Von den Sklaven.

[117] Zu Sklaven machen sie nicht die Kriegsgefangenen, es sei denn diejenigen, die es in einem Kriege geworden sind, den sie selbst geführt haben, auch die Söhne der Sklaven werden es nicht, noch überhaupt Jemand, der als Sklave bei fremden Völkern gekauft werden kann, sondern entweder Solche, die bei ihnen selbst wegen einer Missethat in Sklaverei verfallen sind, oder Solche (und das ist der bei weitem häufigere Fall), die in auswärtigen Städten ein Verbrechen begangen haben, woraus bei jenem Volke die Todesstrafe steht. Solche holen sie sich zahlreich, und diese sind manchmal um billigen Preis zu haben, häufiger noch erhalten sie sie unentgeltlich.

Diese Art von Sklaven werden nicht nur in beständiger Arbeit, sondern auch in Fesseln gehalten, ihre Landsleute unter diesen aber behandeln sie härter, weil sie sie für viel verkommener und daher einer exemplarischen Strafe für würdig halten, indem sie, die eine so vorzügliche Erziehung und Anleitung zur Tugend erhalten, sich lasterhaften Thuns zu enthalten doch nicht vermocht hätten.

Eine andere Art Sklaven sind diejenigen, welche als arme, sich plackende Angehörige eines fremden Volkes es freiwillig auf sich nehmen, bei den Utopiern zu dienen. Diese werden anständig behandelt, nur daß ihnen etwas mehr Arbeit, da sie ja daran gewöhnt sind, auferlegt wird; in der That werden sie kaum weniger human als wie die ebenen Bürger gehalten; will Einer von dannen ziehen (was nicht häufig der Fall ist) so lassen ihn die Utopier gehen und halten ihn keineswegs wider seinen Willen zurück, wie sie ihn auch nicht mit leeren Händen scheiden lassen.

Die Kranken pflegen sie, wie ich schon gesagt habe, mit großer Hingebung und sie unterlassen nichts, wodurch sie ihnen wieder zur Gesundheit verhelfen können, sei's durch Arzneigebrauch, sei's durch Befolgung einer zweckmäßigen Diät.

Die an unheilbaren Krankheiten Daniederliegenden werden auf alle Weise getröstet: man wartet sie fleißig, spricht viel mit ihnen und läßt ihnen alle möglichen Linderungsmittel angedeihen.

Wenn aber die Krankheit nicht nur unheilbar ist, sondern auch[118] Schmerzen und Pein ohne Ende verursacht, dann ergeht von den Priestern und den obrigkeitlichen Personen die Mahnung an den Betreffenden: da er allen Obliegenheiten des Lebens nicht mehr gewachsen sei, da er den Andern nur zur Last falle, sich selbst unerträglich sei und seinen eigenen Tod überlebe, so möge er sich entschließen, der verpestenden Krankheit und Seuche nicht länger ein nährender Herd zu sein, und, da ihm das Leben doch nur eine einzige Qual sei, nicht zaudern, getrost zu sterben, sondern vielmehr, froher Hoffnung voll, sich entweder selbst einem so bitterschmerzlichen Leben wie einem Kerker oder einer Folter entziehen, oder willig gestatten, daß ihn Andere davon befreien. Daran werde er weise handeln, da er ja durch seinen Tod um keine Wonnen des Lebens komme, sondern nur seinem Jammer entgehe; und wenn er so den Rath der Priester und der Ausleger des Willens Gottes befolge, so begehe er ein frommes, Gott wohlgefälliges Werk.

Diejenigen, die sich solchergestalt haben überreden lassen, enden ihr Leben entweder freiwillig durch Nahrungsenthaltung oder erhalten ein Schlafmittel und finden im bewußtlosen Zustande ihre Erlösung.

Gegen seinen Willen wird keinem das Leben entzogen, aber man erweist ihm darum um nichts weniger Liebesdienste; nur wird Denjenigen, die in der so erlangten Ueberzeugung sterben, dieses als besonders ehrenvoll angerechnet.

Wenn sich dagegen Einer aus einem von den Priestern und vom Senate nicht gebilligten Gründe das Leben nimmt, so wird er weder eines Begräbnisses, noch der Feuerbestattung gewürdigt, sondern sein Leichnam wird irgendwo in einen Sumpf geworfen und schimpflich unbegraben gelassen.

Das Weib heirathet nicht vor dem achtzehnten Jahre; der Mann nicht, bevor er noch vier Jahre älter geworden. Wird ein Weib vor ihrer Verheirathung verbotenen Umgangs überführt,[119] So wird das sowohl an ihr, als am Manne schwer geahndet. Beiden Theilen wird die Ehe verboten, wofern nicht die Verzeihung des Fürsten das Vergehen sühnt: aber auch der Familienvater oder die Mutter, in deren Hause dieses begangen worden, unterliegen der Entehrung, weil sie die ihrem Schutze Befohlenen schlecht behütet haben.

Die Utopier bestrafen dieses Vergehen deswegen so streng, weil sie voraussehen, daß es sonst kommen werde, daß nur Wenige in ehelicher Liebe sich vereinigen würden, worin ein Jeder ein ganzes Leben mit einer Person verbleiben und obendrein alle Unannehmlichkeiten geduldig ertragen muß, die der Ehestand mit sich bringt, wenn die Leute sich dem zügellosen Konkubinate hingeben dürften.

Bei der Wahl des Ehegatten beobachten sie einen nach unserem Dafürhalten höchst albernen und besonders lächerlichen Gebrauch in vollem Ernste und mit aller Strenge.

Eine gesetzte und ehrbare Matrone zeigt die zu Verheirathende, sei diese nun Jungfrau oder Wittwe, völlig nackt dem sich um sie Bewerbenden und ein ehrenwerther Mann zeigt umgekehrt den völlig nackten Werber dem Mädchen.

Während wir aber diese Sitte als eine unschickliche verlachten und mißbilligten, wundern sich die Utopier hingegen über die hervorragende Thorheit aller übrigen Völker, die, wenn sie ein erbärmlicher Pferd erstehen wollen, wo es sich nur um wenige Geldstücke handelt, so ungemein vorsichtig sind, daß sie sich weigern, es zu kaufen, obwohl das Thier von Natur fast nackt ist, wenn nicht auch noch der Sattel abgehoben wird und die Pferdedecken und Schabracken entfernt werden, weil unter diesen Bedeckungen ja ein Geschwür verborgen sein könne – in der Auswahl der Gattin aber, woraus Lust oder Ekel für das ganze Leben folgt, so fahrlässig verfahren, daß sie die Frau kaum nach einer Spanne Raum (da ja außer dem Gesicht nichts zu sehen ist), bei sonst völlig in Kleider eingehülltem Körper beurtheilen und abschätzen und eine Verbindung mit ihr schließen, nicht ohne große[120] Gefahr eines elenden Zusammenlebens, wenn hinterdrein anstößige Gebrechen an ihr entdeckt werden.

Denn alle Männer sind durchaus nicht Weise in dem Maße, daß sie bloß auf den sittlichen Werth sehen, und auch in den Ehen der Weisen bilden körperliche Vorzüge eine nicht unwillkommene Zugabe zu den Tugenden des Geistes und Gemüthes.

Unter allen jenen Hüllen kann ja eine so abschreckende Häßlichkeit verborgen sein, daß sie das Gemüth des Mannes seiner Frau ganz und gar zu entfremden vermag, wenn schon eine Scheidung von Tisch und Bett nicht möglich ist. Wenn nun diese Häßlichkeit zufällig erst nach geschlossener Ehe entdeckt wird, muß Jeder eben sein Loos tragen; es ist daher Sache der Gesetze, Vorsorge zu treffen, daß Einer nicht in eine solche Falle gerathe, und es war das um so ernstlicher zu berücksichtigen, weil von allen in jenen Welttheilen gelegenen Völkern sie allein sich mit einer Gattin begnügen und die Ehe selten anders als durch den Tod gelöst wird, wofern nicht ein Ehebruch vorliegt, oder der eine Ehepart einen unausstehlichen Charakter hat.

Wenn nämlich einer von beiden Theilen in dieser Weise verletzt wird, erhält er vom Senate die Erlaubniß, den Gatten zu wechseln, der andere Theil muß ehrlos in lebenslänglicher Ehelosigkeit leben.

