Der Utopia erstes Buch.

[25] Als der unbesiegbare König Heinrich von England, seines Namens der achte, geschmückt mit allen Tugenden eines ausgezeichneten Fürsten, vor Kurzem einen nicht geringfügigen Streit mit Karl, dem durchlauchtigsten Fürsten von Kastilien, hatte, ordnete er, diesen beizulegen, mich als Sprecher nach Flandern ab und gab mir den unvergeßlichen Cuthbert Tunstall als Begleiter mit, den er unter dem größten allgemeinen Beifalle zum Großarchivar ernannt hatte, zu dessen Lobe von mir nichts gesagt werden soll, nicht weil ich befürchtete, daß das Zeugniß meiner Freundschaft wenig Glauben verdiente, sondern weil sein Charakter und seine Gelehrsamkeit über mein Lob erhaben sind und seine Berühmtheit so groß ist, daß sie erhöhen wollen, die Sonne mit der Laterne beleuchten hieße, wie das Sprichwort lautet.

In Brügge trafen wir, der Verabredung gemäß, die Abgesandten[25] des Fürsten, sämmtlich ausgezeichnete Männer, darunter der Präfekt von Brügge, als Haupt derselben, als ihr Mund und ihre Seele aber der Propst Georg Temsicius von Cassileta, der neben seiner natürlichen Beredsamkeit zugleich ein durchgebildeter Redner war, zugleich ein hochbegabter, wohlbeschlagener Staatsrechtsgelehrter. Nach zweimaliger Zusammenkunft nahmen jene, da wir in einigen Punkten nicht übereinstimmten, Abschied von uns, und reisten nach Brüssel, das Orakel des Fürsten einzuholen.

Ich begab mich unterdessen nach Antwerpen. Während ich mich dort aufhielt, sah ich oft Besuch, doch Niemand lieber als Petrus Aegidius, einen geborenen Antwerpener von großer Biederkeit, in ehrenvoller Stellung, der die ehrenvollste verdiente, da es kaum einen gelehrteren und ehrbareren jungen Mann gab, herzensgut und belesen sondergleichen. Von ehrlicher Aufrichtigkeit gegen jedermann, hat er ein so liebevolles, treues, hingebendes Gemüth gegen seine Freunde, daß kaum Jemand zu finden sein dürfte, der es in erprobter Freundschaft mit ihm aufnähme. Seltene Bescheidenheit eignet ihn, jede heuchlerische Verstellung ist ihm fremd, bei aller Schlichtheit des Wesens ist er sehr klug. Seine Rede ist gewandt und zierlich, seine Scherze sind liebenswürdig harmlos, so daß meine Sehnsucht nach der Heimath und nach dem häuslichen Herde, nach der Gattin und den Kindern gemildert wurde, um die ich bei einer bereits mehr als viermonatlichen Abwesenheit ängstlich besorgt war. Solches besorgte die liebe Gewöhnung des Beisammenseins und das höchst angenehme Gespräch mit ihm.

Als ich eines Tages dem Gottesdienste in der Liebfrauenkirche, die ein wunderschönes Kunstwerk ist und beim Volke das höchste Ansehen genießt, beigewohnt hatte, und nach meinem Quartier zurückzukehren im Begriffe war, sah ich ihn mit einem ältlichen Fremden sprechen, dessen Sonnenverbranntes Antlitz, herabwallender Bart, nachlässig über die Schulter hängender Reisemantel mir einen Schiffspatron zu verrathen schienen. Sobald mich Peter erblickte, grüßte er und kam auf mich zu, indem[26] er sich von jenem, der ihm eben eine Antwort zu geben im Begriffe war, ein klein wenig entfernte.

»Siehst du diesen Mann«, sagte er zu mir, indem er auf den wies, mit dem ich ihn sprechen gesehen hatte. »Ich wollte ihn gerade zu Dir führen.«

»Das würde mir um deinetwillen sehr angenehm gewesen sein«, sagte ich.

»Und an sich auch«, versetzte Peter, »wenn du ihn nur erst kenntest. Denn heutigentags lebt wohl Niemand, der dir über Menschen und unbekannte Länder so viel zu erzählen vermöchte, wie er, und solche Geschichten zu hören, bist du, wie ich weiß, höchst begierig.«

»So habe ich,« erwiderte ich, »nicht falsch gerathen, ich habe ihn auf den ersten Blick sofort für einen Seemann gehalten.«

»Du irrst sehr«, gab Peter zur Antwort. »Er hat zwar Seefahrten hinter sich, aber nicht als Palinurus, sondern als ein Ulysses, oder vielmehr als ein Plato. Nämlich: Raphael – das ist sein Geschlechtsname – Hythlodäus ist im Lateinischen bewandert, aber hat das Griechische noch viel gründlicher inne, (das er viel mehr betrieben hat, weil er sich ganz der Philosophie gewidmet hat, über die außer Seneka und Cicero im Lateinischen nichts der Rede Werthes vorliegt). Er stammt aus Lusitanien, trat sein väterliches Erbtheil seinen Brüdern ab, schloß sich, um Land und Leute zu studieren, dem Amerigo Vespucci an und hat[27] von jenen vier Seereisen, die man heutzutage bereits dort und da gedruckt lesen kann, drei als sein ständiger Begleiter mitgemacht, ist aber von der letzten nicht mit ihm zurückgekehrt. Er erreichte mit bringenden Bitten von Amerigo, daß er unter den Vierundzwanzig war, die bis ans Ende der letzten Fahrt in einem Kastell zurückgelassen wurden. So blieb er zurück und konnte seinem Sinn willfahren, der mehr ans Reisen als an Sterben und Grab dachte, wie er denn fleißig ähnliche Sprüche im Munde zu führen pflegte: ›Der Himmel ist der Leichenstein desjenigen, dem keine Aschenurne beschieden worden‹, und: ›der Weg zu den Göttern ist von überallher gleichweit‹. Dieser Wagemuth hätte ihn, wenn Gott nicht schützend seine Hand über ihn gebreitet hätte, theuer zu stehen kommen können. Nach Abreise des Vespucci hat er mit fünf Castilianern viele Gegenden durchstreift, bis er durch ein wunderbares Glück nach Taprobane gelangte, von dort nach Kalikut, wo er lusitanische Schiffe vorfand, worauf er gegen alles Erwarten in sein Vaterland zurückfuhr.«

Als Peter dies erzählt und ich ihm dafür Dank gesagt hatte, daß er so viel Gefälligkeit für mich gehabt und so viel Rücksicht auf mich genommen habe, mir eine Unterredung mit diesem Manne zu Theil werden zu lassen, wandte ich mich zu Raphael und nach gegenseitiger Begrüßung und Austausch jener Gemeinplätze, die beim Zusammentreffen zweier Fremden üblich sind, begaben wir uns nach meinem Hause, wo wir uns im Garten auf einer Rasenbank niederließen und zu plaudern anfingen. Er erzählte, wie er und seine im Kastell gebliebenen Gefährten, nachdem Vespucci abgereist war, durch Entgegenkommen und Schmeichelworte bei jenen Völkerschaften sich beliebt zu machen begannen und[28] nicht nur unbehelligt, sondern sogar vertraulich mit ihnen verkehrten, daß sie sogar einem Fürsten, dessen Name und Vaterland mir entfallen, willkommen gewesen, und daß ihm selbst und fünf seiner Begleiter durch dessen Freigebigkeit reichlich Proviant geliefert worden sei, um die Reise mit einem treuen Führer, der sie zu andern Fürsten, denen sie bestens empfohlen waren, zu Wasser auf Flößen, zu Lande per Wagen fortzusetzen. Nach mehrtägigen Reisen hätten sie kleinere und größere Städte angetroffen, um die es nicht übel bestellt gewesen, Staaten mit zahlreichen Völkerschaften. Unter dem Aequator und zu beiden Seiten desselben hätten weite Wüsteneien im beständigen Sonnenbrande gelegen. Schmutz und öde aussehende, unbebaute, von wilden Thieren und Schlangen und nicht minder wilden Menschen bewohnte Gegenden überall. Bei weiterer Fahrt habe allmählich Alles ein milderes Aussehen angenommen, das Klima habe an Rauhigkeit verloren, die Thiere seien zahmer geworden, endlich seien Völker und Städte gekommen, die nicht nur unter sich und mit den nächstbenachbarten, sondern auch mit entlegenen Völkerschaften emsig Handel zu Wasser und zu Lande und Gewerbe trieben. So sei ihm Gelegenheit geworden, viele Länder hüben und drüben zu besichtigen, da er und seine Gefährten in jedem Schiffe gern aufgenommen worden, wohin dasselbe auch segelte. Die ersten Schiffe, die sie erblickten, hätten flache Kiele gehabt, die Segel seien von Blättern des Schaftes der Papyrusstaude genäht, oder von Weidenruthen geflochten gewesen, anderwärts von Leder; dann trafen sie auf zugespitzte Kiele und hänfene Segel und im Uebrigen den unsrigen ähnlich, die Seeleute waren in der Kenntniß des Himmels und Meeres bewandert. Schönsten Dank aber, erzählte er, hätte er geerntet, als er sie im Gebrauche des Magnets unterwiesen, der ihnen früher ganz unbekannt gewesen; daher hätten sie sich nur mit Zagen dem Meere anvertraut und hätten das nur im Sommer gewagt. Jetzt aber, im Vertrauen auf den Magnetstein, spotten sie des Winters im Gefühle falscher Sicherheit, so daß die Gefahr besteht, daß ein Ding, von dem sie glauben mußten, daß es ihnen in Zukunft von großem Nutzen[29] sein werde, ihnen ob ihrer unklugen Sorglosigkeit zur Quelle großer Uebel werde.

Er erzählte dann noch ein Langes und Breites davon, was er an jedem Orte gesehen, was zu schildern aber nicht der Zweck dieses Werkes ist. Vielleicht wird dies von mir andern Orts berichtet werden, insbesondere von solchen Dingen, deren Kenntniß von praktischem Nutzen ist, wie z.B. vor allem seine Beobachtungen über das, was er bei gesitteten Völkern für treffliche, besonnene Einrichtungen gefunden.

Nach solchen Dingen waren wir besonders begierig und von ihnen sprachen wir am liebsten. Nach den Ungeheuern fragten wir nicht weiter, die nichts Neues mehr an sich hatten. Denn Schrecknisse wie die Scylla, menschenfresserische Lästrygonen und derlei unglaubliche Monstra findet man fast überall, heilsame und weise Satzungen der Bürger jedoch durchaus nicht so.

Uebrigens, wie er bei diesen neuentdeckten Völkerschaften viel Thörichtes fand, so erzählte er auch von nicht Wenigem, woran sich unsere Städte, Völkerschaften, Nationen und Reiche ein Beispiel nehmen könnten, um das, was bei ihnen verfehlt ist, zu korrigiren, was ich, wie gesagt, andern Orts vorbringen werde.

Für jetzt bin ich gesonnen, nur das zu berichten, was er von den Sitten und Einrichtungen der Utopier erzählt hat, indem ich nur noch jenes Gespräch vorausschicke, in dessen Verfolge er ganz ungezwungen auf jenes staatliche Gemeinwesen gekommen ist. Denn als er gar weise die vielerlei Mißgriffe kritisch beleuchtet hatte, die hier und dort in großer Zahl begangen werden, dann wieder Dinge, die bald bei uns, bald bei jenen vernünftiger geordnet sind, und als man sah, daß er die Einrichtungen der verschiedenen Völkerschaften so inne hatte, daß man hätte wähnen können, er habe an jedem Orte, den er besuchsweise berührt, sein ganzes Leben zugebracht, da sprach Peter seine Bewunderung des Mannes aus.

»Es wundert mich wahrlich, lieber Raphael«, sagte er,[30] »warum du dich nicht irgend einem Könige zur Verfügung stellst, da du ihm doch, ich bin überzeugt davon, höchst erwünscht sein würdest, indem du ihn durch deine Orts- und Menschenkenntniß nicht nur ergötzen sondern durch Beispiele zu belehren und durch deinen Rath zu unterstützen im Stande wärest, wie du zugleich auch deine Interessen dadurch ausgezeichnet wahrnehmen würdest und allen den Deinigen von größtem Nutzen sein könntest«.

»Was die Meinigen anbelangt,« antwortete jener, »so habe ich wenig Sorge um sie, da ich glaube, meine Pflichten gegen sie leidlich erfüllt zu haben. Denn von meinem Besitzthum, das Andere erst im Alter und Siechthum, weil sie es nicht länger festhalten können, und auch dann noch ungerne abtreten, habe ich mich schon im gesunden und kräftigen Alter, ja schon in der Jugend zu Gunsten von Verwandten und Freunden getrennt, die ich durch meine Mildthätigkeit zufrieden gestellt zu haben glaube, und die nicht überdies von mir verlangen und erwarten dürften, daß ich mich ihres Vortheiles halber in die Sklaverei von Königen begebe.«

»Schön gesagt«, versetzte Peter darauf, »aber meine Meinung ist nicht, daß du den Königen dienen, sondern daß du ihnen Dienste leisten sollst«.

»Das ist bloß eine etwas längere Ausdrucksweise für dienen,« versetzte Jener.

»Aber ich meine«, erwiderte Peter, »welchen Namen du der Sache auch geben magst, das sei gerade der Weg, auf dem du nicht nur andere Privatpersonen, sondern auch das Gemeinwesen fördern und deine eigene Lage glücklich gestalten kannst«.

»Glücklicher meine Lage durch Mittel und Wege gestalten, von denen sich mein Gemüth zurückgestoßen fühlt? Wenn ich jetzt nach meinem freien Willen lebe, so glaube, so vermuthe ich, daß dieses Loos den wenigsten Purpurträgern zu Theil wird. Gibt es doch genug Solcher, die um die Freundschaft der Machthaber werben, so daß es für diese jedenfalls keinen großen Verlust zu bedeuten hat, wenn sie meiner oder das einen oder andern mit mir Gleichgesinnten entbehren.«[31]

»Dann, Raphael«, sagte ich, »ist es klar, daß du weder nach Reichthümern noch nach Macht verlangst, und ich verehre einen Menschen von deiner Gesinnung nicht weniger, als Einen, der die höchste Machtfülle im Staate in Händen hält. Immerhin scheint es mir eine eines so edlen und wahrhaft philosophischen Geistes würdige Sache zu sein, auch mit theilweiser Aufopferung deines persönlichen Wohlseins, deinen Genius und deinen Fleiß zum Besten des Gemeinwohls auszubieten, und das würde dir auf keine vollkommenere Weise gelingen, als dadurch, daß du als Beirath mächtigen Fürsten ihm, woran gar nicht zu zweifeln ist, nur Gerechtes und Ehrenhaftes beibrächtest. Denn vom Fürsten gehen gute wie üble Wirkungen wie von einer nieversiegenden Quelle aus und strömen ins Volk. Deine Gelehrsamkeit ist eine so unbedingte, daß du auch ohne Geschäftspraxis einen vorzüglichen Rathgeber für jeden beliebigen König abgeben würdest.«

»Du befindest dich da in einem doppelten Irrthum,« sagte jener, »lieber Morus, erstens hinsichtlich meiner, sodann hinsichtlich der Sache. Denn ich besitze die Begabung nicht, die du mir zuschreibst, wenn ich sie aber auch im höchsten Maße besäße, so würde ich doch, wenn ich auch meine Ruhe und Muße gänzlich opferte, die Sache des Gemeinwesens nicht fördern. Denn erstens beschäftigen sich die meisten Fürsten lieber mit militärischen Studien (worin ich Kenntnisse weder besitze, noch zu besitzen wünsche) als mit den heilsamen Wünschen des Friedens. Viel wichtiger ist ihnen das Bestreben, aus rechtem oder unrechtem Wege sich neue Reiche zu erwerben, als die erworbenen gut zu regieren.

Uebrigens gibt es keinen Rathgeber der Könige, der nicht entweder selbst so weise ist, oder wenigstens sich so weise dünkt, daß er den Rath eines anderen Mannes billigt, außer daß sie in abgeschmacktester Weise denjenigen schmeicheln, die in der höchsten Gunst des Fürsten stehen, oder durch Zustimmung sich dieselbe zu verdienen trachten. Und in der That ist es nur natürlich, daß die Menschen in die Einfälle ihres eigenen Geistes verliebt[32] sind. Den Raben und den Affen dünken ihre Jungen auch die schönsten Geschöpfe.

Wenn nun in einer solchen Gesellschaft, in der die Einen die Gedanken anderer Leute verachten, die Andern ihre eigene Meinung obenan stellen, irgend jemand etwas vorbrächte, wovon er gelesen, daß es weiland so gehalten worden, oder was er selbst anderwärts bethätigt gesehen, so thun Jene so, als ob ihre ganze Weisheit Gefahr liefe und sie fortan nur für Dummköpfe gelten würden, wenn es ihnen nicht gelänge, an den Gedanken und Rathschlägen Anderer zu kritteln und zu mäkeln. Wenn alles Andere versagt, nehmen sie ihre Zuflucht dazu, daß sie sagen: ›So hat es unseren Vorfahren beliebt; wollte Gott, daß wir ihnen an Weisheit gleichkämen‹. Und dann (wenn sie sich so im Rathe erhoben) setzen sie sich wieder nieder, als ob die Sache damit gründlich erörtert und abgethan sei. Als ob es die größte Gefahr mit sich bringe, wenn einmal Einer in irgend etwas klüger erfunden wird, als seine Vorfahren! Und doch sind wir es voll Gleichmuth zufrieden, daß ihre weisesten Rathschlüsse unausgeführt bleiben, und wenn in einer Angelegenheit eine bessere Maßregel hätte getroffen werden können, so ergreifen wir begierig die Gelegenheit, unsern Tadel anzubringen. So bin ich gar häufig andernorts auf hochmüthige, alberne, grillenhafte Urtheile gestoßen, einmal auch in England.«

»So warst du, bitte, auch in England?« fragte ich.

»Ja,« sagte er, »ich habe mich einige Monate dort aufgehalten, nicht lange nach der kläglichen Niederlage, mit welcher der Bürgerkrieg der Westengländer gegen den König unterdrückt worden ist.«

Während der Zeit war ich dem hochehrwürdigen Vater Johannes Morton, Kardinal-Erzbischof von Canterbury, zur Zeit auch Kanzler von England, zu großem Danke verpflichtet, einem Manne, lieber Peter, [dem Morus sage ich damit nichts Neues][33] nicht weniger verehrungswürdig durch Weisheit und Tugend als durch hohe Stellung. Er war von mittlerer Statur, die Last der Jahre beugte ihn nicht, sein Antlitz ehrwürdig, im Umgange ist er nicht schwierig, doch von ernstem Wesen. Er liebte es zuweilen, Bittsteller durch einen rauhen Anstrich, aber harmlos, auf die Probe zu stellen, wie weit ihre Geistesgegenwart und ihr Freimuth gehe, und war darüber, wenn nur keine Frechheit dabei war, als über etwas seiner Natur Verwandtes entzückt. Einen solchen wählte er gern für einen Staatsdienstposten. Seine Rede war fein und markig, seine Rechtskenntniß groß, seine Geistesanlage unvergleichlich, sein Gedächtniß fabelhaft. Diese von Natur hervorragenden Gaben hatte er durch Studium und Praxis noch weiter ausgebildet. Auf dessen Rath schien mir der König viel zu geben und sich auf ihn zu stützen, denn er war in frühester Jugend von der Schule weg an den Hof gezogen und durch alle Lebensalter in den wichtigsten Staatsgeschäften und in den mannigfaltigsten Brandungen des Schicksals unaufhörlich hin- und hergeworfen worden und hatte so praktische Weltkunde unter vielen und großen Gefahren sich angeeignet, und die so erworbene haftet unverlierbar.-

Als ich eines Tages bei ihm zu Tische war, war auch ein eurer Gesetze kundiger Mann aus dem Laienstande zugegen, der aus irgend einem mir unbekannten Anlasse jene stramme Justiz zu loben begann, die damals dort zu Lande eifrigst gegen die Diebe gehandhabt wurde, die, wie er erzählte, meist zu zwanzig an's Kreuz geheftet wurden. Er sagte, er wundere sich nicht wenig, daß es, obwohl nur Wenige der Todesstrafe entgingen, doch allerorten von Dieben wimmle.

Da nahm ich das Wort – denn ich durfte beim Kardinal frei reden – und sagte: »Du darfst dich mit nichten wundern, wenn diese Bestrafung der Diebe überschreitet die Grenze der Gerechtigkeit und ist für das Gemeinwohl nicht ersprießlich. Zur Sühne des Diebstahls ist sie nämlich zu grausam und zu seiner[34] Verhinderung doch ungenügend. Der einfache Diebstahl ist doch kein so ungeheures Verbrechen, daß er mit dem Kopfe gebüßt werden muß, noch ist andrerseits eine Strafe so schwer, daß sie vom Stehlen Diejenigen abhielte, die sonst keinen Lebensunterhalt haben. In dieser Beziehung scheint nicht nur Ihr, sondern die halbe Welt jenen schlechten Schullehrern nachzuahmen, die ihre Schüler lieber mit der Ruthe züchtigen als unterrichten. Schwere, schauerliche Strafen sind für die Diebe festgesetzt worden, während doch eher Vorsorge zu treffen gewesen wäre, daß Einer nicht in die harte Nothwendigkeit, zu stehlen, versetzt werde und dann infolge dessen sterben zu müssen.«

»Dafür,« versetzte Jener, »ist genügend gesorgt, es gibt Handwerke, es gibt den Ackerbau, mittels deren das Leben gefristet werden kann, wenn die Leute nicht vorsätzlich schlecht sein wollten.«

»Damit entschlüpfst du mir nicht«, erwiderte ich darauf. »Sehen wir vorerst von Jenen ab, die aus auswärtigen oder aus Bürgerkriegen verstümmelt heimkehren, wie neulich bei Euch aus der Schlacht von Cornwall, oder kurz zuvor aus dem gallischen Krieg, die ihre gesunden Gliedmassen für den König oder das Gemeinwohl in die Schätze schlagen und ihren früheren Beruf wegen Invalidität nicht mehr ausüben, und wegen vorgerückten Alters einen neuen nicht mehr erlernen können – von Diesen also wollen wir absehen, da Kriege nur nach gewissen Zwischenräumen eintreten. Fassen wir vielmehr die täglichen Vorkommnisse ins Auge. Die Zahl der Adeligen ist gar groß, die nicht nur selbst im Müssiggange von der Arbeit Anderer wie Drohnenleben, sondern die Landbebauer ihrer Güter der zu erhöhenden Renten wegen bis auf's Blut schinden. Dies ist die einzige Art[35] von Sparsamkeit, die sie kennen, diese Menschen, die in anderer Hinsicht verschwenderisch bis zum Bettelstabe sind; auch umgeben sie sich mit einem ungeheuren Schwarm müssiger Gefolgschaft, die keine nützliche Kunst, das Leben zu fristen, erlernt hat. Diese Leute werden, wenn ihr Herr stirbt oder sie selbst erkranken, von Haus und Hof getrieben, denn lieber will man Müssiggänger ernähren, als Kranke, und oft ist der Erbe des Sterbenden auch nicht im Stande, den väterlichen Haushalt aus gleichem Fuße fortzuführen. Inzwischen hungern sich diese Leute ab, wenn sie nicht das Herz haben zu stehlen. Denn was sollen sie thun? Wenn sie nämlich durch Umherirren nach einiger Zeit Kleider und Gesundheit vernutzt haben, verschmähen es die Adeligen, die durch Krankheit Verunreinigten in fadenscheinigen Gewändern aufzunehmen, und die Bauernwagen es nicht, ihnen Arbeit zu geben, da sie recht gut wissen, daß ein reichlich in Muße und im Genusse Aufgewachsener, der nur gelohnt ist, mit Schwert und Schild trotzigen Blickes einherzuschreiten und rings um sich Alle zu verachten, nicht geeignet ist, mit Spaten und Haue um elenden Lohn und dürftige Beköstigung einem Armen treu zu dienen«.

»Gerade diesen Menschenschlag,« versetzte Jener, »müssen wir vor allem pflegen. Denn in ihnen, denen höherer Geistesschwung und mehr Kühnheit eignet, als den Handwerkern und Ackerbauern, besteht die Kraft des Heeres, wenn es gilt, sich im Kriege zu schlagen.«

»Fürwahr«, erwiderte ich, »gerade so gut kannst du sagen, die Diebe seien zu hegen, deren ihr zweifellos nie ermangeln werdet, so lange ihr Diese habt. Denn die Diebe sind keine schlaffen Soldaten und die Soldaten des Stehlens nicht eben unkundig. Die beiden Gewerbe stimmen gut zusammen.

Aber so geläufig euch dieser Makel ist, ist er euch doch nicht eigenthümlich: er ist fast allen Völkern gemeinsam. Von einer noch verderblicheren Pest ist Gallien heimgesucht. Das ganze Land ist auch im Frieden – wenn dort Friede ist – von Soldaten angefüllt und belagert, aus demselben Grund, aus dem ihr glaubtet, diese Dienstmannen ernähren zu[36] müssen, weil es nämlich den verrückten Staatsweisen geschienen hat, das Staatswohl bestehe darin, daß immer eine starke verläßliche Besatzung in Bereitschaft sei, insbesondere von altgedienten Soldaten, da man zu Rekruten gar kein Vertrauen hat. So daß der Krieg nur entfacht werde, um kriegskundige Soldaten zu haben, im Abschlachten erprobt, damit ihnen nicht (wie Sallust treffend sagt) Hand und Sinn in Mußezeiten erlahme. Wie gefährlich es aber ist, auf diese Weise wilde reißende Thiere aufzuziehen, das hat Frankreich zu seinem eigenen Schaden kennen gelernt, und die Beispiele der Römer, Karthager, Syrier und vieler Völker bezeugen es deutlich, weil ihre stets schlagfertigen Heere nicht nur das Reich im Ganzen, sondern auch die Aecker und Städte bei einer Gelegenheit über der andern urplötzlich verwüstet haben.

Wie das durchaus nicht nöthig ist, erhellt daraus, daß nicht einmal die französischen Soldaten, die von den Kinderschuhen aus in den Waffen höchst geübt sind, sich nicht oft rühmen können, aus dem Zusammentreffen mit den rasch improvisirten eurigen als Sieger hervorgegangen zu sein, um nicht mehr zu sagen, damit es nicht den Anschein habe, ich wolle den Anwesenden schmeicheln. Aber man nimmt an, daß weder eure städtischen Handwerker, noch die rauhen ländlichen Feldbebauer die müssiggehenden Gefolgsmannen der Adeligen besonders fürchten, außer etwa diejenigen, deren Statur und Körperkräfte ihrem Muthe nicht gleichkommen, oder deren geistige Schwungkraft durch häusliche Noth gebrochen ist; so ist auch keine Gefahr vorhanden, daß ihre kräftigen und gesunden Körper (denn der Adel hält es nur der Mühe werth, auserlesene Gestalten herunterzubringen) durch Muße und Nichtsthun verweichlicht werden, wenn sie ein gediegenes Handwerk, das ihnen den Lebensunterhalt verbürgt, erlernen; oder durch zu leichte, nur für Weiber geeignete Arbeit von Kräften kommen, oder unfähig werden, Strapazen zu ertragen.

Wie sich das nun auch verhalten mag, so scheint es mir nicht einmal für den Fall eines Krieges – den ihr übrigens, wenn ihr nicht wollt, nicht zu haben braucht – dem Gemeinwohl[37] zuträglich zu sein, einen unendlichen Schwarm solcher Leute zu ernähren, weil es dem Frieden Abbruch thut, dem man doch so viel mehr Pflege zuwenden sollte, als dem Kriege. – Aber das ist keineswegs die einzige Ursache der Diebstähle; es gibt vielmehr nach meiner Meinung noch eine, die euch eigenthümlich ist«.

»Und diese ist?« fragte der Kardinal.

»Eure Schafe«, sagte ich, »die so sanft zu sein und so wenig zu fressen pflegten, haben angefangen so gefräßig und zügellos zu werden, daß sie die Menschen selbst auffressen und die Aecker, Häuser, Familienheime verwüsten und entvölkern. Denn in jenen Gegenden des Königreichs, wo feinere, daher theurere Wolle gezüchtet wird, sitzen die Adeligen und Prälaten, jedenfalls sehr fromme Männer, die sich mit den jährlichen Einkommen und Vortheilen nicht begnügen, die ihnen von ihren Voreltern aus den Landgütern zugefallen sind, nicht zufrieden, in freier Muße und im Vergnügen leben zu können, ohne dem Gemeinwohl zu nützen, dem sie sogar schaden; sie lassen dem Ackerbau keinen Boden übrig, legen überall Weideplätze an, reißen die Häuser nieder, zerstören die Städte und lassen nur die Kirchen stehen, um die Schafe darin einzustallen, und als ob euch die Wildgehege und Parke nicht schon genug Grund und Boden wegnähmen, verwandeln jene braven Männer alle Wohnungen und alles Angebaute in Einöden. So umgibt ein einziger unersättlicher Prasser, ein scheußlicher Fluch für sein Vaterland, einige tausend zusammenhängende Aecker mit einem einzigen Zaun, die Bodenbebauer werden hinausgeworfen, entweder gewaltsam unterdrückt oder mit List umgarnt, oder, durch allerlei Unbilden abgehetzt, zum Verkauf getrieben. So oder so wandern die Unglücklichen aus, Männer, Weiber, Kinder, Ehemänner und Gattinnen, Waisen, Wittwen, Mütter mit kleinen Kindern, mit einer zahlreichen dürftigen Familie, da der Ackerbau vieler Hände bedarf – sie wandern aus, sage ich, aus ihren altgewohnten Heimstätten, und finden kein schützendes Obdach; ihren ganzen Hausrath, für den ohnehin nicht viel zu erzielen ist, müssen sie, da sie ausgetrieben[38] werden, für ein Spottgeld hergeben, und wenn sie dann diesen Erlös binnen Kurzem bei ihrem Herumschweifen aufgebraucht haben, was bleibt ihnen schließlich übrig, als zu stehlen und danach von Rechtswegen gehängt zu werden, oder als Bettler sich herumzutreiben? Dann werden sie als Landstreicher in's Gefängniß geworfen wegen müssigen Herumtreibens, während sie doch Niemand in Arbeit nehmen will, obwohl sie sich höchst begierig anbieten. Denn wo nicht gesäet wird, da ist es mit dem Ackerbau nichts, den sie doch allein erlernt haben. Ein einziger Schaf- oder Rinderhirt nämlich genügt, das Land von den Schafen abweiden zu lassen, das mit Sämereien zu bestellen viele Hände erforderte.

Aus diesem Grunde sind auch die Lebensmittel an vielen Orten bedeutend theurer. Ueberdies ist der Preis der Wolle so gestiegen, daß die ärmeren Tuchmacher sie nicht mehr kaufen können und aus diesem Grunde großentheils zum Müssiggang verurtheilt werden.

Nach dieser Vermehrung der Weiden raffte eine Seuche zahllose Schafe dahin, als ob Gott für die Habgier der Herren ein Strafgericht über sie habe verhängen wollen und ein großes Sterben über ihre Schafherden gesendet habe, das er gerechter über ihre eigenen Häupter hätte ergehen lassen.

Wie sehr auch die Zahl der Schafe zunimmt, die Preise gehen doch nicht herunter, weil, wenn man auch nicht von einem Monopol reden kann, der Handel (mit Wolle) doch nur in den Händen weniger Reichen concentrirt ist, die keine Nothwendigket früher zu verkaufen zwingt, als es ihnen beliebt, und es beliebt ihnen nicht, bevor sie nicht nach Belieben verkaufen können.

Aus demselben Grunde sind die Thiere der übrigen Gattungen gleichmäßig theuer, und zwar um so mehr, weil es nach der Zerstörung der Dörfer und dem Verfall der Landwirthschaft keine Leute gibt, die sich mit der Aufzucht des Viehes beschäftigen. Denn für junges Rindvieh sorgen die Reichen nicht in gleicher Weise wie für Nachwuchs an Schafen. In der Ferne kaufen sie solches spottbillig auf und wenn sie es auf ihren Weiden gemästet[39] haben, verkaufen sie es theuer. Ich vermuthe daher, daß das ganze hieraus fließende Ungemach noch nicht zum Bewußtsein gekommen ist. Denn zunächst erzeugen sie blos an jenen Orten Theuerung, wo sie verkaufen; da sie aber das Vieh dort, wo sie es kaufen, schneller wegführen, als es sich durch Nachwuchs vermehren kann, so nimmt es daselbst allmählich ab und es muß auch dort drückender Mangel entstehen.

So wird gerade der Umstand, der das Hauptglück eurer Insel zu bilden schien, durch die unverantwortliche Habgier Weniger in sein Gegentheil verkehrt. Denn die Theuerung der Lebensmittel ist die Ursache davon, daß jeder so viele Leute als möglich aus seinem Haushalte entläßt. Wohin aber muß das führen, wenn nicht zum Bettel, oder, bei herzhafteren Naturen, zum Diebstahl?

Zu solcher Armuth und Noth gesellt sich andererseits aufdringlicher Luxus. Nicht nur die Dienerschaft der Adeligen und die Handwerker, sogar schon die Bauern und alle übrigen Stände treiben unverschämten Aufwand in der Kleidung und huldigen der Ueppigkeit in den Lebensmitteln. Wenn durch Kneipenleben, Bordelle, liederliche Wein- und Bierhäuser, so und so viele wenig ehrenhafte Spiele, wie Würfel- und Karten-, Ball-, Kugel- und Wurfscheibenspiel ihre Geldmittel nur zu schnell erschöpft sind – wohin soll das die solchen Passionen Fröhnenden anders führen, als zum Diebstahl?

Diese Pestbeulen entfernt von eurem Leibe; macht ein Gesetz, daß die Dörfer und ackerbautreibenden Städte von Jenen wieder hergestellt werden müssen, die sie zerstört haben, oder daß sie sie Solchen abtreten, die sie wieder herstellen und aufbauen wollen. Dämmt diese Aufkäufe der Reichen ein, die ihnen die Möglichkeit gewähren, ein Monopol auszuüben. Es sollen sich weniger und immer weniger Leute vom Müssiggange ernähren können; der Ackerbau werde wieder eingeführt, die Wollindustrie wieder blühend gemacht, man schaffe ehrlichen Erwerb, der jener arbeitslosen Menge nützliche Beschäftigung bietet, die die Noth bisher zu Dieben machte, und jenen umherschweifenden, stellenlosen Dienern, die bald zu Dieben werden müssen.[40]

Wofern ihr nicht diesen Uebeln steuert, rühmt ihr vergeblich eure zur Sühne des Diebstahls gehandhabte Rechtspflege, die mehr scheinprächtig als gerecht und heilsam ist. Wenn ihr eine schlechte Erziehung geben und die Sitten von den zartesten Jahren an allmählich verderben lasset, dann, wenn sie endlich Männer geworden sind, jene Verbrechen bestraft, die zu begeben sie von Kindheit auf in Aussicht gestellt haben – was thut ihr da anders, frage ich, als Diebe heranbilden und sie dann mit der Schärfe des Gesetzes treffen?«

Während ich so sprach, hatte sich jener Rechtsgelehrte zur Antwort fertig gemacht und bei sich beschlossen, sich jener feierlichen Weise der Disputirenden zu bedienen, die wackerer wiederholen als antworten, indem sie ein gutes Gedächtniß für besonders preiswürdig ansehen. »Wahrlich, du hast gut gesprochen,« sagte er, »da du nämlich ein Fremder bist, der von diesen Dingen eher etwas hören als gründlich verstehen kann, was ich sofort mit wenigen Worten klar legen werde. Zuerst werde ich noch einmal durchnehmen, was du vorgebracht hast, sodann werde ich zeigen, wie dich die Unkenntniß unserer Verhältnisse irregeführt hat, zuletzt werde ich nacheinander alle deine Gründe widerlegen und zunichte machen.

