IV. Folgen für das Nicht-Eine bei absoluter Nichtsetzung des Einen (Kap. 27).

[277] Die letzte Gegenprobe: Wird die reine Denksetzung schlechthin aufgehoben, so gibt es nicht nur nicht das Sein, sondern auch nicht die Erscheinung. Denn diese bedeutet die wenigstens relativ gesetzte Denkbestimmung, gibt es aber diese überhaupt nicht, so gibt es so wenig die relative wie die absolute Setzung.[277] Die negative Voraussetzung wird hier schroff so ausgesprochen (166 A), daß das »Andre« mit nichts von dem, was nicht ist, d.h. mit keiner der, in der Hypothesis ja aufgehobenen, reinen Denksetzungen in irgend einem Sinne oder auf irgend eine Weise Gemeinschaft hätte. Die Ausführung ist fast selbstverständlich und liefert irgend welche neuen Momente nicht.

Man hat gezweifelt, ob hiermit die Erörterung nun auch wirklich abgeschlossen sein soll. Formell sicher, da mit eti hapax, »zum letzten« (165 E), und eirêsthô, »es sei gesagt« (d.h. Hiermit fertig!), der Abschluß so deutlich als nur möglich bezeichnet ist. Sachlich aber sind alle acht Hypothesen vollständig abgehandelt; ja man muß sagen, das PLATO keine wissenschaftliche Untersuchung je so bis aufs Letzte zu Ende gebracht hat wie diese. Man kann nichts vermissen, es wäre denn – die Lösung des Rätsels. Aber die soll man selbst finden, dazu ist es eben ein Übungsstück. Daß aber die Auflösung, wie es sich gehört, im Rätsel selbst steht und nicht irgendwoher von außen hineingetragen zu werden braucht, dürfte gezeigt sein.

Nur eine Voraussetzung gehört allerdings dazu, nämlich die Vertrautheit mit der Methodenbedeutung der Idee, wie sie aus dem Phaedo und Staat erwiesen wurde. Sie findet eine ihrer schönsten Bestätigungen darin, daß durch ihre Voraussetzung die sonst hoffnungslosen Schwierigkeiten dieses dornigen Werks ihre sichere und – beinahe einfache Lösung finden.

Quelle:
Paul Natorp: Platos Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus. Leipzig 21921, S. 277-278.
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