Sonst aber ist es durchaus unerlaubt, daß ein Gatte seine Frau deswegen verstoße weil sie durch einen Unfall körperlichen Schaden nimmt, wenn sie sonst keinerlei Schuld trifft das hält man für eine Grausamkeit, jemand preiszugeben und zu verlassen, wenn er gerade am meisten des Trostes bedarf und daß dem Alter, wo sich Krankheiten einstellen, ja das eine Krankheit selber ist, die gelobte Treue von dem anderen Theile gebrochen wird.

Uebrigens kommt es zuweilen vor, daß, wenn die Gatten ihren Charaktereigenschaften nach schlecht zusammenpassen, sobald sie Jeder eine andere Partie gefunden haben, in welcher sie glücklicher leben zu kommen hoffen, sich freiwillig trennen und beiderseits neue Ehen eingehen, allerdings nicht ohne die Ermächtigung des Senates dazu, der eine Ehescheidung nicht zugibt, bevor er[121] nicht selbst und unter Zuziehung der Ehefrauen seiner Mitglieder den Fall gründlich ventilirt hat. Doch auch dann wird die Sache nicht leichtlich zugelassen, denn sie wissen sehr wohl, daß es nicht zur Befestigung der Gattenliebe beiträgt, wenn die begründete Aussicht besteht, eine neue Ehe schließen zu können.

Ehebrecher werden mit der härtesten Sklaverei bestraft, und wenn keiner von beiden Theilen unverheirathet war, können sich die jungen Ehegatten, denen durch den Ehebruch Unrecht geschehen, gegenseitig heirathen, indem sie den schuldigen Theil verstoßen, oder sonst wen sie wollen zum Gatten nehmen.

Wenn aber Mann oder Frau, die in dieser Weise verletzt worden sind, zu dem betreffenden Gatten, der es so wenig verdient, noch immer Liebe hegt, so tritt das Gesetz dem Fortbestände der Ehe nicht entgegen, wenn er dem zur Arbeit verurtheilten anderen Theile folgen will; es kommt übrigens zuweilen vor, daß die Reue des einen Theils und das ernstliche Bestreben des andern das Mitleid des Fürsten erregt und die Freiheit des Schuldigen erwirkt.

Einen Rückfälligen trifft der Tod.

Für die übrigen Verbrechen stellt kein Gesetz bestimmte Strafen ein für allemal fest, sondern je nachdem das Verbrechen häßlicher Art ist oder nicht, entscheidet der Senat über die Strafe. Die Ehemänner strafen die Gattinen und die Eltern die Kinder, wofern sie nicht etwas so Arges begangen haben, daß ein Interesse vorliegt, öffentliche Bestrafung eintreten zu lassen.

Fast alle sehr schweren Verbrechen werden mit Sklaverei bestraft und man hält das für die Verbrecher selbst für nicht minder schlimm und dem Staate für vortheilhafter, als die schuldigen abzuschlachten und sie eiligst zu beseitigen. Denn Sie nützen durch ihre Arbeit durch mehr, als durch ihren Tod, und das beständig vor Augen schwebende Beispiel schreckt die Andern von einem ähnlichen Verbrechen wirksamer ab.

Wenn sie aber in dieser Lage sich widerspenstig zeigen und sich empören, werden sie zuletzt wie ungezähmte wilde Bestien, die weder Kerker noch Ketten im Zaume halten kann, todtgeschlagen[122] Den geduldig ihr Loos tragenden wird nicht ganz und gar jede Hoffnung genommen, denn, wenn sie, nachdem sie durch eine lange Reihe erlittener Uebel mürbe geworden sind, derartige Reue bezeugen, daß sie dadurch zu erkennen geben, es sei dies mehr ihres Vergehens an sich als der Strafe wegen der Fall, so wird ihre Sklaverei manchmal, sei's durch das Vorrecht des Fürsten, sei's durch Volksbeschluß milder gestaltet oder ganz aufgehoben.

Der Versuch einer unzüchtigen Handlung bringt nicht weniger Gefahr mit sich, als die vollzogene Unzucht. Bei jeder Uebelthat, stellen sie nämlich den vorsätzlichen Versuch der vollbrachten That gleich, denn, daß es nicht gelungen ist, den Versuch zur That zu machen, dürfe dem, meinen sie, nicht zu Gunsten angerechnet werden, an dem es nicht gelegen hat, daß ihm seine Absicht auszuführen nicht gelungen ist.

Possenreisser und Narren gewähren ihnen viel Ergötzung und Vergnügen. Wie es Einem aber zur großen Unehre gereicht, Solche zu beleidigen, so ist es andererseits nicht verboten, an der Thorheit sich zu ergötzen. Dies kommt den Narren selbst am meisten zu gute, denken die Utopier, denn wenn Jemand so ernst und trübsinnig geartet ist, daß er weder über ihre Reden noch Handlungen zu lachen vermag, so werden die Narren seinem Schutze nicht anvertraut, da man befürchtet, sie würden von Solchen nicht gut behandelt, denen sie weder Nutzen noch Ergötzung gewähren können, welche letztere doch die einzige ihnen verliehene Begabung ist.

Einen Häßlichen oder Krüppel zu verspotten, gilt nicht für den Verspotteten, sondern für den Verspotter als schimpflich, der da dasjenige, was Jemand nicht in seiner Macht hat, zu vermeiden, diesem thörichterweise als einen Mangel vorwirft.

Wie sie es für das Gebahren eines lässigen und trägen Menschen halten, die natürliche Schönheit nicht zu pflegen, so gilt es ihnen als eine ehrlose Unverschämtheit, Zuflucht zu der Schminke zu nehmen. Aus Erfahrung wissen die Utopier nämlich, daß keine Reize der Schönheit die Frauen ihren Gattin so empfehlen, wie Ehrenwerthheit der Sitten und ehrehrbietiges[123] Benehmen. Denn sowie gar mancher Mann durch die Schönheit allein gewonnen wird, so wird doch ein Mann durch nichts Anderes als Tugend und Gehorsam auf die Dauer festgehalten.

Sie schrecken aber von der Begehung von Missethaten nicht bloß durch Strafen ab, sondern ermuntern auch durch ehrende Belohnungen zu tugendhaftem Wandel; daher errichten sie ausgezeichneten und um den Staat rühmlich verdienten Männern Standbilder auf dem Forum, zum Gedächtniß preiswürdiger Thaten, sowie zu dem Zwecke, daß der Ruhm ihrer Vorfahren ihren eigenen Nachkommen Sporn und Anreiz zur Tugend sei Wer, vom Ehrgeiz gestachelt, sich um ein obrigkeitliches Amt bewirbt, geht der Anwartschaft auf ein solches überhaupt verlustig. Es herrscht ein freundlich wohlwollendes Wesen im Verkehre des Volkes mit den Behörden: keine Obrigkeit ist unverschämt oder grimmig daher werden sie Väter genannt und gebärden sich wie solche; die schuldigen Ehren werden ihnen freiwillig erwiesen, sie brauchen nicht Widerstrebenden abgezwungen zu werden.

Nicht einmal der Fürst zeichnet sich durch seine Kleidung oder ein Diadem aus, sondern es wird bloß eine Garbe Getreides vor ihm hergetragen. Ebenso ist eine ihm vorgetragene Wachskerze die einzige Auszeichnung des Oberpriesters.

Gesetze gibt es nur sehr wenige, aber bei ihren vortrefflichen Einrichtungen genügen diese auch. Denn was sie bei andern Völkern hauptsächlich tadeln, das ist daß sich unzählige Folianten von Gesetzen und Kommentaren derselben immer noch als unzulänglich erweisen. Sie betrachten es als die größte Unbilligkeit, daß Gesetze für die Menschen verbindlich sind, deren Anzahl entweder größer ist, als daß die Leute sie durchzulesen vermöchten, oder dunkler und unklarer, als daß sie von jemand verstanden werden könnten; daher sind die Advokaten, welche einen Rechtsfall[124] arglistig behandeln und über die Gesetze verschmitzt disputiren, bei ihnen sämmtlich ausgeschlossen, denn sie halten es für rathsamer, daß Jeder seine Sache selbst führe und dem Richter direkt mittheile, was er einem Rechtsbeistand sagen würde. So gebe es weniger Weitläufigkeiten und die Wahrheit komme leichter an den Tag, weil, wenn Einer spreche, dem der Advokat keine Kniffe beigebracht habe, der Richter jedes schlichte Wort aus seinem Munde gründlicher erwägt und naiven Geistern gegen die abgeseimten Entstellungen des wahren Sachverhaltes zu Hilfe kommt. Dies Verfahren zu beobachten, ist bei andern Völkern mit einem Wuste verworrener Gesetze nur schwer möglich.

Uebrigens ist bei ihnen jeder Einzelne gesetzeskundig. Denn wie gesagt, es gibt der Gesetze nur sehr wenige und die simpelste Auslegung derselben halten sie für die am meisten der Billigkeit entsprechende. Denn da, wie sie behaupten, alle Gesetze nur zu dem Zwecke publicirt werden, daß Jeder durch sie ermahnt werde seiner Pflicht eingedenk zu bleiben, so enthält eine feinere Auslegung diese Mahnung nur für sehr Wenige, (denn nur Wenige vermögen ihr zu folgen), während eine einfachere Auslegung und ein deutlich zu Tage tretender Sinn der Gesetze für Alle verständlich ist, denn was verschlägt es dem gemeinen Volke dessen Kopfzahl die größte ist und das am meisten der belehrenden Ermahnung bedarf, ob überhaupt keine Gesetze gegeben würden, oder ob ihnen eine solche Auslegung gegeben wird, daß nur ein glänzender Geist und eine langwierige Erörterung ihr auf den Grund kommen kann, die anzustellen der unverfeinerten Urtheilskraft des Volkes nicht gut möglich ist und wozu ein ausschließlich nur der Erwerbung des Lebensunterhaltes gewidmetes Leben keine Gelegenheit bietet?

Diese Tugenden der Utopier haben ihre Grenznachbarn, die in Freiheit leben (denn die Utopier selbst haben viele derselben dereinst von der Tyrannei befreit), bestimmt, sich ihre obrigkeitlichen Personen, die einen jährlich, die andern für fünf Jahre, bei den Utopiern zu entnehmen, welche sie nach vollbrachter Amtszeit mit Ehren und Lob überhäuft, in ihr Vaterland zurückgeleiten,[125] um sofort wieder neue von da zu sich nach Hause mitzunehmen.

Das Staatswesen dieser Völker ist in der That auf diese Weise aufs Beste berathen, denn, da dessen Heil oder Verderben von den Sitten der Obrigkeit abhängt, was für Personen hätten sie klügerer Weise sich zu solchen erwählen können, als solche, die um keinen Preis vom Pfade des Rechtes abgezogen werden können (da Geld ihnen, die bald wieder in ihre Heimat zurückkehren nichts nützen würde) und die, als Fremde, keinen einzelnen Bürger kennen, daher weder durch ungebührliche Gunst, noch desgleichen Gehässigkeit sich verleiten lassen.

Diese beiden Uebel, Privatgunst und Habsucht, zerstören, wo sie sich in den Gerichten einnisten, die Gerechtigkeit, das stärkste Fundament des Staates, ganz und gar.

Die Völker, welche die Personen der Staatsverwaltung von ihnen entlehnen, nennen die Utopier Bundesgenossen, jene Andern, denen sie Wohlthaten erwiesen haben, nennen sie Freunde.

Bündnisse, wie sie andere Völker unter einander schließen, brechen und wieder erneuern, gehen sie mit keiner anderen Nation ein. Wozu dient ein solches Bündniß? sagen sie. Als ob die Natur nicht einen Menschen dem andern schon genügend durch freundliche Bande verbunden hätte? Und man glaube, daß, wenn ein Mensch diese verachtet, er die Worte eines Vertrages beachten werde?

Zu dieser Meinung sind sie hauptsächlich deswegen gekommen, weil in den Länderstrichen jenes Welttheils Bündnisse und Verträge der Fürsten mit sehr geringer Treue gehalten zu werden pflegen. Denn in Europa, insbesondere in jenen Theilen desselben, wo christlicher Glaube und Religion herrschen, ist die Majestät der Bündnißverträge überall heilig und unverletzlich, theils wegen des Gerechtigkeitssinnes und braven Charakters der Fürsten, theils aus Ehrerbietung gegen und aus Furcht vor dem päpstlichen Stuhl, der, wie seine Regenten selbst nichts begehen, was der Religion zuwiderläuft, so auch den übrigen Fürsten gebietet, daß sie ihre Versprechungen getreulich halten, und die[126] sich Weigernden durch oberhirtliche Ermahnungen und Strenge dazu zwingt.

