4. Die menschliche Natur. IV: Der Hunger und die Liebe

[161] Gau Dsï sprach: »Das Verlangen nach Nahrung und Schönheit ist Natur. Darum ist die Liebe etwas Innerliches, das nicht erst von außen hinzukommen muß. Die Pflicht aber ist etwas Äußerliches, nichts Innerliches.«

Mong Dsï sprach: »Was heißt das: die Liebe ist innerlich, die Pflicht äußerlich?«

Gau Dsï sprach: »Wenn der andere älter ist, behandle ich ihn als älteren; diese Achtung vor dem Alter entspringt nicht in mir. Es ist gerade so, wie ich ein Ding, das weiß ist, als weiß bezeichne, indem ich mich nach der äußerlichen Tatsache seines Weißseins richte. Darum nenne ich die Pflicht äußerlich.«

Mong Dsï sprach: »Ob ich ein weißes Pferd als weiß bezeichne, oder ob ich einen weißen Menschen als weiß bezeichne, das macht keinen Unterschied. Ich weiß nun nicht: Ist auch kein Unterschied, ob ich ein altes Pferd als alt behandle, oder ob ich einen alten Mann als alt behandle? Ferner: Ist das Alter Pflicht oder ist die achtungsvolle Behandlung des Alters Pflicht?«

Gau Dsï sprach: »Meinen eignen Bruder, den liebe ich; den Bruder eines Mannes von Tsin, den liebe ich nicht. Es liegt also an mir, daß ich diese Art Zuneigung empfinde. Darum nenne ich sie innerlich. Dagegen ehre ich den älteren Angehörigen eines Mannes aus Tschu, ebenso wie ich auch meine eigenen älteren Angehörigen ehre. Es liegt also in dem Alter des anderen, daß ich diese Art von Zuneigung empfinde. Darum nenne ich sie äußerlich.«[161]

Mong Dsï sprach: »Ich esse den Braten eines Mannes von Tsi ganz ebenso gern wie ich meinen eigenen Braten esse. Mit derlei Dingen verhält es sich also ganz ebenso. Ist also etwa auch der Geschmack am Braten etwas Äußerliches?«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 161-162.
Lizenz: