Siebentes Kapitel.

Ueber Regierung und öffentliche Gesetze, oder über die Classe der Krieger.

[207] 1. Ich will die Pflicht der Könige1 vollständig darlegen und zeigen, wie sich ein Regierer der Menschen betragen muß, dann auf welche Art er gebildet wurde, und wie er seine endliche Belohnung erhalten kann.
[207]

2. Ein Mann aus der Krieger-Classe, welcher förmlich eingekleidet2 worden ist, wie es im Veda vorgeschrieben wird, muß höchst bemüht seyn, diese ganze Gesetzsammlung in Ansehn zu erhalten.


3. Denn hätte die Welt keinen König, so würde sie auf allen Seiten aus Furcht zittern, und der Regierer dieses Weltalls schuf daher einen König zur Aufrechthaltung dieses religiösen und bürgerlichen Systems.


4. Er bildete ihn aus ewigen Theilchen, die er aus dem Wesen des Indra, Pavana, Yama, Surya, des Agni und Varuna, des Chandra und Cuvera nahm.


5. Und da ein König aus Theilchen zusammengesetzt wurde, die diesen Hauptschutz-Gottheiten zugehörten, so übertrift er daher alle Sterblichen an Ruhm.


6. Er verbrennt, gleich wie die Sonne, Augen und Herzen, deswegen kann kein menschliches Geschöpf auf Erden ihn auch nur ansehen.


7. Er ist Feuer und Luft, er ist Sonne und Mond, er ist der Gott der peinlichen Gesetze, er ist der Genius des Reichthums, Gebieter der Wasser und Herr der Veste.


8. Man darf einen König, wenn er auch noch ein Kind ist, nicht mit Gleichgültigkeit behandeln, noch sich einbilden, er sey ein bloßer Sterblicher. Er ist eine mächtige Gottheit die in menschlicher Gestalt erscheint.


9. Das Feuer verzehrt nur einen einzigen der aus Sorglosigkeit ihm zu nahe gekommen ist; aber das Feuer eines Königs, wenn er zornig ist, verbrennt eine ganze Familie mit all ihren Vieh und Gütern.
[208]

10. Er verliert nie die Pflicht, welche ihm obliegt, noch seine eigene Stärke, noch den Ort oder die Zeit aus den Augen, und nimmt zur Beförderung der Gerechtigkeit allerley Gestalten nacheinander an.


11. Er muß wahrhaftig das vollkommene Wesen der Majestät seyn, da sich bey seiner Gunst die Fülle auf ihrem Lotos3 erhebt, da in seinem Muthe Eroberung und in seinem Zorne Tod wohnt.


12. Wer aus Selbsttäuschung Haß gegen den König äußert, wird sicherlich umkommen, denn von Stund an wird der König auf dessen Verderben denken.


13. Der König bereite eine gerechte Belohnung für die Guten, und ein gerechte Strafe für die Bösen; er übertrete das Gesetz der strengen Gerechtigkeit nie.


14. Brahma bildete im Anfange der Zeit zu seinem Gebrauche den Genius der Strafe mit einem Körper[209] von reinem Lichte, als seinen eignen Sohn, ja als den Urquell der peinlichen Gerechtigkeit, als den Beschützer aller erschaffenen Dinge.


15. Alle empfindende, bewegliche und unbewegliche Wesen sind aus Furcht vor diesem Genius, für natürliche Genüsse empfänglich gemacht, und entfernen sich nicht von ihrer Pflicht.


16. Demnach soll ein König zuförderst den Ort, die Zeit, seine eigene Stärke und die göttliche Verordnung reiflich überlegen, und dann alle die welche unrecht handeln, gesetzmäßig bestrafen.


17. Strafe ist ein wirklicher und eigentlicher Regent; er ist der wahre Verwalter der Staatsangelegenheiten, er ist der Ausseher über die Gesetze, und weise Leute nennen ihn einen Bürgen der vier Stände für die Erfüllung ihrer verschiedenen Pflichten.


18. Strafe beherrscht das ganze Menschengeschlecht Strafe allein erhält sie; Strafe wacht wenn die Wächter desselben schlafen: Weise halten die Strafe für eine Vollendung der Gerechtigkeit.


19. Wenn sie gerecht und überlegt ist, so macht sie das ganze Volk glücklich, aber wenn sie anders erfolgt als nach der reiflichsten Ueberlegung, so richtet sie es gänzlich zu Grunde.


20. Wenn ein König nicht die Schuldigen ohne Saumseligkeit bestrafte, so würde der Stärkere den Schwächen wie einen Fisch am Spieße braten (oder wie sich in einer andern Leseart findet, der Stärkere wird den Schwächern wie Fische in ihrem Elemente unterdrücken).


21. Die Krähe würde mit ihrem Schnabel das geweihete Reißopfer picken, der Hund würde die reine Butter[210] auflecken; niemand würde ein Eigenthum haben; der Niedrigste würde den Höchsten umwerfen.


22. Das ganze Menschengeschlecht wird durch Strafe in Ordnung gehalten, denn man findet schwerlich einen schuldlosen Mann: in der That, aus Furcht vor der Strafe ist dieses Weltall im Stande sein Glück zu genießen.


23. Gottheiten und Geister, himmlische Sänger und grausame Riesen, Vögel und Schlangen werden durch gerechte Bestrafung zum Genusse ihrer eigenthümlichen Freuden tüchtig gemacht.


24. Alle Menschenclassen würden verderbt, alle Schranken niedergerissen und die Unordnung würde allgemein unter den Menschen werden, wenn man entweder gar nicht bestrafte, oder dabey nicht die gehörigen Rücksichten nähme.


25. Aber wo Strafe in schwarzer Farbe und rothem Auge eilt die Sünder zu zerschmettern, da lebt das Volk in Ruhe, wofern dessen Richter scharfsichtig ist.


26. Heilige Weisen halten denjenigen König zur peinlichen Gerechtigkeitspflege tüchtig, welcher unveränderlich die Wahrheit spricht, gehörig über alle Vorfälle nachdenkt, die heiligen Bücher versteht und die Verschiedenartigkeit der Tugend, des Vergnügens und der Reichthümer beurtheilen kann.


27. Wenn ein solcher König gerecht und nach dem Gesetze straft, so erweitert er diese drey Mittel zur Glückseligkeit ausnehmend: aber ein verschmitzter, wollüstiger und jähzorniger König soll von der Strafe selbst zu Grunde gerichtet werden.
[211]

28. Das glänzende Wesen der Majestät, die peinliche Gerechtigkeit, welcher Leute von ungebildetem Verstande mit Mühe vorstehen, rottet einen pflichtvergessenen König samt seiner Familie aus.


29. Strafe soll seine Schlösser, seine Ländereyen, sein bevölkertes Land mit allen festen und beweglichen Dingen die darauf sind, einhohlen: selbst die Götter und Weisen welche ihre Opfer verlieren, werden dadurch leiden und in die Luft steigen.


30. Ein unwissender geitziger König der keine weisen und tugendhaften Gehülfen hat, dessen Verstand nicht ausgebildet, und dessen Herz der Sinnlichkeit ergeben ist, kann nicht gerecht strafen.


31. Aber ein König der ganz rein ist, sein Versprechen hält, die Befehle der Schrift erfüllt, gute Gehülfen und einen gesunden Verstand hat, wird mit Gerechtigkeit strafen.


32. Auf seinen eigenen Ländereyen verfahre er nach Gerechtigkeit, züchtige fremde Feinde mit Strenge, betrage sich ohne Falschheit gegen seine vertrauten Freunde und mit Sanftmut gegen Brahminen.4


33. Der Ruhm eines also gesinnten Königs, ob er sich gleich nur durch Aufsammeln erhält, oder wenn sein Schatz auch noch so klein ist, wird sich eben so in der Welt ausbreiten, als ein Tropfen Oel auf dem Wasser.
[212]

34. Aber der Ruhm eines anders gesinnten Königs, der seine Leidenschaften nicht bändiget, wird, wenn sein Reichthum auch noch so groß ist, eben so in der Welt verringert, als sich reine Butter im Wasser zusammenzieht.


35. Ein König wurde zum Schutze aller der Classen und Stände geschaffen, welche ihre gehörigen Pflichten von Anfange bis zu Ende erfüllen.


36. Und ich will euch alles, was er, mit Beyhülfe guter Minister, zum Schutze seines Volks thun muß, der Ordnung nach, so wie es im Gesetze vorgeschrieben ist, kund thun.


37. Der König soll mit erstem Tagesanbruche aufstehn und sich hochachtungsvoll zu den Brahminen verfügen, welche die drey Vedas inne haben, und die Sittenlehre verstehn: bey allem, was sie entscheiden, beruhige er sich.


38. Gegen Brahminen, die an Jahren und Frömmigkeit alt geworden sind, die Schrift verstehen und Leib und Seele rein halten, muß er sich immer achtungsvoll betragen; denn wer das Alter ehrt, wird immer sogar von grausamen Dämonen hoch gehalten werden.


39. Ob schon sein eigner Verstand und sein Nachdenken ihn bescheiden im Umgange gemacht haben mögen, so muß er doch beständig von ihnen demüthige und gesetzte Manieren lernen, denn ein König, der in seinem Betragen liebreich und ernsthaft ist, kommt nie ins Verderben.


40. Hingegen sind viele Könige denen es an dieser unanmaßenden Tugend fehlte, mit allen ihren Gütern umgekommen,[213] und durch Tugend im Gewande der Demuth, haben selbst Einsiedler Königreiche erhalten.


41. Es war Mangel an dieser tugendhaften Erniedrigung, welcher den Vena, den großen König Nahusha und Sudasa und Yavana (oder nach einer andern Leseart, und Sudaman, den Sohn des Piyavana) und Sumuc'ha und Nimi gänzlich zu Gründe richtete.


42. Aber, durch Tugenden mit demüthigem Betragen, erwarben sich Prit'hu und Menu Alleinherrschaft; Cuvera unerschöpflichen Reichthum; und Viswamitra, der Sohn Gadhi's den Priester-Rang, ob er gleich in der Classe der Krieger geboren war.


43. Von denen, welche die drey Vedas verstehen, lerne er die dreyfache Lehre die in ihnen enthalten ist, ferner die patriarchalische Wissenschaft der peinlichen Gerechtigkeitspflege und der gesunden Staats-Klugheit, die Systeme der Logik, der Metaphysik und der erhabenen theologischen Wahrheit: vom Volke muß er die Theorie der Landwirthschaft, des Handels und anderer praktischen Künste lernen.


44. Er muß sich Tag und Nacht eifrig bemühen, einen vollkommenen Sieg über seine eigene Gliedmaßen zu gewinnen, weil nur derjenige König, dessen Glieder völlig im Zügel gehalten werden, unerschütterlich sein Volk zur Erfüllung der Pflichten desselben anhalten kann.


45. Er vermeide mit äußerster Sorgfalt achtzehn Laster, von welchen zehne aus der Liebe zum Vergnügen entspringen und achte vom Zorne herkommen, aber sich alle in Elend endigen.
[214]

46. Denn ein König welcher sich Lastern ergiebt, die aus der Liebe zum Vergnügen entspringen, muß so wohl seinen Reichthum als seine Tugend verlieren, und wenn er sich Lastern ergiebt, welche vom Zorne erzeugt werden, so kann er sogar sein Leben durch die Folgen einer allgemeinen Empfindlichkeit verlieren.


47. Jagen, Spielen, bey Tage schlafen, Nebenbuhler tadeln, den Frauen zu sehr ergeben seyn, Berauschung, Singen, Instrumentalmusik, Tanzen und unnütze Reisen sind die zehn Laster, welche die Liebe zum Vergnügen gebührt.


48. Angeben, Gewalt, hinterlistiges Verwunden, Neid, Verläumdung, ungerechte Verpfändung, Schmähung und offenbarer Angriff, sind die acht Laster, welche der Zorn hervorbringt.


49. Er muß angelegentlich die Selbstsucht unterdrücken, auf welche sich wie alle weise Männer wissen, diese zwey Reihen von Lastern stützen, denn beyde fließen beständig daraus her.


50. Er halte Trinken, Würfelspielen, Frauen und die Jagd für die vier verderblichsten in dem Verzeichnisse der Laster, welche Liebe zum Vergnügen verursacht.


51. Schlagen, Verläumden und Verpfänden sehe er allezeit als die drey abscheulichsten unter den Lastern an, welche aus dem Zorne entspringen.


52. Und in dieser siebenfachen Reihe von Lastern, welche nur zu oft in allen Königreichen herrschen, muß ein aufgeklärter Fürst das Erste, und wie sie dann nach einander folgen, als das abscheulichste in jedem Verzeichnisse betrachten.
[215]

53. Bey einer Vergleichung zwischen Tod und Laster erklären die Gelehrten Letzteres für das Schrecklichere, da ein Lasterhafter nach dem Tode in immer tiefere und tiefere Gegenden herabsinkt, aber ein Schuldloser in den Himmel kommt.


54. Der König stelle sieben oder acht Minister an, die ihren Eid durch Berührung eines geheiligten Bildes und dergleichen nehmen müssen, Männer deren Voreltern Diener der Könige waren, welche in den heiligen Büchern belesen und persönlich tapfer sind, welche den Gebrauch der Waffen kennen, und die von adlichen Ahnen abstammen.


55. Ein einziges an sich leichtes Geschäft ist schon zuweilen einem einzelnen Manne schwer zu verrichten, besonders wenn er keinen Gehülfen in der Nähe hat: um wieviel schwerer muß es seyn die Angelegenheiten eines Königreichs welches große Einkünfte hat, allein zu besorgen.


56. Er gehe beständig mit diesen Ministern über Frieden und Krieg, über den Zustand seiner Truppen, über seine Einkünfte, über die Beschützung seines Volkes und über die Mittel, wie er den erworbenen Reichthum wohl anwenden könne, zu Rathe.


57. Wenn er nun die verschiedenen Meynungen seiner Räthe, erst von jedem besonders und dann von allen zusammen erfragt hat, dann thue er was für ihn und für die öffentlichen Angelegenheiten von größtem Nutzen ist.


58. Der König theile sein wichtiges Geheimniß, welches sich auf sechs Hauptpunkte einschränkt, einem gelehrten Brahminen mit, welcher sich unter allen seinen Mitbrüdern auszeichnet.
[216]

59. Ihm entdecke er mit völligem Zutrauen alles, was er vornimmt, und wenn er endlich seinen Entschluß gefaßt hat, so fange er an mit ihm alle seine Maßregeln ins Werk zu richten.


60. Desgleichen muß er andere Beamte anstellen, Leute von anerkannter Rechtschaffenheit, die geschickt, gesetzt und gewöhnt sind Reichthum durch ehrbare Mittel zu gewinnen, und die durch Erfahrung geprüft sind.


61. Er stelle nur so viele und nicht mehr Beamte an, als erforderlich sind, seine Geschäfte gehörig zu verrichten, nicht träge, sondern thätige, tüchtige und wohl unterrichtete Leute.


62. Unter diesen bediene er sich der Tapfern, der Gewandten, der Wohlgebornen und Ehrlichen zu seinen Gold- oder Edelgestein-Bergwerken, oder in andere ähnlichen Oertern, wo man Schätze sammelt; der Kleinmüthigen hingegen im Innern seines Pallastes.


63. Er stelle auch einen Großbotschafter an, welcher in allen Sastras belesen ist, Winke, äußerliche Zeichen und Handlungen versteht, dessen Hand und Herz rein, dessen Geschicklichkeiten groß sind, und dessen Geburt edel war.


64. Derjenige Gesandte eines Königs erlangt den meisten Beyfall, welcher allgemein geliebt, rein von innen und außen, geschickt in Geschäften und mit einem vortrefflichen Gedächtniß begabt ist, welcher Länder und Zeiten kennet, schön, unerschrocken und beredt ist.


65. Die Truppen des Reichs müssen unmittelbar von dem Hauptbefehlshaber abhangen; die würkliche[217] Bestrafung von den Beamten der peinlichen Gerechtigkeitspflege; die Schatzkammer und das Land vom König selbst; Friede und Krieg von dem Groß-Botschafter.


66. Denn dieser allein vereiniget und dieser allein trennt die Vereinigung, das ist: durch das was er verrichtet, werden Feindschaften oder Freundschaften zwischen Königreichen gestiftet.


67. Bey der Verhandlung der Geschäfte muß ein Gesandter sichtbare Zeichen und Winke zu verstehen wissen, und aus den Zeichen, Winken und Handlungen seiner vertrauten Diener das errathen, was der fremde König so eben vorhat; endlich muß er aus dem Charakter und dem Betragen seiner Minister die Maaßregeln schließen, welche der andere König zu nehmen wünscht.


68. Nachdem ein König solcher Gestalt von seinem Gesandten alle Pläne des auswärtigen Fürsten umständlich erfahren hat, so muß er die sorgfältigste Wachsamkeit anwenden, damit er sich kein Unglück zuziehe.


69. Er errichte seine Wohnung in einer Gegend, die offene Landschaften und überflüssiges Getreide hat, die vorzüglich von tugendhaften Leuten bewohnt wird, die nicht von Krankheiten angesteckt und dem Auge angenehm ist, um welche herum gehorsame Berg- und Waldbewohner oder andere Nachbarn sich aufhalten ein Land in welchen die Unterthanen mit Bequemlichkeit leben können.


70. Dort wohne er in einer Hauptstadt, welche Anstatt der Vestung mit einer Wüste von etwas über zwanzig Meilen im Umfange, oder mit einer[218] einer Vestung von Erde, mit einer Vestung von Wasser, von Bäumen, von bewaffneten Leuten oder von Bergen umgeben ist.


71. Er muß sich, so viel es ihm möglich ist, eine Vestung von Bergen zuzusichern suchen, denn unter den eben erwähnten hat eine solche viele hervorstechende Eigenschaften.


72. In den drey ersten derselben leben wilde Thiere, Ungeziefer und Wasserthiere; in den drey letzten Affen,5 Menschen und Götter in der Ordnung in welcher sie angeführt worden sind.


73. So wie Feinde unter dem Schutze ihrer verschiedenen Wohnungen nicht schaden, so schaden auch Widersacher einem Könige nicht, welcher in seinem Durga oder schwerzuersteigenden Orte Zuflucht genommen hat.


74. Ein einziger Bogenschütze hinter einer Mauer kann sich hundert Feinde abwehren, und hundert Bogenschützen zehntausend, deswegen wird eine Vestung empfohlen.
[219]

75. Eine solche Vestung muß mit Waffen, Gelde, Getreide, Vieh, Brahminen, Künstlern, Feuerspritzen, Grase und Wasser versorgt werden.


76. In der Mitte derselben führe er seinen eignen Pallast auf, welcher in allen seinen Theilen wohl vollendet, völlig vertheidigt, zu jeder Jahreszeit bewohnbar, mit glänzender weißer Stukkaturarbeit bekleidet und mit Wasser und Bäumen umgeben seyn muß.6


77. Wenn er nun alles zu seiner Wohnung zubereitet hat, dann währe er sich eine Gattin aus der nämlichen Classe, zu welcher er selbst gehört, die mit allen körperlichen Merkmahlen der Vortreflichkeit begabt, in einem erhabenen Geschlechte geboren, im Besitze seines Herzens, und mit Schönheit und den besten Eigenschaften geschmückt ist.


78. Er muß auch einen Hauspriester ernennen und einen Opferer bey sich behalten, um durch ihn die religiösen Gebräuche seiner Familie und auch diejenigen verrichten zu lassen, wozu drey Feuer erforderlich sind.


79. Der König muß opfern und dabey Geschenke verschiedener Art geben; und um seine Pflicht völlig zu erfüllen, muß er dem Brahminen erlaubte Freuden gewähren und ihm einige Aussteuer geben.


80. Die jährlichen Einkünfte seines ganzen Reichs mag er durch seine Cassirer eintreiben; aber er beobachte in dieser Welt die göttlichen Verordnungen und handle als ein Vater seines Volks.7
[220]

81. Er muß hie und da allerley verständige Aufseher anstellen, die auf das Betragen der Beamten, welche seine Angelegenheiten besorgen, Achtung geben.


82. Er behandle die Brahminen, welche aus den Wohnungen ihrer Lehrer zurück kehren, mit gehöriger Achtung; denn dies heißt ein kostbares unvergängliches Kleinod, welches von Königen bey der Priesterclasse niedergelegt wird;


83. Es ist ein Kleinod, welches weder Diebe noch Feinde wegnehmen können, welches nie zernichtet wird: Daher müssen Könige diesen unzerstörbaren Edelstein hochachtungsvoller Geschenke niederlegen.


84. Eine Spende in den Mund, oder in die Hand eines Brahminen, ist weit würksamer als die Spenden in heiliges Feuer: sie fällt nie zu Grunde, sie trocknet nie, sie verzehrt sich nie.


85. Ein Geschenk welches man jemanden giebt, der kein Brahmin ist, bringt ziemliche Frucht; dasjenige welches man einem giebt, der sich Brahmin nennt, bringt doppelte Frucht; beschenkt man einen wohlbelesenen Brahminen, so fruchtet es hundert tausendfältig, und bey einem der alle Vedas gelesen hat, bringt es unendliche Frucht.


86. Für ein Geschenk welche man mit Glauben an die Sastra jemanden gegeben hat, der es sehr verdient, wird der Geber unausbleiblich die Frucht nach dem Tode genießen, das Geschenk mag groß oder klein gewesen seyn.


87. Wenn ein König, dem es obliegt sein Volk zu beschützen, durch einen Feind von gleicher, größerer[221] oder geringerer Stärke herausgefordert wird, so muß er keineswegs sein Gesicht von der Schlacht wegwenden, sondern sich an die Pflicht seiner Militär-Classe erinnern:


88. Niemals das Treffen zu verlassen, das Volk zu beschützen und die Priester zu ehren ist die größte Pflicht der Könige und sichert ihnen ihre Glückseligkeit zu.


89. Diejenigen Regierer der Erde welche einander zu überwinden wünschen, und ihre äußersten Kräfte in der Schlacht anwenden ohne je ihr Gesicht wegzuwenden, steigen nach dem Tode gerade in den Himmel.


90. Niemand verwunde seinen Feind im Treffen mit scharfen in Holz verborgenen Gewehren, eben so wenig mit mörderisch gezackten Pfeilen, mit vergifteten oder mit feurigen Pfeilen.


91. Und wenn er sich selbst auf einem Karren oder zu Pferde befindet, so muß er keinen Feind anfallen der abgestiegen ist, auch nicht einen Verzärtelten, nicht den, der mit gefalteten Händen um sein Leben bittet, nicht den, dessen Haare aufgelöst sind, so daß er nicht sehen kann, nicht den, welcher sich vor Ermüdung niedergesetzt hat, noch den, welcher sagt: »ich bin dein Gefangener.«8


92. Ferner keinen Schlafenden, keinen der seinen Panzer verloren hat, keinen Nackenden, keinen Entwaffneten, keinen Zuschauer der nicht streitet, Niemanden der schon mit einem Andern streitet.
[222]

93. Er erinnere sich an die Pflicht welche Leuten von Ehre obliegt, Niemanden umzubringen, dessen Gewehr zerbrochen ist, Niemanden welcher von häuslichem Grame niedergedrückt wird, Niemanden der sehr schmerzlich verwundet ist, Niemanden der erschrocken ist, und Niemanden welcher seinen Rücken zukehrt.


94. Doch soll der Krieger welcher aus Furcht seinen Rücken kehrt, und dann von seinen Feinden im Treffen erschlagen wird, mit aller Sünde seines Befehlshabers belastet werden, wie groß sie auch seyn möge;


95. Und dem Befehlshaber wird die Frucht aller der löblichen Aufführung zu gute kommen, welche der Krieger der seinen Rücken kehrte und umgebracht wurde, vorher für ein künftiges Leben aufbewahrt hatte.


96. Karren, Pferde, Elephanten, Regenschirme, Kleider, ausgenommen die Edelgesteine die etwa zur Zierrath darauf sind, Getreide, Vieh, Weiber, alle Arten von Getränke und Metallen, ausgenommen Gold und Silber, gehören dem von Rechtswegen zu, der sie im Kriege erbeutet.9


97. Aber die Wegnehmer solcher Beute müssen das Kostbarste davon dem Könige vorlegen: so lautet das im Veda hierüber gegebene Gesetz; und der König sollte unter dem ganzen Heere das vertheilen, was nicht einzeln genommen worden ist.


98. Die ist das tadellose patriarchalische Gesetz, welches Kriegern verkündiget wird; dieses Gesetz muß ein König nie übertreten, wenn er seine Feinde im Treffen angreift.
[223]

99. Was er noch nicht von seinem Feinde erlangt hat, muß er sich bestreben zu erlangen, was er bereits erlangt hat, muß er sorgfältig aufbewahren; was er aufbewahrt, muß er vermehren, und von dem was er vermehrt hat, muß er denen geben, die es verdienen.


100. Dies ist die vierfache Vorschrift, welche er für das sichere Mittel zur Erhaltung des großen menschlichen Gegenstandes der Glückseligkeit halten muß, er bringe es unablässig und vollständig ohne Sorglosigkeit in Ausübung.


101. Was er noch nicht gewonnen hat, muß er sich bemühen durch Kriegerkraft zu erwerben; was er erworben hat, muß er mit genauer Sorgfalt aufbewahren, was er aufbewahrt hat, muß er durch erlaubte Vergrößerungsmittel vermehren, und seinen Ueberfluß muß er mit gerechter Freygebigkeit austheilen.


102. Er übe seine Truppen beständig; gebe immer Beweise seiner Tapferkeit; er halte das stets befestiget, wovon er Schutz erwartet, und suche jederzeit die Schwäche seines Feindes auszuspähen.


103. Ein König, dessen Macht immer zum Treffen bereit ist, kann die ganze Welt in Furcht halten, daher mache er sich durch eine immer in Bereitschaft gehaltene Macht alle lebende Geschöpfe zu eigen.


104. Er handle bey jeder Gelegenheit ohne Tücke und nie mit Unredlichkeit, aber, immer auf seiner Hut, entdecke er den beabsichtigten Betrug seines Feindes.


105. Er muß den Theil, wo er verwundbar ist, seinem Feind nicht gewahr werden lassen, aber den verwundbaren Theil seines Feindes muß er wohl ausfindig zu machen suchen. Wie eine Schildkröte ziehe er seine Glieder[224] unter das Schild der Verborgenheit, und wenn ein Riß hineingekommen ist, so verbessere er ihn sorgfältig.


106. Wie ein Heher muß er lange darauf denken, wie er Andern Vortheile abgewinnen will; wie ein Löwe äußere er seine Stärke, wie ein Wolf schleiche er seiner Beute zu; wie ein Haase eile er, um sich seinen Rückzug zu versichern.


107. Wenn er sich auf diese Art zur Eroberung vorbereitet hat, so bringe er alle die sich ihm widersetzen, zum Nachgeben durch Unterhandlung und durch drey andere Mittel, nemlich durch Geschenke, durch Veruneinigung und durch die Stärke seiner Waffen.


108. Wenn sie durch die drey ersten Arten nicht im Zaume gehalten werden können, dann muß er sie nachdrücklich, aber allmählich durch die Macht seiner Waffen zu unterwerfen suchen.


109. Unter diesen vier Arten seinen Zweck zu erlangen, ziehen die Weisen Unterhandlung und Krieg zur Erhebung ihrer Königreiche vor.


110. So wie ein Landmann das Unkraut ausjätet und sein Getreide stehen läßt, so muß ein König die Feinde ausrotten und sein Volk in Sicherheit stellen.


111. Ein König welcher aus Verstandes-Schwäche und Uebereilung sein Volk unterdrückt, wird sammt seiner Familie sowohl Königreich als Leben verlieren.


112. So wie das Leben beseelter Geschöpfe untergraben wird, wenn man ihnen die körperliche Nahrung entzieht, so wird auch durch das Unglück der Königreiche sogar das Leben der Könige untergraben.
[225]

113. Ein König beobachte zum Schutze seiner Länder beständig die folgenden Vorschriften, denn wenn er seine Länder beschützt, wird er seine eigene Glückseligkeit vergrößern.


114. Zum Schutze seines Reichs errichte er unter dem Befehle eines geprüften Officiers eine Schaar von Wachen, über zwey, drey, fünf oder hundert Districte, je nachdem sie groß sind.


115. Er setze ein Oberhaupt über eine Stadt und deren Umkreis, ein Oberhaupt über zehen Städte, ein Oberhaupt über zwanzig, ein Oberhaupt über hundert, und ein Oberhaupt über tausend.


116. Das Oberhaupt über eine Stadt muß dem Oberhaupt über zehn Städte, alle Räubereyen, Unruhen und andere Uebel, die in seinem Bezirke entstehen, und von ihm nicht unterdrückt werden können, aus eigenem Antriebe zu wissen thun, und das Oberhaupt über zehn dem Oberhaupt über zwanzig.


117. Darauf muß der Herr über zwanzig Städte es dem Herrn über hundert bekannt machen, und der Herr über hundert muß die Nachricht persönlich dem Herrn über tausend Städte überbringen.


118. Nahrung, Getränke, Holz und andere Sachen welche die Einwohner der Stadt dem Gesetze nach, täglich abtragen sollen, kommen dem Herrn einer Stadt als Sporteln zu.


119. Der Herr von zehn Städten soll den Ertrag zweyer Pflug-Länder oder von so viel Feld haben als man mit zwey Pflugen, deren jeder mit sechs Stieren bespannt ist, beackern kann; der Herr von zwanzig soll den Zuwachs von[226] fünf Pflugländern haben; der Herr von hundert die Einkünfte eines Dorfes oder einer kleinen Stadt, und der Herr von tausend die Einkünfte einer großen Stadt.


120. Ein anderer Minister des Königs sollte die Aufsicht über die Angelegenheiten dieser Stadt-Obrigkeiten haben, sie mögen nun alle zusammen oder besonders abgethan werden. Dieser Minister sollte ein gutdenkender Mann und keinesweges nachlässig seyn.


121. Er ernenne in jeder großen Stadt einen Ober-Aufseher von welchem Alles abhängt, der von großem Range, von furchtbarer Macht, und wie ein Planet unter den Sternen ausgezeichnet ist.


122. Dieser Befehlshaber muß von Zeit zu Zeit alle übrigen persönlich besuchen und durch heimlich ausgeschickte Leute sich von ihrer Aufführung in den verschiedenen Bezirken eine vollkommene Kenntniß zu erwerben suchen.


123. Denn die Diener des Königs, die er zu Beschützern der Provinzen gemacht hat, sind insgemein Betrüger, welche das was andern zugehört, an sich reissen, aber vor solchen Schelmen muß er sein Volk bewahren.


124. Dergleichen schlechtgesinnte, Diener, welche von den Unterthanen, die bey ihnen Geschäfte haben, Reichthümer erpressen, muß der König mit Einziehung alles ihres Eigenthums und mit Verweisung aus seinem Reiche bestrafen.


125. Der König muß täglich für den Unterhalt der Frauen die in seinem Dienste sind und für den des sämtlichen[227] niedern Gesindes, nach dem Verhältnisse ihrer Stelle und ihrer Arbeit Sorge tragen.


126. Der niedrigste Diener soll täglich einen Pana von Kupfer zu seinem Lohne; alle halbe Jahr zwey Stück Tuch zur Kleidung, und alle Monathe einen Drona Getreide erhalten, aber das Verhältniß im Lohne des obersten Dieners muß wie sechse zu eins seyn.


127. Der König muß die Einkauf- und Verkaufpreise, die Länge der Landstraßen, die Ausgaben für Nahrungsmittel, und für Würzung, die Kosten welche für die Sicherheit empfangener Güter bezahlt werden, und den reinen Gewinn beym Handel kennen lernen, und dann die Kaufleute Abgaben von den Waaren ihres Handels bezahlen lassen.


128. Der König erwäge dies reiflich und erhebe diese Auflagen in seinen Ländern beständig so, daß sowohl er als der Kaufmann eine gehörige Belohnung für ihre beyderseitigen Bemühungen erhalten mögen.


129. Eben so wie der Blutigel, das saugende Kalb und die Biene ihre natürliche Nahrung allmählich einschlürfen, also muß ein König nur einen jährlichen Gehalt aus seinen Ländern ziehen.


130. Von Vieh, von Edelgesteinen, von Gold und Silber welches alljährlich zu dem Hauptvorrathe gekommen ist, mag sich der König den fünfzigsten Theil geben lassen; und von Getreide den achten sechsten, oder zwölften Theil je nachdem der Boden und die dabey erforderliche Arbeit unterschieden ist.
[228]

131. Er mag ferner den sechsten Theil des reinen jährlichen Gewinns von Bäumen nehmen; desgleichen von Fleisch, Honig, reiner Butter Specereyen, Arzneywaaren, Getränken, Blumen, Wurzeln und Früchten.


132. Von gesammelten Blättern, Küchenkräutern, Grase, Geräthschaften die aus Leder oder Bambus gemacht sind, von irdenen Töpfen und von alle Sachen die aus Stein gemacht werden.


133. Ein König muß nie eine Abgabe von einem Brahminen, der die Vedas versteht, nehmen, wenn er auch in Gefahr wäre, vor Mangel zu sterben; noch muß er einen Brahminen der in seinen Ländern wohnt, Hunger leiden lassen.


134. Das Land eines Königs in welchem ein gelehrter Brahmin Hunger leidet, wird in kurzer Zeit von einer Hungersnoth heimgesucht werden.


135. Wenn sich der König von des Brahminen Schriftskunde und guten Sitten überzeugt hat, so muß er ihm einen gehörigen Unterhalt anweisen und ihn auf allen Seiten beschützen, wie ein Vater seinen eigenen Sohn beschützt10.


136. Die religiösen Pflichten welche ein solcher Brahmin unter dem völligen Schutze des Landes-Herrn an jedem Tage erfüllt, werden die Lebenszeit, die Schätze und Länder seines Beschützers außerordentlich vermehren.


137. Von den niedrigern Einwohnern, die sich durch unbedeutenden Handel ernähren, muß sich der König[229] eine bloße Kleinigkeit als jährliche Taxe bezahlen lassen.


138. Gemeine Handwerksleute, Professionisten und Tagelöhner die von ihrer Händewerk leben, muß der König alle Monathe einen Tag für sich arbeiten lassen.


139. Er raufe nicht seine eigene Wurzel durch die Erlassung der Taxen aus, noch die Wurzel anderer durch übertriebenen Geiz: denn dadurch, daß er seine und ihre Wurzeln abbricht, macht er sich und jene elend.


140. Er muß nach den verschiedenen Vorfällen zuweilen scharf und zuweilen gelinde seyn; denn ein König der Schärfe und Gelindigkeit zu rechter Zeit anwendet, macht sich allgemein beliebt.


141. Wenn ihn die Aufsicht über die Angelegenheiten seiner Unterthanen ermüdet, so überlasse er das Geschäft eines Oberaufsehers einem der ersten Minister welcher seine Schuldigkeit wohl kennt, vorzüglich gelehrt ist, seine Leidenschaften im Zaume hält und von hoher Geburt abstammt.


142. Also muß er sein Volk beschützen und mit der größten Anstrengung ohne Saumseligkeit alle die Pflichten erfüllen, die das Gesetz von ihm verlangt.


143. Ein Monarch dessen Unterthanen von nichtswürdigen Männern seines Reichs geführt werden, während daß er mit seinen Ministern, ungeachtet ihres lauten Flehens um Schutz, sie bloß eines Blickes würdiget, ist ein todter, kein lebendiger König.
[230]

144. Die höchste Pflicht eines Königs ist sein Volk zu beschützen, und der König, welcher die eben erwähnte Belohnung erhält, ist verbunden diese Pflicht zu erfüllen.


145. Er stehe in der letzten Nachtwache auf, verrichte mit reinem Körper und mit aufmerksamer Seele Spenden ins Feuer: so bezeige er Priestern gehörige Achtung und gehe mit anständigem Glanze in seinen Saal.


146. Während daß er sich dort aufhält, erfreue er seine Unterthanen, ehe er sie entläßt, mit gütigen Blicken und Worten, und wenn er sie alle entlassen hat, berathschlage er sich heimlich mit seinen vornehmsten Ministern.


147. Er steige mit ihnen auf den Rücken eines Berges, oder gehe mit ihnen unbemerkt auf einen erhabenen Ort, in eine Laube, einen Wald, oder in eine einsame Gegend wo ihn niemand behorchen kann und gehe mit ihnen unbeobachtet zu Rathe.


148. Ein Prinz, dessen wichtige Geheimnisse in keiner Versammlung bekannt sind, wird die ganze Erde unterjochen, ob er gleich zu Anfange keinen Schatz besitzt.


149. Zur Zeit der Berathschlagung entferne er die Einfältigen, die Stummen, die Blinden und die Tauben, schwatzende Vögel, stumpfgewordene alte Männer, Weiber und Ungläubige, Kranke und Verstümmelte.


150. Denn diejenigen welche in diesem Leben wegen vormals begangener Sünden in Schande gekommen sind, pflegen das, was in geheimen Berathschlagungen vorgeht, zu verrathen, und Sprachvögel[231] thun das nämliche, aber ganz vorzüglich Weiber, diese muß er also auf das sorgfältigste entfernen.


151. Mittags oder Mitternachts wenn seine Beschwerden vorüber und seine Sorgen zerstreut sind, dann denke er mit diesen Ministern, oder allein, über Tugend, erlaubtes Vergnügen und Reichthum nach;


152. Ferner über die Art alle drey zu vereinigen, wenn sie mit einander im Widerspruche stehn; ferner über die Verheirathung seiner Töchter und über die Mittel seine Söhne durch die beste Erziehung vor Uebel zu bewahren;


153. Ueber die Abfertigung der Gesandten und Boten; über den vermuthlichen Erfolg seiner Maasregeln; über das Betragen seiner Weiber in den inneren Gemächern, und sogar über die Aufführung seiner eigenen Aufpasser;


154. Und über die sämmtlichen acht Gegenstände der Pflicht eines Königs in Rücksicht auf die Einkünfte, auf seine Ausgaben, auf das gute oder schlechte Benehmen seiner Minister, auf die Gesetzgebung in zweifelhaften Fällen, auf Bürgerliches und Peinliches Recht, und auf die Aussöhnung der Verbrechen: über alle diese Punkte denke er mit der größten Aufmerksamkeit nach; auch über die fünf Arten der Spione, oder der gewandten listigen Jünglinge, der entehrten Einsiedler, der bedrängten Landleute, der verunglückten Kaufleute und der Scheinbußfertigen, welche er heimlich bezahlen und sprechen muß; über die Zuneigung oder Feindschaft seiner Nachbaren[232] und über den Zustand der umliegenden Länder;11


155. Ueber das Betragen eines auswärtigen Fürsten, welcher Stärke genug für einen gewöhnlichen Feind besitzt, aber es mit zweyen nicht aufnehmen kann; über die Absichten dessen, welcher erobern will und kann; über die Lage dessen, welcher zwar friedlich gesinnt, aber im Stande ist, es sogar ohne Bundesgenossen mit dem ersteren aufzunehmen; und über die Beschaffenheit seines natürlichen Feindes, über alles dies muß er reiflich nachdenken.


156. Diese vier Mächte, welche mit einem Worte die Wurzel oder die Hauptstärke der ihn umgebenden Länder sind, und ferner acht andere, welche die Zweige genannt werden, und eben so viele Grade verschiedenartiger Bundesgenossen und Widersacher sind. Dieses hält man für die zwölf wichtigsten Gegenstände, über welche ein König nachdenken kann.


157. Wenn man nun zu jedem dieser z wölf Punkte noch fünf andere hinzufügt, nämlich ihre Minister, ihre Ländereyen, ihre vesten Plätze, ihre Schatzkammern und ihre Armeen, so hat man in allen zwey und siebenzig auswärtige Gegenstände, welche sorgfältig untersucht werden müssen.


158. Ein König betrachte die Macht die ihm unmittelbar am nächsten ist, als feindselig, so wie diejenige welche[233] mit ihr verbunden ist; das Land welches zunächst an seinen natürlichen Feind gränzt, halte er für freundlich gesinnt, und die Mächte welche außer diesem Bezirke liegen, für unparteyisch.


159. Von allen diesen Mächten suche er durch Gelindigkeit und durch die drey vorerwähnten entweder zusammen oder einzeln angewendeten Mittel, aber vornehmlich durch die Klugheit in seinen Vertheidigungs-Anstalten und durch Unterhandlung Vortheil zu ziehen.


160. Er berathschlage sich beständig über die sechs Maasregeln eines kriegerischen Fürsten, nämlich wie man Krieg führt, Frieden oder Bündnisse macht, in die Schlacht geht, sich lagert, seine Macht vertheilt, und den Schutz eines mächtigern Monarchen sucht.


161. Nach Befinden der Umstände bleibe er entweder unthätig, marschiere in die Schlacht, mache Frieden oder Krieg, vertheile seine Macht oder suche Schutz.


162. Ein König muß wissen, daß es zwey Arten von Bundesgenossenschaft und Krieg giebt; zwey Arten sich zu lagern und zu marschieren, und wiederum zwey sein Heer zu vertheilen, und von einer andern Macht Beystand zu erhalten.


163. Die zwey Arten der Bundesgenossenschaft, welche unmittelbare und künftige Vortheile haben, hält man für diejenigen, wenn er mit seinem Bundesgenossen vereinigt, und wenn er getrennt von ihm Unternehmungen wagt.


164. Den Krieg theilt man in zwey Gattungen, einmal wenn man ihn wegen selbst empfangener Beleidigung, dann wenn man ihn für einen beleidigten Bundesgenossen[234] führt, um dem Feinde, wenn er es erwartet, und wenn er es nicht erwartet, zu schaden.


165. Das Marschieren ist zweyerley, wenn er entweder eigene Pläne zum Nachtheile des Feindes entwirft, oder wenn sein Bundesgenosse mit ihm ist.


166. Die zwey Fälle wo er das Lager nicht verläßt, sind erstlich wenn er durch die göttliche Macht oder durch den Einfluß voriger Sünden, nach und nach ist geschwächt worden, und zweytens wenn er zum Vortheile seines Bundesgenossen im Lager bleibt.


167. Diejenigen welche die sechs Maasregeln wohl verstehen, sagen daß die zwey Arten ein Heer zu vertheilen, sind, wenn um ein sehr wichtiges Unternehmen auszuführen, der König entweder selbst persönlich eine Abtheilung desselben unter seinen Befehl nimmt, oder sie einem Generale anvertraut.


168. Wenn er Schutz sucht, damit seine mächtigen Hülfsquellen durch alle Länder bekannt werden mögen, so findet er in zwey Fällen statt, erstlich wenn er sich vor befürchteten Einfällen in Sicherheit stellen will, und dann wenn ihn seine Feinde wirklich überfallen.


169. Wenn der König gewiß weiß, daß seine Macht in Zukunft einmal sehr vermehrt werden wird, und wenn er gegenwärtig eben nicht großen Schaden leidet, so nehme er seine Zuflucht zu friedlichen Maasregeln.


170. Aber wenn er sieht, daß die Stärke seiner Unterthanen beynahe unwiderstehlich ist, und wenn er fühlt, daß er einen hohen Grad von Macht erstiegen hat, dann beschütze er seine Länder durch Krieg.
[235]

171. Wenn er überzeugt ist, daß seine Truppen gutes Muthes und mit allem wohl versorgt sind, aber bey den feindlichen gerade das Gegentheil statt findet, dann eile er auf den Feind anzurücken.


172. Wenn er aber nicht hinreichende Lastthiere und Truppen hat, dann bleibe er ruhig in seinem Lager, verfahre mit aller Behutsamkeit, und suche sei nen Feind nach und nach zum Frieden zu vermögen.


173. Findet ein König daß ihm sein Feind in allem Betrachte überlegen ist, so muß er einen Theil seines Heeres absenden um ihn zu beschäftigen, während daß er selbst einen unzugänglichen Ort zu seiner Sicherheit ausfindig zu machen sucht.


174. Können ihn aber die feindlichen Truppen auf allen Seiten angreifen, so flehe er unverzüglich den Schutz eines gerechten und mächtigern Monarchen an.


175. Einen Fürsten, welcher sowohl seine eigene Unterthanen als seine Feinde in beständiger Unterthänigkeit zu halten weiß, muß er immer durch alle mögliche Aufmerksamkeit und Hochachtung die er seinem natürlichen oder geistlichen Vater erzeigen würde, zum Freunde zu erhalten suchen.


176. Sollte er aber in einer solchen Lage finden, daß ihm dergleichen Schutz nachtheilige Folgen bringt, so wird er besser thun ob er gleich schwach ist, den Krieg unerschrocken anzufangen.


177. Ein Staatskluger Fürst wird im Gebrauche aller dieser Mittel so weise verfahren, daß weder Bundesgenossen, unparteyische Mächte, noch Feinde ihm einen großen Vortheil abgewinnen können.


178. Er überlege beständig in welchen Umständen sein Königreich gegenwärtig sey, und sich vermuthlich in[236] der Zukunft befinden werde, desgleichen alle vortheilhaften und nachtheiligen Seiten aller seiner Maasregeln.


179. Ein König, welcher die guten und üblen Folgen seiner Unternehmungen voraus sieht, wird nicht von seinen Feinden überwunden werden; noch der, welcher sich sogleich mit vorsichtiger Entschlossenheit bestimmt, und die mannichfaltigen Folgen seines vorigen Betragens überlegt.


180. Er richte alle seine Angelegenheiten so ein, daß kein Bundesgenosse, kein neutraler Fürst oder Feind ihm einen Vortheil abgewinnen möge: Dies ist in wenigen Worten der Inbegrif der Staatsklugheit.


181. Wenn ein König gegen die Länder seines Feindes anrückt, so setze er seine Reise allmählich nach der feindlichen Hauptstadt auf folgende Art fort:


182. Er beginne seinen Feldzug am Ende des Monaths Margastrsha oder im Monat Phalguna und Chaitra, je nachdem er viele oder wenige Truppen hat, damit er in dem Lande wo er einfällt, Frühlings- oder Herbsterndten finden möge.


183. Wenn er aber seines Sieges gewiß seyn kann, und wenn irgend ein Unglück den Feind betroffen hat, so setze er mit dem größeren Theile seines Heeres die Reise fort, wenn es auch zu einer andern Jahreszeit seyn sollte.


184. Zuförderst muß er alle Angelegenheiten in seinem eigenen Reiche gehörig ordnen, und alles zum Vortheile seiner Unternehmung einleiten, ferner die nöthigen Bedürfnisse zu seinem Aufenthalt in der Fremde besorgen,[237] alle seine Spione mit der gehörigen Vorsicht vertheilen;


185. Auf die Sicherheit der dreyerley Wege über Wasser, auf flachem Lande und durch Wälder denken, und die sechs Abtheilungen seines Heeres, Elephanten, Reiterey, Karren, Fußvolk, Officiere und Bedienten in gehörigen Vertheidigungszustand setzen; dann kann er sich in bequemen Reisen der feindlichen Hauptstadt nähern.


186. Gegen jeden heimlichen Freund im Dienste des feindlichen Fürsten, und gegen ankommende und zurückkehrende Spione muß er sehr auf seiner Hut seyn, sonst dürfte er an solchen Freunden sehr gefährliche Feinde finden.


187. Während des Marsches lasse er seine Truppen entweder in der Gestalt eines Stabes oder wie eine glatte Säule; eines Karren oder wie einen Keil mit der Spitze voraus, in der Gestalt eines Ebers, oder einer Raute deren Vorder und Hinter-Theil enge, aber der mittlere weit ist; eines Macara oder See-Ungeheuers, das ist in einem doppelten Dreyecke mit aneinander stoßenden Spitzen; in der Gestalt einer Nehnadel, oder in einer langen Linie; oder endlich in der Gestalt des Vogels Vishnu, das ist in einem länglichen Vierecke mit weit ausgebreiteten Flügeln marschiren.


188. Er breite jederzeit seine Truppen auf der Seite aus von welcher er Gefahr befürchtet, und verberge sich allemal mitten in einer Schwadrone welche die Gestalt einer Lotos-Blume hat.12
[238]

189. Er muß seine Generale und den Hauptbefehlshaber unter sich auf alle Seiten vertheilen; und wo er merkt daß man ihn angreifen will, dahin muß er seine Fronte wenden.


190. Auf alle Seiten stelle er Soldatengruppen gegen die er Zutrauen hat, und welche sich an bekannten Fahnen und andern Zeichen unterscheiden lassen, die eben so tapfer angreifen als sich vertheidigen, die unerschrocken sind und nie fliehen.


191. Er lasse nach seinem Gutdünken einige Truppen in zusammengedrängter Phalanx oder eine große Anzahl von Kriegern in weiten Gliedern eindringen; und wenn er sie in eine lange Linie von der Gestalt einer Nehnadel, oder in drey Abtheilungen in Gestalt eines Donnerkeils gestellt hat, dann gebe er Befehl zum Angriffe.


192. Auf flachem Lande streite er mit seinen bewafneten Wagen und Pferden; auf Gewässern mit bemannten Boten und Elephanten; auf Boden wo viele Bäume und Gesträuche wachsen, mit Bogen, auf offenem Felde mit Schwerdtern, Schildern und andern Waffen.


193. Eingeborne von Curucshetra, aus der Gegend von Indraprestha, von Matsya oder Viratra, von Panchala oder Canyacubja, und von Surasena im Distrikte Mat'hura, lasse er vom Hintertreffen zu angreifen desgleichen die Eingebornen anderer Länder, welche von großer Statur und leicht gebaut sind.


194. Wenn er seine Truppen in Schlachtordnung gestellt hat, spreche er ihnen in kurzen nachdrücklichen Reden Muth ein; dann prüfe er sich völlig, und bemühe sich[239] auch zu erfahren, mit welchem Grade von Muthe jeder seiner Truppen den Feind angreift.


195. Wenn er seinen Feind eingeschlossen hat, dann schlage er sein Lager auf, und verwüste das feindliche Land, und verderbe immer das Gras, das Wasser, das Holz des feindlichen Fürsten.


196. Er zerstöre beständig Teiche, Brunnen und Verschanzungen, er ermüde den Feind bey Tage und beunruhige ihn bey Nacht.


197. Er suche heimlich so viele Anführer auf seine Seite zu bringen als er mit Sicherheit kann; er suche alles zu erfahren was die Feinde vornehmen, und wenn der Himmel einen glücklichen Augenblick zeigt, so biete er ihm die Schlacht an, suche Eroberungen zu machen, und vergesse alle Furcht.


198. Doch sollte er es sich mehr angelegen seyn lassen, mit seinem Feinde durch Unterhandlung, durch wohlangewandte Geschenke und durch erregte Zwistigkeiten fertig zu werden, gleichviel ob es auf eine dieser Arten, oder auf alle zugleich geschieht, als eine entscheidende Schlacht wagen.


199. Denn wenn zwey Heere einander im Felde angreifen, läßt sich warlich nicht vorher bestimmen, wer gewinnen oder verlieren wird: so lange daher einem Könige noch andere Mittel übrig sind, so wage er keine Hauptschlacht.


200. Sollte es aber nicht möglich seyn eines der drey vorerwähnten Mittel zu ergreifen, so bereite er sich gehörig vor, und streite so tapfer, daß sein Feind gänzlich in die Flucht geschlagen wird.


201. Wenn er ein Land erobert hat, so bezeige er seine Achtung vor den darin angebeteten Gottheiten,[240] und deren tugendhaften Priestern, er theile auch Geschenke unter das Volk aus, und lasse es laut verkündigen, daß niemand etwas zu befürchten habe.


202. Wenn er in Ansehung des Betragens und der Absichten aller Ueberwundenen zu völliger Gewißheit gekommen ist, so setze er einen Fürsten von Königlichem Geblüte über sie, und gebe ihm gemessene Vorschriften.


203. Bey dem eroberten Volke mache er die Gesetze gültig, welche in dessen Büchern vorgeschrieben sind, und dem neuen Fürsten verehre er Edelgesteine und andere kostbare Geschenke.


204. Ob das Einziehen anlockender Güter gleich Haß verursacht, so wie die Schenkung derselben Freunde macht, so kann doch das löbliche oder tadelhafte bey der Handlung nicht anders als nach der Beschaffenheit der Umstände beurtheilt werden.


205. Diese sämmtliche Einrichtung menschlicher Angelegenheiten hängt augenscheinlich von Handlungen ab, die theils der Gottheit, theils Menschen zugeschrieben werden; doch den Einfluß der Gottheit kann man durch keine Anstrengung des Verstandes entdecken, aber was Menschen thun, kann man sehr genau ausfinden.


206. Oder der Sieger in Erwägung, daß erstlich ein Bundesgenosse zweytens Ländereyen und drittens Reichthum die dreyfache Frucht der Eroberung sind, kann mit dem überwundenen Fürsten ein Bündniß errichten, und mit der erforderlichen Vorsicht gemeinschaftlich mit ihm zu Werke gehn.


207. Er sollte auch gehörige Rücksicht auf den Fürsten nehmen, welcher ihm bey seinem Unternehmen Hülfe geleistet hat, dergleichen auf den Fürsten in der Nachbarschaft[241] welcher jenen an der Hülfsleistung verhindern wollte, und solcher Gestalt bey seinem Feldzuge sowohl von seinem Freunde als von seinen Feinde Vortheil ziehen.


208. Durch die Erwerbung von Reichthum und Land vermehrt ein König seine Macht nicht so sehr, als durch die Vereinigung mit einem zuverlässigen Bundesgenossen, der in Zukunft mächtig werden kann, ob er gleich anfänglich schwach ist.


209. Ein Bundesgenosse ist, ungeachtet seiner Schwäche, höchst schätzbar, wenn er den ganzen Umfang seiner Pflichten kennt, wenn er sich dankbar an Wohlthaten erinnert, wenn seine Unterthanen zufrieden leben, oder wenn er selbst ein sanftmüthiger Mann ist, wenn er seinen Freund liebt und bey guten Entschlüssen beharrt.


210. Die Weisen sind der Meinung, daß ein Feind von vorzüglicher Gelehrsamkeit, von edlem Geschlechte, von persönlicher Tapferkeit, ein Feind welcher Gewandheit, Freigebigkeit, Dankbarkeit und Entschlossenheit besitzt, schwer zu überwinden sey.


