[42] Den 6. August 1859
Wider das Heimweh, (nach Prof. Buddensieg)
1. Wenn wir etwas Tüchtiges lernen wollen, können wir nicht immer zu Hause bleiben.
2. Das wollen die lieben Eltern nicht; wir fügen uns deshalb in den Willen der Eltern.
3. Unsre Lieben sind in Gottes Hand; wir sind immer von ihren Gedanken begleitet.
4. Wenn wir tüchtig arbeiten, so vergehen traurige Gedanken.
5. Hilft das alles nicht, so bete zu Gott dem Herrn.
– Als heute abend Prof. Steinhardt unserer Abiturienten gedachte, erwähnte er auch die drohende Kriegsgefahr, die bald alle aus unserm Kreise vor der gesetzlichen Zeit und aus ihrer Karriere gerissen hätte. Sie hatten sich aber bloß in Naumburg stellen müssen und deshalb sechs Tage ihrer Ferien eingebüßt. –
– Als ich in Jena war, erfuhr ich die telegraphische Depesche vom Schluß des Friedens zuerst. Es war dennoch keine rechte Friedensfreude; man fürchtet, der Löwe zieht sich zurück, um Kraft zu neuem Anlaufe zu fassen. –
– Wir haben heute wieder frei gebadet. Das Wasser war ungewöhnlich flach; man konnte weit und breit über die Saale gehen. Es war auch ungemein warm. –
– Die Schwimmprobe habe ich noch nicht gemacht; ich fürchte mich immer vor Blamage. –
– Mein Onkel Edmund ist nach Corensen versetzt, einem Dorf im Unterharz bei Vipra und Mansfeld. Ich freue mich sehr darauf, ihn einmal besuchen zu können. Aber leider wird meine Mama in sechs Wochen auch dahin gehen und dem Onkel die Wirtschaft einrichten und erst Weihnachten zurückkommen. Ich werde dann nicht mehr Almrich zum Sonntagsbesuch wählen dürfen. – Allerdings wird Mad. Laubscher öfters nach Almrich kommen. Es ist dies eine geborne[42] Schweizerin, gibt in Naumburg Privatstunden und hat Pensionärinnen. Ihr Mann ist ein Franzose, von ganz vorzüglichem Charakter, aber in sich geschlossen, so daß man ihn fast für unaufmerksam in Gesellschaften halten könnte, wenn er nicht mitunter durch treffende, sogar geistreiche Fragen das Gegenteil lehrte. –
Den 7. August
– Heute ist der erste Sonntag, den ich wiederum in Pforta verlebe. Aber merkwürdig; die wahre Sonntagsweihe fehlt mir. –
– Ich gehe heute nach Almrich, wo die Mama mit Lisbeth sein wird. Es ist dies eigentlich nur Aufenthalt der Primaner; aber wenn Eltern dahin kommen, können sie es den Söhnen nicht verwehren. Die andern pflegen nach Kösen zu gehn: gewöhnlich zu Haemerling in die Konditorei. Indessen gibt es doch auch viele, die in dem Walde ihre Sonntagserquickung finden. –
– Mein Obergesell Krämer kommt gewöhnlich mit nach Almrich und besucht die Mama. Es ist ein sehr liebenswürdiger Charakter, der mich von allen Primanern am meisten anspricht. Ich habe mich vor dem Weggang in die Hundstage in sein Stammbuch geschrieben und von ihm auf immer Abschied genommen, aber nun ist er doch wieder da. –
– Mein Geburtstag ist nun in wenigen Monaten; ich bin noch nicht einig, was ich mir wünschen werde. Entweder Gaudys, Kleists Werke oder Tristram Shandy von Sterne. –
Krämer konnte nicht mit nach Almrich kommen; ich ging deshalb allein hin. Ich fand dort die liebe Mama mit Lisbeth, Onkel Oskar, Herrn v. Busch und später kamen noch mehrere Naumburger Primaner hinzu. Als ich ein falsches Gerücht über die Zahl der Abiturienten von Naumburg, mit denen es unsicher stehe, angab, äußerte einer: Die Pförtner haben auch nichts anderes, worüber sie sprechen können; und in ähnlicher Weise stichelten sie fortwährend auf Pforta. Ich habe zu allem geschwiegen; auch Schweigen ist eine Antwort und sie sollen doch sehen, daß ich in Pforta schweigen gelernt habe. –
– Ich weiß gar nicht, wie es in den paar Tagen der Michaelisferien mit mir werden wird. Mama ist nicht zu Hause und ich werde wahrscheinlich zu Hause schlafen und bei den Tanten essen. –
– Die Hitze war heute nicht so bedeutend wie gewöhnlich. –
[43]
Den 8. August
– Heute gibt es mehrere Repetitionen; deshalb ist es ein schlimmer Tag. Erstens eine Geschichtsrepetition vom peloponnesischen Krieg bis Alexander. Zweitens eine griechische Grammatikrepetition und drittens eine Geographierepetition über alle Teile der Erde außer Europa und Australien. Glück zu!
– Die Geschichtsrepetition ging glücklich vorüber oder kam vielmehr gar nicht her; denn es wurde über Alexanders Zug diktiert. – Wenn es doch auch so mit den übrigen ginge! –
– Um zwei Uhr. Es ist uns auch so ergangen. Welche Freude! Es ist nämlich eine sehr lobenswerte Einrichtung in Pforta, daß, wenn die Hitze über 24 Grad steigt, die Nachmittagslektionen ausfallen und der ganze Coetus baden geht, was man in der Alumnensprache Kommunschwemme nennt. Solch ein Fall ist heute. Es ist drückend heiß; man kann es im Schulgarten nicht aushalten. Wir haben von zwei bis vier Repetierstunde und um fünf gehen wir baden. Welche Wonne, sich heute in den Fluten abzukühlen! –
– Es ist wohl im Augenblick angenehmer, wenn man Ostern rezipiert wird, aber bei weitem erfolgreicher ist es doch zu Michael. Wenn uns auch nicht die Frühlingsnatur entgegenlacht, wenn man sogar lange nicht soviel Freiheiten wie im Sommer besitzt, so kann man doch wieder im Winter mehr arbeiten und späterhin, wenn jene Zeit in Pforta wiederkommt, wo alles prangt und blüht, erschließen sich uns viele Annehmlichkeiten. Wenn ich allein der vielen Vorrechte der Alten vor den Novizen im Sommer gedenke beim Kegelschieben und in der Klasse, wünschte ich schon zu Michael aufgenommen zu werden. –
– Ich habe beschlossen, mir Tristram Shandys Leben und Meinungen selbst zu kaufen und Don Quixote mir zum Geburtstag zu wünschen. Ich hoffe in sechs Wochen das nötige Geld, die zwanzig Silbergroschen zu besitzen. –
Den 9. August
Ich will jetzt versuchen, ein Bild von dem ganz gewöhnlichen Leben in Pforta zu geben, da ich sonst wenig oder gar nichts zu erzählen habe. – Also – früh um vier Uhr wird der Schlafsaal aufgeschlossen[44] und von da an steht es einem jeden frei aufzustehen. Aber um fünf Uhr müssen alle andern, mit der gewöhnlichen Schulglocke wird geläutet, die Schlafsaalinspektoren rufen dröhnend: »Steht auf, steht auf, macht daß ihr herauskommt!« und bestrafen auch wohl die, welche sich nicht so leicht aus den Federn herausfinden können. Dann ziehen sich alle so schnell und so leicht wie möglich an und eilen dann in die Waschstube, um noch einen Platz zu bekommen, bevor es zu voll wird. Zehn Minuten nach der kurzen Zeit des Aufstehens und Anziehens geht es wieder heraus in die Stuben, wo sich jeder ordentlich ankleidet. Fünf Minuten vor halb wird zum ersten Male zum Gebet geläutet und zum zweiten Male muß man in den Betsaal. Hier halten, bevor der Lehrer kommt, die Inspektoren auf Ruhe, verbieten das Sprechen und animieren die Primaner, die gewöhnlich viel später kommen, sich zu setzen. Dann erscheint der Lehrer mit dem ihn begleitenden Famulus, und die Inspektoren geben an, ob ihre Bänke vollzählig sind. Dann ertönt die Orgel, und nach kurzem Vorspiel erklingt ein Morgenlied. Dann liest der Lehrer einen Abschnitt aus dem Neuen Testament, mitunter auch noch ein geistliches Lied, spricht das Vaterunser und der Schlußvers beschließt die Versammlung. Dann gehen alle auf ihre Stuben, wo Kannen mit warmer Milch und Semmeln harren. Punkt sechs ertönt die Glocke zur Klasse. Jeder nimmt seine Bücher und geht dahin und bleibt bis sieben Uhr. Dann folgt eine Arbeitsstunde oder Repetier stunde, wie man sie nennt. Dann sind Lektionen bis zehn, darauf wieder eine Repetierstunde und endlich Klasse bis zwölf. Beim Schlusse jeder Lektion und Arbeitsstunde wird geläutet. Punkt zwölf trägt man schnell seine Bücher auf die Stube und eilt dann mit Serviette in den Kreuzgang.
