Sechstes Kapitel.

Ueber Andachtsübung, oder über den dritten und vierten Stand.

[189] 1. Wenn nun der wiedergeborne Mann nach der Vorschrift des Gesetzes seine Schülerzeit vollendet und im Stande eines Hausvaters verblieben ist, so begebe er sich in einen Wald zur Wohnung, beharre standhaft in seinem Glauben und halte seine Gliedmaßen unabläßig in wachsamer Aufsicht.1


2. Wenn der Vater einer Familie merkt, daß seine Muskeln schlaff werden und sein Haar grau, und wenn er das Kind seines Kindes sieht, dann fliehe er in einen Wald;


3. Erlasse alle Lebensmittel, die man in Städten zu genießen pflegt, und all sein Hausgeräthe zurück, und ebenso sich also in den einsamen Forst; seine Frau aber vertraue er entweder der Vorsorge seiner Söhne an, oder lasse sich, wenn sie bey ihm zu bleiben wünscht, von ihr begleiten.2
[190]

4. Er nehme sein geweyhtes Feuer und all sein Hausgeräthe, welches zum Opfern dabey gebraucht wird, dann wandere er aus der Stadt nach dem Walde und wohne dort mit völliger Herrschaft über seine Sinne und Handlungsorgane.


5. Er feyere die fünf großen vorher erwähnten Sacramente, mit vielerley reinen Nahrungsmitteln, dergleichen heilige Weisen zu essen pflegten, mit grünen Kräutern, Wurzeln und Früchten, und bringe sie mit gehörigen Ceremonien dar.


6. Sein Gewand sey eine schwarze Antelopen-Haut oder ein Kleid von Rinde; er bade sich abends und morgens, und lasse die Haare auf seinem Haupte und in seinem Barte, desgleichen seine Nägel beständig wachsen.


7. Er bringe von aller Nahrung die er ißt, so weit es nur seine Kräfte erlauben, Spenden dar und theile Almosen aus; die aber welche seine Einsiedeley besuchen, ehre er mit Geschenken von Wasser, Wurzeln und Früchten.


8. Sein beständiges Geschäft sey den Veda zu lesen, geduldig in allen Nöthen und wohlwollend gegen jedermann zu seyn; seine Gedanken immer auf das höchste Wesen zu richten, immer Geschenke zu geben, aber nie welche anzunehmen und mit zärtlicher Neigung gegen alle belebte Körper durchdrungen zu seyn.


9. Er opfere wie das Gesetz befehlt, auf dem Herde mit drey heiligen Feuern und vernachläßige nicht zu gehöriger Zeit die Ceremonien zu verrichten, welche auf die Conjunction und Opposition des Mondes fallen.


10. Er vollziehe auch das Opfer, welches zu Ehren der Mondconstellationen verordnet ist, mache die[191] gehörige Spende mit neuem Getreide, und feyere aller vier Monathe und an den Winter- und Sommer-Solstitien heilige Gebräuche.


11. Kuchen- und gekochte Getreide-Spenden mache er, wie sie das Gesetz vorschreibt, mit reinem Reiße, wovon sich die alten Weisen nährten, welcher im Lenze und im Herbste wächst, und welchen er selbst zu Hause gebracht hat.


12. Wenn er nun dieses höchst reine Opfer den Göttern, welches der wilde Forst erzeugte, dargebracht hat, dann esse er den Ueberrest mit etwas gediegenem Salze, das er selbst eingesammlet hat.3


13. Seine Nahrung bestehe aus grünen Kräutern, Blumen, Wurzeln und Früchten, welche auf der Erde oder Wasser wachsen, ferner aus allem das auf reinen Bäumen erzeugt, und aus Oehl welches aus Früchten gezogen wird.


14. Aber Honig und Fleischspeise, alle Arten von Erdschwämmen, die Pflanze Bhustrina, die welche man Sighruca heißt, und die Frucht des Sleshmataca, darf er nicht zu seiner Nahrung brauchen.


