Zu Kapitel VI.

[531] 13) Zu S. 180: Die Anfänge des »Staats« suche ich jetzt nicht erst in der Zeit des »Gorgias«, sondern noch weiter zurück. Der »Thrasymachus« (s. o. Anm. 4) wurde zurückgelegt zugunsten des neuen, mächtigen Anlaufs zu einer Staatsphilosophie im Gorgias, um dann später als Proöm des in noch größerem Stil unternommenen Werkes Verwendung zu finden. S. 181 ist (nach dem oben Anm. 7 Gesagten) zu berichtigen, daß die Dreiteilung der seelischen Funktionen im Phaedrus mit der des Staats nicht identisch, sondern nur eine Vorstufe zu ihr ist.[531]

14) Zur Deutung der Idee des Guten (S. 194 ff.): Das »Gute« bedeutet, soviel ich erkennen kann, nirgends bei PLATO (auch nicht »zunächst«, S. 195 u.) das »Gesetzliche der Handlung«, sondern stets das Seinsbeständige (das mit »Erhaltung«, S. 50 und 198 ff., nur sehr unzulänglich bezeichnet ist). PLATO kennt überhaupt nicht die schroffe Scheidung eines theoretischen und praktischen Bereiches des Logischen, oder eines bloß theoretisch verstandenen »Seins« vom »Sollen«. Den Sinn des »Zieles« (skopos) erhält die »Idee des Guten« erst in der Rückwendung zum Leben im Diesseits. Sonst wäre die Erhebung des Agathon auch über das Kalon und Sophon (zumal, im Philebus, unter dem Begriff des metrion oder des peras) nicht zu verstehen. Aber auch im Bereich des diesseitigen Handelns spielt das Sollen nur eine geringe Rolle, selbst der Begriff des Wollens steht da wenigstens nicht im Vordergrund; viel eher der der Phronesis (so Phaedo 69 A), der dann aber zu seiner eignen Begründung erst der letzten Vertiefung der Erkenntnis zum viel Radikaleren, der Idee des Guten, bedarf. Ein »Primat« (oder auch eine tiefer verstandene Priorität) der »praktischen« vor der »theoretischen Vernunft« ist nicht der Sinn des Epekeina, sondern allenfalls die (selbstverständliche) Priorität des Unbedingten vor dem Bedingten. Die »Idee« überhaupt, und die »Idee der Idee«, ist nicht ursprünglich (sondern allenfalls nur folgeweise auch) »unendliche Aufgabe«; wenn auch gewiß um ihretwillen »alles zu tun« ist. Die Idee des Guten ist »Grund«, »Urheber«, ist »schöpferisches Prinzip« – nur auch, aber entfernt nicht allein oder zuerst der echten »Handlung«, sondern alles echten »Seins«, Anderseits ist aber auch viel zu wenig damit gesagt, daß die Idee des Guten, als die »Idee der Idee« nur das Gesetz, das »Gesetz des Gesetzes«, die Hypothesis der Hypothesis selbst, also nur das Gesetz des »logischen Verfahrens« (S. 195), den »obersten Methodenbegriff« (S. 199 u.), und in diesem Sinne das »Prinzip des Logischen« (S. 200) bedeute. Sie bedeutet dies alles nur auch. An sich aber liegt das Gute auch oberhalb jedes bloßen »Verfahrens«; was auf einen bloß »diskursiven Verstand« hinauskäme. Sondern es rückt über das alles hinauf fast in die Sphäre des hen des PLOTIN, das auch oberhalb des nous, d.h. der ganzen Zweiseitigkeit von Erkenntnis und Erkenntnisgegenstand (oder des Theoretischen und Praktischen, oder irgendwelcher andern bloßen Korrelation) liegt, damit freilich aller logischen Definition sich[532] entzieht, zum arrhêton der »Sache selbst« (Pl. Epist VII, s. o. S. 488 f, 505, 508) wird. Ich nenne es wohl das Ur- oder Allkonkrete, oder erkläre es durch die allseitige Wechselbezüglichkeit nicht nur sondern Wechseldurchdringung, oder Koinzidenz, wohl wissend, daß nicht nur keiner dieser Ausdrücke die Sache erschöpft, sondern jeder, dadurch daß er das, was doch das Letzte sein soll, auf ein Andres zurückführen zu wollen scheint, eher irreführend wirken kann. – Zur ferneren Beleuchtung dieser letzten Frage der Ideenlehre sei noch verwiesen auf die eingehenden Erörterungen ÜPI 29 ff. (Über die Relations– oder Urteilsbedeutung der Idee – oben S. 201 – s. auch die Auseinandersetzung mit MILHAUD und ROBIN, Deutsche Literaturzeitung,53 XXXI 1289 ff.); 34 ff. (Auseinandersetzung mit MAIER über den Existenzsinn der Idee); 37 ff. (Idee als Substanz, ousia, gegenüber »Bestand« und »Gesetz« – wozu auch DLZ XXXI 1292); 40 ff. (Idee als Hypothesis, mit Rücksicht bes. auf POHLENZ). Über die Auffassungen von STEWART und TAYLOR S. DLZ XXXI 1349 ff. und XXXII 1669 ff. Endlich zu LOTZES Deutung des »Seins« der Ideen als »Geltung« (S. 201) s. ÜPI 10 ff. (auch über HERBERTZ, und über teleologische Deutung überhaupt), 29 f., sowie DLZ XXXI 1293 1 und 1355 f.

15) Zur Astronomie des Staats, bes. der wichtigen Stelle 529 D (S. 209) hätte auf die weiter unten (382 [Anm.]) genannten wertvollen Feststellungen von C. RITTER verwiesen werden sollen.

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Im Folgenden zitiert DLZ.

Quelle:
Paul Natorp: Platos Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus. Leipzig 21921, S. 531-533.
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