Den 10. August
– Ich muß noch einiges über den gestrigen Tag nachtragen und deshalb kann ich in meiner Beschreibung nicht fortfahren. –
Es wurde wieder ungeheuer warm und dennoch keine Kommunschwemme. Auch nicht einmal baden wurde gegangen. In den Nachmittagslektionen war es ungemein schwül. Endlich um halb sechs hatte sich der ganze Himmel mit Wolken überzogen. Bald rollte dumpfer Donner dahin, bald leuchteten grelle Blitze, bald strömte eine Regenflut[45] zur matten Erde nieder. Dies Gewitter zog sich, obwohl ziemlich schwach, noch lange Zeit hin. Auch nach Tische, in der Schulgartenfreizeit, regnete es, so daß alle im Schulhause bleiben mußten. Aber so ungemütlich wie den Abend war es mir nach den Hundstagen noch nicht. Ich sehnte mich nach Naumburg, nach meinen Freunden, mit denen ich mich in solchen Stunden angenehm unterhalten konnte, und hier hatte ich niemand! Das ganze Schulhaus kam mir so öde, so traurig vor, und das Düster, das sich überall verbreitete, ließ nur nur glückliche Bilder aus den Ferien vor den Augen erscheinen! O Weihnachten, o Weihnachten, wie weit, wie weit!!
Es ist heute morgen bedeutend kühler als alle Tage vorher. Der Himmel sieht regnerisch aus; mir ist wieder nicht sehr gemütlich; ich freue mich auf den Sonntag, aber die Woche vergeht so ungemein langsam. Es ist wahr; trübes Wetter weckt trübe Gedanken; düsterer Himmel macht die Seele düster, und weint der Himmel, so vergießt auch mein Auge Tränen. Ach, in meiner Seele erwacht das bittere Gefühl des Herbstes. Ich kann mich noch eines Tages aus vorigem Jahre erinnern, wie ich noch in Naumburg war. Ich ging da allein vor dem Marientor spazieren; der Wind strich über die kahlen Stoppelfelder, die Blätter fielen gelb zu Boden und mich durchdrang es so schmerzlich: der blühende Lenz, der glühende Sommer, sie sind dahin! Auf immer dahin! Bald wird der weiße Schnee die sterbende Natur begraben!
Das Laub fällt von den Bäumen,
Der wilden Winde Raub;
Das Leben mit seinen Träumen
Vergeht zu Asch und Staub!
Den 11. August
– Auch heute hat die Sonne noch nicht die Nebel- und Wolkenhüllen durchbrochen; es ist heute Studientag oder nach dem alten Gebrauche, eine Stunde länger schlafen zu können. Ausschlafetag. Da sind nun von morgens um sieben Uhr Repetierstunden bis zwölf, von zwei bis fünf wiederum und von fünf bis sieben schulgartenfrei. Solche Tage eignen sich vorzüglich zu längeren Privatarbeiten. Die Lesestunden fallen übrigens immer aus. –[46]
– Es ist eigentümlich, wie rege die Phantasie im Traume ist; ich, der ich immer des Nachts Bänder von Gummi um die Füße trage, träumte, daß zwei Schlangen sich um meine Beine schlängelten, sofort greife ich der einen an den Kopf, wache auf und fühle, daß ich ein Strumpfband in der Hand habe. –
– Ich habe gestern ein kleines Gedicht gemacht, indem ich durch Gedanken an die Heimat daran dachte, wie es wohl einem sein möge, der keine Heimat habe. – Es folgt hier:
Flüchtge Rosse tragen
Mich ohn Furcht und Zagen
Durch die weite Fern.
Und wer mich sieht, der kennt mich
Und wer mich kennt, der nennt mich:
Den heimatslosen Herrn.
Heidideldi!
Verlaß mich nie!
Mein Glück, du heller Stern!
Niemand darf es wagen,
Mich danach zu fragen,
Wo mein Heimat sei:
Ich bin wohl nie gebunden
An Raum und flüchtge Stunden,
Bin wie der Aar so frei!
Heidideldi!
Verlaß mich nie!
Mein Glück, du holder Mai!
Daß ich einst soll sterben,
Küssen muß den herben
Tod, das glaub ich kaum:
Zum Grabe soll ich sinken
Und nimmermehr dann trinken[47]
Des Lebens duftgen Schaum?
Heidideldi!
Verlaß mich nie!
Mein Glück, du bunter Traum!
Den 12. August
– Endlich habe ich nun die Schwimmprobe gemacht; da Sonnabend Schwimmfahrt ist, so wünschte ich gar zu sehr, sie noch zu machen. Auf dem Rückweg mußte ich noch bedeutend kämpfen, aber es ging doch noch. –
– Ich will übrigens heute die Fortsetzung von dem Leben in Pforta liefern. – In dem Kreuzgang stellt man sich tischweise auf, so daß zwölf je zu zweien hintereinander stehen und die Inspektoren gebieten Ruhe. Sobald der Lehrer im Zönakel ist, marschiert der 15. Tisch zuerst hinein und dann die übrigen. Alle Fehlenden werden angegeben. Dann spricht einer der Inspektoren folgendes Gebet:
Herr Gott, himmlischer Vater, segne uns und diese deine Gaben, die wir jetzt von deiner milden Güte zu uns nehmen durch Jesum Christum, unsern Herrn. Amen.
Hier fällt der ganze Coetus mit dem alten lateinischen Gesänge ein:
Gloria tibi trinitas,
Aequalis una deitas
Et ante omne saeculum
Et nunc et in perpetuum!
Dann setzen sich alle und die Mahlzeit beginnt. Der Speisezettel für die Woche ist folgendermaßen:
Montag. Suppe, Rindfleisch und Gemüse, Obst
Dienstag. Suppe, Rindfleisch und Gemüse, Butter
Mittwoch. Suppe, Rindfleisch und Gemüse, Obst
Donnerstag. Suppe, Rindfleisch und Gemüse, Nierenbraten und Salat
Freitag. Suppe, Schweinebraten, Gemüse und Butter oder Klöße, Schweinebraten und Obst oder Linsen und Bratwurst und Butter
Sonnabend. Suppe, Rindfleisch, Gemüse, Obst[48]
Jeder bekommt bei jeder Mahlzeit ein Zwölftel Brot. Die Mahlzeit wird mit folgendem Gebet geschlossen:
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich; der allem Fleische Speise gibt und dem Vieh sein Futter gibt und den jungen Raben, die ihn darum anrufen. Er hat nicht Lust an der Stärke des Rosses, noch Gefallen an jemandes Beinen; der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten und auf seine Güte warten. Wir danken dir Herr Gott, himmlischer Vater durch Jesum Christum unsern Herrn für alle deine Wohltat, der du lebest und regierest in Ewigkeit. Amen. – Ein Liedervers folgt dann.
Den 13. August
– Nun ist der zweite Sonnabend da; schon mehr als eine ganze Woche habe ich wieder hier verlebt – aber die Zeit kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Die Woche des Prof. Steinhardt ist vorüber; es ist eine der angenehmsten Zeiten vorübergegangen, besonders für die Primaner. –
– Unsre Abiturientenarbeiten sehr viel, da sie in nächster Woche zu schreiben anfangen. Ich wünsche ihnen recht viel Glück zu diesem wichtigen Unternehmen. –
– Ich habe auch in dieser Woche die Schwimmprobe gemacht und bin kleiner Schwimmer geworden. Gott behüte mich, daß mir bei der heutigen Schwimmfahrt nichts zustößt. –
– Heute Mittag erhob sich ein heftiges Gewitter mit gewaltigen Regengüssen, wodurch die Schwimmfahrt vereitelt ist. –
In der vorletzten Stunde, wo wir bei Herrn Doktor Becker Lektion hatten, wurde zum Schluß derselben heftig gelärmt und getrampelt. Der Herr Doktor war wütend darüber und forderte die Übeltäter auf, sich bis zehn Uhr zu melden. Da aber niemand kam, hat er einzelne aus der Klasse zu sich bestellt und sie dar über ausgefragt. Er hat aber fast gar nichts erfahren. Wir haben aber auf heute Nachmittag um sechs Uhr eine Versammlung sämtlicher Alten angesetzt. Ich will hier auseinandersetzen, daß hierbei drei Fälle moglich sind, daß nämlich, erstens, die ganze Klasse die Strafe auf sich nimmt, wenn alles über die Urheber des Lärmes verborgen geblieben ist. Da letzteres aber a) nicht ist, zweitens durch jenen Streich die ganze Klasse in schlechten Ruf kommt, so geht[49] dies nicht. Zweitens würden die Übeltäter von den andern angezeigt, so wäre dies a) für jeden Schüler sehr unangenehm und entehrend, b) großen Irrungen und Streitigkeiten unterworfen. So bliebe also nur der dritte Fall möglich, daß sich nämlich die Unruhestifter selbst anzeigen, wodurch a) die Allgemeinehre der Klasse gerettet wird, b) die Strafe der Lehrer milder und die Verzeihung leichter sein wird, da die Sache dann als kindisch und unbedachtsam ausgelegt wird und nur einigen zur Schuld geschoben, sonst aber, wenn die ganze Klasse die Strafe auf sich nimmt, als ein Zeichen von heftigem Oppositionsgeist in der Klasse!! –
Den 14. August
– Die Verhandlung wurde bei der Kegelbahn geführt. Es hatten sich ziemlich viele versammelt und das Resultat war, daß neune sich entweder freiwillig meldeten oder durch Zeugen überstimmt wurden. Nach dem Abendessen wurde die Synode fortgesetzt, so daß am Ende fünfzehn sich bei dem Doktor Becker gemeldet haben. Ich fürchte, daß aber alles dies zu spät geschah, da von jenem schon der Rektor und Professor Buchbinder über die Sache befragt sind. Daß alle Beteiligten vor die Synode kommen, ist natürlich.
– Es ist nun heute schon der zweite Sonntag, daß ich wieder in Pforta bin. Ich werde heute nachmittag mit Braunens nach Almrich gehn. –
– Der Sonntag im Sommer wird folgendermaßen verlebt: Früh um sechs Uhr wird aufgestanden und dreiviertel sieben ist Gebet. Darauf schulgartenfrei bis acht. Dann aber ist Repetierstunde, welche das Läuten zur Kirche endigt. Dann stellt man sich in den Kreuzgang und zieht in die Kirche, wo der Hebdomodar die Inspektion hat. Darauf ist bis zwölf wieder schulgartenfrei und ebenso nach der Mahlzeit, die aus Suppe, Frikassee, Braten und Salat besteht, bis zur Betstunde, die halb zwei ihren Anfang nimmt. Bis drei muß man wieder arbeiten, bis vier kann man in den Schulgarten gehen, aber gleich nach der Vesper beginnt der ersehnte Spaziergang bis sechs Uhr. Die Zeit bis sieben Uhr füllt eine Arbeitsstunde aus. Dann schließt der Tag wie gewöhnlich mit Essen, Schulgartenfreizeit und Gebet. –
– Ich habe in der letzten Zeit mehrerlei gelesen; so hat mich zweierlei von Ludwig Rellstab ganz hingerissen durch die furchtbare Spannung[50] und prachtvolle Schilderung. Das letztere »Am Orinoco«, das die Gefahren in den Urwäldern Amerikas schilderte, war geradezu abspannend. Auch die Werke von Gaudy ziehen mich sehr an, besonders der wahrhaft südliche Glut atmende Römerzug. Diese farbigen Gemälde, geistvollen Bemerkungen schlingen sich wie Efeu um die Säulen und morschen Hallen der Melancholie. Von seinen Gcdichten ziehen mich die Kaiserlieder besonders an, die, obwohl sie einen Gegenstand des Hasses verewigen und zu den Sternen erheben, ich dennoch zu einen der besten Verherrlichungsgedichte verstorbener Helden rechne. Man bewundert besonders den Schwung und die Glut in den Gesängen der Trauerweiden. –
Den 15. August
– Ich traf die Mama, den Onkel und Lisbeth in Almrich. Es war recht hübsch. Die Mama wird leider schon in vier Wochen fortgehn. Ich habe deshalb schon meine Geburtstagswünsche nach Naumburg geschickt. Sie sind folgendermaßen: Don Quixote, Poesiebuch, Platens Biographie, Kuchen, Nüsse, Weintrauben. Der Milde und Wohltätigkeit werden natürlich keine Schranken gesetzt. –
– In betreff unserer Klassenangelegenheit hielt heute morgen Doktor Becker Ansprachen und Aufforderungen, sich zu melden. Er schien sehr betrübt zu sein. Der, welcher vor der Klasse die andern dazu angetrieben hat, ist nun offenbar: er hat sich freiwillig gemeldet. Die ganze Sache kommt Sonnabend vor die Synode und kann ernstliche Folgen haben. –
Wenn man das Schulleben näher betrachtet, so ist es eine beständige fortlaufende Handlung, die, trotz daß alle Ereignisse immer wiederkehren, immer viel Interesse hat. Besonders sind die mannigfachen Episoden wichtig. Man sagt gewöhnlich: Schuljahre sind schwere Jahre, ja es sind auch Jahre, die sehr folgenschwer für das ganze Leben sind, es sind auch Jahre, die der Jugend schwer fallen, weil sich der frische Geist in enge Schranken schließen muß, aber es sind auch gerade für solche, denen die Jahre so schwer fallen, oft rechte leere Jahre. Deshalb kommt es nun sehr auf eine gute Benutzung derselben an; die Hauptregel ist, daß man sich in allen Wissenschaften, Künsten, Fähigkeiten gleichmäßig ausbildet und zwar so, daß Körper und Geist Hand in Hand gehen. Man muß sich sehr vor Einseitigkeit des Studiums[51] hüten. Man muß alle Schriftsteller aus mehreren Ursachen lesen; nicht nur der Grammatik und Syntax, des Stils halber, nein, auch des geschichtlichen Inhalts, der geistigen Anschauung wegen; ja man sollte auch die Lektüre griechischer und lateinischer Dichter mit deutschen Klassikern zugleich studieren und ihre Anschauungsweise miteinander vergleichen. So soll auch Geschichte nur mit Geographie vereint getrieben werden, Mathematik mit Physik und Musik; dann steigen herrliche Früchte aus dem Baume der Wahrheit, von einem Geiste beseelt, von einer Sonne beleuchtet, hervor. –
Den 16. August
– Unsre Abiturienten fangen heute zu schreiben an; sie sind sehr in Spannung. Ich denke gern und nicht gern an diese Augenblicke, indem man sich durch diese letzte Mühe und Gefahr gleichsam von den Banden der Schule loskauft. –
– Wir waren gestern wieder baden gegangen; zum erstenmal hatte ich die Bademütze auf, die Auszeichnung der Schwimmer. Ob ich die Schwimmfahrt aushalten werde, glaub ich kaum. Nun, Glück zu!
– Wenn ich abends auf den Schlafsaal komme, scheint gewöhnlich der Mond auf mein Bett. Es ist dies ein ganz eigentümliches Gefühl und mir wird merkwürdig zumute. Es ist ausgemacht, daß der Mond mit dem Geist des Menschen korrespondiert; die Nerven werden durch eine Mondnacht mehr aufgeregt als durch die wärmsten Strahlen der Sonne. Wer kennt nicht jenes liebliche Gedicht von Heine: Die Lotosblume? –
Es war heute dreiviertel fünf ehe wir aufstanden. Morgenröte küßte die fernen Berge und spielte in den Blättern der Eichen. Mir ist, wenn ich in die purpurerglühende Morgensonne blicke, stets so unermeßlich wohl; denn die flammende Tageskönigin übergibt dem jungen Tag die Herrschaft. Aber wenn es Abend wird, trauert meine Seele. Schau ich in das Rosengewölk, schau ich auf die leis bewegten Rosen, höre ich die Nachtigallen, die aus Liliengirlanden bange Seufzer schallen lassen, so rufe ich schmerzlich sic transit gloria mundi! –
– Ich betrachte immer im Geiste das unermeßliche All; wie wunderschön und erhaben ist die Erde und wie groß ist sie, da sie doch kein Mensch in allen ihren Teilen kennenlernen kann, aber wie wird[52] mir, wenn ich erst die unzählbaren Sterne, wenn ich die Sonne sehe, und wer bürgt mir dafür, daß dieses ungeheure Himmelsgewölbe mit allen den Gestirnen nur ein kleiner Teil des Weltalls ist und wo endigt dieses? Und wir erbärmlichen Menschen, wir wollen den Schöpfer desselben verstehen, da wir seine Werke kaum ahnen können! –
– Ich bekomme mein Tristram Shandy wahrscheinlich erst in der nächsten Woche. Ich habe es Lisbeth aufgetragen, mir es so bald als möglich zu besorgen: Ich bin außerordentlich begierig es kennenzulernen. –
Den 17. August
– Vorbei, vorbei! Herz, willst du zerspringen? – O Gott, was hast du mir ein solches Herz gegeben, daß ich mit der Natur zugleich jubele und mich freue. Ich kann es nicht ertragen; schon sendet die Sonne nicht mehr warme Strahlen; die Felder sind öde und leer und hungrige Vögel sammeln für den Winter. Für den Winter! – So nah begrenzt sich Freude und Leid, aber der Übergang ist zermalmend. Vorbei, vorbei! – Vögel ziehen am blauen Himmel weiter in ein fernes Land und ich folge ihnen traurig mit dem schmerzergriffnen Herz. Welt, bist du nicht endlich müde, kannst nicht Bleibendes ersinnen; was nur keimet, blüht und pranget, muß vergehen, muß von hinnen. Aus dem holden Maienweben brichst du Rosen rot umflossen; nimm nun auch mein junges Leben, das sich eben erst erschlossen. Ach; mit was für festen Banden hast du mich an dich gebunden. O Natur; mit bittrem Leide hast du mir mein Herz umwunden. Letzte Rose! Weinend seh ich dich erblühen und vergehn, mit dir leb ich und vergeh ich, mit dir werd' ich einst erstehn! Denn nicht ewig kann versinken dieses Lebens holder Traum; einstmals werd ich wieder trinken Lenzes Atem, Lenzes Schaum! –
– Heute ist endlich die lang erwartete Schwimmfahrt. Ich bin sehr auf den Ausgang gespannt. –
– Wir haben jetzt in der Geschichte den Zug Alexanders des Großen. Dieser Heros zieht mich außerordentlich an; man könnte Teile aus seinem Leben zu vortrefflichen Tragödien benutzen. Ich will nur die Verschwörung des Philotas erwähnen. Dieser junge Mann ist einer der wenigen, die Alexander ihre Herzensmeinung sagen, offen und[53] wahr mit Festigkeit des Charakters. Die Soldaten fürchten ihn, weil er streng ist und nicht leidet, daß jene asiatische Üppigkeit, die der König selbst angebahnt hat, überhand nimmt. Sein Stolz erträgt nicht, daß Perser gleichen Rang mit den Makedoniern haben, er gerät mit Alexander, dem Sohn des Jupiter, dem Herrscher von Asien, dem täglich Altäre lodern, kriechende Schmeichler unverdienten Weihrauch zollen, in Wortwechsel. Alexander wird ihm feindlich; jener aber, durch die Ermordung des Klitus angereizt, gerät in heftigen Zorn, läßt unvorsichtige Worte fallen und sein Leben ist verwirkt. Um den beunruhigenden Gedanken zu entgehen, sendet Alexander Meuchelmörder nach Ekbatana, um Parmenio zu ermorden. Babylon, Babylon, du bringst Rache! Er muß auch sterben! –
Den 18. August
– Die Schwimmfahrt fand gestern wirklich statt. Es war ganz famos, wie wir in Reihen abgeteilt unter lustiger Musik aus dem Tore marschierten. Wir hatten alle rote Schwimmützen auf, was einen sehr hübschen Anblick gewährte. Wir kleinen Schwimmer waren aber sehr überrascht, als die Schwimmfahrt eine weite Strecke noch die Saale hinunter ihren Anfang hatte, worüber wir alle etwas kleinmütig wurden; als wir aber die großen Schwimmer aus der Ferne kommen sahen, und die Musik hörten, vergaßen wir unsre Angst und sprangen in den Fluß; es wurde nun in derselben Ordnung geschwommen, wie wir ausmarschiert waren. Überhaupt ging alles recht gut; ich half mir, so gut ich konnte; obgleich ich nirgends Grund hatte. Auch das Auf-dem-Rücken-Schwimmen benutzte ich öfters. Als wir endlich anlangten, empfingen wir unsre Kleidungsstücke, die in einem Kahne hinterdrein gefahren waren, kleideten uns schnell und marschierten in gleicher Ordnung nach Pforta. Es war wirklich wunderhübsch. –
– Es ist heute ungemein düster, hat auch schon viel geregnet. Als wir dreiviertel auf fünf aufstanden, konnte man noch nicht sehen. Unsre Abiturienten schreiben heute Deutsch, ich wünsche ihnen viel Glück dazu. –
Fortsetzung des Tageslaufs in Pforta. Gleich nach Tische trägt man Brot und Serviette des Tischoberen in die Stube desselben und eilt in den Schulgarten. Vor halb zwei darf keiner in der Stube erscheinen,[54] was die Wocheninspektoren streng bestrafen. Zuerst sieht nun nun nach, ob wohl eine Kiste oder ein Brief da ist, die der Pfonenbote täglich bringt oder man holt sich Obst für sein Taschengeld bei einer Obstfrau. Dann schiebt man im Schulgarten Kegel oder geht spazieren. Im Sommer wird auch viel Ball geschlagen. Dreiviertel zwei läutet es zur Klasse und in fünf Minuten muß man darin sein. Die Lektionen dauern nun bis zehn Minuten vor vier. Dann ist gleich Vesper, wo man Butter und Semmel oder Pflaumenmus, Fett, Obst und dgl. erhält. Darauf hält der Obere eine Lesestunde, wo griechische, lateinische oder mathematische Docimastica geschrieben werden. Um fünf ist eine kleine Pause, worauf dann Repetierstunden bis sieben folgen. Dann ist Abendessen, das im ganzen dem Mittag gleicht.
Montag. Freitag. Suppe, Butterbrot, Käse.
Dienstag. Sonnabend. Suppe, Kartoffeln, Butter.
Mittwoch. Suppe, Wurst, Kartoffelmus oder saure Gurken.
Donnerstag. Suppe, Eierkuchen, Pflaumensauce, Butterbrot.
Sonntag. Suppe, Reismus, Butterbrot – Heringe, Salat, Butterbrot – Eier, Salat, Butterbrot oder anderes.
Den 19. August
– Dann können wir wieder in den Schulgarten bis halb neun gehen. Darauf ist Abendgebet und um neun wird zu Bett gegangen. Alle Obergesellen, denen doch durch die Lesestunde eine Stunde verloren geht, bleiben noch bis zehn Uhr auf. So ist der gewöhnliche Tageslauf in Pforta. –
– Gestern kam der Herr Rektor Peter in die Klasse und hielt uns eine große Strafrede der Trampelei wegen. Er sagte unter andern: »Habt ihr denn ganz vergessen, wer ihr seid und wie großen Dank ihr der Anstalt und ihren Lehrern schuldig seid? Ihr solltet uns durch Gehorsam und Folgsamkeit erfreuen und ihr kränkt uns durch ein solches Betragen? Das ist aber ein sehr schlechtes Zeichen für die Klasse; die Schuld fällt nicht allein auf die unmittelbar Beteiligten, sondern überhaupt auf den bösen Geist der Klasse.« Dann ließ er noch sehr bedenkliche Worte über sehr strenge Strafen und dergleichen fallen. –
– Ich war gestern abend bei Prof. Corssen mit sechs anderen. Es war[55] wieder wie gewöhnlich sehr lustig und interessant. Es ist mir stets ein großes Vergnügen dahin zu gehen. –
– Ich warte nun seit Dienstag täglich auf meine Kiste nebst Brief, aber immer vergebens! Was mag nur die Mama davon abhalten? – –
– Heute ist wieder Ausschlafetag oder Studientag und es ist immer sehr angenehm, daß ich etwas Ordentliches zu tun habe. Wir müssen nämlich eine deutsche Arbeit heute abend abgeben. Ich bin hier in Pforta etwas im Deutschen zurückgekommen. In Naumburg hatten wir schon Abhandlungen und Charakterschilderungen und hier müssen wir Geschichten zu Sprichwörtern ersinnen u. a. –
– Unsre Abiturienten haben morgen noch das mathematische Docimasticon zu schaffen; dann sind sie ganz fertig und erwarten das mündliche Examen. Ich hoffe, daß alle durchkommen werden.
– Obwohl mir das holde Bild der Ferien fast aus den Augen entschwunden ist, so ist mir doch diese Woche recht schnell vergangen. Nächsten Montag ist wahrscheinlich Bergtag; die Mama habe ich schon dazu eingeladen. –
Was lebet muß vergehen:
Die Rose muß verwehen,
Willst du sie einstmals sehen
In Wonne auferstehen! –
Den 20. August
– Endlich ist der für unsre Klasse so verhängnisvolle Sonnabend herangekommen; ich bin auf den Erfolg sehr gespannt. –
– Ich hatte gestern abend plötzlich eine so ungewöhnliche Reiselust und zwar in eigentümlicher Weise, ohne Geld. Mir kommt es nämlich so vor, als wenn man bei Befriedigung aller Bedürfnisse lange nicht so interessant lebe, als wenn man nur seinem guten Glück vertraut und nicht für den andern Tag sorgt. Daß man natürlich für unvorhergesehene Fälle etwas bei sich versteckt hat, ist natürlich. Ich möchte eigentlich sehr gern die Michaelistage zu so einer Partie benutzen. Ich dächte, es müßte sehr viel Amüsement gewähren. So in den Tag hinein zu wandern, Unterkommen bei den ersten, besten finden, ein paar Abenteuer erleben, ist doch ganz famos. –[56]
– Heute morgen habe ich schon einen Brief an die Mama geschrieben und sie zum Bergtag eingeladen. Sie will Madame Laubscher und Pensionärinnen mitbringen. Ich habe noch gar nicht an Wilhelm geschrieben und er nicht an mich; er wird doch nicht auf mich böse sein. –
– Wir sind gestern wieder baden gewesen, die Saale war kühl und etwas gestiegen. Ich habe den Schwertsprung mehrere Male versucht; auch so ziemlich gelernt. –
– In Gaudys wandernden Schneidergesellen ist doch ein köstlicher Humor. Wie fein ist Italien in allen seinen Schwächen, wie vorzüglich das materielle Berliner Kind charakterisiert! –
– Herr Prof. Buddensieg sagte uns heute einiges über die hebräische Poesie. Sie besteht in dem Parallelismus der Gedankenglieder und bedient sich mitunter sogar des Reimes. Er führte uns als Muster desselben den achten Psalm auf. –
Ich schreibe jetzt fast gar keine Gedichte mehr und die wenigen sind gewöhnlich etwas gewöhnlich. So habe ich in Pforta erstens das Mailied gemacht, dann die Maisonne, im Wald, der Schwan, Heimkehr I, II, In der Ferne, und endlich Ohne Heimat. Allerdings für die lange Zeit sehr wenig. Ich will aber vielleicht wieder einmal einführen, täglich eins zu schreiben, die dann auch in diesem Buche ihren Platz finden werden. – Wann wird aber die poetische Ader so ergiebig sein? Das ist ein sehr unangenehmer Gedanke. –
Den 21. August
– Ich habe gestern einen Brief bekommen, daß ich sonntags nicht nach Almrich kommen sollte; ich werde deshalb Herrn Rat Teichmann in Kösen besuchen. Es sind alte liebe Leute, die ich schon von Naumburg aus kannte. –
– Unsere Klassenmissetäter sind im ganzen mild bestraft, der Rädelsführer ist heruntergesetzt und mit Karena bestraft, seine dritte Strafe teilt er mit allen; sie haben nämlich eine Stunde von ihrem Spaziergang verloren. –
– Gestern abend sind zwei Quartaner auf ihrer Bank von einem Inspektor beim Rauchen gefaßt und auf der Inspektionsstube angezeigt. Es ist einer darunter, der schon neulich beteiligt war. Ein andrer[57] hat ein Zeichen gegeben und auch dieser ist gefaßt. Es ist der Anführer jener Trampelei! –
– Ich bin seit gestern nun wirklich im Chor, worüber ich mich sehr freue. Ich singe nun mit in der Kirche, kann die Sängerfahrt mitmachen und genieße nun alle Vor- und Nachteile eines Choristen. –
– Unsere Abiturienten sind mit dem schriftlichen Examen zu Ende. Ich hoffe, sie werden alle gut durchkommen. –
– Ich habe heute im Don Quixote gelesen und er zieht mich sehr an; dennoch trage ich Bedenken ihn mir zu wünschen. –
– Es ist sehr zweifelhaftes Wetter, was mir besonders des Bergtags halber sehr unangenehm ist. Nun, Hoffnung läßt nicht zuschanden werden! –
– Ich bin nicht nach Kösen gegangen, sondern etwas in den Wald. Wir holten uns erst etwas Obst und erzählten uns dann gegenseitig ganz angenehm; ich bin übrigens auf die Idee gekommen, die Michaelistage zu einer Partie zu verwenden. Zwar folgendermaßen: Ich bestelle Wilhelm den ersten Tag früh nach Pforta und gehe mit ihm dann auf die Katze, genießen hier einen Kunitzburger Eierkuchen, und machen uns dann wieder auf den Weg über die Rudelsburg und Saaleck und kehren dann den Nachmittag wieder zurück. Es ist wirklich ein sehr hübscher Gedanke; ich werde ihn Wilhelm mitteilen. Ich habe so nach den Ferien noch gar nicht an ihn geschrieben. – –
Den 22. August