Also ich gehe von dem ersten Theile meines Versprechens aus; du scheinst mir vier –«

»Halt«, sagte der Kardinal; »es dünkt mich, derjenige werde nicht eine kurze Antwort geben, der so anfängt. Daher überheben wir dich für jetzt einer Beantwortung, die wir aber gleichwohl für eure nächste Zusammenkunft aufsparen wollen, die ich gern (wenn du oder Raphael nicht verhindert ist) für morgen ansetzen möchte. Inzwischen aber möchte ich von dir, lieber Raphael, gar gerne hören, warum der Diebstahl nach deiner Meinung nicht mit dem Tode zu bestrafen sei und was für eine andere Strafe du statuirst, die sich dem Gemeinwohl zuträglicher erweist, denn daß er zu dulden sei, das meinst auch du nicht. Wenn aber jetzt nicht einmal der Tod vom Stehlen abhalten kann, welches Schreckmittel vermochte sich, ist die Sicherheit des Lebens erst[41] einmal gewährleistet, gegen die Verbrecher noch wirksam erweisen, die die Auffassung bekunden würden, die Milderung der Strafe sei eine Art Ermunterung zum Verbrechen?«

»Sicherlich, ehrwürdigster Vater,« erwiderte ich, »halte ich die Entziehung des Lebens für die Entziehung von Geld für geradezu ungerecht. Es ist meine Meinung, daß sämmtliche Glücksgüter das menschliche Leben nicht aufwiegen können. Wenn man aber sagte, daß die verleite Gerechtigkeit, die übertretenen Gesetze durch diese Strafe gesühnt werden sollen, und nicht die Entwendung des Geldes, – warum sollte dieses höchste Recht nicht mit Fug höchstes Unrecht genannt werden? Denn weder ist jene Manlische Strenge der Gesetze zu billigen, daß in den leichtesten Fällen das Schwert ohne Nachsicht zu ziehen sei, noch jene stoïsche Unbeugsamkeit daß alle Vergehen gleich geachtet werden, als ob es keinen Unterschied mache, ob Einer Einen todtschlage, oder ihm blos Geld entwende, Vergehen, die, wenn die Billigkeit mehr als leerer Schall ist, nicht die geringste Aehnlichkeit und Verwandtschaft mit einander haben. Gott hat verboten, irgend einen Menschen zu tödten, und wir tödten so mir nichts dir nichts wegen einer erbärmlichen Summe entwendeten Geldes?

Wenn Einer etwa die Auslegung anwenden wollte, durch jenes Gebot Gottes sei das Tödten verboten, insoferne nicht das irdische Gesetz das Tödten erlaubt – was hindert dann, daß die Menschen unter einander festsetzen, in wie weit Nothzucht, Ehebruch, Meineid zu erlauben sei? Wenn nun, da Gott verboten hat, nicht nur fremdes, sondern auch das eigene Leben zu nehmen, die Menschen durch Uebereinkunft unter sich mittels gewisser gesetzlicher Abmachungen festsetzten, sich gegenseitig umzubringen, so müßte[42] das die Geltung haben, daß diese sich untereinander mordenden Spießgesellen von dem göttlichen Verbote ausgenommen sind, weil ein menschliches Gesetz ihrer Tödtung die Sanction ertheilt, und müßte das göttliche Recht einem solchen Pakte zufolge nicht blos so viel Geltung haben, als ihm das menschliche Recht zu haben verstattet? Und so würde es nach Analogie dieses Falles sich begeben, daß die Menschen in allen Angelegenheiten statuiren, in wie weit man es passend finde, die göttlichen Gebote zu beobachten. Kurz und gut: sogar das Mosaische Gesetz, obwohl rauh und unbarmherzig, gegen Sklaven und Verstockte erlassen, hat den Diebstahl nur mit Geld, nicht mit dem Tode bestraft. Glauben wir doch nicht, daß Gott unter dem neuen Gesetze der Milde, mit dem er uns, seine Kinder, regiert, eine größere Freiheit gewährt habe, gegen einander zu wüthen.

Aber, daß es nichtsdestoweniger unsinnig und für das Staatswesen verderblich sei, einen Dieb und einen Mörder gleichmäßig zu bestrafen, das, glaube ich, weiß ausnahmslos jedermann. Denn, wenn dem überfüllten Diebe nicht geringere Strafe droht, als wenn er überdies des Mordes angeklagt wäre, so wird er ja durch diese eine Erwägung schon zum Morde dessen angereizt, den er sonst blos beraubt haben würde, da er ja, außer dem, daß ihm bei seiner Ergreifung keine größere Gefahr droht, sogar im Falle der Ermordung des Bestohlenen sicherer geht, indem die Hoffnung auf Verheimlichung der Missethat wächst, wenn derjenige, der als der Betroffene den Hauptzeugen hätte abgeben können, beseitigt ist. Während wir die Diebe also durch allzustrenge Maßregeln einzuschüchtern trachten, verlocken wir sie, sich am Leben braver Menschen zu vergreifen. Nun ist aber meiner Meinung nach die Fragen welche Bestrafung ist besser? viel leichter zu lösen, als die, welche schlechter sei. Denn warum bezweifeln wir, daß der Weg zur Bestrafung von Verbrechen der praktischeste sei, den einst, wie wir wissen, die Römer so lange beliebt haben, die doch in der Staatsverwaltung die meiste Erfahrung hatten? Sie verurtheilten nämlich schwere Verbrecher in die Steinbrüche und[43] Erzgruben, wo sie nach Metallen schürfen mußten, woselbst sie zeitlebens Ketten zu tragen hatten.

Uebrigens billige ich in dieser Beziehung keine Einrichtung eines Volkes mehr, als jene, die ich während meiner Reisen in Persien bei den Polyleriten, wie sie gewöhnlich genannt werden, getroffen habe, einer nicht kleinen Völkerschaft mit vernünftigen Einrichtungen, die außer einem jährlich dem Perserkönig gezahlten Tribut sonst frei ist, und unter eigenen Gesetzen steht. Da sie aber weit von der See abliegen, fast ringsum von hohen Bergen eingeschlossen sind, und mit den Erzeugnissen ihres Landes in jeder Beziehung sich begnügen, mit anderen Völkern nicht oft in Berührung kommen, sei's, daß sie zu diesen, sei's, daß diese zu ihnen kämen, da sie nach alter Volkssitte nicht danach trachten, ihre Grenzen zu erweitern, und ihre natürliche vor jedem Angriffe durch Gebirge leicht geschützt wird, der Tribut, den sie dem Mächtigen entrichten, sie von jedem Kriegsdienste befreit, so leben sie behaglich in guten Verhältnissen, mehr glücklich als ritterlich oder berühmt, denn ich vermuthe, sie sind, außer bei ihren nächsten Grenznachbarn, kaum dem Namen nach bekannt.

Bei ihnen nun müssen die überführten Diebe das Gestohlene dem Eigenthümer zurückgeben, nicht, wie in andern Ländern, dem Könige, der, wie sie meinen, gerade so viel Unrecht auf die gestohlene Sache hat, als der Dieb selber. Ist aber die Sache zu Grunde gegangen, so wird der Werth derselben aus dem Besitzthum der Diebe dem Bestohlenen bezahlt, alles Uebrige läßt man der Frau und den Kindern des Diebes, sie selbst aber werden zu öffentlichen Arbeiten verurtheilt, und wenn der Diebstahl nicht unter Anwendung von Gewalt beruht worden ist, wirft man sie weder ins Gefängniß noch in Ketten, sondern sie gehen bei den Arbeiten durchaus frei einher. Die Widerspenstigen und träge sich Gehabenden werden weniger durch Fesseln gehindert, als durch Schläge angetrieben. Wenn sie die Arbeit wacker fördern, erfahren sie keine Schelt- oder[44] Tadelworte, nur zur Nachtzeit werden sie unter Namensaufruf kontrollirt und in ihren Schlafräumen eingeschlossen. Außer der unausgesetzten Arbeit erleiden sie keinerlei Ungemach. Ihre gute Ernährung erfolgt, da sie in öffentlichen Diensten Arbeit verrichten, von Staatswegen, anderswo anders. Hier und da wird nämlich durch Almosen für sie gesammelt, und obwohl diese Art und Weise einigermaßen unsicher ist, fällt die Beköstigung der Sträflinge immer noch reichlicher als sonst irgendwo aus, da dieses Volk sehr mildthätig ist. Es gibt auch Gegenden, wo männiglich einen Beitrag zu diesem Zwecke abgibt. An einigen Orten verrichten sie auch keine öffentliche Arbeit, sondern, wenn ein Privatmann Arbeitskräfte braucht, so geht er auf das Forum und miethet sich Leute für den Tag, für einen um ein Weniges geringeren Lohn, als ein freier Mann bekäme. Es ist erlaubt, die Trägheit eines solchen Mannes mit Strafe zu züchtigen. So fehlt es diesen Leuten nie an Arbeit, und außer daß sie ihren Lebensunterhalt verdienen, können sie noch täglich eine Kleinigkeit an den Staatsschatz abgeben. Sie sind alle gleichmäßig in dieselbe Farbe gekleidet; das Haupthaar wird ihnen nicht geschoren, außer ein klein wenig über den Ohren, deren eines ein bischen gestutzt wird. Speise und Trank darf Jeder von seinen Freunden annehmen und ein Kleid seiner Farbe; auf der Annahme wie auf der Schenkung von Geld steht für beide Theile Todesstrafe; nicht minder gefährlich ist es auch für einen Freien aus irgend einem Grunde von einem Verurtheilten Geld anzunehmen, sowie für die Sklaven – so werden die Verurtheilten genannt – Waffen anzurühren. In jedem Landstrich werden sie durch ein eigenes Zeichen unterschieden, das abzulegen ein todeswürdiges Verbrechen ist, ebenso, wenn Einer außerhalb der Grenzen seines Landstriches erblickt oder mit einem Sklaven eines andern Landstriches sprechen gesehen wird. Geplante Flucht wird der wirklichen gleichgerechnet. Mitwisser eines solchen Plans zu sein, bedeutet für einen Sklaven den Tod, für den Freien Sklaverei. Für die Angeber sind Prämien ausgesetzt, Geld für einen Freien, die Freiheit für einen Sklaven und Vergebung und Straffreiheit[45] für beide, so daß die Verfolgung eines bösen Planet nie mehr Sicherheit bringt als Reue über denselben.

Diese Institutionen und Gesetze bestehen hinsichtlich des Diebstahls; wie human und von wie praktischem Nutzen sie sind, ist leicht zu sehen. Die Schärfe des Gesetzes bezweckt nur die Vernichtung der Verbrechen, aber die Schonung der Menschen, die so behandelt werden, daß sie sich bessern müssen und den Schaden, den sie einst angestiftet haben, ihr ganzes Leben lang gut zu machen gehalten sind. Und so wenig Furcht besteht, daß sie in ihren früheren Lebenswandel zurückfallen, daß die Wanderer, die eine Reise irgendwohin vorhaben, sich gar keine sichereren Führer nehmen zu können vermeinen, als diese Sklaven, die sie von einem Landstrich zum andern wechseln. Sie sind nämlich einen Diebstahl zu begehen gerade am wenigsten in der Lage. Waffen dürfen ihre Hände nicht führen, bei ihnen gefundenes Geld würde sofort zum Verräther ihres Verbrechens werden, des Ertappten wartet die sichere Strafe und jede Hoffnung auf Flucht in irgend einer Richtung ist rundweg abgeschnitten. Wie sollte er seine Flucht bemänteln, er, der in jedem Kleidungsstücke vom ganzen Volke sich unterscheidet, wenn er nicht geradezu nackt davonliefe? Dann wird ihn aber immer noch das abgestutzte Ohr verrathen. Auch ist keine Gefahr vorhanden, daß sie eine Verschwörung gegen den Staat verabreden, denn es wäre aussichtslos, auf eine solche zu hoffen, da dazu die Sklaven vieler Landstriche in Bewegung gesetzt und angeworben werden müßten, die von der Möglichst einer Verschwörung so weit entfernt sind, daß sie ja nicht einmal zusammenkommen, mit einander reden oder sich gegenseitig begrüßen dürfen. Und wie sollten sie glauben, sich einander anvertrauen zu dürfen, da sie wissen, daß das Verschweigen einer Heimlichkeit gefahrdrohend, das Verrathen derselben ihnen von größtem Nutzen ist? Andererseits ist keiner von ihnen der Hoffnung gänzlich bar, durch Gehorsam, geduldiges Ausharren und dadurch, daß sie für die Zukunft eine gebesserte Lebensführung erwarten lassen, sich die Möglichkeit offen zu halten, dereinst die Freiheit wieder zu erlangen. Da kein Jahr vergeht,[46] daß nicht Dieser und Jener in den vorigen Stand eingesetzt wird, indem ihr geduldiges Abwarten ihnen zur vortheilhaften Empfehlung gereichte. –

Als ich so gesprochen und hinzugesetzt hatte, ich sähe keinen Grund ein, warum es nicht auch in England so gehalten werden könne, und zwar mit viel besserem Erfolge, als jene Art der Justizpflege, die jener Rechtsgelehrte so hoch gepriesen hatte, versetzte dieser, der Rechtsgelehrte nämlich, ein derartiges Verfahren könne in England nie eingeführt werden, ohne den Staat an den Rand des Verderbens zu bringen. Und dazu bewegte er das Haupt hin und her, rümpfte die Lippen und dann schwieg er.

Und Alle, die zugegen waren, traten in seine Fußstapfen, d.h. seiner Meinung bei.«

Da sagte der Kardinal: »Es wäre wohl schwer zu sagen, ob dieses System bei uns eingefüllt werden könnte, oder nicht, ohne einen Versuch damit gemacht zu haben. Wenn aber ein Todesurtheil gesprochen ist, könnte der Fürst Aufschub desselben gebieten und diese Sitte könnte erprobt werden, nachdem die Privilegien der Asyle aufgehoben worden, dann aber, wenn sich die Sache durch den Erfolg als vortheilhaft herausstellt, wäre es richtig, sie einzuführen, im andern Falle möge die Todesstrafe an denen, die vorher zu ihr verurtheilt worden, vollzogen werden; darin liegt nichts, was mehr oder weniger ungerecht wäre, als wenn der Vollzug sofort erfolgt, und daraus erwächst in der Zwischenzeit nicht die geringste Gefahr. Es scheint mir auch, daß gegen die Landstreicher auf dieselbe Weise recht gut vorgegangen werden könnte, gegen die wir bisher so viele Gesetze erlassen haben, ohne doch etwas ausgerichtet zu haben.«

Als der Kardinal das gesagt hatte, was sie, als ich Dasselbe vorgebracht hatte, nur geringschätzig ausgenommen hatten, da überhäuften sie es Alle mit Lobsprüchen, namentlich aber das von den Landstreichern, weil er das aus sich selbst hinzugefügt hatte.

Ich weiß nicht, ob ich das, was folgte, nicht besser verschwiege,[47] es war nämlich lächerliches Zeug; gleichwohl will ich's erzählen; es war nämlich so übel nicht und gehörte einigermaßen zur Sache.

Es war ein schmarotzender Spaßmacher zugegen, der den Narren spielen wollte. Aber er spielte ihn so, daß er eher ein solcher im Ernste zu sein schien, und suchte mit so frostigen Witzen Lachen zu erregen, daß öfter über ihn als über seine Witze gelacht wurde. Hier und da aber entschlüpfte ihm doch etwas nicht ganz Albernes, so daß er das Sprichwort wahr machte: auch eine blinde Henne findet manchmal ein Goldkorn.

Als nun einer der Gäste sagte, ich hätte schon ein gutes Mittel gegen die Diebe gefunden, und der Kardinal desgleichen eines gegen die Landstreicher, es erübrige nur noch, daß für Diejenigen von der Allgemeinheit gesorgt werde, die durch Krankheit oder Alter unfähig geworden seien, ihren Lebensunterhalt zu erwerben und daher verarmt wären – da sagte Jener: »Ueberlaß das nur mir, ich werde schon auch darin nach dem Rechten sehen, denn ich wünsche sehnlichst, daß diese Menschenklasse mir aus den Augen entschwinde, so haben diese Leute mich gar oft mit ihren Wehklagen gepeinigt, wenn sie mich um Geld anbettelten, obwohl sie mir mit allen ihren Klagemelodien nie einen Heller entlocken konnten. Denn eines von beiden war immer der Fall: entweder ich wollte nichts geben, oder es war mir nicht möglich, weil nichts zum geben da war. Jetzt sind sie denn auch klug geworden. Sobald sie meiner ansichtig werden, gehen sie stillschweigend an mir vorüber, um nicht Zeit und Mühe zu verlieren, da sie von mir nicht mehr zu hoffen haben, als von einem Priester. Ich verordne, daß ein Gesetz entlassen werde, alle diese Bettler in die Benediktinerklöster zu vertheilen und zu Laienbrüdern zu machen. Die Weiber aber sollen Nonnen werden.«

Der Kardinal lächelte und hieß den Scherz gut, die Andern aber hielten ihn für Ernst.

Durch diesen Witz gegen die Priester und Mönche, wurde ein Frater, der Gottesgelehrter war, so aufgeheitert, daß er selbst zu scherzen anfing, obwohl er sonst ein Mann von einem fast[48] düsteren Ernste war. »Selbst so«, sagte er, »wirst du von den Bettlern noch nicht loskommen, wenn du nicht zugleich für uns Fratres ein Auskommen schaffst.«

»Dafür ist schon gesorgt,« sagte der Schmarotzer, »denn der Kardinal hat die ausgezeichnete Verordnung vorgeschlagen, daß die Strolche eingeschlossen und mit Arbeit versehen werden sollen, ihr aber seid die größten Strolche.«

Auch diesen Witz nahm die Tafel, als man sah, daß der Kardinal keine Mißbilligung ausdrückte, beifällig auf, mit Ausnahme des Mönches. Denn dieser wurde, was kein Wunder, von solchem Essig beträufelt, unwillig und erglühte so in Zorn, daß er sich des Schimpfens nicht enthalten konnte, nannte den Menschen einen Halunken, Verläumder, Ohrenbläser, ein Kind der Verdammniß, indem er zugleich fürchterliche Drohungen aus der heiligen Schrift citirte.

Jetzt fing der Spaßmacher – im Ernste zu spassen an, und da war er in seinem Elemente. »Wolle dich nicht erzürnen, guter Bruder denn es steht geschrieben, ›In der Geduld liegt das Heil eurer Seelen‹«.

Darauf der Frater – ich führe seine eigenen Worte an – »Ich erzürne mich nicht, du Galgenstrick, oder wenigstens ich sündige nicht. Denn der Psalmist sagt: ›Erzürnt euch und wollet nicht sündigen‹«.

Der Bruder Mönch wurde sodann vom Kardinal sanft ermahnt, seine Leidenschaft zu zähmen. »Nein, hochwürdiger Herr«, erwiderte jener, »ich spreche nur im berechtigtsten Eifer, wie ich muß; auch die heiligen Männer hatten einen berechtigten Eifer, daher heißt es: ›Der Eifer deines Hauses verzehrt mich‹. Und in den Kirchen wird gesungen: ›Als Elisa schritt zum Haus Gottes, hörend hinter sich des Spottes Lachen, traf Kahlkopfs[49] Zorn die Spötter‹, wie ihn vielleicht auch dieser Spötter, Hanswurst, Schuft noch fühlen wird«.

»Du handelst vielleicht im löblichen Eifer,« sagte der Kardinal, »aber mir will scheinen, du würdest, wenn nicht frömmer, so doch ganz gewiß klüger handeln, wenn du dich nicht mit einem Narren messen und in einen lächerlichen Streit mit ihm einlassen wolltest.«

»O nein, hochwürdiger Herr, da thäte ich nicht klüger daran. Denn selbst der höchstweise Salomo sagt: ›Antworte einem Thoren nach seiner Thorheit‹ wie ich jetzt thue und ihm die Grube zeige, in die er fallen wird, wenn er sich nicht wohl in Acht nimmt. Denn wenn die vielen Verspotter des Elisäus, der nur ein Kahlkopf war, den Zorn desselben zu fühlen bekamen, um wie viel mehr wird ein Spötter den Zorn vieler Mönche fühlen müssen, worunter viele Kahlköpfe sind? Es gibt auch eine päpstliche Bulle, der zufolge Alle, die uns verspotten, excommunicirt werden.«

Als der Kardinal merkte, daß kein Ende abzusehen war, gab er dem Narren einen Wink, sich zu entfernen, lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema und Stand bald darauf vom Tische auf, seinen Schützlingen Audienz zu ertheilen, und entließ uns so. – –

Lieber Morus, ich habe dich mit einer gar langen Erzählung behelligt, und ich hätte mich wahrhaftig geschämt, es zu thun, wenn du mich nicht dazu aufgemuntert und wirklich begierig geschienen hättest, jenes Gespräch bis auf die kleinsten Umstände zu erfahren. Ich mußte das, wenn auch gedrängter, Alles erzählen, um das Urtheil derjenigen zu beleuchten, die, was ich vorbrachte, geringschätzig behandelten, dann aber, als unmittelbar darauf der Kardinal es billigte, beifälligst beistimmten, so sehr beistimmten, daß sie sogar die Witze jenes Schmarotzers, die der Kardinal Scherzes halber passiren ließ, mit Schmeicheleien bedachten, und beinahe[50] als trockenen Ernst nahmen. Daraus kannst du abnehmen, wie viel meine Rathschläge bei den Hofleuten gelten würden.

»In der That, lieber Raphael,« erwiderte ich, »du hast mir einen großen Genuß bereitet, denn du hast durchweg weise und zugleich in gefälliger Form gesprochen. Ich habe mich nicht nur ins Vaterland, sondern durch die wohlthuende Erinnerung an jenen Kardinal, in dessen Palaste ich erzogen bin, gewissermaßen sogar in meine Knabenzeit zurückversetzt gefühlt, und du glaubst nicht, guter Raphael, wie viel theurer du mir durch die Auffrischung der Erinnerung an jenen Mann, den du hoch hältst, geworden bist, obwohl ich dich bis jetzt schon so sehr werthschätzte.

Im Uebrigen kann ich keineswegs von meiner Meinung abgehen, daß du, wenn du dich nur selbst dazu bringen könntest, vor den Fürstenhöfen nicht zurückzuscheuen, dem Gemeinwohle durch deinen Rath und deine Stimme ungemein viel nützen könntest. Das ist sogar deine höchste Pflicht, die Pflicht eines trefflichen Mannes. Denn wenn nun dein Plato die Ansicht hegt, daß die Staaten dann erst vollkommen glücklich sein werden, wenn entweder die Philosophen regieren oder die Könige Philosophie treiben, wie weit muß da das Glück noch im weiten Felde stehen, wenn die Philosophen es verschmähen, den Königen ihren guten Rath zu Theil werden zu lassen.«

»Sie sind nicht so schnöde«, versetzte Jener drauf, »daß sie das nicht ganz gerne thun würden – es haben es ja auch schon viele durch herausgegebene Bücher gethan – wenn nur die Mächtigen und Regierenden sich bereit finden ließen, die Rathschläge zu befolgen. Aber das hat Plato ohne Zweifel vorausgesehen, daß, wenn die Könige nicht selbst philosophischen Geistes werden, es nie kommen wird, daß sie, von Kindheit auf mit verkehrten Anschauungen getränkt und angesteckt, den Rathschlägen philosophischer Geister vollständig Gehör schenken werden, was er in eigener Person beim Dionysius erfahren hat. Glaubst du[51] wirklich nicht, daß, wenn ich bei irgend einem Könige heilsame Maßregeln in Vorschlag bringen und die verderblichen Keime böser Uebel bei ihm ausrotten zu wollen wagen würde –, daß ich nicht alsbald verjagt, oder zum Gegenstande des Gelächters würde?

Nehmen wir einmal an, ich wäre beim König von Frankreich und säße in dessem Rathe, während der König selbst in geheimer Sitzung den Vorsitz führt, wo sehr eifrig darüber gegrübelt wird, mit welchen Künsten und Machinationen er Mailand behalte, das ewig flüchtige Neapel wieder an sich reißen, wie er sodann die Herrschaft Venedigs stürzen und ganz Italien sich unterwerfen könne, dann Flandern, Brabant, zuletzt ganz Burgund und überdies andere Völkerschaften unter seine Botmäßigkeit bringen könne, deren Reiche er längst im Geiste angegriffen hat.

Hier räth nun der Eine, mit den Venetianern ein Bündniß zu schließen, das so lange dauern solle, als es sich bequem erweist, die man auch ins Vertrauen ziehen, und denen man auch einen Theil der Beute überlassen könne, welche man ja, wenn Alles nach Wunsch gegangen sei, ihnen wieder abfordern könne.[52]

Ein Anderer räth, deutsche Söldner zu dingen, ein Anderer, die Schweizer durch Geld zu gewinnen.

Wieder ein Anderer, man möge sich die Gottheit der kaiserlichen Majestät durch Gold, wie durch ein Weihgeschenk versöhnen.

Der räth mit dem Könige von Arragonien Frieden zu schließen und ihm als Friedensbürgschaft Navarra abzutreten, das aber einem andern Könige gehört.

Wieder ein Anderer meint, der König von Kastilien solle durch die Vorspiegelung einer Verschwägerung eingefangen werden und durch eine an einige seiner Hofleute zu zahlende Pension seien diese auf ihre Seite herüberzuziehen.

Nun kommt aber die Hauptschwierigkeit, nämlich was mit England anzufangen sei. Es sei jedenfalls über den Frieden zu verhandeln und die stets lockere Freundschaft mit den festesten Banden zu kräftigen. Die Engländer sollen Freunde genannt, aber als Feinde beargwohnt werden. Man müsse daher die Schotten, gleichsam auf Posten, schlagfertig haben, bei jeder Gelegenheit, wenn sich die Engländer rühren, bereit, sofort einzumarschiren. Dazu sei ein verbannter hoher Adeliger heimlich – offen gehe es wegen der Bündnisse nicht an – zu protegiren, der als Prätendent des Reiches auftritt, um mittels dieser Handhabe den Landesfürsten im Zaume zu halten, dem sie sonst wenig trauten.

Und da, sage ich, wo es sich um so wichtige Dinge handelt, wo so viel ausgezeichnete Männer zum Kriege rathen, wenn nun ich armseliges Menschlein mich da erheben würde und Kehrt machen hieße, mein Votum abgäbe, Italien sei in Ruhe zu lassen, er sollte zu Hause bleiben, Frankreich sei fast schon zu groß, um von einem Einzigen gut regiert zu werden, der König solle daher an keinen Landzuwachs denken und ihnen die Beschlüsse des[53] Volkes der Achorier vortrüge, die der Insel Utopia im Südosten gegenüber liegen, die, als sie einst Krieg geführt hatten, um ein anderes Reich für ihren König zu erobern, auf das er Erbschaftsansprüche aus einem alten Bündnisse zu haben behauptete; sahen, als sie es endlich erlangt hatten, daß sie nicht weniger Last von der Behauptung des Landes als von der Eroberung desselben hätten, daß darauf beständig der Same entweder einheimischen Aufruhrs oder auswärtiger Einfälle gegen die Unterworfenen aufgehe, daß sie also beständig entweder für sie oder gegen sie zu kämpfen genöthigt wären, niemals die Möglichkeit abzurüsten gegeben sei; sahen, daß sie mittlerweile geplündert werden, und das Geld aus dem Lande fließe, daß ihr Blut für fremden erbärmlichen Ruhm vergossen werde, der Friede nicht um ein Haar sicherer sei, die heimischen Sitten durch den Krieg korrumpirt worden waren, die Begierde zu rauben und zu stehlen erwacht und die verwegene Rauflust durch die Metzeleien gestiegen sei, die Gesetze der Verachtung verfielen – da merkten sie, daß der König, in seiner Sorge für sein Reich durch ein zweites abgelenkt, beiden nur mit verminderter Sorgfalt vorstehen konnte.

Da sie nun sahen, daß aller dieser Uebel kein Ende sei, hielten sie Rath und stellten ihrem Könige sehr loyal die Wahl frei, das eine oder andere Reich zu behalten, denn beide zu regieren stehe nicht in seiner Macht, und daß ihrer doch zu viele seien, um von einem halbirten Könige regiert zu werden, indem Niemand auch nur einen Mauleseltreiber gern mit einem Andern theile. So ist denn der gute Fürst genöthigt worden, das neue Reich einem seiner Freunde zu überlassen (der bald darauf daraus vertrieben worden ist) und sich mit seinem alten zu begnügen.

Wenn ich überdies zeigen wollte, daß alle die Kriegsunternehmungen, durch welche so viele Völker aufgeregt werden, und, nachdem sie den Staatsschatz erschöpft, die Völker zu Grunde gerichtet hätten, doch vielleicht durch irgend ein Mißgeschick umsonst[54] gewesen wären, er (der König) daher sein angestammtes Reich pflegen, es schön ausgestalten und so blühend als nur möglich machen, daß er seine Landeskinder lieben solle, dann werde er von ihnen geliebt werden, daß er in Einigkeit mit ihnen leben und mild herrschen, andere Länder aber in Ruhe lassen solle, da ja das, was ihm zugefallen, mehr als übergenug sei – – was glaubst Du wohl, theuerster Morus, mit welchen Gefühlen würde diese meine Rede aufgenommen werden?!«

»Nicht mit sehr geneigten, wahrlich,« erwiderte ich.

»Weiter«, sagte er, »fahren wir fort. Wenn also der König mit seinen Räthen darüber rathschlagen würde, mit welchen Kniffen der Staatsschatz bereichert werden könnte, und es träte Einer auf und riethe den Schätzungswerth des Geldes zu erhöhen, wenn er selbst welches zu zahlen hat, ihn aber über Gebühr herunterzudrücken, wenn es gilt, Geld aufzunehmen, so daß er für seine Person mit geringen Summen viel berichtigt und bei geringer Verpflichtung seiner Schuldner trotzdem viel einnimmt – ein Anderer rathe, er solle einen Krieg fingiren, damit er, wenn die Gelder unter diesem Vorwande aufgetrieben worden, sobald es ihn gut dünke, unter feierlichen Zeremonien Frieden schließe, womit er Sand in die Augen des armen dummen Volkes streuen könne, als ob es den gottesfürchtigen König des Blutes und Lebens der Leute erbarme, – wieder ein Anderer bringe ihm gewisse alte, mottenzerfressene Gesetze in den Sinn, die längst außer Gebrauch gekommen, die, da sich gar Niemand entsinnen kann, daß sie überhaupt gegeben worden, jedermann übertreten hat; dafür solle der König Geldstrafen erheben lassen; es könne ihm keine einträglichere Quelle fließen, und keine ehrbarere, da ja solche Einkünfte den Stempel der Gerechtigkeit an der Stirn tragen, – noch ein Anderer liege ihm in den Ohren, es solle vieles verboten und mit Geldstrafen belegt werden, am meisten solche Dinge, deren Untersagung zum Nutzen des Volkes gereicht; dann möge er für Geld jene Personen dispensiren, deren Vortheile ein Verbot entgegensteht; so gewinne er die Volksgunst und eröffne sich eine doppelte Einnahme, einmal, indem er Geldbußen[55] von Jenen erhebt, welche die Gier nach Erwerb in die Falle getrieben hat; und dann, weil er den Andern Privilegien verkauft, und zwar um so theurer, ein je besserer Fürst er ist, da ein solcher nur ungern einem Einzelnen etwas gegen das Volkswohl Gehendes gestattet, und das dann natürlich nur um einen hohen Preis.

Wieder ein Anderer redet ihm auf, er müsse sich die Richter verbinden, damit sie in jeder Sache für das königliche Recht entscheiden; ja, er soll sie überdies in seinen Palast berufen, damit sie in seiner Gegenwart über seine Angelegenheiten verhandeln; so unhaltbar faul werde kein betreffender Fall sein, daß nicht irgend ein Richter entweder aus Widerspruchsgeist, oder weil er sich schämt, schon Gesagtes zu wiederholen, oder um sich das Wohlwollen des Königs zu gewinnen, irgend eine schmale Spalte entdeckt, in die der Samen der Verläumdung gesäet werden kann. Wenn dann die Richter verschiedener Meinung sind, und eine an sich sonnenklare Sache bestritten und die Wahrheit in Zweifel gezogen wird, so werde dem Könige eine bequeme Handhabe geboten, das Recht zu seinen Gunsten auszulegen; die Uebrigen werden, entweder weil sie sich schämen, oder in Furcht beistimmen, wenn das Urtheil vom Gerichte nur kühn gesprochen wird. Dem zu Gunsten des Fürsten Urtheile Fällenden kann es auch an plausiblen Vorwänden nicht fehlen. Denn es genügt ihm, wenn die Billigkeit für ihn spricht, oder der Wortlaut des Gesetzes, oder eine gezwungene Auslegung des geschriebenen Rechtes, oder endlich, was bei gewissenhaften Richtern über alle Gesetze den Ausschlag gibt, das unzweifelhafte Vorrecht des Fürsten.

Alle stimmen in dem Ausspruche des Crassus überein,[56] daß kein Fürst zu viel Geld besitze, der ein Heer zu ernähren habe; sie sind überdies auch darin alle einig, daß ein König, wenn er auch noch so sehr wollte, nichts Ungerechtes begehen könne, denn Alles, was die Menschen besitzen, gehöre ihm, wie die Menschen selbst auch, und dem Einzelnen sei nur das zu eigen, was ihm der König nicht genommen habe, und daß dieser dem Individuum verbleibende Besitz so gering als möglich sei, liege ja sehr im Interesse des Fürsten, denn dessen Sicherheit bestehe darin, daß das Volk nicht durch Reichthum und Freiheit übermüthig werde, da man unter solchen Umständen nicht eben gutmüthig harte und ungerechte Befehle ertrage, während Armuth und Noth die Geister abstumpfe, geduldig mache und den Bedrängten den kühnen Muth sich zu empören benehme.

Wenn ich mich nun da wieder erheben und behaupten wollte, alle diese Rathschläge seien für den König wenig ehrbar, ja verderblich, dessen Ehre, aber auch dessen Sicherheit mehr in den Mitteln und Reichthümern des Volkes bestehe, als in seinen eigenen, wenn ich bewiese, das Volk wähle sich einen König in seinem eigenen Interesse und nicht um des Königs willen, damit sie Alle nämlich durch dieses einen Mannes Bemühung und Obsorge ein behagliches, vor Unbilden geschütztes Leben führen, und daß es daher mehr Sache des Fürsten sei, für das Wohl seines Volkes zu sorgen, als für sein eigenes, gerade so wie es Pflicht des Hirten sei, seine Schafe gut zu nähren und nicht sich selbst, wofern er ein braver Hirt ist!

