmal, einen Brunnen auszugraben. Er war schon wieder heraus. Sie aber gingen zum Brunnen und schütteten ihn zu. Schuns Bruder Siang sprach: ›Die Pläne, den Fürsten umzubringen, habe alle ich ersonnen. Seine Rinder und Schafe sind für die Eltern, seine Scheunen und Kammern auch für die Eltern, sein Schild und Speer sind für mich, seine Zither für mich, sein geschnitzter Bogen für mich, und die beiden Schwägerinnen müssen mir das[137] Bett machen.‹ Siang machte sich auf und ging nach dem Schloß des Schun. Da saß Schun auf seinem Bette und spielte die Zither. Siang sprach: ›Ich dachte sehnsuchtsvoll an dich, o Fürst.‹ Dabei errötete er verlegen. Schun sprach: ›Ich denke, du kannst mit mir zusammen über meine Diener und Untertanen alle herrschen.‹ – Nun weiß ich eines nicht: Hat Schun wirklich nicht gemerkt, daß Siang ihn hatte töten wollen?«

Mong Dsï sprach: »Er muß es ja gemerkt haben. Aber wenn Siang traurig war, so war er mit ihm traurig; wenn Siang fröhlich war, so war er mit ihm fröhlich.«

Jener sprach: »Dann hat also Schun sich zur Fröhlichkeit gezwungen?«

Mong Dsï sprach: »Nein. Vor Zeiten schenkte einmal jemand dem Dsï Tschan4 von Dschong einen lebenden Fisch. Dsï Tschan befahl dem Gärtner, ihn in den Teich zu setzen und zu füttern. Der Gärtner kochte ihn, dann meldete er: ›Als ich ihn frei ließ, da war er erst noch ganz zag, nach einer Weile begann er umherzuschwimmen, dann schoß er in die Tiefe.« Dsï Tschan sprach: ›Er hat seinen Platz gefunden, er hat seinen Platz gefunden!‹ Der Gärtner ging hinaus und sprach: ›Wer will behaupten, daß Dsï Tschan weise sei? Ich hab den Fisch doch gekocht und aufgegessen, und er sagt: Er hat seinen Platz gefunden, er hat seinen Platz gefunden!‹ So kann man einen Edlen hintergehen gemäß der Wahrscheinlichkeit, aber nicht ihn verstricken in wesensfremde Art. Jener kam dem Schun entgegen in der Art eines liebevollen Bruders, darum glaubte er ihm aufrichtig und war über ihn erfreut, ganz ohne sich dazu zu zwingen.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 137-138.
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