In Jena

[40] Ich hatte meine Ferien unglücklicherweise mit zwei Übeln begonnen, die mich am Ausgehen verhinderten. Als ich nun einigermaßen wiederhergestellt war, dachte ich ernstlich darüber nach auf welche Weise ich meine Ferien am besten benutzen könnte. Verreisen wollte[40] ich auf jeden Fall, aber wohin, war die bedenkliche Frage; denn ich wünschte Verwandte, die mir womöglich noch unbekannt waren, zu besuchen. Endlich fiel mir ein, daß ich meinen Onkel, den Herrn Oberbürgermeister kaum einmal vor vielen Jahren gesehen und noch gar nicht näher kennengelernt habe. Schnell war der Plan gefaßt und schon am andern Tag saß ich auf der Eisenbahn und wurde bei meiner Ankunft in Apolda sogleich durch einen Omnibus nach Jena transportiert. Die Sonne brannte auf den lederbeschlagenen Sitzen, als ob wir auf einem Rost säßen. Endlich wand sich der Weg zwischen zwei Bergreihen, von denen die eine in reichlichem Getreide prangte, die andere aber kahl und öde ein trauriges Bild der Verödung darbot. Endlich sahen wir in der Ferne die Türme der Stadt und über ihnen zwei Berggipfel hervorragen. Endlich hielt der Wagen vor der Wohnung des Onkels, und die Tante bewillkommnete mich sehr herzlich, da der Onkel gerade Geschäfte hatte. Noch denselben Abend machte ich einige Bekanntschaft mit der Umgebung der Stadt, den Promenaden und Anlagen. Den folgenden Tag besuchten wir zusammen das Dörfchen Lichtenhain, berühmt durch sein gutes Bier. Da dieser Ort ein sehr besuchter Aufenthalt der Jenenser Studenten ist, so sind alle Bewohner auf Gäste vorbereitet. Ähnlich ist es auch bei Ziegenhain, einem Dörfchen, welches besonders des Fuchsturms wegen so bekannt ist. Über diesen Überrest einer alten Burg gehen verschiedene Volkssagen; die bekannteste ist folgende:...

Einer der schönsten Punkte Jenas ist die Kunitzburg, welche wir nicht unterließen zu besuchen. Wir gingen erst eine lange Zeit an dem Ufer der Saale hin und kamen endlich nach dem Dorf Kunitz. Hier ließen wir uns den Weg sagen, und man wies uns auf den etwas näheren aber bei weitem beschwerlicheren. Es kostete eine ungeheure Mühe, besonders da wir plötzlich den Fußsteig verloren und ohne Weg und Steg hinaufklettern mußten. Oben angelangt konnten wir das schöne Schauspiel des Sonnenuntergangs genießen. – – –

Jena selbst hat mehrere Reize. Ich will hier nur eine vorzügliche Badeanstalt erwähnen, die ich auch häufig benutzte. Dann sind an allen Häusern, wo berühmte Männer (und deren sind viele) gewohnt haben, Täfelchen mit den Namen der Betreffenden angeschlagen. Es machte mir besonderes Vergnügen die größten Häupter unserer Nation,[41] wie Luther, Goethe, Schiller, Klopstock, Winkelmann und viele andere aufzusuchen.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 40-42.
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