Nun, Hoffnung ließ auch nicht zuschanden werden. Wir haben einen sehr hübschen Bergtag verlebt, den ich auch näher beschreiben will. Als ich den Morgen aufstand, schaute ich sogleich nach dem Himmel. Das sah nun allerdings ziemlich gefährlich aus. Denn viele dicke Wolken umhüllten den Horizont. Darauf war gewöhnlicher Studientag bis zwölf Uhr. Als aber da der Himmel heller wurde, kleidete sich ein jeder an und man versammelte sich um zwei Uhr auf dem Fürstenplatz und zwar stubenweise. Nach abgehaltener Visitation ging dann der Zug, Musici und Sänger voran, vor die rechte Front des Schulhauses. Hier wird unter Begleitung der Instrumente das Berglied gesungen und dann marschiert alles mit der Schulfahne voran den Berg hinauf. Auf dem weiten Plateau angekommen, wird[58] Halt gemacht. Hier hat nun Konditor Furcht seinen Platz aufgeschlagen und findet einen ungeheuren Absatz. Besonders der Schaumkuchen verschwindet im Nu. Wir lagerten uns dicht an den Wald und unterhielten uns ziemlich über das Amüsement der Untern am Bergtag. Da meldete mir endlich einer, daß die Mama mit Lisbeth da sei. Das war nun wunderhübsch. Erst tranken wir zusammen Kaffee mit Kuchen und unterhielten uns dann. Später kamen auch noch Madame Laubscher mit Pensionärinnen. Da unterdessen der Tanz begonnen hatte, tanzten letztere ziemlich viel mit. Es waren überhaupt ziemlich viel Damen da, während sie fast sämtliche Bergtage ein tüchtiger Regen abgehalten hatte. Dann trat der Chor.zusammen und sang sehr hübsche Lieder wie das Abendlied, dann »Hoch Deutschland hoch« und »Ade du liebes Waldesgrün«. Darauf wurde wieder bis halb sieben getanzt. Da war endlich das Ende der Lust da und wir marschierten, nachdem ich herzlich Abschied genommen und gedankt hatte, klassenweise wieder hinunter in das Schulgebäude. Bis in den Primanergarten dauerte der Festmarsch und dann ging alles auseinander. Die Mittleren hatten den Abend noch auf dem Tanzsaal Ball. So endete der schönste Bergtag seit mehreren Jahren. –
Den 23. August
– Heute ist man von dem gestrigen Tage noch etwas abgemattet; denn solche Freude und Lust nimmt immer etwas mit. Aber die schöne Erinnerung bleibt doch. –
– Ich muß noch einen Zug des Bergtags erwähnen. Wenn nämlich auf dem Rückweg Pforta gerade unter uns liegt, stellen sich die Klassen untereinander auf und der Präfekt bringt erst dem König ein Lebehoch, dann dem Prinz von Preußen, dann den zukünftigen Abiturienten, darauf der Alma mater mit Lehrern und endlich dem gesamten Coetus. Vier, fünf, sechs Lebehochs ertönten letzterem – da rief endlich Prof. Buchbinder lachend: Nun wie lange wollt ihr denn leben? –
– Madame Laubscher war so freundlich, mir anzubieten, während der Abwesenheit der Mama öfters nach Almrich zu kommen. Ich werde das gewiß mehrere Male benutzen. –
Ich bin jetzt in einer merkwürdigen Verlegenheit. Ich habe nämlich hier in Pforta zwei Brüder, die mit mir etwas verwandt sind. –[59] Der ältere ist bei dem ganzen Coetus gewissermaßen in Verachtung, wird von allen geneckt und verlacht. Er dringt aber darauf, mich zu ihm bringen zu lassen, da ich nächstes Semester noch keinen Obergesellen habe. Sein Bruder hingegen ist ein ganz angenehmer Mensch, lustig und guter Dinge, äußerte aber, da ich ihm das von seinem Bruder erzählte: ich könne mich auch zu ihm bringen lassen; ich hätte da freilich zu entscheiden, wer mir von ihnen am besten gefalle. Nun bin ich in neuer Verlegenheit; denn ich beleidige auf jeden Fall einen von beiden. Dann ist nun auf jeden Fall das beste, ich lasse mich zu keinem von beiden bringen. –
– Der Herbst erinnert mich immer an meine zukünftige Stellung in der Welt; denn die Jugend soll dann noch Früchte tragen. Aber es ist mir ein schrecklicher Gedanke, dann nur zu genießen, was einstige Mühe heimgebracht. Meine Seele muß im ewigen Frühling stehen, denn wenn erst die rosige Blütenzeit vorüber ist, dann ist auch mein Leben vorüber. Wie schwer wird es mir, den irdischen Frühling zu missen, aber um wieviel bittrer ist jenes!
Den 24. August
– Ich habe gestern wieder einmal die Räuber gelesen; es wird mir dabei jedesmal ganz eigentümlich zumute. Die Charaktere sind mir fast übermenschlich, man glaubt einen Titanenkampf gegen Religion und Tugend zu sehen, bei dem aber doch die himmlische Allgewalt einen endlos tragischen Sieg erringt. Furchtbar ist zuletzt die Verzweiflung des unendlichen Sünders, die durch die Worte des Paters grausenerregend vermehrt wird. Mir ist nichts Neues aufgefallen, als daß Schiller an einer Stelle auf ein Jugendgedicht von sich selbst hinweist. –
Schwarz: »Wie herrlich die Sonne dort untergeht!«
Moor: »So stirbt ein Held: Anbetungswürdig!«
– – – –
»Da ich noch Bube war, war's mein Lieblingsgedanke, wie sie zu leben, zu sterben wie sie!«
Man vergleiche hiermit das Gedicht:
»Die Sonne hat vollendet gleich dem Helden« usw.
Man sieht auch hierin, daß in dem Karl Moor Schiller viele seiner Ideen, seiner Entwürfe verwebt hat. –[60]
– Wir konnten gleich nach Tische vorgehen und versammelten uns an der Saline in der Davisonshalle. So ungefähr um drei kamen wir in die Buchenhalle. Es ist dies ein wunderschöner Platz im Walde, nach Art eines Amphitheaters mit Bänken versehen. Der Chor und die andre Musik nahmen den höchsten Platz ein. Unten war ein Altar und eine Kanzel errichtet und mit Blumen sehr feierlich verziert. Zuerst wurde »Ach bleib mit deiner Gnade« gesungen, dann las Prof. Buddensieg die Liturgie; wir aber sangen noch einige Motetten; darauf bestieg Diakonus Link aus Ekartberga die Kanzel und hielt eine sehr schöne geistvolle Predigt. Dann schloß die Feierlichkeit mit mehreren Gesangstücken. –
Es war ungemein belebt, fast alle Badegäste waren da. Um halb fünf Uhr waren wir wieder in Pforta und gingen dann gleich baden. Die Saale war wunderschön erwärmt und wir blieben auch ziemlich lange darin. Ich habe wieder öfters den Schwertsprung versucht. Wenn ich doch übrigens bald wieder einen Brief von der Mama bekäme! Ich weiß gar nicht, wie es ihnen bekommen ist! Nun morgen, Donnerstag!
Den 25. August
– Bis jetzt habe ich noch sehr wenig erlebt; die Sonne scheint noch nicht sehr warm; herbstliche Kühle breitet sich über das Land. – Wir haben in der Klasse ein Docimasticon geschrieben; ich bin auf den Erfolg begierig. –
– Die Mama sagte, ich würde wahrscheinlich nach Korensen zu Weihnachten reisen, da sie vielleicht noch nicht zurückgekehrt sei. Das wäre nun allerdings sehr hübsch. Besonders auf die Reise freue ich mich sehr. Wenn es nicht so kalt ist, so fahre ich bis Halle und mache mich dann auf den Weg nach Deutschental. Dort besuche ich den Herrn Pastor, den ich früher einmal kennengelernt habe, von da nach Langenbogen, begrüße dort meinen alten Bekannten, den Salzigen See. Dann geht es nach Eisleben, wo Luthers Denkwürdigkeiten betrachtet werden. Von dort nach Mansfeld, wo mich Mama und Onkel erwarten. Ich freue mich sehr darauf. –
– Heute nachmittag beginnen die großen Geographierepetitionen zuerst mit Asien. Das ist nun eine üble Sache; ich wünsche, es wäre[61] schon vorüber. Vor der Geographie habe ich überhaupt immer etwas Furcht.
– Alles ist recht gut vorübergegangen. Ich bin in der Geographie dran- und durchgekommen. Wilhelm hat mir übrigens geschrieben; er geht auf meinen Plan ein und will sogar lieber eine kleine Fußreise machen. –
In dem Tertianergedicht »Heimkehr« habe ich IIa bekommen. Die zweite Abteilung folge:
I. Das milde Abendläuten
Hallet über das Feld.
Das will mir recht bedeuten,
Daß doch auf dieser Welt
Heimat und Heimatglück
Wohl keiner je gefunden:
Der Erde kaum entwunden,
Kehrn wir zur Erde zurück. –
II. Wenn so die Glocken hallen,
Geht es mir durch den Sinn,
Daß wir noch alle wallen
Zur ewgen Heimat hin.