Denn daß diejenigen ganz auf dem Holzwege sind, die da meinen, die Armuth des Volkes sei die beste Schutzwehr des Friedens und der Ruhe, liegt auf der Hand. Wo gibt es mehr Gezänk und Gebalge als unter den Bettlern? Wer sinnt eifriger auf eine Umwälzung der Verhältnisse, als derjenige, dem sein gegenwärtiges Leben nicht im mindesten gefällt? Wer geht tollkühner daran, einen Zustand herbeizuführen, wo Alles drunter und drüber geht, indem er dabei im Trüben zu fischen hofft, als derjenige, der nichts mehr zu verlieren hat?

Wenn ein König in solcher Verachtung stände, oder seinen[57] Unterthanen so verhaßt wäre, daß er sich nur durch Mißhandlungen, Beraubungen und Confiscationen in Amt und Würde erhalten kann, und dadurch, daß er die Leute an den Bettelstab bringt, so sollte er wahrlich lieber abdanken, als sein Reich mit solchen Künsten behaupten, da er dadurch vielleicht eine Scheinherrschaft führt, aber der wahren Majestät verlustig geht. Denn es ist unter der königlichen Würde, über Bettler zu herrschen, sie soll sich vielmehr über Wohlhabende und Glückliche erstrecken.

So war der erhabene, und mannhafte Geist eines Fabricius gesonnen, als er sagte, er wolle lieber über Reiche herrschen, als selbst reich sein. Thatsächlich heißt, als Einzelner in Genüssen und Wollüsten schwimmen, während ringsherum Alle seufzen und jammern, nicht regieren, sondern ein Kerkermeister sein.

So wie Der ein ganz unbewanderter Arzt ist, der eine Krankheit wieder nur durch eine andere Krankheit zu heilen weiß, so möge der, welcher das Leben der Bürger auf keine andere Weise zu reguliren versteht, als dadurch, daß er sie aller Annehmlichkeiten des Lebens beraubt, nur gestehen, daß er es nicht versteht, über Freie zu herrschen, wenn er nicht seine Trägheit oder seinen Hochmuth aufgibt, denn diese Laster sind es, die ihm entweder die Verachtung oder den Haß des Volkes zuziehen. Er möge harmlos nur von dem Seinigen leben, die Ausgaben den Einnahmen anpassen, die Verbrechen einschränken und lieber durch treffliche Einrichtungen ihnen zuvorkommen, anstatt sie anwachsen zu lassen und dann zu bestrafen.

Gewohnheitsmäßig außer Gebrauch gekommene Gesetze erneuere er nicht vermessen, namentlich wenn sie längst verschollen sind und keinerlei Bedürfniß nach ihnen sich geltend macht! Auch nehme er keine solche Buße für ein Vergehen, wie sie der Richter keinen Privatmann als etwas Unbilliges und Schädliches nehmen[58] lassen würde. Wenn ich nun hier das Gesetz der Makarier, die nicht weit von Utopia ihren Wohnsitz haben, vorbringen wollte, deren König, vom Tage seiner Thronbesteigung an, unter feierlichen Opfern durch einen Eid gebunden wird, zu keiner Zeit mehr als tausend Pfund in seinem Schatz zu haben, oder eine gleichwerthige Summe Silbers! Dieses Gesetz hat, wie es heißt, ein ausgezeichneter König gegeben, dem das Wohl des Vaterlands mehr am Herzen lag, als seine persönlichen Reichthümer, gleichsam als einen Riegel gegen die Anhäufung so großer Geldsummen, daß dadurch das Volk verarmen muß. Denn er sah voraus, daß dieser Schatz genügen werde, sowohl im Falle einer Rebellion gegen den König, als einer feindlichen Invasion in das Reich, denselben vor Bedrängniß zu bewahren. Im Uebrigen aber sei dieser Schatz zu gering, als daß er in ihm die Lust erwecken sollte, fremdes Eigenthum an sich zu reißen, was hauptsächlich der Grund zur Erlassung dieses Gesetzes war. Der nächste Grund aber war der, weil er so den Fall vorgesehen glaubte, daß im täglichen bürgerlichen Verkehre das Geld nicht mangle, und da der König auszugeben genöthigt war, was dem Schatze über das gesetzliche Maß zuwuchs, so glaubte er sich keine Veranlassung gegeben dem Volke Unrecht zuzufügen. Ein solcher König werde der Schrecken aller Bösen sein und von den Guten geliebt werden.

Wenn ich nun dieses und Aehnliches bei Menschen vorbringen und einführen wollte, deren Sinnesart ganz entschieden zum Gegentheile neigt, was würde ich Anderes thun, als Tauben eine Fabel erzählen?«

»Stocktauben, ohne Zweifel«, gab ich zur Antwort. »Aber mich wundert das durchaus nicht, und, um die Wahrheit zu sagen, Reden und Rathschläge, von denen man gewiß ist, daß sie kein Gehör finden, soll man sich enthalten vorzubringen. Denn was kann eine so Unerhörtes bietende Rede für Nutzen stiften, oder wie kann sie auf Gemüther Einfluß haben, die voreingenommen[59] sind und in denen sich eine entgegengesetzte Ueberzeugung tiefstens festgesetzt hat? Im vertraulichen Verkehre unter lieben Freunden ist solche Schulphilosophie ganz gefällig, aber im Rathe der Könige, wo große Angelegenheiten mit großer Autorität verhandelt werden, ist für solche Dinge kein Platz«.

»Das ist also das, was ich gesagt habe«, versetzte Raphael, »daß die Philosophie bei den Fürsten keine Stätte hat.«

»Die Schulphilosophie allerdings nicht«, gab ich zur Antwort, »die allerorten und allezeit wohlangebracht zu sein glaubt; aber es gibt eine mehr verfeinerte Philosophie, die die örtlichen Verhältnisse, unter denen sie auftritt, wohl kennt, sich ihnen anbequemt und ihre Rolle in dem Stücke, das gerade gespielt wird, bündig und wohlanständig durchführt. Deren mußt Du dich bedienen. Oder wenn irgend eine Komödie des Plautus gespielt wird, wo die Haussklaven unter sich Possen treiben, und du würdest im philosophischen Gewande die Bühne betreten und eine Stelle aus der Octavia recitiren, wo Seneca mit Nero disputirt – wäre es da nicht besser gewesen, du hättest einen stummen Zuschauer abgegeben, als durch die Recitation von Dingen, die auf die Situation keinen Bezug haben, eine Tragikomödie aufzuführen? Du würdest nämlich den Stoff, um den es sich handelt, gänzlich verfälschen und verderben, wenn du Fremdartiges hineinmischest, wenn auch deine Beiträge besser sind als die ursprüngliche Hauptsache. In jedem Theaterstücke spiele nach deiner Rolle aufs bestmögliche und störe nicht das Ganze, weil dir etwas Anderes in den Sinn kommt, was hübscher lautet. So verhält es sich im Staate, so im Rathe der Fürsten.

Wenn Du schlechte Gesinnungen und durch die Praxis erworbene Laster auch nicht mit der Wurzel ausrotten kannst, so darf man deswegen das Gemeinwohl doch nicht im Stiche lassen, so wenig man das Schiff verlassen darf, weil man den widrigen[60] Winden nicht Einhalt thun kann. Ungewohnte Meinungen sind den Menschen nicht einzupfropfen, solche haben bei vom Gegentheil Ueberzeugten keinerlei Gewicht; du mußt es auf einem Umwege versuchen und, so viel an dir liegt, in der Sache gemach verfahren, auch, was man nicht zum Guten wenden kann, wenigstens so anfassen, daß es so wenig schlecht als möglich bleibe. Denn daß alle Verhältnisse sich gut gestalten, ist nicht möglich, wenn nicht die Menschen alle gut sind. Und das, meine ich, wird noch eine gar hübsche Weile auf sich warten lassen.«

»Auf diese Weise«, versetzte Jener, »würde nichts Anderes erfolgen, als daß ich, während ich die Thorheit Anderer zu heilen unternehme, mich selbst mit sammt ihnen närrisch gebärde. Denn wenn ich die Wahrheit reden will, so muß ich Solcherlei mit ihnen reden. Was das Reden von Unwahrheit anbelangt, so weiß ich nicht, ob das eine Sache der Philosophen ist, jedenfalls aber ist es die meine nicht. Obwohl diese meine Rede Jenen vielleicht nicht zu Danke gesprochen und lästig ist, so sehe ich aber doch nicht ein, warum sie ihnen bis zum Läppischen ungewohnt erscheinen sollte.

Wenn ich die Fiktionen eines Plato vorbringen würde oder die Vorgänge im Staate der Utopier, so möchte das, obwohl diese Verhältnisse an sich besser wären – wie sie es thatsächlich sind – doch ganz und gar unangebracht erscheinen, denn wir haben hier ja Privateigenthum aller Einzelnen, dort gibt es nur gemeinschaftliches Eigenthum. Mit Ausnahme Derer, denen meine Rede nicht angenehm sein kann, weil sie bei sich beschlossen haben, auf dem entgegengesetzten Wege drauf loszustürmen, und jene ihnen die Gefahr, die sie dabei laufen, ins Gedächtniß ruft und vorhält, – was gäbe es sonst darin, das überall zu sagen nicht erlaubt wäre, oder noth thäte?

Wenn wir Alles als unverschämt oder absurd übergehen müßten, was die verkehrten Sitten der Menschen als ungehörig erscheinen lassen könnten, so müßten wir bei den Christen das Meiste geheim halten, was Christus gelehrt hat, was er doch zu verheimlichen so entschieden verboten hat, daß er umgekehrt sogar[61] befohlen hat, das, was er (gleichsam) nur in die Ohren seiner Jünger flüsterte, laut von den Dächern zu verkünden. Der größte Theil dessen aber weicht von den herrschenden Gebräuchen, Sitten und Anschauungen mehr ab, als jene meine Rede.

Die Prediger, schlaue Menschen, haben, meine ich, jenen deinen Rath befolgt, als sie sahen, daß die Menschen nur widerwillig ihre Sitten der Richtschnur Christi anpaßten, und bogen seine Lehre und schmiegten sie den Sitten der Menschen an, damit wenigstens eine gewisse Uebereinstimmung zwischen beiden hergestellt werde, woraus ich aber keinen andern Vortheil für sie entspringen sehe, als daß sie um so sicherer böse sein können; und so würde ich im Rathe der Fürsten wohl ebensowenig erreichen. Denn entweder, ich muß von der bisherigen Meinung Abweichendes vorbringen, und da wäre es eben so gut nichts zu sagen, oder ich muß dasselbe wie sie sagen, und so der Unterstützer, wie Mitio bei Terenz sagt, ihrer Thorheit sein.

Denn ich weiß nicht, wozu dein indirektes Verfahren führen soll, wonach du meinst, man müsse, wenn man nicht alle Verhältnisse gut gestalten könne, sie so leidlich einzurichten bestrebt sein, daß sie möglichst wenig schlecht seien. Denn hier ist nicht der Ort zur Verstellung oder zum Augenzudrücken: die schlechtesten Rathschläge müssen offen und unverhohlen gebilligt und Beschlüssen, so verderblich wie die Pest, muß unweigerlich beigetreten werden. Einem Spion, ja fast einem Verräther gleich zu achten ist, wer unehrlich gegebene Rathschläge heimtückischer Weise lobt.

Ferner ist dir keine Gelegenheit gegeben, dich nützlich zu erweisen, wenn du unter solche Kollegen versetzt wirst, die eher den besten Mann korrumpiren, als daß sie selbst gebessert werden; oder, wenn du selbst gut und unverdorben bleibst, wirst du fremder Bosheit und Dummheit zum Deckmantel dienen – weit gefehlt also, daß du mit deiner indirekten Weise etwas zum Bessern wandeln kannst![62]

Ebendarum erklärt Plato in einem wunderschönen Gleichnisse, warum die Weisen sich mit vollem Rechte der Befassung mit dem Staate enthalten sollen. Denn wenn sie das Volk bei endlosen Regengüssen sich in Schaaren auf der Straße herumtreiben und bis auf die Haut durchnäßt werden sehen, und es doch nicht dazu bringen können, aus dem Regen zu gehen und sich nach Hause zu begeben, so bleiben sie selbst wohlweislich in ihren eigenen Häusern, da sie wissen, es würde ihnen doch nichts nützen, wenn sie auch hinausgingen und selber mit angeregnet würden, indem sie froh sind, wenn sie schon der fremden Thorheit nicht steuern können, doch wenigstens selbst trocken zu bleiben.

Ueberhaupt, mein lieber Morus, – um dir ganz unumwunden meine wahre Gesinnung zu enthüllen – dünkt mich, daß, wo aller Besitz Privatbesitz ist, wo Alles am Maßstabe des Geldes gemessen wird, da kann es wohl kaum je geschehen, daß der Staat gerecht und gedeihlich verwaltet wird, wofern du nicht meinst, das sei die gerechte Verwaltung, daß das Kostbarste in die Hände der Schlechtesten kommt, oder unter glücklicher Regierung befinde man sich dort, wo alle Habe unter einige Wenige vertheilt wird, die auch nicht einmal besonders behaglich leben, während alle Uebrigen ganz unleugbar elend daran sind.

Wenn ich daher bei mir selbst die höchst weisen und edelmenschlichen Einrichtungen der Utopier betrachte, wo so wenig Gesetze bestehen und die Staatseinrichtungen doch so trefflich verwaltet werden, daß die Tugend ihren Lohn empfängt, und bei gemeinschaftlichem Besitz doch Alle Alles in Ueberfluß haben, und dann mit diesen ihren Sitten und Gebräuchen so und so viel Völker vergleiche, die immer neue Gesetze verordnen und wie doch kein einziges von ihnen wohlgeordnet und gedeihlich bestellt ist, bei denen Jeder das, was er gerade erlangt hat, sein Privateigenthum nennt, und wo so viele von Tag zu Tag gegebene Gesetze unzulänglich sind, auf daß Jeder entweder einen Besitz erlange, oder in seinem Besitze geschützt werde, oder das Seinige[63] vom fremden Besitze, von alledem was Jeder wieder seinen Privatbesitz nennt, unterscheide und auseinanderhalte, wie das die vielen endlos aufs Neue entstehenden und nie aufhörenden Rechtsstreitigkeiten beweisen – – wenn ich das Alles so bei mir bedenke, sage ich, so muß ich dem Plato vollauf Gerechtigkeit widerfahren lassen und wundere mich nicht mehr, daß er es verschmäht habe, Jenen Gesetze zu geben, die solche Gesetze zurückwiesen, denen zufolge Allen alle Güter und Vortheile nach Billigkeit gleichmäßig zugetheilt sein sollten.

Denn das hatte die hohe Weisheit dieses Mannes leicht vorausgesehen, daß nur dieser eine und einzigste Weg zum Heile des Gemeinwesens führe, wenn Gleichheit des Besitzes herrsche; diese kann aber dort nicht bestehen, wo die einzelnen Dinge im Privatbesitz sind. Denn wo Jeder unter gewissen Rechtstiteln so viel er nur immer kann, an sich zieht, und, so groß auch die Fülle der Dinge sein mag, nur einige Wenige Alles unter sich auftheilen, da bleibt den Uebrigen nur Noth und Entbehrung hinterlassen; und häufig trifft es sich, daß diese gerade das Loos Jener verdienen, denn Jene sind räuberisch, unehrlich, zu nichts nütze, diese dagegen bescheidene, schlichte Männer, und durch ihren täglichen Gewerbfleiß fördern sie das Gemeinwesen mehr, als ihre eigenen Interessen.

So habe ich die sichere Ueberzeugung gewonnen, daß die Habe der Menschen einigermaßen nach Gleichheit und Billigkeit nicht vertheilt, noch die irdischen Angelegenheiten glücklich gestaltet werden können, wenn nicht alsbald das Privateigenthum aufgehoben wird. Bleibt dieses aber bestehen, so wird auch immer bei dem größten und weitaus besten Theile der Menschen ein unvermeidliches Bündel von Dürftigkeit und peinlicher Drangsal bestehen bleiben.

Wie ich gestehe, daß dieselbe ein klein wenig gehoben und erleichtert werden könne, ebensogut behaupte ich, daß sie vollständig nicht aufgehoben werden könne. Denn wenn gesetzlich bestimmt würde, daß Keiner über ein gewisses Maß Ackerland besitzen dürfe, daß für Jeden ein gesetzlicher Census vorhanden[64] sei, wie viel Geld er sein nennen dürfe; wenn durch gewisse Gesetze vorgesehen wäre, daß der Fürst nicht zu mächtig werde und das Volk nicht zu übermütig, daß Aemter nicht durch Werbung oder käuflich erlangt werden, daß Repräsentationsaufwand in ihnen nicht nöthig sei, weil sonst Gelegenheit gegeben werde, durch Trug und Raub Geld zusammenzuschlagen, und damit man nicht genöthigt werde, diese Aemter mit Reichen zu besetzen, während sie vielmehr von geistig Begabten verwaltet werden sollen: – durch solche Gesetze also, sage ich, lassen sich, wie sieche Körper in beklagenswerthem Gesundheitszustande durch beständige Linderungsmittel hingehalten zu werden pflegen, auch diese Uebel abschwächen und mildern, daß sie aber von Grund aus geheilt werden und ein gedeihlicher Zustand der Dinge herbeigeführt werde, dazu ist keine Hoffnung vorhanden, so lange Jeder sein Privateigenthum für sich hat. Denn während du auf der einen Seite Heilung schaffst, verschlimmerst du die Wunden auf vielen andern Seiten, und so entsteht aus der Heilung des Einen die Krankheit eines Andern, weil dem Einen nicht zugelegt wer den kann, ohne daß es einem Andern weggenommen wird.«

»Gerade im Gegentheil,« erwiderte ich, »scheint es mir, daß dort kein behagliches Leben möglich ist, wo Gütergemeinschaft herrscht. Denn auf welche Weise soll die erforderliche Menge Güter geschafft werden, wenn sich Jeder der Arbeit entzieht? Denn wer nicht einen persönlichen Grund zum Erwerb hat, der ihn anspornt, der wird, indem er sich auf fremden Fleiß verläßt, träge. Wenn sie aber auch durch die eigene Armuth angestachelt würden, müßten nicht beständig Mord und Aufruhr drohen, wenn Niemand durch ein Gesetz in Stand gesetzt wäre, das, was er einmal erworben hat, sich erhalten zu können?

Woher unter Menschen, bei denen die Autorität der Obrigkeit und die Ehrfurcht vor derselben aufgehoben ist, und unter[65] denen keinerlei Unterschied besteht, Autorität und Ehrfurcht vor irgend etwas überhaupt herkommen soll, vermag ich nicht einmal zu ahnen.«

»Es wundert mich mit nichten«, versetzte er darauf, »weil du dir kein Bild, oder nur ein falsches davon zu machen im Stande bist. Wenn du aber mit mir in Utopien gewesen wärest und die dortigen Sitten und Einrichtungen mit eigenen Augen gesehen hättest, wie ich, der über fünf Jahre dort zugebracht hat, und gar nicht von dort hätte scheiden wollen, wenn es nicht deswegen geschehen wäre, um diesen neuen Erdkreis hier kund zu thun – so würdest du unumwunden eingestehen ein besser organisirtes Volk als das dortige sei dir nirgends begegnet.«

»Nun wahrhaftig«, sagte da Petrus Aegidius, »es soll dir schwer fallen, mich zu überreden, daß man in jener neuen Welt ein besser organisirtes Volk finden könne, als in dieser unserer alten wohlbekannten; unsere Staaten sind, meine ich, die älteren und an ebenbürtigen Geistern fehlt es uns nicht; auch sind hier von altersher eine große Zahl Kulturgüter im Gebrauche, ganz zu geschweigen, daß bei uns allerlei durch Zufall entdeckt worden, was kein Genie hätte erfinden können.«

»Was das höhere Alter der Staaten anbelangt«, sagte Jener darauf, »so würdest du richtiger zu urtheilen vermögen, wenn du die Geschichten jenes Welttheils durchgelesen hättest, wonach es, wenn man ihnen Glauben schenken darf, dort früher Städte gegeben hat, als bei uns Menschen; und was Verstand oder Zufall bis jetzt erfunden hat, das mag es dort sowohl wie hier gegeben haben.

Meine Meinung ist demnach die, daß wir sie an Geist übertreffen, an Lern- und Arbeitsfleiß aber sie uns bei weitem überlegen sind. Denn laut ihren Jahrbüchern war vor unserer Landung dort von uns (die sie ›Ultraequinoctiale‹ nennen) nicht weiter die Rede, als daß vor zwölfhundert Jahren ein Schiff, das vom Sturme dahin verschlagen worden, einmal an jenen Küsten Schiffbruch gelitten hat. Da sind Römer und Aegypter[66] aus Gestade geworfen worden, die nachmals von dort nicht mehr geschieden sind.

Wolle bemerken, wie sehr ihre Industrie diese eine Gelegenheit verwerthet hat. Es gab keine Kunstfertigkeit im Römerreiche, die irgendwie hätte von Nutzen sein können, die die Utopier entweder nicht von jenen gestrandeten Fremdlingen erlernt hätten, oder zu der sie nicht durch Ausforschung derselben gelangt wären – von solchem Nutzen war es ihnen, daß jene einmal dorthin verschlagen worden.

Und wenn ein ähnlicher glücklicher Zufall irgend einmal Jemand dorthin getragen hat, so ist das so gründlich vergessen worden, als es vielleicht einmal dem Gedächnisse der Nachwelt entschwinden wird, daß ich dereinst dort gewesen bin. Sowie sie aber sofort in Folge jener einmaligen Zusammenkunft alles bei uns Erfundene sich zu eigen machten, so wird, glaube ich, es gar lange dauern, bevor wir etwas annehmen, was bei ihnen so viel besser organisirt ist.

Und dies scheint mir auch die Hauptursache zu sein, warum, obwohl wir ihnen an Erfindungsgeist und Mitteln keineswegs nachstehen, ihr Gemeinwesen doch vernünftiger verwaltet wird und gedeihlicher blüht.«

»Nun denn, lieber Raphael«, sagte ich, »ich bitte dich recht sehr, gib uns eine Beschreibung der Insel und sei nicht kurz in deiner Schilderung. Beschreib uns der Reihe nach die Felder, Flüsse, Städte, die Leute, ihre Sitten und Gebräuche, Einrichtungen, Gesetze und alles Uebrige, wovon du glaubst, daß wir es kennen lernen wollen, und du wirst glauben, daß wir Alles kennen lernen wollen, was wir bis jetzt noch nicht wissen.«

»Nichts thue ich lieber,« gab er zur Antwort, »denn ich habe Alles frisch im Gedächtnisse, aber die Sache erfordert reichlich Muße.«

»Gehen wir also vorher hinein zu Tische«, sagte ich, »dann können wir uns Zeit nehmen, so viel wir wollen.«

»So sei's«, sagte er.

So gingen wir zum Essen hinein, kehrten, nachdem wir[67] gespeist hatten, eben dahin zurück, und nahmen auf derselben Bank wieder Platz. Und nachdem ich der Dienerschaft aufgetragen hatte, dafür Sorge zu tragen, daß wir nicht gestört würden, erinnerten Petrus Aegidius und ich den Raphael an sein Versprechen, das er nun auch halten möge.

Als er uns nun gespannt und begierig sah, etwas zu hören, saß er eine Weile schweigsam und nachsinnend da und fing sodann folgendermaßen an.[68]

Quelle:
Thomas Morus: Utopia. München 1896, S. 25-69.
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