Mit Recht wahrlich halten sie es für eine höchst schändliche Sache, wenn den Bündnissen Derjenigen nicht Treu und Glauben beizumessen ist, die mit einem speziellen Namen »die Gläubigen« genannt werden.

Aber in jenem neuentdeckten Welttheile, der weniger noch durch den Aequator von uns geschieden ist, als durch die Lebensverhältnisse, Sitten und Gebräuche, ist auf Bündnißverträge nicht zu bauen, denn mit je mehr feierlichen Ceremonien einer verknüpft ist, desto schneller wird er gebrochen, indem leicht in seinem Wortlaute eine hinterlistige Deutung gefunden werden mag, den sie absichtlich so verschmitzt gestalten, daß sie nie fest gefaßt werden können, um nicht immer ein Hinterpförtchen zu finden, durch das sie zu entschlüpfen im Stande sind, und dem Bündniß zusammt der geschwornen Treue sich zu entziehen vermögen. Wenn sie solche Verschlagenheit, solchen Lug und Trug in einem Privatvertrage entdeckten, so würden sie über ein solches Gebahren als über ein verruchtes, das den Galgen verdiene, mit hochgezogenen Brauen ein Zetergeschrei erheben, ja, das würden sie, ebendieselben, die sich rühmen, die Urheber solcher den Fürsten gegebenen Rathschläge zu sein.

Auf diese Weise erhält es den Anschein, als ob die Gerechtigkeit eine niedrige Tugend des gemeinen Völkes sei, die tief unter der königlichen Erhabenheit stehe, oder, daß es wenigstens eine doppelte Gerechtigkeit gebe, die eine, die dem gemeinen Volke zukomme, bescheiden zu Fuße gehend, ja demüthig am Boden hinkriechend, die keine Zäune und Hecken überspringen kann, von allen Seiten geknebelt und eingeschränkt, die andere als Tugend der regierenden Fürsten, viel erhabener als jene volksthümliche, mit einem bei weitem freieren Spielraum, so daß ihr alles zu thun erlaubt ist, was ihr beliebt.

Dieses, wie gesagt treulose Gebahren der Fürsten, die dort ihre Verträge so schlecht halten, ist, glaube ich, die Ursache davon, daß die Utopier überhaupt keine eingehen, indem sie ihre[127] Ansicht vielleicht ändern würden, wenn sie in unserem Erdtheile lebten. Und wenn es ihnen auch dünkte, daß die Bündnisse noch so treu gehalten würden, so halten sie es doch für eine üble Gewohnheit, überhaupt welche einzugehen, die nur zur Folge hat, daß die Menschen sich gegenseitig als natürliche Gegner zur Feindschaft geboren betrachten (als ob ein Volk mit einem anderen Volke, von dem es nur der schmale Raum eines Hügels oder Flusses trennt, durch kein geselliges Band mehr verknüpft wäre) und mit gegenseitiger Vernichtung gegen einander wüthen zu müssen glauben, wofern sie nicht Bündnisse schlössen, die sie daran verhindern sollen; doch selbst, wenn sie ein Bündniß mit einander geschlossen haben, erwächst nicht einmal eine eigentliche Freundschaft daraus, sondern es bleibt immer noch Gelegenheit zu Raub und Erbeutung, insofern durch ihre Unklugheit bei Abfassung des Bündnisses keine vorsichtige Klausel in die Verträge aufgenommen worden ist, welche eine solche Möglichkeit von vornherein ausschließt.

Aber sie sind der entgegengesetzten Meinung, nämlich, daß Niemand als Feind zu erklären sei, von dem uns kein feindliches Unrecht widerfahren ist. Die Bande der natürlichen Gemeinschaft ersetzten jeden Bündnißvertrag und die Menschen seien sicherer und wirksamer durch den Zug gegenseitigen Wohlwollens, als durch Verträge, mehr durch das Gemüth, als durch leere Worte mit einander verbunden.

Quelle:
Thomas Morus: Utopia. München 1896, S. 117-128.
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