Selig wer allezeit
Der Erde sich entringet
Und Heimatlieder singet
Von jener Seligkeit!
– In meinem lateinischen Docimasticon habe ich IIa. Wir haben heute ein mathematisches geschrieben und bin auf den Erfolg sehr gespannt; ich habe alles heraus, ob aber alles richtig, ist eine andere Frage. –
Heute nachmittag stieg die Hitze wieder auf 24 Grad. Die Lektionen fielen aus und wir gingen alle baden. Das Wasser war wunderschön. –
Ich habe heute nichts weiter zu erzählen. Deshalb will ich mein Gedicht: Heimkehr anfügen.
[62] Das war ein Tag der Schmerzen,
Als ich einst Abschied nahm;
Noch bänger war's dem Herzen,
Als ich nun wiederkam.
Der ganzen Wandrung Hoffen
Vernichtet mit einem Schlag!
O unglückselge Stunde!
O unheilvoller Tag!
Ich habe viel geweinet
Auf meines Vaters Grab
Und manche bittre Träne
Fiel auf die Gruft herab.
Mir ward so öd und traurig
Im teuren Vaterhaus,
So daß ich oft bin gangen
Zum düstern Wald hinaus. –
In seinen Schattenräumen
Vergaß ich allen Schmerz
Es kam in stillen Träumen
Der Friede in mein Herz.
Der Jugend Blütenwonne
Rosen und Lerchenschlag
Erschien mir wenn ich schlummernd
Im Schatten der Eichen lag.
Den 27. August
– Siehe da, gestern nachmittag war wieder Kommunschwemme. Die Kähne waren jedesmal überladen.
Ich habe jetzt die Literaturgeschichte von Kletke und vorzüglich hat mich das Leben Jean Pauls angezogen. Die Bruchstücke seiner Werke, die ich gelesen habe, ziehen mich ungemein durch die blühende, überschwengliche Schilderung, die zarten Gedanken und den[63] satirischen Witz an. Ich glaube, Jean Paul wird einmal bei reiferen Jahren mein Lieblingsschriftsteller. –
– Ich werde jetzt einige Episoden aus meinem Leben etwas phantastisch ausschmücken. Die erste soll sein:
Hundstage! Das ist ein Zauberwort für jeden nach Freiheit schmachtenden Alumnus portensis, ein Eldorado, das uns getrost den großen Ozean des Schulsemesters durchsegeln läßt. Welche Wonne, wenn endlich der Ruf: Land, Land, erschallt: jubelnd bekränzen alle das Schiff ihres Daseins und die alten trauten Stuben umschlingen Girlanden, die auf jedem Blatt den Namen: Hoffnung tragen. Wer vermöchte es nur zu schildern, das überwallende Gefühl, das stolze Bewußtsein, das uns zu den Sternen erhebt. Nicht mit Seufzen und Klagen entreißen wir uns den Armen der Alma mater; nein, uns ist im Gegenteil so frei und lustig zumute, wie einer Lerche, die zu dem Flammenmeer aufsteigt und in die wogende Purpurglut ihre Flügel taucht. Aber ist das eine Freiheit? Nur fünf Wochen können wir unsre Schwingen über Berg und Tal, in ewige Weiten erheben, aber dann ruft uns ein Machtwort in die alten, düsteren Mauern zurück. –
Wenn der lächelnde Frühling sein überreiches Füllhorn über die Fluren ausschüttet, wenn die Sonne die Erde feuriger umarmt, da keimen und sprießen die Lenzeskinder empor, schütteln das goldene diamantenbesäte Haupt in der Morgenglut und erschließen sich, wonneschauernd, freudig verklärt. Und siehe! Schwarze Nacht steigt empör und umhüllt die seufzende Erde mit düsterem Gewölbe. Gewaltige Stürme, hindröhnende Donner gleiten an den finsteren Wänden nieder und mühen sich die Pfosten zu sprengen. Feurige Blitze schlängeln sich um die Säulen des Gewölbes und züngeln empor – da tritt Helios auf den purpurnen Thron und – die finstern Mächte weichen – die Lichtgöttin schreitet mit farbigem Erglühen über die diamantenbetaute Brücke und über ihr schließt sich das mit Blitzen behangene Triumphtor, – aber die holden Frühlingskinder sind hingesunken in den gewaltigen Anblick und auf den zerstreuten Blüten wandelt der siegende Gott. –[64] Darum, o Jüngling, benutze die Zeit deiner Ferien, nicht mit Arbeiten, sondern in jauchzender Erholung, so daß, wenn das Ungewittcr herannaht und die dröhnende Donnerstimme das Ende der Rosenzeit verkündet, du willig scheidest – doch stille! – Ich bin nicht einer, der ohne Klagen den Frühling fliehen sieht und ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand gern wieder sich in Fesseln schließt. Ich bin aber zu dem Satz gekommen: Genieße das Leben, wie es sich dir darbietet, und denke nicht an die kommenden Mühen. Das ist jedenfalls der größte menschliche Grundsatz, den ich in Pforta gelernt habe. Wenn mich bittre Gedanken quälten und die Seele von schmerzlichem Heimweh umwunden wurde, wenn ich traurig den Frühling scheiden sah, und mein Herz im tiefsten Weh schmachtete, da schlang sich jener Gedanke wie eine Rosengirlande durch die Trümmer der Vergangenheit, und – ich – schob Kegel! – Darum weg ihr Ferienabschiedsgedanken! Lustig, voll von Lebenslust, stürz dich in das matte Leben und erkämpfe dir die Krone der besten Ferienbenutzung!
Es war schon die Sonne untergegangen, da schritten wir aus dem düsteren Halle heraus. Bald lag diese Stadt, die trotz ihrer Belebtheit auf mich keinen angenehmen Eindruck macht, hinter uns, der goldig umflossene Himmel, wo noch die Gluten in rosiger Verklärung loderten, über uns und Saatgefilde, auf denen der milde Hauch des Abends ruhte, neben uns. O Wilhelm, rief ich, gibt es eine größere Lust als so zusammen die Welt zu durchwandern? Freundesliebe, Freundestreue! Atem der herrlichen Sommernacht, Blumenduft und Abendröte! Steigen deine Gedanken nicht auf wie die jubelnde Lerche, und thronen auf den goldumkränzten Wolken. Wie eine wunderliebliche Abendlandschaft liegt mein Leben vor mir. Wie gruppieren sich die Tage vor mir bald in düsterer Beleuchtung, bald in jubelvoller Auflösung! –
– Da drang ein greller Schrei uns zu Ohren: es kam aus dem nahen Irrenhause. Inniger schlossen sich unsre Hände zusammen: uns war, als berühre uns ein böser Geist mit beängstigenden Fittichen. Nein,[65] uns soll nichts voneinander scheiden, nichts als der Todesjüngling. Weichet, ihr bösen Mächte! – Auch in dieser schönen Welt gibt es Unglückliche. Aber was ist Unglück? –
Es wurde nun schon dunkler, die Wolken zogen sich zusammen und bildeten eine graue, mitternächtliche Masse. Wir beeilten unsre Schritte etwas, auch sprachen wir nicht zusammen. Die Fluren wurden immer düsterer und als wir endlich in einen Wald kamen, wurde uns etwas unheimlich. Deshalb war es uns sehr angenehm und zugleich etwas ängstlich, aus der Ferne ein Licht auf uns zukommen zu sehen. Wir faßten indessen Mut und gingen auf dasselbe los. Bald erblickten wir eine schwarze Gestalt: wie es schien, war es ein Jäger. Denn eine Büchse hing über seinen Rücken und ein laut bellender Hund folgte ihm. Als wir aber näher kamen, und die wilden, unheimlichen Gesichtszüge sahen, verschwand unser Mut wieder und wir riefen mit schwacher Stimme: Guten Abend. Gleiches erscholl in einem tiefen Basse, der Fremde leuchtete uns in das Gesicht und rief, seinen auf uns losstürzenden Hund beschwichtigend: Was macht ihr hier noch so spät in dem Wald, ihr Burschen? Wir wußten nicht recht, was wir entgegnen sollten und entgegneten: Nach Eisleben führt unser Weg, und wir hofften noch in dieser Nacht unser Ziel zu erreichen. Die Nacht ist aber keines Menschen Freund, und so allein zu gehen ist für solche junge Burschen – hier hielt er inne und wir sahen ihm ängstlich fragend ins Gesicht.