211. Gefälligkeit, Menschenkenntniß, Tapferkeit, Herzensgüte und beständige Freigebigkeit sind das Verzeichniß von Tugenden, welche einen unpartheyischen Prinzen auszeichnen müssen, dessen Freundschaft man sich zu erlangen bemüht seyn sollte.


212. Ein König muß sogar ein gesundes und fruchtbares Land, in welchem die Viehzucht immer zunimmt, ohne Anstand verlassen, wenn seine eigene Sicherheit darauf beruhet.


213. Um bey Unglücksfällen nicht verlegen zu seyn, denke er auf die Verwahrung seiner Schätze; seine[242] Gattin muß er selbst auf Kosten seines Reichthums beschützen, aber auf jeden Fall muß er auf seine eigene Erhaltung denken, wenn auch seine Frau und seine Reichthümer darauf gehen sollten.


214. Wenn ein weiser Fürst sieht, daß auf einmal allerley Unglück über ihn einbricht, so sollte er alle erlaubte Mittel einzeln oder zusammen zu seiner Rettung anwenden.


215. Erst muß er das Geschäft, welches er vorhat, überlegen, dann über die Mittel allezusammen nachdenken und endlich sich selbst, der davon Gebrauch machen will, untersuchen: zu diesen drey Gegenständen muß er durchaus seine Zuflucht nehmen und sofort mit Eifer für sein eignes Wohl arbeiten.


216. Wenn sich der König mit seinen Ministern auf die vorherangegebene Art über alle diese öffentliche Angelegenheiten berathschlagt hat; wenn er sich wie es einem Kriege zukömmt, körperliche Bewegung gemacht, und sich nachher gebadet hat, dann gehe er des Mittags in seine besondern Zimmer um Nahrung zu genießen.


217. Dort esse er erlaubte Speisen, welche von Bedienten die seiner Person ergeben sind, zubereitet worden, von Bedienten, welche den Unterschied der Zeiten kennen und keiner Treulosigkeit fähig sind; er esse sie, nachdem sie durch gewisse Versuche unschädlich befunden, und durch Sprüche des Veda, welche die Würkung des Giftes vernichten, geweihet worden sind.


218. Ausser seiner Speise nehme er auch Arzneyen, welche dem Gifte entgegen wirken; auch vergesse er nie[243] Edelgesteine zu tragen, deren Kraft wider das Gift bekannt ist.


219. Seine wohlgeprüften und aufmerksamen Frauen, so bald man ihren Anzug und Schmuck untersucht hat, damit nicht etwa darunter ein Gewehr verborgen sey, müssen ihm in Unterthänigkeit mit Fächern, Wasser und Specereyen aufwarten.


220. Auf diese Weise sey er immer außerordentlich auf seiner Hut, wenn er ausfährt oder ausreitet, wenn er sich zur Ruhe legt, wenn er sitzt, wenn er Nahrung zu sich nimmt, wenn er badet, seinen Körper mit wohlriechenden Sachen salbt und alle seine Kleider anzieht.


221. Nach dem Essen ergötze er sich im Innern seines Pallastes mit seinen Weibern; und wenn er sich ein wenig mit ihnen die Zeit vertrieben hat, denke er wieder an seine öffentlichen Geschäfte.


222. Er siehe sich vollständig an und mustere zum zweytenmale seine bewaffneten Leute mit allen ihren Elephanten, Pferden, Karren, Rüstungen und Gewehren.


223. Nach Sonnenuntergang, sobald er seine religiöse Pflicht vollzogen hat, höre er von seinen Spionen und Zuträgern im innersten Gemache, aber wohlbewaffnet, was vorgefallen ist.


224. Sobald er nun seine Zuträger entlassen hat, kehre er in ein anderes heimliches Zimmer zurück, und gehe von dort mit seinen Weibern in das Innerste seiner Wohnung um seine Abendmahlzeit zu genießen.


225. Hier esse er wiederum etwas weniges und ergötze sich an der Tonkunst; dann lege er sich zeitig nieder[244] und stehe wieder, von seiner Müdigkeit erfrischt, auf.


226. Dieses vollkommene Verzeichnis von Vorschriften muß ein König, welcher frey von Krankheit ist, beobachten, wenn ihn aber Krankheit darnieder wirft, dann kann er alle diese Geschäfte seinen Beamten anvertrauen.


Fußnoten

1 Könige d.i. Rajahs.


2 Siehe II. 36.


3 Fülle, das ist die Sri. – Lotus ist die berühmte Wasserblume nymphaea Linn. (Pedma im Sanscrit) welche in Aegypten vormals und noch jetzt fast im ganzen Morgenlande verehrt wird. Savary lettres sur l'Egypte. 23. hat eine schöne Beschreibung davon gegeben. Am meisten verehren diese Blumen die Lamas, und ich habe selbst in der Chinesischen Tatarey im Kaiserlichen Park verschiedene kleine Teiche hinter den Pallästen des Kaisers, welcher ein großer Lama-Verehrer ist, gesehen. Unabhängig von ihrer Heiligkeit ist sie eine der schönsten Wasserblumen, auf welche in der Sacontala, Menu, Heetopades etc. beständig angespielt wird. In letzterem heißt sie S. 282.: »Die kühlende Blume, welche über die Erscheinung des Tages bekümmert wird.« Man hört sehr oft die merkwürdige Anekdote wiederholen, welche Sir W. Jones in Asiat. res. I. p. 243. selbst erzählt, daß er einst diese Blume auf seinem Pulte liegen hatte, um sie zu untersuchen und als man so eben einen Fremden aus Nepal zu ihm brachte, welcher kaum die Blume erblickte, als er vor Ehrfurcht zur Erde fiel. – In Catmandu der Hauptstadt Nepals sieht man einen Narayana auf einem Blatte der Nymphaea aus blauem Marmor ausgehauen.


4 Dem würdigen Robertson (s. disq. p. 268.) versicherte ein glaubwürdiger Mann, der Indien wohl kennt, daß ein Hindu Rajah im Innern des Landes, wo noch keine Europäer hingekommen sind, mehr einem Vater, als einem Fürsten gliche, und daß Herr und Unterthan dort in der alten patriarchalischen Einfachheit und Unschuld lebten, die uns in der heiligen Schrift bezaubert.


5 Wie die Affen in so ehrwürdige Gesellschaft kommen, wird man aus folgenden ersehen. Die Hindu Mythologie sagt, daß ein sehr berühmter Krieger, Namens Rama, viele Völker von Tyrannen befreyt, und bey dieser Gelegenheit ein zahlreiches Heer von beherzten Affen angeführt habe. Wirklich erzeigen die Hindus noch jetzt der großen Affenart die größte Verehrung, und die Brahminen, welche an drey oder vier Orten des Ganges festgesetzt Einkünfte deswegen zu haben scheinen, füttern sie mit großer Aufmerksamkeit. Diese Affen, wie Jones oft sah, leben in ganzen Haufen von drey bis vier hundert beysammen, sind außerordentlich zahm und scheinen eine Art von Zucht und Subordination in ihrem kleinen Sylvan-Staate zu haben; und einige Naturkenner nennen sie wirklich Satyren. S. Asiat. res. I. 257.


6 Vergl. Hennings. II. 173.


7 Vergl. Anm. zu 32.


8 Ehemals waren zwar die Streitwagen üblich, aber jetzt werden sie nicht mehr von den Hindus bey Schlachten gebraucht. s. Wilkins. Heetop. 324.


9 Alles das ist genau in den Gentoogesetzen erklärt.


10 Daß dies wirklich geschehe, sagt Roger p. 39.


11 Spione sind in Indien nicht verächtlich. s. Etat du Bengal p. 202. insgemein verkleiden sie sich als Pilgrimme oder Bettler, Personen, die in ganz Indien heilig gehalten werden. s. Wilkins Heetop. p. 323. In den Gentoogesetzen S. 119. werden sie Hircarrahs genannt.


12 s. zu 11.

Quelle:
Hindu Gesetzbuch oder Menu's Verordnungen nach Cullucas Erläuterung. Weimar 1797, S. 207-245.
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