Erstes Kapitel.

Ueber die Schöpfung, mit einer Inhalts-Anzeige

1. Menu1 saß zurückgelehnt und hatte seine Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, auf den höchsten Gott gerichtet; da naheten sich ihm die göttlichen Weisen2 und redeten ihn, nach gegenseitigen förmlichen Grüßen, folgendermaßen an:


2. Geruhe Allein-Beherrscher, uns über die heiligen Gesetze in ihrer Ordnung zu belehren, wie sie von allen vier Classen, und von jeder nach ihren verschiedenen[1] Graden müssen befolgt werden; ferner über die Pflichten jeder vermischten Classe.


3. Denn du Herr und du allein unter den Sterblichen, verstehst den wahren Sinn, das erste Princip und die vorgeschriebenen Ceremonien, dieses allgemeinen übernatürlichen Veda, welchen keine Gränzen beschränken und kein Ansehen übertreffen kann.


4. Als er, unermeßlich an Kräften, auf diese Art von den großen Weisen, deren Einsichten tief waren, ersucht wurde, grüßte er sie alle mit Ehrerbietung, gab ihnen eine vielumfassende Antwort, und sagte: »laßt es gehört werden.«


5. Dieses Ganze befand sich blos in der ersten göttlichen Vorstellung, noch unausgebreitet, gleichsam in Dunkel gehüllt, unbemerkbar unerklärbar durch Vernunft unentdeckbar, und unentdeckt durch Offenbarung, als ob es gänzlich in Schlummer versenkt wäre.3


6. Dann erschien in unverringerter Majestät die einige durch sich bestehende Macht ließ, obwohl selbst unbemerkt, diese Welt mit fünf Elementen und andern Principen der Natur bemerkbar werden, und dehnte ihre Vorstellung aus, oder verscheuchte das Dunkel.


7. Er, den sich der Geist blos denken kann, dessen Wesen nicht für äußere Sinnenwerkzeuge ist, er der keine sichtbare Theile hat, der von Ewigkeit ist, ja er selbst[2] die Seele aller Wesen, den kein Wesen begreifen kann, gieng glänzend hervor in eigener Person.


8. Als er verschiedene Wesen aus seiner eigenen göttlichen Substanz hervorbringen wollte, schuf er zuerst mit einem Gedanken die Wasser und legte einen fruchtbaren Samen in sie4.


9. Dieser Same wurde ein Ey, glänzend wie Gold, flammend wie Sonnenlicht in tausend Strahlen; und in diesem Ey wurde er selbst gekohren in der Gestalt Brahma's des großen Urvaters, aller Geister.


10. Die Wasser heissen Nara, weil sie von Nara oder dem Geiste Gottes hervorgebracht wurden; und da sie seine erste Ayana, oder Bewegungsort waren, so heißt er davon Narayana, oder der sich auf den Wassern bewegt.


11. Aus dem was ist, keinem Gegenstande der Sinne, aus der ersten Ursache, die überall dem Wesen nach gegenwärtig, für unsere Vernehmung nicht gegenwärtig ist, ohne Anfang und Ende, wurde der göttliche Mann, in allen Welten unter dem Nahmen Brahma berühmt, gebohren.
[3]

12. In diesem Ey saß die große Macht unthätig ein ganzes (Schöpfer-) Jahr, nach dessen Verlauf er das Ey blos durch seine Gedanken sich auseinander thun ließ.


13. Und aus dessen beyden Hälften bildete er den Himmel oben und die Erde unten; in der Mitte setzte er den seinen Aether, die acht Gegenden5 und den bleibenden Wasserbehälter.


14. Aus dem höchsten Geiste nahm er die Seele, welche dem Wesen nach vorhanden, nicht sinnlich bemerkbar, sondern immateriell ist, und vor der Seele oder Vernunft brachte er hervor Bewußtseyn, den innern Ermahner, den Regierer.


15. Und vor beyden schuf er das große Prinzip der Seele, oder die erste Ausdehnung der göttlichen Vorstellung, und alle Lebensgestalten begabt mit den drey Eigenschaften6 Güte, Affekt und Dunkelheit; und den fünf Sinnen und den fünf Werkzeugen sinnlicher Vernehmung.


16. Als er die kleinsten Theilchen von sechs unermeßlich wirksamen Prinzipen des Bewußtseyns und[4] der fünf Sinne auf einmal mit Ausflüssen des höchsten Geistes durchdrungen hatte, bildete er alle Geschöpfe;


17. Und da die kleinsten Theilchen der sichtbaren Natur von diesen sechs Ausflüssen aus Gott abhängen, so haben deßwegen die Weisen seinem Bilde, oder seiner Erscheinung in der sichtbaren Natur den Nahmen Sarira gegeben, oder von sechsen abhängend, das ist, die zehn Organe hängen ab vom Bewußtseyn, und die fünf Elemente von eben so vielen Vernehmungen.


18. Daraus entstehen die großen Grundstoffe, mit besondern Kräften begabt und die Seele mit unendlich feinen Wirkungen, die unvergängliche Ursache aller äußern Formen.


19. Daher ist dieses Ganze aus den kleinen Theilen der sieben göttlichen und wirksamen Prinzipen zusammen gesetzt, aus der großen Seele7 oder aus dem ersten Ausflusse, aus dem Bewußtseyn und den fünf Vernehmungen: ein veränderliches Ganze aus unveränderlichen Vorstellungen.


20. Jedes dieser Elemente nimmt die Beschaffenheit der vorhergehenden an, und man schreibt jedem derselben eben so viele Eigenschaften zu, als es Grade vorgedrungen ist.
[5]

21. Er wies auch zuerst allen Geschöpfen besondere Nahmen, besondere Handlungen und besondere Beschäftigungen an, so wie sie in dem vorherexistirenden8 Veda geoffenbart waren.


22. Er, der höchste Regierer, schuf eine Menge Unter-Gottheiten, mit göttlichen Eigenschaften und reinen Seelen, und viele Genien ausnehmend reizbar; und er schrieb das Opfer vor, welches von Anfang verordnet war.


23. Aus Feuer, aus Luft und aus der Sonne melkte er gleichsam die drey ursprünglichen Vedas, genannt Rich, Yajush und Saman zur gehörigen Verrichtung des Opfers.


24. Er gab Daseyn der Zeit, und den Abtheilungen der Zeit, auch den Fix-Sternen und Planeten, den Flüssen, Meeren und Bergen, den ebnen Gefilden und unebnen Thälern.


25. Der Andacht, der Sprache, der Freundlichkeit, dem Verlangen, dem Zorne, und der Schöpfung die sogleich erwähnt werden soll: denn er wollte das Daseyn aller dieser geschaffenen Dinge.


26. Zur Beurtheilung der Handlungen machte er einen gänzlichen Unterschied zwischen Recht und Unrecht, und gewöhnte die empfindenden Geschöpfe an Vergnügen und Schmerz, und Kälte und Hitze, und an andre entgegengesetzte Dinge.
[6]

27. Mit sehr kleinen veränderlichen Theilen (genannt Matras) der fünf Elemente wurde diese ganze sichtbare Welt in gehöriger Ordnung zusammengesetzt.


28. Und so oft eine Lebens-Seele einen neuen Körper bekömmt, hält sie sich von selbst an die Beschäftigung, welche ihr der höchste Herr zuerst anwies9.


29. Wenn er ein Wesen bey der Erschaffung schädlich oder unschädlich, hart oder gelinde, ungerecht oder gerecht, falsch oder wahr bildete, so nimmt es natürlicherweise dieselbe Eigenschaft bey seinen folgenden Geburten an.10


30. Wie die sechs Jahrszeiten ihre Kennzeichen zu gehöriger Stunde von sich selbst annehmen, so sind jedem bekörperten Geiste seine Handlungen von Natur zugesellt.


31. Damit das Menschengeschlecht vermehrt werden möchte, ließ er den Brahmin, den Cshatriya, den [7] Vaisya, und den Sudra (sogenannt von Schrift, Schutz, Reichthum und Arbeit) aus seinem Munde, Arme, Hüfte und Fuße hervorgehen11.


32. Die gewaltige Macht theilte ihr eigenes Wesen und wurde halb Mann, halb Weib, oder wirkende und leidende Natur und aus dieser weiblichen Hälfte wurde Viraj gezeugt.


33. Wisset vortrefflichste Brahminen, daß ich der bin, welcher die Männliche Macht Viraj, nach strenger Andachts-Uebung, aus sich selbst zeugte, ich, der zweyte Urheber dieser ganzen sichtbaren Welt.


34. Ich war es, welcher, aus Verlangen ein Menschengeschlecht hervorzubringen, sehr strenge religiöse Pflichten erfüllte und zuerst zehn Herrn der erschaffenen Wesen von vorzüglichster Heiligkeit werden ließ, nehmlich:


35. Marichi, Atri, Angiras, Pulastya, Pulaha, Cratu, Prachetas oder Dacsha, Vasisht'ha, Bhrigu und Narada.


36. Diese, voller Majestät brachten sieben12 andre Menus hervor, und Gottheiten und Wohnungen der Gottheiten, und Maharshis, oder große Weisen von unbegränzter Macht;


37. Wohlwollende Genien und wüthende Riesen, blutdürstige Barbaren13, himmlische Sänger, Nymphen[8] und Dämonen, ungeheure und kleinere Schlangen, Vögel mächtigen Fittigs und besondre Gesellschaften von Pitris, oder Erzeugern des Menschengeschlechts;


38. Blitze und Donnerkeile, Wolken und farbige Bogen des Indra, fallende Meteore, die Erde zerreissende Dünste, Kometen und Lichtkörper verschiedner Grade;


39. Sylvane mit Pferde-Gesichter, Affen, Fische und verschiedene Vögel, zahmes Vieh, Rehe, Menschen und reissende Thiere mit zwey Reihen Zähnen;


40. Kleine und große kriechende Thiere, Motten, Läuse, Flöhe und gemeine Fliegen, auch alle stechende Mücken und unbewegliche Dinge verschiedener Art.


41. So wurde diese ganze Menge fester und unbeweglicher Körper von jenen großdenkenden Wesen, durch die Stärke ihrer eignen Andacht14 und auf meinen Befehl mit besondern, einem jeden zugetheilten Verrichtungen geformt.
[9]

42. Was für Beschäftigungen jedem dieser Geschöpfe hienieden angewiesen sind, das will ich euch jetzt bekannt machen, desgleichen wie sie in der Ordnung nach einander gebohren werden.


43. Vieh und Tannhirsche und wilde Thiere mit zwey Reihen Zähnen, Riesen und blutdürstige Barbaren und das Menschengeschlecht werden aus einer Bärmutter ans Licht gebracht.


44. Vögel werden aus Eyern gebrütet; eben so Schlangen, Crocodile, Schaalthiere und Schildkröten, als auch andre Thierarten auf der Erde, zum Beyspiel, Chamäleons und im Wasser, z.B. Muschelfische.


45. Aus erhitzter Feuchtigkeit erzeugen sich stechende Mücken, Läuse, Flöhe und gemeine Fliegen; diese und alle andre von der nehmlichen Gattung werden durch Hitze hervorgebracht.


46. Alle Gewächse, welche durch Samen oder Schößlinge fortgepflanzt werden, wachsen aus Stängeln; einige Kräuter mit vielen Blumen und Früchten vergehen, wenn ihre Frucht reif ist.


47. Andere Gewächse, genannt Herren des Waldes, haben keine Blüthen, aber tragen Früchte, und große holzige Pflanzen, die entweder auch Blüthen, oder blos Frucht tragen, werden in beyden Fällen Bäume genannt.


48. Es gibt kleine Gestrippe mit vielen Stängeln aus der Wurzel aufschießend und Röhre mit einfachen Wurzeln, aber zusammengewachsenen Stängeln, alle von verschiedner Gattung und Gras-Arten und Weinstöcke, oder an andern hinauflaufende oder kriechende[10] Gewächse, welche aus einem Samenkorne, oder aus abgeschnittenen Sprößlingen wachsen.


49. Diese Thiere und Pflanzen, umringt mit vielgestaltiger Finsterniß, haben wegen voriger Handlungen, inneres Bewußtseyn15, und fühlen Vergnügen und Schmerz.


50. Alle Umwandlungen die in den heiligen Büchern aufgezeichnet sind, vom Zustande des Brahma an, bis zu dem der Pflanzen, ereignen sich beständig in dieser erschrecklichen Wesen-Welt, einer Welt die sich immer dem Untergange nähert16.


51. Als er, dessen Kräfte unbegreiflich sind, auf diese Art mich und dieses Ganze geschaffen hatte, wurde[11] er wieder in den höchsten Geist verschlungen, und vertauschte die Zeit der Thätigkeit mit der Zeit der Ruhe.


52. Wenn diese Macht erwacht (denn obwohl Schlummer der einigen ewigen Seele, die unendlich weise und unendlich wohlwollend ist, nicht zugeschrieben werden kann, so wird er doch im bildlichen Sinn dem Brahma, als eine allgemeine Eigenschaft des Lebens, beygelegt), dann hat diese Welt ihre völlige Ausdehnung; aber wenn er mit ruhigem Gemüthe schlummert, dann verschwindet das ganze System.


53. Denn wenn er, so zu sagen, im sanften Schlummer ruhet, so verlassen die bekörperten Geister, welche Fähigkeit zu handeln erhalten, ihre angewiesenen Beschäftigungen und die Seele selbst wird kraftlos.


54. Und wenn sie einmal in das erhaben Wesen verschlungen sind, dann nimmt die göttliche Seele aller Wesen ihre Kraft zurück und schlummert in Ruhe.


55. Auch dann bleibt diese Lebensseele erschaffener Körper, mit allen sinnlichen und Handlungsorganen, lange in der ersten Vorstellung oder in Dunkelheit versenkt, und verrichtet ihre natürlichen Geschäfte nicht, sondern wandert aus ihrer körperlichen Gestalt;


56. Wenn sie, wieder aus kleinen Urprinzipen zusammengesetzt, auf einmal in Pflanzen oder Thiersamen eintritt, und eine neue Gestalt annimmt.


57. So wiederbelebt und zerstört die unveränderliche Macht, in ewiger Aufeinanderfolge, durch abwechselndes[12] Wachen und Ruhen, diesen ganzen Haufen beweglicher und unbeweglicher Geschöpfe.


58. Als er dieses Gesetzbuch feyerlich bekannt gemacht hatte, lehrte er mich's erst vollständig, dann lehrte ich es Marichi und die neun andern heiligen Weisen17.


59. Dieser mein Sohn Bhrigu wird euch das göttliche Buch ohne Auslassung wiederholen: denn dieser Weise lernte es von mir ganz hersagen.


60. Als Menu den großen und weisen Bhrigu also zur Bekanntmachung seiner Gesetze gewählt hatte, redete dieser alle Rischi's sehr liebreich an und sagte also: »höret!«


61. Dieser Menu, genannt Swayambhuva oder entsprossen aus dem Selbstbestehenden, hatte sechs Nachkommen, andre Menus, oder welche die Schrift vollkommen verstanden, deren jeder ein eigenes Geschlecht zeugte, alle von hoher Würde und vorzüglicher Macht:


62. Swaro-chisha, Auttami Tamasa und Raivata, und Chacshusha, majestätisch glänzend, und Vaivaswata, der Sonne Kind.


63. Die sieben Menus (oder die erstgebohrnen, denen sieben andre folgen sollen, unter denen Swayambhuva der vorzüglichste ist, haben diese Welt beweglicher und unbeweglicher Wesen hervorgebracht und erhalten, jeder während seiner eignen Antara, oder Regierungs-Zeit.


64. Achtzehn Nimeshas, oder Augenblicke sind eine Casht'ha; dreyßig Casht'ha's eine Cala;[13] dreyßig Calas eine Muharta: eben so viele Muhartas läßt das Menschengeschlecht auf die Dauer seines Tags und seiner Nacht rechnen.18


65. Die Sonne verursacht bey Göttern und Menschen die Abtheilung in Tag und Nacht; die Nacht ist zur Ruhe und der Tag zur Thätigkeit der verschiednen Wesen bestimmt.


66. Ein Monat der Sterblichen ist ein Tag und eine Nacht der Pitris, oder der Erzväter die im Monde wohnen; und da sich jeder Monat in zwey gleiche Hälften theilt, so ist die eine Hälfte, vom Vollmonde an, ihr Tag zu Geschäften, und die andre, vom Neumonde an, ihre Nacht zum Schlummer.


67. Ein Jahr der Sterblichen ist ein Tag und eine Nacht der Götter, oder der Regierer des Ganzen die um den Nordpol sitzen und ihre Zeit-Eintheilung folgende: ihr Tag ist der nördliche und ihre Nacht der südliche Sonnenlauf.


68. Lerne nun wie lange ein Tag und eine Nacht dem Brahma und in den verschiedenen Zeitaltern währet, die ich kürzlich der Ordnung nach erwähnen will.


69. Ein Zeitalter, welches viertausend Jahre der Götter enthält, haben die Weisen Crita genannt; die vorausgehende Dämmerung faßt eben so viele hundert Jahre in sich und die darauf folgende Dämmerung eine gleiche Anzahl.


70. In den andern drey Zeitaltern mit ihren vorausgehenden und nachfolgenden Dämmerungen werden die Tausende und Hunderte um Eins kleiner.
[14]

71. Rechnet man die göttlichen Jahre in den just erwähnten Menschen-Zeit-Altern zusammen, so ist ihre Summe zwölftausend, welche das Zeitalter der Götter heißen.


72. Nimmt man tausend solche Götter-Zeitalter, so hat man einen Tag des Brahma: seine Nacht ist von gleicher Dauer.


73. Diejenigen verstehen die Eintheilungen in Tage und Nächte am besten, welche wissen daß der Tag des Brahma, welcher bis ans Ende tausend solcher Zeitalter dauert, tugendhafte Bemühungen erzeugt, und daß seine Nacht eben so lange als sein Tag währet.


74. Am Ende seiner Nacht, wenn er lange geruhet hat, wacht er auf und wendet die Kraft des Verstandes beym Aufwachen an, oder bringt das große Prinzip des Lebens wieder hervor, dessen Eigenschaft ist zu existiren ohne sinnlich bemerkbar zu seyn.


75. Der Verstand, durch seinen Willen zur Schaffung von Welten in Wirksamkeit gesetzt, verrichtet wiederum das Werk der Schöpfung, und daher entsteht zuerst der feine Aether, welchem Philosophen die Eigenschaft der Fortpflanzung des Schalls zuschreiben.


76. Aus Aether, der Gestalt nach verändert, entspringt die reine und starke Luft, vermöge welcher sich alle Gerüche mittheilen, und Luft wird für berührbar gehalten.


77. Ferner wenn Luft eine Veränderung hervorbringt, entsteht aus derselben Licht oder Feuer, welches Gegenstände sichtbar macht, Dunkelheit verscheucht, helle Strahlen verbreitet, und der Gestalt empfänglich seyn soll.
[15]

78. Aber aus Licht, nach vorhergegangener Veränderung, kommt das Wasser mit der Eigenschaft des Geschmackes; und das Wasser setzt Erde mit der Eigenschaft des Geruchs zu Boden: so wurden sie im Anfange erschaffen.


79. Das vorerwähnte Zeitalter der Götter, oder zwölftausend ihrer Jahre, ein und siebenzigmal vervielfältigt, giebt eine Menwantara wie es hier genannt wird, oder das Reich eines Menu.


80. Es giebt unzähliche Menwantaras; auch unzähliche Erschaffungen19 und Zerstörungen der Welten: das höchst erhabene Wesen verrichtet alle das, zu wiederholten malen, so leicht als im Spiele, um Glückseligkeit zu verbreiten.


81. Im Crita Zeitalter steht der Genius der Wahrheit und des Rechts in Gestalt eines Stiers fast auf seinen vier Füßen; und die Menschen heben auch noch keinen Vortheil von der Ruchlosigkeit20.


82. Aber in dem folgenden Zeitalter wird er nach und nach, durch ungerechten Gewinn, eines Fußes beraubt; und selbst gerechte Vortheile werden unvermerkt durch überhandnehmende Dieberey, Falschheit und Betrug, um ein Viertel verringert.
[16]

83. Im Crita Zeitalter gelangen Menschen, die frey von Krankheit bleiben, zu aller Art glücklichen Wohlstandes und leben vier hundert Jahre; aber im Treta und den folgenden Zeitaltern wird ihr Leben allmählig um ein Viertel verkürzt.


84. Das Leben der Sterblichen welches im Veda erwähnt wird, die Belohnungen edler Thaten, und die Kräfte bekörperter Geister, sind Früchte, welche unter den Menschen im Verhältnisse mit der Ordnung de vier Zeitalter stehen.


85. Einige Pflichten werden von guten Menschen im Crita Zeitalter erfüllt; einige im Treta, andre im Dwapara, und noch andre im Cali, je nachdem diese Zeitalter an Länge abnehmen.


86. Im Crita wird Andacht als die herrschende Tugend angegeben; im Treta göttliche Kenntniß; im Dwapara nennen heilige Weisen die vorzüglich ausgeübte Pflicht Opfer; im Cali Freygebigkeit allein.


87. Um dieses Ganze zu erhalten, wies das höchst glorreiche Wesen denen, welche von seinem Munde, Arme, Hüfte und Füße entsprossen, besondere Pflichten an21.


88. Die Pflichten welche es den Brahminen auflegte, sind: den Veda zu lesen, ihn andern zu lehren, zu opfern, andern beym Opfer beyzustehen, Allmosen zu geben, wenn sie reich sind, und wenn sie arm sind, Geschenke zu nehmen.
[17]

89. Die Pflichten eines Cshatriya sind in wenig Worten: das Volk zu vertheidigen, Almosen zu geben, zu opfern, den Veda zu lesen, und sich vor den Reizen des sinnlichen Vergnügens zu hüten.


90. Aber Viehherden zu halten, Geschenke zu geben, zu opfern, die Schrift zu lesen, Handel zu treiben, auf Zinsen zu leihen und das Land zu bauen ist einem Vaisya befohlen oder zugelassen.


91. Eine Hautpflicht legte der höchste Regierer einem Sudra auf, den vorerwähnten Klassen zu dienen, ohne ihrer Würde Abbruch zu thun.


92. Der Mensch ist reiner über dem Nabel; aber die selbst bestehende Macht hat verkündigt, daß sein reinster Theil der Mund sey.


93. Da der Brahmin aus dem vortreflichsten Theile entsprang, da er zuerst gebohren wurde, und da er den Veda besitzt, so ist er von Rechtswegen das Haupt dieser ganzen Schöpfung22.
[18]

94. Ihn ließ das Wesen, welche durch sich selbst besteht, aus seinem eigenen Munde im Anfange hervorgehen, damit er nach der Beobachtung heiliger Gebräuche, den Göttern gesäuberte Butter23 darreichen möchte, und Reiskuchen den Erzeugern des Menschengeschlechts zur Erhaltung dieser Welt.


95. Welches erschaffne Wesen nun kann ihn übertreffen, mit dessen Munde die Götter der Veste unaufhörlich gesäuberte Butter schmausen und die Schatten der Vorältern geheiligte Kuchen24?


96. Unter den erschaffnen Dingen haben die belebten den Vorzug, unter den Belebten die, deren Daseyn sich auf Vernunft gründet, unter den Vernünftigen das Menschengeschlecht, und unter den Menschen die Priester-Classe.


97. Unter den Priestern die vorzüglich Gelehrten; unter den Gelehrten die, welche ihre Pflicht kennen; unter[19] solchen welche sie kennen, diejenigen welche sie tugendhaft erfüllen; und unter den Tugendhaften die, deren Wonne eine vollkommene Bekanntschaft mit der Schriftlehre ist.


98. Schon die Geburt der Brahminen ist eine beständige Incarnation des Dherma, des Gottes der Gerechtigkeit; denn der Brahmin wurde gebohren, Gerechtigkeit zu befördern und endliche Glückseligkeit zu bewirken.


99. Wenn ein Brahmin ans Licht kommt, wird er erhaben über der Welt gebohren, ist das Haupt aller Geschöpfe, und bestimmt, die Schatzkammer religiöser und bürgerlicher Pflichten zu bewachen.


100. Alles was sich im Universum befindet, ist in der That, obwohl nicht dem Anscheine nach, der Reichthum der Brahminen, weil der Brahmin durch seine erste und erhabne Geburt ein Recht dazu hat.


101. Der Brahmin ißt blos seine eigen erworbene Nahrung, trägt blos seine eigne Kleider, und giebt blos seine eigne Almosen; ja wahrlich durch das Wohlwollen des Brahminen genießen die übrigen Sterblichen ihres Lebens25.


102. Um die Pflichten der Priester und die der andern Classen in gehöriger Ordnung zu verkünden, gab Menu, der Sohn des Selbstbestehenden, diesem Gesetzbuch.
[20]

103. Ein Gesetzbuch, welche mit äußerster Sorgfalt von jedem gelehrten Brahminen studirt und seinen Schülern völlig erklärt werden, aber von keinem andern Manne aus einer niedern Classe erläutert werden muß.26


104. Der Brahmin, welcher dieses Buch studirt, ist nach der Beobachtung heiliger Gebrauche immer schuldlos in Gedanken, Worten und Handlungen.


105. Er giebt Reinigkeit seiner lebenden Familie, seinen Vorfahren, seinen Nachkommen bis ins siebente[21] Glied, und er allein verdient diese ganze Erde zu besitzen.


106. Dieses höchst vortrefliche Gesetzbuch ist der Ursprung alles Guten; dieses Gesetzbuch vermehrt die Einsichten; dieses Gesetzbuch bringt Ruhm und langes Leben; dieses Gesetzbuch zeigt den Weg zur höchsten Wonne.


107. In diesem Buche wird das System der Gesetze ausführlich dargestellt, mit den guten und bösen Beschaffenheiten menschlicher Handlungen und mit den uralten Gebräuchen der vier Classen.


108. Uralter Gebrauch ist das allervollkommenste Gesetz, gebilligt in der heiligen Schrift, und in den Verordnungen göttlicher Gesetzgeber: daher müsse jeder in den drey vorzüglichsten Classen, welcher für den Höchsten in ihm wohnenden Geist gehörige Achtung hat, uralte Sitten genau und beständig beobachten.


109. Ein Mann aus der Classe der Priester, der Krieger oder der Handelsleute, welcher uralte Sitten vernachlässigt, schmeckt die Frucht des Veda nicht; aber durch genaue Beobachtung derselben erhält er jene Frucht in ihrer Vollkommenheit.


110. So haben heilige Weisen, überzeugt daß Gesetze auf uralte Sitten gegründet sind, gute lang eingeführte Gebräuche, als den Ursprung aller Frömmigkeit, begangen.


111. Die Erschaffung dieses Ganzen; die Art des Unterrichts und der Erziehung, so wie die Pflichten und das Betragen eines Schülers der Gottesgelahrheit; die Anweisungen zu der Ceremonie nach seiner Rückkehr aus der Wohnung seines Lehrers;
[22]

112. Das Gesetz der Verehelichung im Allgemeinen und der verschiedenartigen Hochzeitfeyerlichkeiten; die Verordnungen für die großen Sacramente und die Art, Todtenfeyern zu beobachten nach der Einsetzung von allem Anfange;


113. Die verschiedne Weise Lebensunterhalt zu erwerben und die Vorschriften, welche der Herr einer Familie beobachten muß; erlaubte und verbotene Nahrungsmittel, als auch die Reinigung der Personen und Gefäße;


114. Gesetze die Weiber betreffend, Andachtsübungen der Eremiten und Einsiedler, die blos auf endliche Seeligkeit denken; die ganze Pflicht eines Königs und die rechtliche Beylegung der Streitigkeiten,


115. Mit dem Gesetze von Zeugen und Verhör; Gesetze Mann und Weib betreffend, und Erbschafts-Verordnungen; das Verbot des Spiels und die Strafe der Verbrecher;


116. Die verschiedenen Seelenwandrungen in diesem Weltall, welche aus dreyerley Vergehungen entspringen, und die endliche Wonne welche bey der förmlichen Prüfung von Tugend und Laster guten Handlungen folgt:


117. Alle diese Gegenstände des von Menu gegebenen Gesetzes, und gelegentlich die Gebräuche verschiedener Länder, verschiedener Stämme und verschiedener Familien, mit Vorschriften, betreffend Ketzer und Gesellschaften von Kaufleuten, werden in diesem Gesetzbuche abgehandelt.


118. Ganz so wie Menu auf mein Ersuchen vormals diese göttliche Sastra offenbarte, so höret[23] sie nun von mir ohne die geringste Abkürzung oder Erweiterung.


Fußnoten

1 Menu, siehe das Glossar so wie bey allen Nahmen und Sanscrit Wörtern.


2 Die göttlichen Weisen. Siehe im Glossar die Anmerkung zu Menu


3 Jones in den Asiatic Researches I. p. 244. wo er diese Stelle anführt, zieht mit Recht die erhabnere Mosaische, welcher die unsrige so ähnlich ist, vor, und giebt eine andere desselben Inhalts aus der Gita.


4 Wenn man andere Ueberlieferungen unter den Hindus über die Schöpfung, z.B. Holwell II. S. 35 und 106; in den Gentoo Gesetzen S. 100. und im Ezur-Vedam II. S. 187. mit der des Menu vergleicht, so wird man die unsrige einfacher, erhabener und mit weniger Abgeschmacktheiten vermischt finden. Uebrigens erwähnen die Sanscrit Schriftsteller so vieler Calpas oder Schöpfungen leicht daraus erklären kann. In Ayeen Akbery III. p. 6. sagt Abulfazel, daß nicht weniger als 18 verschiedene Meynungen über die Schöpfung wären, von denen er drey anführt.


5 Acht Gegenden. Dies sind die so genannten Loks, in welche die Hindugelehrten den Himmel theilen. Unter andern findet man die Pitri-Lok oder die Gegend der Väter, die Matri-Lok oder die Gegend der Mütter. »Aber, sagt Wilkins zu Heetopades p. 305. »für alte Jungfern und für Hagestolze giebt es keine himmlische Gegend; sie müssen ihre Jugend in diesem Erden leben von vorn anfangen, und ihr Heil noch einmal versuchen.« Im Gentoogesetzbuche S. 40. werden nur sechs Loks erwähnt.


6 Vergleiche XII. 24. ff. wo die drey Eigenschaften weitläuftig erklärt werden. Sie heißen im Sanscrit: Satwa, Raja Tama s. Wilkins zu Bagvat-Geeta p. 63.


7 große Seele. Ob diese Allein das Universum belebt, oder ob es noch eine sogenannte Lebens-Seele giebt, ist nach Dow. pref. 58. der Zankapfel zweyer Sekten in Indien. Und ob gleich Dow sagt, daß sich die Anhänger der erstern Meynung für rechtgläubiger hielten, so war doch offenbar Menu, wie aus XII. 12. 13. erhellt, der letztern zugethan: mithin, wenn man sein Ansehn unter den Hindus überlegt, so scheint es daß seine Meynung die orthodoxe sey.


8 vorherexistirend. Holwell II. p. 9. ff. erzählt aus dem Munde gelehrter Brahminen den Ursprung der Vedas, und man ersieht daraus (S. 12.) daß Gott selbst dem Brahma seine Gesetze dictirte und daß dieser sie ins Sanscrit übersetzte, als er im Anfange des jetzigen Welt-Alters herabkam, die menschliche Gestalt annahm und über Hindostan regierte.


9 Siehe einen großen Theil des zwölften Kapitels über die Seelenwanderung.


10 Der Fatalismus, welcher hier nur berührt ist, wird in mehrern Stellen Menu's gelehrt. Die Lehre der Hindus vom Schicksale findet man im Heetopades p. 5. 6. 7. weitläuftig. Ein Mann von Beobachtung in Travels in Europe, Asia etc. S. 333. sagt: »die Fühllosigkeit der Hindus bey den Leiden und Gefahren ihrer Mitgeschöpfe, ist für mich eine erstaunenswürdige Erscheinung. – Vielleicht sind es jene Begriffe von Vorherbestimmung, von unwiderstehlichem Schicksale, die durch ganz Asien herrschen, welche das Herz zur Hingebung, zur Beruhigung über jeden Vorfall stimmen,« erzählt darauf ein Beyspiel von einem seiner Bekannten, welcher mit seinen Leuten bey einem Dickigt vorbey reisete. Ein Tiger sprang auf einmal heraus und ergriff einen kleinen lautaufschreyenden Knaben. Der Engländer war außer sich vor Schrecken und Angst, der Hindu ruhig. »Wie, sagte jener, könnt ihr so kalt bleiben?« der Hindu antwortete: »Der große Gott wollte es so haben.«


11 Vergleiche die Gentoogesetze von Raspe S. 100.


12 Vergleiche §. 61. 62. 63.


13 Barbaren im Sanscrit; barbara s. Wilkins zu Heetop. p. 310. Jones und Wilkins bemerken, die Aehnlichkeit des Griechischen und Lateinischen mit dem Sanscrit sey so auffallend, daß sie aus der nehmlichen Quelle ihren Ursprung haben müßten. Z.B. nara, Wasser ist, nach Villoison noch jetzt ein gemeines griechisches Wort, ferner sind Agni und ignis, Yoyan und jugum, dwa und duo, trieni, septanga und die übrigen Zahlwörter unzweifelhafte Belege zu obiger Behauptung.


14 Andacht. Hierdurch ist im ganzen Buche das Wort devotion umgedeutscht worden. Da der Begriff aber sehr viel umfassend und aus der überspannten Schwärmerey der Hindus herzuleiten ist, so setze ich eine Stelle aus der Gita zur Erläuterung hinzu. S. 54. »Einige Andächtige beten die Devatas oder die Engel an; Andre bringen Gott Spenden im Feuer dar; einige opfern ihre Ohren und andre Gliedmaßen im Feuer des Zwanges. – Es giebt Verehrer durch Opfer, durch Kasteyungen, durch eifrige Andacht, durch Forschen in den Schriften, durch bezähmte Leidenschaften und durch strenge Lebensart. Einige opfern ihren Athem und treiben ihn von seinem natürlichen Wege gewaltsam hinab; andre hingegen pressen den Wind, welcher unten ist, mit ihrem Athem herauf, und einige, welche diese beyden Kräfte (faculties) sehr hoch halten, schließen die Thüre von beyden zu.«


15 Bewußtseyn. Siehe die Anmerkung zu Kap V. 40.


16 Der Glaube an die Umwandlungen der Seelen von Körper zu Körper, welcher den armen Hindu zum Sklaven des schädlichsten Ungeziefers macht, soll in den Vedas auf das abentheuerlichste begründet seyn, und Holwell II. 62. theilt uns daraus folgendes mit: »Gott schuf die sterblichen Leiber, um die widerspenstige Engel auf einige Zeit in dieselben einzukerkern und sie mit körperlichen und moralischen Uebeln zu bestrafen, welche nach Maasgabe ihrer ersten Verbrechen mehr oder weniger schmerzhaft und beängstigend seyn werden; Gott verurtheilte diese abtrünnigen Daityas, diese Strafen in neun und achtzig verschiedenen Formen zu bestehen, oder zu durchwandern; die letzte derselben ist die menschliche Gestalt, in welcher die Kräfte der gefallenen und körperbeseelenden Engel wieder ihre völlige Ausdehnung erhalten und ihre ursprüngliche Richtung angenommen haben.« Im letzten Kapitel unsers Menu wird auch weitläuftig davon gehandelt.

Untergange. Die Brahminen lehren, daß wir jetzt im bösesten Weltalter oder in der Cali Yuga leben, welche nur 400,000 Jahre dauern wird, und wovon wir bereits 5000 Jahre zurückgelegt haben; daß die Sünden der Menschen immer häufiger werden; daß sich unsre Körpergröße immer verringert, und daß die Erdenbewohner zu Ende dieser Periode zu unglaublich kleinen Zwergen zusammengeschrumpft seyn werden. s. Cali.


17 Vergleiche §. 25.


18 Die Zeit-Eintheilung welche Dow. pref. 45. anführt ist etwas von dieser hier verschieden, eben so wie die bey Hennings II. 524.


19 Vergleiche history of Hindostan I. p. 121. und Dow pref. p. 66.


20 Ueber den heiligen Stier der Hindus, und seine Aehnlichkeit mit dem Apis und Mnewes siehe Jones's Vorrede. Dieser Stier wird unter dem Nahmen Dharmadeva, d.i. Gott der Tugend, von den Hindus angebetet und hat allemal eine Kapelle für sich an den größern Tempeln der zerstörenden Form der Gottheit, des Siva, weil dieser auf ihm reitet. Siehe eine Abbildung desselben in Sonnerat Voyages I. p. 184.


21 Weder hier noch an irgend einer Stelle des Dhermasastra wird eine fünfte Haupt-Caste erwähnt, welche einige Reisende anführen. Denn Burrun-Sunker in den Gentoogesetzen S. 106. ist ein kollektiver Nahme für vermischte Casten.


22 Von dem zwar nicht in der Geschichte, aber in Ansehung der Dauer, beyspiellosen Vorrange einer heiligern und vorgeblich bessern Menschenklasse unter einem so großen Volke als die Hindus sind, reden alle Bücher über Indien oft bis zum Ueberdrusse. Aus den oben im Glossarium unter Brahmin angeführten Stellen Menu's wird man sehen, was für unglaubliche Vorrechte ihnen die Sastras zugestehen; man wird ferner daraus sehen, was sie seyn sollten und aus dem dazu gesagten, was viele von ihnen jetzt sind. Mir scheint nichts auffallender zu seyn, als das Verhältniß in welchem diese Caste in einem Lande, wo der ärgste Despotismus zu Hause ist, gegen die Regenten-Caste, oder die der Kschettris, der Krieger, steht. Die Rajas haben diesem zufolge unter ihren Unterthanen eine Gattung von Menschen, die weit über sie selbst erhaben ist, und die Brahminen vergessen so wenig ihren Ursprung aus dem Munde des Brahma, daß sie nie weder bey einem Könige als Gäste, noch Speise, die er hat zubereiten lassen, essen; ja, wenn sie auch wollten, so dürften sie nicht. Sie würden sich dem Verluste ihrer Casten aussetzen, einem Unglücke, von dessen Größe unten zum elften Kapitel etwas vorkommen wird. Ihre Personen sind heilig und es giebt keine größere Sünde, wie unser Gesetzbuch sagt, Kap. VIII, 381. als einen Brahminen umzubringen. Daher die Rajahs sich ausnehmend hüten müssen, sie nicht zu beleidigen. Daß aber weder Mahomedanische noch Europäische Regierungen ihnen viele Ausnahmen zugestehen, bedarf keiner Erinnerung. Aus den Gentoogesetzen, die Raspe übersetzt hat, sieht man, daß die dritte und vierte Classe sich einer sehr schmerzbaren oder gar der Lebensstrafe schuldig machen würden, wenn sie einen Brahminen beleidigen wollten. S. Gentoogesetze S. 371.


23 Gesäuberte Butter. Dies ist die hinlänglich bekannte Shi, von deren Zubereitung man aber sehr widersprechende Nachrichten liest und hört. Shi bleibt immer fließend und wird, ohne gesalzen zu seyn, sehr lange in ledernen Flaschen aufbewahrt. Oft ist es verdorben und den Europäern höchst widerlich. Man bedient sich eines Löffels dazu und fast alle Speisen und viele Opfer werden damit zubereitet.


24 Kuchen. Dies sind die Pindas oder Reißkuchen bey der Sraddah, welche im dritten Kapitel weitläufig abgehandelt wird.


25 Das Beywort eigen muß man hier so verstehen, daß durch sogar alle geschenkte Nahrungsmittel und Kleider ihm von Rechtswegen zugehören, weil er (§. 93.) das Haupt der Schöpfung ist. Bekanntermaßen sind die Brahminen privilegirte und nie abzuweisende Bettler, dafern sie anders in dürftige Umstände gerathen.


26 Dieses ist noch bis jetzt eine sehr strenge Vorschrift, und in der Folge unsres Gesetzbuches kommen mehrere der Art vor. Einem Sudra welcher den Veda zu lesen sich erdreisten wollte, würde heißes Oel in den Mund gegossen werden s. Gentoogesetze S. 432. Da nun Christen, wie man weiter unter sehen wird, von dem gläubigen Hindu unter den Abschaum der Menschheit gerechnet (nicht wegen ihre Religion, sondern wegen des Fleischessens und des Genusses starker Getränke, Roger sagt auch wegen der weißen Gesichtsfarbe u.s.w.) und in gleichen Rang mit einem Tschandala (oder Parriar) gesetzt werden, so hält es natürlich schwer, zur Kenntniß des Sanscrit, dem Schlüssel ihrer heiligen Bücher, zu gelangen, und noch schwerer, sich Abschriften zu verschaffen; aber, daß man diese Schwierigkeiten übertreibt, daß sie Jeder überwinden kann, wer Lernbegierde besitzt, und daß die Vorurtheile der gelehrten Pundits und anderer Classen von Hindus wider die Europäer nicht nur zu verschwinden anfangen, sondern sich auch in Hochachtung verwandelt haben, ja selbst in die aufrichtigsten Thränen z.B. bey des guten Jones's Tode, wird man aus dem mitgetheilten Leben des letztern und aus der Anmerkung zu II. 123. sehen. Ich kann mich kaum enthalten die berühmte Anekdote vom Kaiser Akbar zu wiederholen, welcher der Feizi durch List in der Wissenschaft der Brahminen unterrichten ließ, und als der alte Brahmine dem jungen Lieblinge seine einzige Tochter geben wollte, von dem gefühlvollen Feizi aus dem Irrthume gerissen wurde, worüber der fromme Lehrer sich das Leben würde genommen haben, wenn nicht Feizi ihm Verschweigung der Veda Lehren angelobt und dadurch (so sagt die Anekdote) Akbars Absicht, die Brahminen-Geheimnisse zu erfahren, vereitelt hatte. Dow. pref. p. 33. erzählt dies und Raynal hat sie wieder erzählt.

Quelle:
Hindu Gesetzbuch oder Menu's Verordnungen nach Cullucas Erläuterung. Weimar 1797, S. 1-24.
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