Er aber rief lachend: Nun fürchtet euch nur nicht; ich werde euch begleiten. Obwohl wir anfangs seine Einladung scheu annahmen, so wurde uns sein rauhes Antlitz etwas freundlicher und wir faßten Zutrauen zu ihm. Es war jetzt pechschwarze Nacht, sogar der Mond wurde von den tiefen Wolken bedeckt und die Laterne warf auf die alten Baumriesen ihr zitterndes Licht. Mir kam fast der Gedanke an, nach Deutschental zu wandern und dort Halt zu machen. Dort hatte ich einen Onkel, von dem ich aber wußte, daß er mich nicht sobald von sich lassen werde. Endlich erkundigte ich mich wie zufällig nach ihm und jener sah mich an und sagte: So, kennt den der Herr? Ich antwortete: Ja etwas, aber wiederum gefragt, warum ich ihn nicht besuchen wollte, meinte ich: Auf der Rückkehr ist auch noch Zeit dazu. Aber der Alte erwiderte verwundert: Sie haben hier in der Umgegend[66] Bekannte und ziehen es vor, auf gefährlichen Wegen der Nacht zu gehen? – Gefährlich; fragte ich und meine Augen blickten wieder bang umher; aber es war ringsum Nacht, tiefe schwarze Nacht. Habt ihr noch gar nicht von den Gespenstergeschichten in diesem Walde gehört? Auch sollen gewöhnlich sich hier Zigeunerbanden aufhalten. – Ich bat ihn hiervon zu schweigen, und wir setzten nun in Todesstille unsern Weg fort. Wir gelangten endlich in ein Tal, rings von wildem Gestrüpp umgeben. Plötzlich setzte unser Begleiter eine Pfeife an den Mund und ließ einen schrillen Ton hören. Wir sahen uns verdutzt an; aber auf einmal wurde es im Wald lebendig, hier und da leuchteten Fackeln auf, wild vermummte Menschen umschlossen uns beide im Kreis, die Besinnung verging mir und ich wußte nicht, was mit mir vorging. –
Als ich erwachte, schwebten noch jene Schreckensbilder um mich, aber bald nahm ein belebendes, erheiterndes Gefühl die Oberhand – ich war noch in Pforta, es war der letzte Morgen, in zwei Stunden war ich schon in Naumburg. Der Morgensonne Strahl blitzte durch das Fenster und ich begrüßte freudig das himmlische Licht, das die trüben Gebilde der Nacht vertrieb. – Bald wanderte ich zu dem kleinen Pförtchen hinaus und warf noch einmal einen Blick des Abschieds auf die alten grauen Gebäude. – Dann trat ich in den grünen Wald ein. Wenn ich in das Heiligtum der Natur trete, da überrascht mich immer das Gefühl: Für uns ist all diese Herrlichkeit geschaffen, für uns erheben sich die hehren Schattengewölbe, für uns erglüht die Sonne, leuchtet der Mond und durch dieses Verhältnis erscheint mir die ganze Welt wie ein lieber Gefährte, mit dem ich meine Gedanken austauschen kann und den ich bitter beweine, wenn er von mir scheidet; aber ohne Scheiden ist kein fröhliches Wiedersehen; die Sonne muß in das Meer versinken, wenn sie am andern Tage wieder neues Leben ausgießen soll; unser Leben muß verblühen, wenn eine höhere geistige Auferstehung uns beleben soll. –
Als ich in Naumburg ankam, war viel Freude und Jubel; da nun der erste Freudenrausch vorüber war, unterhielten wir uns viel und[67] besonders, wohin ich in den Ferienreisen würde. Endlich fiel ein Blitz mir durch die Seele; ich dachte, einen Onkel mußt du besuchen, den du noch nicht gesehen hast, wie der Traum mir angab. Nach Jena also, wo ein Verwandter Oberbürgermeister ist. In wenigen Tagen war der Entschluß zur Reife gediehen, die freundliche Einladung des Onkels da und fort ging's in Sturmessaus nach der Eisenbahn. Das dampfausspeiende Ungeheuer war schon da und ich hatte noch Zeit, in ein Waggon zu springen. –
Fort ging's nun im fliegenden Saus und die schöne Umgebung glitt wie ein Zauberbild vorüber. Ich liebe gewissermaßen das Eisenbahnfahren; obwohl man alle Bilder eben nur augenblicksweise kennenlernt, so ist ja unser Leben überhaupt nur eine flüchtige Durchfahrt ohne bleibenden Halt, und glücklich sind wir, wenn es sich so darbietet, in seiner schönsten Blüte. Im Wagen zu fahren ist mir zu unpoetisch; wenn man in den tiefsten Gedanken sich befindet, entsteht plötzlich ein Rüttern und Schüttern, daß der Kopf ganz verwirrt wird. Geht man zu Fuß, so wird oft ein erhabener Eindruck durch Gegenstände gestört, die man eben beim Spazierengehen findet. – Auch meine alte Pforta sah ich liegen, wünschte aber nicht dorthin zu fahren und vertröstete sie auf vier Wochen. Die Rudelsburg lag bald vor uns und der alte Samiel winkte mit einem Tuche und forderte uns zum Besuche auf. Die Gegend ist dort wirklich wunderschön, das Tal wie ein Blumenteppich, auf dem sich eine silberne Schlange hinschlängelt. Die grauen Wächter der Vergangenheit blicken öde auf das neue Leben, das sich vor ihnen ausbreitet. In Apolda verließ ich den Wagen und bestieg den Omnibus. Unglücklicherweise war alles schon so besetzt, daß ich auf dem Bock allein noch Platz fand. Hier brannte nun mitunter (denn die Sonne wurde gewöhnlich mit Wolken verhüllt und durchbrach diese bisweilen), brannte sie so heftig, als wollte sie uns braten. So ist es auch in einem Herzen, das von allem Möglichen verhindert wird sich zu ergießen und dann stellenweise überwallt und die Ufer überschwemmt. Von der heißen Chaussee wand sich der Weg zwischen zwei Bergrücken hin, die merkwürdig miteinander[68] kontrastierten. Der eine ist ganz mit Wald und Flur überdeckt, während der andere sich kahl und öde hinzieht. Die Höhe erhebt sich schon bis tausend Fuß, während hinter Jena sich der Fuchsturm bis zu zweitausend erhebt. Bald sahen wir Jena vor uns liegen mit seinen Türmen und Bergen. Mir wird jedesmal ganz gemütlich, wenn ich die kleine, schöngelegene Universitätsstadt betrachte. Ich ließ mich zurechtweisen und fand die Wohnung meines Onkels. Die liebe Tante empfing mich sehr freundlich und ich fühlte mich ganz heimisch. Der Onkel, den ich noch gar nicht kannte, hat einen sehr liebenswerten Charakter und hat mich in allem, worüber ich fragte, belehrt. Überhaupt erging es mir dort so wohl, und so interessant, so daß ich nicht wüßte, wo ich angenehmere Ferien verlebt hätte. Am ersten Morgen ging ich mit dem Onkel auf den Hausberg, auf dem Ziegenhain mit dem Fuchsturm liegt. Ich lernte da Jena von einer sehr schönen Seite kennen; unter mir zog sich die Saale hin und umschloß teilweise die Stadt, die mit ihren engen Straßen und hohen Häusern ein zwar altertümliches, aber gemütliches Aussehen hat. Darauf mußte der Onkel das Rathaus besuchen, ich aber schlenderte noch in der Stadt herum, indem ich die Wohnungen berühmter Männer aufsuchte, was mir großes Vergnügen machte. Mittag gingen wir zur Badeanstalt und schwammen da in Begleitung eines Kahnes die Saale hinauf, was sehr anstrengt. Dann mundete auch das treffliche Mittagbrot vorzüglich. Den Nachmittag las ich gewöhnlich in des Onkels Bibliothek; ich fand da Novalis (dessen philosophische Gedanken mich interessierten), Geibel, Redwitz, mehrere Mustersammlungen, Schillers Gedichte, erläutert von Viehoff usw. Den Abend kam der Onkel wieder und dann machten wir zusammen Partien in die Umgebung. Da will ich zuerst die Kunitzburgpartie erzählen. Nachdem wir in der Wiese am Jensig vorübergegangen waren, erschienen bald die alten Trümmer jener Burg auf der Stirn des Berges. Da wir über den Weg übel berichtet waren, verloren wir bald den Weg und klommen mit unsäglicher Mühe aufwärts, indem wir uns an Sträuchern und Büschen festhielten. Endlich – endlich! Mir troff der Schweiß in Strömen hernieder und ich muß sagen, eine so große Anstrengung hatte ich wohl noch nicht ausgehalten. Man hat übrigens einen reichen Lohn für all die Mühe. Über uns ging gerade die Sonne unter und im Tale wallten[69] die Nebel auf und nieder. Es ist wunderschön, so in den Trümmern der Vergangenheit zu weilen. Von diesen morschen Fenstern blickten einst kühne Ritter in die Weiten und von hier aus überfielen sie die Kaufleute, die sorglos der Saale entlangzogen. Aber es ist schwer, sich auf den Standpunkt des Mittelalters zu versetzen, wir stellen uns das Leben immer übertrieben vor, entweder ideal romantisch oder als einen Abschaum von Faustrecht, Mord, Straßenraub. Wenn ich daran denke, erscheinen mir mutige Ritter, die für Gott und Ehre alle ihre Gegner in den Staub warfen, die bald mit der Gitarre süße Lieder durch die finstre Nacht erschallen lassen, bald im wilden Ungestüm die Welt durchstreifen und kühne Abenteuer aufsuchen. – Aus dem Mittelalter wurden wir aber durch einen berühmten Kunitzburger Eierkuchen recht vollständig der Gegenwart zugewendet, die dann auch wieder in ihre vollen Rechte trat, als wir den Abend uns recht müde und matt zur Ruhe legten. –
Den Glanzpunkt meines Lebens in Jena bildete jedenfalls der Verkehr mit den Studenten. Hierzu kam ich auf folgende Weise. Mein Onkel ist als ehemaliger Stifter der Teutonia Ehrenmitglied derselben. Da nun einst ein Herr Ökonomierat ein altes Versprechen durch vier Tonnen löste, wurde der Onkel mit zu diesem Fest eingeladen. –
