7. Die Gleichheit der Menschen

[164] Mong Dsï sprach: »In fetten Jahren sind die jungen Leute meistens gutartig, in mageren Jahren sind die jungen Leute meistens roh. Nicht als ob der Himmel ihnen verschiedene Anlagen gegeben hätte; die Verhältnisse sind schuld daran, durch die ihr Herz verstrickt wird.

Es ist gleich wie mit der Gerste. Sie wird gesät und geeggt. Der Boden sei derselbe. Die Zeit des Pflanzens sei diesselbe. So wächst sie üppig heran, und wenn die Zeit zur Ernte da ist, so ist sie alle reif. Es mögen wohl Unterschiede da sein, wie sie vom fruchtbaren oder unfruchtbaren Boden, vom lebensspendenden Regen und Tau, von der Verschiedenheit der Arbeit der Menschen herkommen. Alle Dinge, die zur selben Art gehören, sind einander ähnlich, warum sollte man das allein beim Menschen bezweifeln? Die Heiligen sind von derselben Art wie wir.

So sprach Lung Dsï5: ›Wenn einer, auch ohne den Fuß eines Menschen zu kennen, eine Strohsandale für ihn macht, so weiß ich, er wird keinen Korb machen. Die Strohsandalen sind einander ähnlich, weil alle Füße auf Erden übereinstimmen.‹

So ist es auch mit dem Geschmack. Alle Menschen stimmen in ihrer Vorliebe für gewisse Wohlgeschmäcke überein. Der berühmte Koch I Ya6 hat nur zuerst unseren Geschmack erraten. Wenn der Geschmack der Menschen gegenüber den Speisen von Natur so verschieden wäre, wie der der Pferde und Hunde von dem unsrigen abweicht, wie würden da alle Menschen auf Erden in Geschmackssachen dem I Ya folgen? Daß in Geschmackssachen alle Welt sich nach dem I Ya richtet, ist ein Beweis, daß alle Welt in Beziehung auf den Geschmack an Speisen übereinstimmt.

Mit dem Gehör ist es genau dasselbe. Alle Welt richtet sich in Fragen des Wohlklangs nach dem Musikmeister Kuang7, somit stimmt das Gehör auf der ganzen Welt überein. Mit dem Gesicht ist es ebenfalls dasselbe. Es gibt niemand auf der Welt, der einen Dsï Du8 nicht schön finden würde. Wer einen Dsï Du nicht schön fände, müßte keine Augen haben.[164]

So sehen wir also: Der Geschmack ist so beschaffen, daß alle übereinstimmen in Beziehung auf den Wohlgeschmack der Speisen. Das Gehör stimmt überein in Beziehung auf den Wohlklang der Töne. Das Gesicht stimmt überein in Beziehung auf die Schönheit der Erscheinungen.

Und was das Herz anlangt: nur hier allein sollte es keine solche Übereinstimmung geben? Was ist es nun, worin die Herzen übereinstimmen? Es ist die Vernunft, es ist die Gerechtigkeit. Die Heiligen haben zuerst gefunden, worin unsere Herzen übereinstimmen, darum erfreut Vernunft und Gerechtigkeit ganz ebenso unser Herz, wie Mastfleisch unsern Gaumen erfreut.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 164-165.
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