15. Im Monat Aswina muß er die Nahrung der Weisen, die er vorher eingesammelt hatte, und sein Kleid welches dann abgetragen ist, und seine Kräuter, Wurzeln und Früchte wegwerfen.


16. Er esse nie das, was auf einem gepflügten Acker wächst, wenn ihn gleich der Besitzer desselben verlassen hat, noch Früchte und Wurzeln die in der Stadt gewachsen sind, wenn er auch vom Hunger gequält werden sollte.
[192]

17. Was vom Feuer erweicht und was durch die Zeit zur Reise gekommen ist, das ist ihm erlaubt zu essen, und er breche die Früchte, welche hart sind entweder mit einem Steine auf, oder bediene sich seiner Zähne anstatt eines Stößels.


18. Er kann entweder so viel pflücken als er auf einen Tag braucht, er kann sammeln was er auf einen Monat braucht, er kann zusammentragen was er auf sechs Monate braucht, oder sich mit soviel versorgen als ihn auf ein ganzes Jahr nöthig ist.


19. Wenn er nun so wie es die Umstände erlaubten, für seine Nahrung gesorgt hat, so kann er sie an jedem Abend oder an jedem Morgen genießen, oder nur aller vier oder aller acht Tage ein regelmäßiges Mahl zu sich nehmen.


20. Oder er kann nach den Vorschriften der Mondbuße an jedem der hellen vierzehn Tage einen Mund voll mehr und an jedem der dunkeln vierzehn Tage einen Mund voll weniger essen, oder es ist ihm auch erlaubt nur einmal am Ende jeder Doppel-Woche ein Gericht gekochte Reiß zu essen.


21. Oder er kann sich auch bloß von Blumen und Wurzeln und von völlig reifen Früchten ernähren die von selbst abgefallen sind, wobey er aber genau die den Einsiedler gegebenen Vorschriften beobachten muß.


22. Er rutsche entweder hin und her auf der Erde, oder stehe einen ganzen Tag lang auf den Zehen, oder erhalte sich bald sitzend bald stehend in beständiger Bewegung; aber bey Sonnen-Aufgang, am Mittage und bey Sonnen-Untergang gehe er ins Wasser und bade sich.
[193]

23. Zur heißen Jahrszeit setze er sich so, daß fünf Feuer auf ihn würken viere, die rings um ihn lodern und die Sonne von oben; zur Regenzeit muß er da wo die Wolken die vollsten Ströme herabgießen, ganz unbedeckt, auch sogar ohne einen Mantel stehen; wenn die Kälte eingetreten ist, muß er nasse Kleider tragen und so muß er nach und nach die Strenge seiner Andachtsübungen vermehren.45


24. An den drey Savanas, wenn er sein Reinigungs-Bad vornimmt, bemühe er sich es zur Zufriedenheit der abgeschiedenen Seelen und der Götter zu thun, und durch Erduldung härterer und härterer Büßungen mergle er seinen Körper ab.


25. Wenn er nun seine heiligen Feuer, wie das Gesetz vorschreibt, in seinem Geiste aufbewahrt hat, so lebe er ohne äußeres Feuer, ohne Wohnung, ganz sprachlos und nähre sich von Wurzeln und Früchten.


26. Er denke nie auf sein Vergnügen, sey keusch wie ein Schüler, schlafe auf der bloßen Erde in den Gegenden frommer Einsiedler, und wohne ohne die geringste Selbstsucht an den Wurzeln der Bäume.


27. Von andächtigen Brahminen, oder von andern Hausvätern der wiedergebornen Classen die in dem Walde wohnen, sey es ihm erlaubt zur Erhaltung seines Lebens Almosen anzunehmen.
[194]

28. Ein Einsiedler darf auch aus der Stadt Lebensmittel bringen die er in einem Blätterkorbe, in seine nackte Hand, oder in eine Scherbe bekommen hat: und dann genieße er davon acht Bissen.


29. Diese und andere Vorschriften muß ein Brahmin der sich in die Wälder begabt, genau beobachten, und damit er seine Seele mit dem göttlichen Geiste vereinige, muß er die verschiedenen Upanishaden der Schrift, oder die Capitel über das Wesen und die Eigenschaften Gottes erlernen,


30. Welche mit Hochachtung von Einsiedlern die in der Theologie bewandert waren, und von Hausvätern die nachgehends in Wäldern wohnten, zur Vermehrung ihrer erhabenen Kenntniß und Andacht, und zur Reinigung ihrer Körper studirt worden sind.


31. Oder wenn er irgend eine unheilbare Krankheit hat, gehe er in geradem Pfade auf den unüberwindlichen nordöstlichen Punkt6 zu, und nähre sich von Wasser und Luft, bis daß seine sterbliche Hülle gänzlich zusammen falle und seine Seele mit dem Höchsten vereiniget werde.


32. Wenn ein Brahmin seinen Körper auf irgend eine der erwähnten Arten, wie große Weisen gethan haben, unvermerkt zerrüttet hat und gleichgültig gegen Kummer und Furcht geworden ist, so wird er in dem göttlichen Wesen höchst erhaben werden.7
[195]

33. Wenn er auf diese Art den dritten Theil seines Lebens hindurch religiöse Handlungen in einem Walde vollzogen hat, so werde er in der vierten Abtheilung desselben ein Sanyassi, härte sich gegen alle sinnliche Eindrücke ab, und ruhe gänzlich in dem höchsten Geiste.


34. Wer aus einem Stande zum andern hinüber gegangen ist, und bey den Veränderungen seiner Zustände Spenden ins Feuer gemacht und seine Glieder in immerwährender Unterthänigkeit gehalten hat, aber nun durch so vieles Almosen geben und opfern ermüdet, sich also gänzlich in Gott ausruhet, wird nach dem Tode die Höhe des Ruhms erreichen.


35. Wenn er seine drey Schulden, an die Weisen, an die abgeschiedenen Seelen und an die Götter, abgetragen hat, dann beschäftige sich seine Seele mit der endlichen Glückseligkeit; aber der welcher ohne diese Schulden bezahlt zu haben, es wagt nach Glückseligkeit zu streben, wird tief fallen.


36. Wenn er die Vedas auf die gesetzmäßige Art gelesen, rechtlicher Weise einen Sohn gezeuget und die Opfer nach seinen besten Kräften verrichtet hat, so sind seine drey Schulden bezahlt, und er kann alsdann auf ewige Wonne denken.


37. Aber wenn ein Brahmin nicht den Veda gelesen, keinen Sohn gezeugt, keine Opfer verrichtet hat,[196] und doch nach endlicher Glückseligkeit strebt, so soll er in einen Ort der Erniedrigung sinken.


38. Wenn ein Brahmin das Opfer des Prajapeti verrichtet, daneben seinen sämtlichen Reichthum weggeschenket, und die Opfer-Feuer in seiner Seele aufbewahret hat, so kann er aus seinem Hause, das ist aus dem zweyten Stande,8 oder sogar auch aus dem ersten, in den Stand eine Sanyassi übergehen.


39. Höhere Welten werden durch den Ruhm des Mannes erleuchtet, welcher aus seinem Hause in den vierten Stand übergeht, alle belebte Wesen von Furcht befreyet, und die mystischen Worte des Veda ausspricht.


40. Ein Brahmin, welcher empfindenden Geschöpfen auch nicht die kleinste Furcht verursacht hat, darf nirgends woher etwas besorgen, wenn er aus seinem sterblichen Körper befreyet wird.


41. Wenn er in den vierten Stand treten will, so verlasse er sein Haus, nehme mit sich seine reinen Gefäße, nämlich seinen Wassertopf und seinen Stab, spreche kein Wort und lasse sich nicht verleiten nach den ihn umgebenden Gegenständen zu verlangen.9


42. Wegen seiner eignen Glückseligkeit wohne er beständig allein, er überlege wie selig ein einsamer Mann ist,[197] der weder verläßt noch verlassen ist, und lebe noch Gesellschafter.10


43. Er muß kein Küchenfeuer, keine Behausung haben, sondern in die Stadt gehen, wenn er sehr hungrig ist; Krankheit trage er mit Geduld, und seine Seele sey standhaft, er strebe Gott kennen zu lernen, und hefte seine Aufmerksamkeit auf Gott allein.


44. Ein irdener Wassertopf, die Wurzeln großer Bäume, grobe Kleidung, gänzliche Einsamkeit, Gutmüthigteit gegen alle Geschöpfe, dies sind die Unterscheidungs-Merkmahle eines frey gewordenen Brahminen.


45. Er muß nicht den Tod wünschen und nicht um Leben flehn; er erwarte seine bestimmte Zeit, wie ein gemietheter Diener seinen Lohn erwartet.11


46. Wenn er einen Schritt mit seinem Fuße thun will, so reinige er diesen zuvor dadurch, daß er herabblickt, damit er nicht von ungefähr etwas unreines berühre; wenn er Wasser trinken will, so reinige und feige er es durch ein Tuch, damit er nicht etwa ein Insekt beschädige; wenn er sprechen will, so wähle er Worte, die durch Wahrheit[198] gereiniget sind, aber vorzüglich halte er ja sein Herz rein.


47. Er muß Tadel mit Geduld ertragen, und gegen niemand von andern verkleinernd sprechen, er muß sich nie wegen seines hinfälligen fieberhaften Körpers mit irgend jemand in Zwistigkeiten verwickeln.


48. Gegen einen zornigen Mann muß er seinerseits nicht wieder zornig seyn; wird er geschmähet, so antworte er mit Sanftmuth, noch spreche er ein einziges Wort über die nichtigen täuschenden Dinge, welche in sieben Thore eingeschränkt sind; dies sind die fünf Sinnwerkzeuge, das Herz und der Verstand; oder diese Welt mit noch drey andern darüber und dreyen darunter.


49. Wohlgemuth stelle er seine Betrachtungen über den höchsten Geist an, und sitze in solche Gedanken vertieft ohne etwas irdisches zu verlangen, ohne ein sinnliches Bedürfniß, ohne einen andern Gesellschafter als seine eigene Seele n haben; so lebe er in dieser Welt und trachte nach der Glückseligkeit der nächsten.


50. Er suche sich niemals dadurch seinen täglichen Unterhalt zu verschaffen, daß er Vorbedeutungen und Wunder erklärt, oder Geschicklichkeit im Sterndeuten und Wahrsagen aus den Linien der Hand zeigt, noch dadurch, daß er Gewissens-Fragen zu entscheiden sucht, und Erläuterung heiliger Sprüche unternimmt.


51. Er nahe sich keinem Hause, wo Einsiedler, Priester, Vögel, Hunde oder andere Bettler oft aus-und eingehen.


52. Mit verschnittenen Haaren, Nägeln und Barte, und einen Teller, einen Stab und einen Wassertopf in seiner Hand, mit gänzlich auf Gott gerichteten Gedanken[199] wandere er beständig umher, ohne Thieren oder Pflanzen Schmerz zu verursachen.12


53. Seine Teller müssen keinen Sprung haben, und nicht aus glänzenden Metallen gemacht seyn; zur Reinigung dieser Geräthe ist bloß Wasser verordnet; so wie zu der der Opfergefäße.


54. Ein Kürbis, eine hölzerne Schaale, ein irdener Teller, ein geflochtener Korb, dies sind die Gefäße, welche Menu der Sohn des Selbstbestehenden, den Brahminen, welche sich Gott gewidmet haben, als die schicklichsten zur Aufbewahrung ihrer Lebensmittel angegeben hat.


55. Nur einmal des Tages nehme er Nahrung zu sich, und gewöhne sich nicht viel auf einmal zu essen, denn ein Einsiedler welcher sich angewöhnt viel zu essen, fängt an sinnliche Vergnügungen zu suchen.


56. Wenn die Küchenfeuer nicht mehr rauchen, wenn der Stößel ungebraucht da liegt, wenn die Kohle ausgebrannt ist, wenn die Leute gegessen haben, und wenn die Teller weggetragen sind, das heißt, wenn sich der Tag zu neigen anfängt, dann muß ein Sanyassi allezeit um Nahrung bitten gehen.


57. Giebt man ihm keine, so muß er sich nicht kränken, und wenn er welche erhält, sich nicht freuen: seine Sorge sey bloß genug zum Lebensunterhalte zu haben, aber wegen seiner Geräthe muß er nicht ängstlich besorgt seyn.


58. Er lasse sich nie herab Lebensmittel nach einer demüthigen Verbeugung anzunehmen, denn wenn ein Sanyassi wegen eines demüthigen Grußes dergleichen[200] annimmt, so wird er ein Gefangener, ob er gleich frey ist.


59. Diejenigen Gliedmaßen, an welchen sich von Natur die Sinnlichkeit stärker äußert, muß er durch weniges Essen und durch den Aufenthalt in einsamen Plätzen kasteyen.13


60. Durch die Bezügelung seiner Glieder, durch gleiche Entfernung von Widerwillen und Zuneigung und dadurch daß er empfindenden Geschöpfen keinen Schmerz verursacht, bereitet er sich zur Unsterblichkeit vor.14


61. Seine Betrachtungen richte er auf folgende Gegenstände: auf die Wanderungen der menschlichen Seelen, welche eine Folge ihrer sündlichen Handlungen sind, auf ihren Hinabsturz in die Gegend der Finsterniß, und auf ihre Qualen in der Wohnung des Yama;


62. Auf ihre Trennung von denen die sie lieben, und ihre Vereinigung mit denen die sie hassen, auf ihre durchs Alter zerstörte Stärke und auf ihre durch Krankheit gefolterte Leiber;


63. Auf ihre Todesangst bey der Verlassung dieser körperlichen Hülle, auf ihre abermahlige Bildung in Mutterleibe, und auf das Hinüberschlüpfen dieses Lebens-Geistes durch zehntausend Millionen Mutterwege;


64. Auf das Elend, welches sich bekörperte Geister durch die Verletzung ihrer Pflichten zuziehen, und auf die unvergängliche Wonne, welche sie nach der völligen Ausübung aller ihrer religiösen und bürgerlichen Pflichten erwartet: desgleichen betrachte er mit ungetheilter Anstrengung das zarte untheilbare Wesen des höchsten[201] Geistes und dessen vollkommenes Daseyn in allem was ist, es sey so erhaben, oder so tief erniedriget als es wolle.


66. Gleich gut gesinnt gegen alle Geschöpfe erfülle er, ohne Rücksicht auf den ihm angewiesenen Stand, seine Pflicht auf das genaueste, ob ihn gleich kein sichtbares Merkmahl seines Sandes auszeichnet: das sichtbare Merkmahl, oder der bloße Nahme seines Standes ist keineswegs eine wirkliche Erfüllung seiner Pflicht;


67. Eben so wie man Wasser nicht bloß dadurch reinigen kann, daß man den Nahmen der Frucht des Baumes Cataca, welche diese Reinigungskraft hat, ausspricht, sondern man muß sie zu Pulver stoßen und in das Gefäß werfen.


68. Um kleinen Thieren bey Nacht und bey Tage das Leben zu erhalten, muß er, ob es seinem Körper gleich noch so schmerzhaft seyn mag, im Gehen immer auf die Erde sehen.


69. Um den Tod der Geschöpfe auszusöhnen, die ein Sanyassi wider sein Wissen bey Tag oder bey Nacht etwa vernichten mögte, muß er sich wie es vorgeschrieben ist, baden, und sechsmal den Athem15 an sich halten.


70. Und wenn ein Brahmin auch nur dreymal nach der göttlichen Vorschrift seinen Athem unterdrückt, und dabey den dreywörtlichen Satz (Bhurbhuvah Swah) und die Sylbe von drey Buchstaben (om) ausspricht, so wird ihm das als die höchste Andachtsübung angerechnet.
[202]

71. Denn gleichwie die Schlacken und Unreinigkeiten der Erze durch Feuer verzehrt werden, so werden sündliche Handlungen der menschlichen Gliedmaßen durch die Unterdrückungen des Athems und während des Andenkens an die mystischen Worte, und an die Verse der Gayatri, verzehrt.


72. Solcher Gestalt verbrenne er durch die Unterdrückungen des Athems seine Vergehungen; und durch beständiges Nachdenken über die Schritte, welche zur Glückseligkeit hinaufführen, zerstöre er die Sünde; durch Bezähmung seiner Glieder, verhindere er alle sinnliche Anhänglichkeit; durch Nachdenken über die innige Vereinigung seiner eignen Seele, und des göttlichen Wesens, ersticke er alle Aeußerungen die mit der Natur Gottes streiten.


73. Er beobachte mit äußerster Geistes Anstrengung den Fortschritt seines inneren Geistes durch die verschiedenen hohen und niedrigen Körper, ein Fortschritt, welcher Leuten von ungeübten Verstandeskräften sehr schwer zu vernehmen ist.


74. Wer die beständige Allgegenwart Gottes völlig versteht, der kann von ruchlosen Vergehungen nicht mehr gefangen genommen werden, wer aber diese erhabene Kenntniß nicht besitzt, muß wieder durch die Welt wandern.


75. Diejenigen, welche keinem belebten Wesen Schaden zufügen, ihre südlichen Lüste durch fromme im Veda verordnete Gebräuche, und durch strenge Casteyungen bezähmen, kommen schon in diesem Leben in den Zustand der Wonne.


76. Eine Behausung die Kochen anstatt der Haupt-und Queerbalken; Nerven und Sehnen anstatt der Seile[203] hat; Muskeln und Blut anstatt de Kalchs; und Haut zur äußern Bedeckung, und die nicht mit süßen Düften erfüllt, sondern mit Unrath und Urin überhäuft ist;


77. Eine Wohnung die von Alter und Kummer angegriffen wird, die ein Sitz der Krankheit ist, die durch Schmerzen erschüttert wird, die mit Finsterniß umgeben, und nicht so beschaffen ist, daß sie lange stehen kann; eine solche Wohnung der Lebensseele muß ihr Bewohner allezeit mit Vergnügen verlassen.


78. Wie sich ein Baum vom Ufer eines Flusses absondert, wenn er hinein fällt, wie ein Vogel von dem Aste eines Baums fliegt, wenn es ihm beliebt, so wird der, welcher seinen Körper aus Nothwendigkeit, oder aus rechtmäßiger Willkühr verläßt, von dem heißhungrigen Hayfische oder Crocodile, der Welt befreyt.


79. Wenn er seine guten Thaten vermöge der Gesetze des Veda, auf die kommen läßt welche ihn lieben, und seine bösen Handlungen auf die welche ihn hassen, so kann er durch andächtiges Nachdenken zum ewigen Geiste gelangen.


80. Wenn er die Beschaffenheit und Folge der Sünde wohl erwegt hat, und alle sinnliche Vergnügungen zu scheuen anfängt, dann gelangt er zu einer Glückseligkeit in dieser Welt, welche auch nach dem Tode fortdauern wird.


81. Nachdem er solcher Gestalt alle irrdische Neigungen aufgegeben hat, und gegen alle Paarungen entgegengesetzter Dinge, zum Beyspiele gegen Ehre und Schande und dergleichen, gleichgültig ist, so bleibt er im göttlichen Wesen verschlungen.
[204]

82. Alles so eben verkündigte, erlangt man durch frommes Nachdenken, aber niemand der den höchsten Geist nicht kennt, kann diese Frucht von bloßer Beobachtung der Ceremonien einsammeln.


83. In dem Theile des Veda welcher vom Opfer handelt, in dem welcher die untergeordneten Gottheiten betrifft, in dem welcher das Wesen des höchsten Gottes offenbart, und in allem was in den Upanishaden verkündigt wird, muß er beständig forschen.


84. Diese heilige Schrift gewährt selbst denen eine sichere Zuflucht, die derselben Bedeutung nicht verstehen, und also denen gewiß die sie verstehen. Dieser Veda ist ein sicheres Mittel für die welche oben Glückseligkeit suchen, dieser Veda ist ein sicheres Mittel für die welche nach ewiger Wonne trachten.


85. Ein Brahmin welcher durch diese strengen Uebungen, die in gehöriger Ordnung erörtert worden sind ein Sanyassi wird, schüttelt hienieden alle Sünde ab und gelangt zum Allerhöchsten.


86. Dies ist das allgemeine Gesetz welches euch für Einsiedler mit bezähmten Gedanken ist offenbart worden. Nun will ich euch die besonderen Uebungen derer lehren, welche sich nach den Gesetzen des Veda von der Welt trennen. Das ist der Einsiedler im ersten und vierten Grade.


87. Der Schüler, der Ehemann, der Eremite und der Einsiedler stammen, ob sie gleich in vier Ständen sind, von verheirateten Hausvätern16;


88. Und jeder von diesen Ständen, oder nur etliche derselben, wenn sie ein Brahmin einen nach dem andern[205] bekleidet, und er die vorher erwähnten Vorschriften erfüllt, führen ihn in die höchste Wohnung.


89. Aber unter allen diesen kann man den Hausvater welcher die Verfügungen des Sruti und Smriti beobachtet, den vorzüglichsten nennen, weil er die drey andern Stände unterhält.


90. So wie alle weibliche und männliche Flüsse zu ihrem bestimmten Orte in das Meer laufen, so gehen Männer aller anderer Stände an ihren bestimmten Ort in der Wohnung des Hausvaters.


91. Brahminen welche sich in diesen vier Ständen befinden, müssen beständig einen Inbegriff von zehn Pflichten sorgfältig erfüllen:


92. Zufrieden seyn, Böses mit Gutem vergelten, die sinnlichen Lüste unterdrücken, sich unerlaubten Gewinn versagen, sich reinigen, die Gliedmaßen im Zaume halten, die Schrift erforschen, den höchsten Geist kennen, wahrhaftig seyn und sich nicht zum Zorne verleiten lassen. Dies sind die zehn Theile ihres Pflichtenverzeichnisses.


93. Brahminen welche die zehn Vorschriften ihrer Pflicht aufmerksam lesen und sie nach dem Lesen sorgfältig beobachten, versetzen sich in einen Zustand welcher über alles erhaben ist.


94. Wenn ein Brahmin mit Aufsicht über seine Gliedmaßen seine zehnfachen Pflichten erfüllt und einer Erklärung der Upanishaden nach der Vorschrift des Gesetzes gehört hat, und welcher seine drey Schulden abgetragen hat, kann nun dem Veda zu folge, im Hause seines Sohnes ein Einsiedler werden.


95. Und da er nun keine ceremoniösen Gebräuche mehr beobachtet, alle seine Vergehungen ausgesöhnt hat, Herr[206] über seine Gliedmaßen geworden ist, und die Schrift völlig inne hat so kann er während daß sein Sohn die häuslichen Geschäfte besorgt, nach seiner Bequemlichkeit leben.


96. Wenn er sich solcher Gestalt von allen Anforderungen der Gesellschaft frey gemacht hat, gänzlich mit sich selbst beschäftigt und frey von aller andern Neigung ist, wenn er sich Gott geweihet und dadurch seine Sünde ausgelöscht hat, dann steht er auf der erhabensten Stufe des Ruhms.


97. So ist euch nun die vierfache Verordnung für die Priester-Classe bekannt gemacht worden, eine gerechte Verordnung welche unaufhörliche Frucht nach dem Tode trägt; lernt zunächst die Pflicht der Könige oder der Krieger-Classe.


Fußnoten

1 Dieser Stand ist im Cali Alter außer Gewohnheit, wie es in der Allg. Anmerk. IV. heißt, welches, wenn nicht alle Reisende unwahr reden, so zu verstehen ist, daß man die Sanyassis nicht mehr so häufig findet.


2 Vergl. Glossar. Sanyassi.


3 Vergl. III. 257. u. Hennings. II. 550.


4 Die schrecklichen Selbstmartern der sogenannten Fakiren (d.i. der Sanyassis) sind hinlänglich bekannt. Aber da sie sich auf der andern Seite wiederum alle Ausschweifungen erlauben, so können sie nicht als Belege hierzu dienen.


5 s. Glossar unter Grishma.


6 Was der unüberwindliche nordöstliche Punkt sey, ist mir unbekannt. Daß aber die Hindus noch jetzt bey unheilbaren Krankheiten ihre eigenen Verwandten in den Ganges setzen, ist schon oben bemerkt worden.


7 Bey alle Weichlichkeit der Hindus beweisen sie oft eine Verachtung des Lebens und eine Gleichgültigkeit bey Schmerzen, die schwer mit jener zu vereinigen sind. Wenn die Nachrichten der Reisenden von ihrer Standhaftigkeit nur zur Hälfte wahr sind, so muß man gestehen, daß der Hindus das überzeugende Beyspiel von der unüberwindlichen Macht der Religionsschwärmerey über die Gemüther ist. Vergl. Travels. C.A.A.I. 333.


8 Dieses Opfer eines Pferdes ist im Crita nicht mehr gewöhnlich. s. Allg. Anmerk.


9 Vergl. Sanyassi im Gloss.


10 Ob folgendes wahr ist, weiß ich nicht. Ein englischer Mahler, welcher nicht weit vom Indus in einer felsigten wildromantischen Gegend umhergieng, um den besten Standpunkt zum Zeichnen ausfindig zu machen, traf in einer Kluft einen Sanyassi an, der in acht Tagen keinen Reiß erhalten hatte, und in kurzem verhungert seyn müßte, wenn ihn nicht Herr D – etwas von dem seinigen gegeben hätte. Die Einwohner in der Gegend versicherten den Herrn D – daß sich dieser Mann schon 40 Jahre dort aufhalte, und nie etwas zu essen hätte, dafern die Leute der umliegenden Gegend sich nicht seiner erinnerten. – Ein Irländer, an dessen Glaubwürdigkeit ich nicht Ursache habe zu zweifeln, versichert mich während seines Aufenthalts in Indien oft von solchen Beyspielen gehört zu haben.


11 Vergl. Bagvat Gita p. 37.


12 Vergl. Roger porte ouverte. p. 27. ff


13 Vergl. Gita. p. 58.


14 Ueber den Grad der Fühllosigkeit, welchen die Sanyassis mit der Zeit erreichen, s. Bernier Memoires I.


15 Vergl. II. 83. III. 217.


16 Oder die sogenannten vier Stände.

Quelle:
Hindu Gesetzbuch oder Menu's Verordnungen nach Cullucas Erläuterung. Weimar 1797, S. 189-207.
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