– Die weitere Beschreibung muß ich jetzt unterlassen und etwas von meinem Leben in Pforta nachholen. Den Sonntag, den 3. September, hatte ich mich mit Krämer von nach Tische bis acht Uhr losgemacht. Es war sehr hübsch und gemütlich in Naumburg, besonders für Krämer, der sein Examen glücklich bestanden hat. Es sind alle außer dem Extraneer Neumann durchgekommen; vorigen Sonnabend war die Entscheidung. Krämer erzählte uns, wie es allen durch Mark und Bein gegangen wäre und alle sonstige Freude vertrieben hätte. Um halb zwölf Uhr gingen dann alle Abiturienten in den Speisesaal, indem jeder zwei oder mehrere andre mit sich nahm. Ich kam auch zu dieser Ehre. Hier wurden unter andern die berühmten Abiturientenklöße gegessen. –[70]
– Neulich war auch die Tante Ehrenberg mit der Mama bei Rektors. Ich führte sie überall herum. Wie sie fortfuhren, drückte mir die Tante noch einen Taler in die Hand, was auch ganz angenehm war. –
– Montag war Extraneersatz. Es gab da zur Vesper zwei Gläser Wein und ein tüchtig Stück Kuchen. Auch alle Extraneer waren im Coenakel, eine Ehre, die ihnen nur eben hierbei, bei Carenen und bei den Abiturientenklößen zuteil wird. –
– Mittwoch reisen unsre Abiturienten ab; bis dahin sind sie exlex, d. h. von allen Fesseln der Schulordnung entbunden. Sie führen da ein ganz gemütliches Leben. – Wenn sie abgefahren sind, machen wir Sänger eine Partie nach der Rudelsburg, worauf ich mich sehr freue. Wir hatten Mittwoch der Abiturienten wegen Ausschlafetag. Um neun Uhr war Aktus im Betsaal, in dem alle in kurzen Worten von der Schule Abschied nahmen. Ich glaube, nie ist die Stimmung im Coetus ernster als an diesem Tag. Da sieht man keine lachenden Mienen, denn ein jeder hat unter den allen wenigstens einen, dem er wahr zugetan ist. Um ein Uhr erschienen zwei vierspännige Extraposten mit zwei Vorreitern. Die Postillione waren alle mit großen Stiefeln und ihrer bunten Uniform bekleidet, sie ergötzten alle durch ihr gutes Blasen und schlechte Witze; endlich erschienen die Abiturienten, die bei ihren Tutoren gespeist und Abschied genommen hatten. Sie waren alle sehr erregt; alles drängte sich um sie herum, die meisten sagten Adieu, Freunden und Näherstehenden durch Küsse und Umarmungen, den andern durch Händedruck. Es war ein sehr ergreifender Augenblick; vielen standen Tränen in den Augen, wie die Abgehenden noch den Coetus leben ließen und dann fortfuhren. Auch Prof. Buddensieg war durch den Fortgang seines Famulus sehr tief bewegt; er hatte viel geweint. – –
Um drei Uhr ging es dann auf die Rudelsburg. Der Weg und der Himmel war wunderschön und der Blick von der Rudelsburg in das Tal ganz bezaubernd. Mir konnte in dieser Umgebung gar keine Langeweile ankommen, so sehr auch einige darüber klagten. Wir sangen ziemlich viel vor der Menge von Fremden. Um halb sieben begaben wir uns wieder zurück. Da eine große Anzahl von Damen mit zurückgingen, wurde noch wunderhübsch gesungen. Herr Prof. Korssen war ungemein lustig und ergötzte alle durch seine furchtbar[71] schreiende Stimme und seine Witze. Wir kamen erst dreiviertel acht zurück, zum Ärger aller anderen, die unterdessen im Kreuzgang von sieben an gewartet hatten.
Den Sonntag war ich in Almrich, obwohl ein heftig strömender Regen uns beinahe verhindert hätte. Um so angenehmer war es mir, daß ich auch die Tante Ida aus Pobles fand, die die Mama auf einige Tage besuchte. Sie begleitete mich auch, als meine Zeit um war, bis nach Pforta, und ich konnte ihr noch meine Stube und den Primanergarten zeigen. –
– Meinen Tristram Shandy habe ich bekommen. Ich lese jetzt den ersten Band und lese ihn immer wieder von neuem. Zuerst verstand ich das meiste nicht, ja sogar es gereute mich, ihn gekauft zu haben. Jetzt aber zieht er mich ungemein an; ich notiere mir alle frappanten Gedanken. Mir ist eine so allseitige Kenntnis der Wissenschaften, eine solche Zergliederung des Herzens noch gar nicht vorgekommen. –
Hinsichtlich meiner Geldangelegenheiten stehe ich mich jetzt folgendermaßen: fünfzehn Sgr. von dem Taler kommen für jenes Buch nach Naumburg; von den anderen hebe ich mir zehn Sgr. auf zu jener Michaelispartie, zu der ich mir übrigens noch zehn Sgr. von Prof. Buddensieg geben lasse. Ich will jetzt übrigens auch einige unnötige Bücher verkaufen. –
– Ich will nun in der Beschreibung meiner Ferien fortfahren. Ich befand mich im letzten Kapitel noch in Jena und war eben im Begriff, mein Zusammentreffen mit Teutonen zu schildern. – Mit Studenten? Ja, ja, und sogar mit einer durch Trinken und Duellieren berüchtigten Verbindung. Etsi Plato meus amicus est, d. h. obgleich ich sonst der kleinen Universitätsstadt zugetan bin, tamen veritatem ducem sequor, so geht es doch in Jena noch ziemlich wild her, obgleich es in früheren Zeiten noch schlimmer gewesen sein mag.
– Wer von Jena kommt ungeschlagen,
Der hat von großem Glück zu sagen! –
Da hatte ich einmal wieder rechten Unsinn geschrieben (an dem dieses Buch überhaupt reich ist). Ich habe die Blätter bei späterem Lesen herausgerissen. –[72]
– Ich befinde mich jetzt in ganz anderer Lage als damals, wo ich das vorige geschrieben habe. Damals grünte und blühte noch der Spätsommer, jetzt – o weh – ist Spätherbst. Damals war ich Untertertianer, jetzt bin ich eine Stufe vorgerückt. Damals war noch Mama und Lisbeth in Naumburg, jetzt sind sie schon seit den Michaelisexkursionstagen in Gorenzen usw.
– Ich habe meinen Geburtstag erlebt und bin älter geworden. – Die Zeit vergeht wie die Rose des Frühlings und die Lust wie der Schaum des Baches. –
Mich hat jetzt ein ungemeiner Drang nach Erkenntnis, nach universeller Bildung ergriffen; Humboldt hat diese Richtung in mir angeregt. Wenn sie doch so beständig wie meine Zuneigung zur Poesie wäre! –
Ich habe von der frühesten Kindheit an Steckenpferde gehabt. Das erste waren die Blumen und Pflanzen, die Hülle der Erde. Das habe ich indes nur durch Traditionen gehört. – Dann kam die Liebe zur Baukunst (natürlich hauptsächlich auf Baukasten gegründet), die ich in allen Formen ausgebildet habe. Noch sehr klein, erinnere ich mich während der Kirchzeit in Röcken eine kleine Kapelle gebaut zu haben. Später wurden dies prachtvolle Tempel mit mehreren Säulenreihen, hohe Türme mit gewundenen Treppen, Bergwerke mit unterirdischen Seen und innerer Beleuchtung und endlich Burgen, die zugleich mit meiner dritten Liebe zum Kriegswesen, angeregt vorzüglich durch den großen russischen Krieg. Zuerst wurden Belagerungsmaschinen erdacht (ich habe ein Büchlein über Kriegslisten geschrieben), Bücher über Militär- und Seewesen angeschafft, große Pläne zur Ausrüstung eines Schiffes gemacht, zahlreiche Schlachten und Belagerungen vollzogen, bei denen mit brennenden Pechkugeln geschleudert wurde, und dies alles waren eigentlich nur Mittel zu einem großen Zweck, zu einer großen Völkerschlacht, die aber in den Rüstungen dazu endete. Die Liebe zum Soldatenwesen zeigte sich auch schon im Anfertigen eines großen militärischen Generallexikons; aber das Ende war Sebastopols Untergang. Aber ein sogenanntes Theater des arts führte mich auf Bühnenwesen; wir versuchten selbst etwas zu dichten und aufzuführen, zuerst die Götter im Olymp. Zugleich begann bei mir die Neigung zur Poesie, schon im neunten Jahre, kleine Versuche wiederholten sich jährlich. Im elften Jahre trat die Neigung zuerst zur Kirchenmusik[73] und endlich zu eigener Komposition; die Ursache habe ich anderswo angegeben; auch die Liebe zur Malerei stammt aus dieser Zeit, hervorgerufen durch die jährlichen Gemäldeausstellungen. – Diese Neigungen folgen nicht unmittelbar aufeinander, sondern sind ineinander verwoben, daß es unmöglich ist, Anfang und Ende zu bestimmen. Nun kommen noch spätere Neigungen zur Literatur, zur Geologie, zur Himmelskunde, Mythologie, deutschen Sprache (althochdeutsch) usw. hinzu, so daß folgende Gruppen entstehen:
1. Naturgenuß a) Geologie
b) Botanik
c) Himmelskunde
2. Kunstgenuß a) Musik
b) Poesie
c) Malerei
d) Theater
3. Nachahmungen des Handelns und Treibens
a) Kriegswesen
b) Baukunst
c) Seewesen
4. Lieblingsneigung in den Wissenschaften
a) guter lateinischer Stil
b) Mythologie
c) Literatur
d) deutsche Sprache
5. Innerer Trieb zu universeller Bildung umfaßt alles andere und fügt vieles Neue hinzu
Sprachen Künste
1. Hebräisch 1. Mathematik
2. Griechisch 2. Musik
3. Lateinisch 3. Poesie
4. Deutsch 4. Malerei
5. Englisch 5. Plastik
6. Französisch usw. 6. Chemie.
7. Architektur usw.
[74]
Nachahmungen Wissen
1. Militärische Wissenschaft 1. Geographie
2. Seewissenschaft 2. Geschichte
3. Kenntnis der verschiedenen 3. Literatur
Gewerbe usw. 4. Geologie
5. Naturgeschichte
6. Altertum usw.
und über alles Religion, die Grundveste alles Wissens!
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro