5.
An Franziska Nietzsche

[935] [Pforta, Ende Februar 1862]


Liebe Mamma! So hast Du nun die liebe Lisbeth auf lange Zeit fortgebracht, die sich gewiß recht zurücksehnen wird und sich wenig[935] heimisch in dem großen Dresden wissen wird. Du selbst hast dort gewiß einige schöne Tage, besonders in Rückerinnerung an vergangne Zeiten erlebt; denn durch die Zeit wird alles teuer, was uns einmal in Freude und Erstaunen versetzt hat. Und schwer wirst Du von Dresden und Lisbeth geschieden sein – das weiß ich recht wohl. – Wie es nun mit ihren Verhältnissen steht, davon weiß ich gar nichts; schreib mir recht lang und ausführlich, wie wir uns überhaupt etwas ausführlicher schreiben können, da Du weniger Zeit zur Wirtschaftsbesorgung verwenden brauchst. Wenn sie nur in einer recht vornehmen Pension untergebracht ist! Mir will Dresden nicht recht gefallen, es ist nicht großartig genug und in seinen Eigenheiten, auch in Sprache den thüringischen Elementen zu nahe verwandt. Wäre sie z. B. nach Hannover gekommen, so hätte sie völlig verschiedene Sitten, Eigentümlichkeiten, Sprache kennengelernt; es ist immer gut, wenn der Mensch, um nicht einseitig zu werden, in verschiedenen Regionen erzogen wird. Sonst als Kunststadt, kleine Residenz, überhaupt zur Ausbildung von E[lisabeths] Geist wird Dresden völlig genügen und ich beneide sie gewissermaßen. Doch glaube ich, in meinem Leben noch viel dergleichen genießen zu können. Im allgemeinen bin ich begierig zu hören, wie sich Elisabeth in ihren neuen Verhältnissen macht. Ein Risiko ist so eine Pension immer. Aber ich habe viel gutes Zutraun zu Elisabeth. – Wenn sie nur noch hübscher schreiben lernte! Auch wenn sie erzählt, muß sie diese vielen »Ach« und »Oh's«, »Du kannst gar nicht glauben, wie herrlich, wie wundervoll, wie bezaubernd usw. das war« das muß sie weglassen. Und so vieles, was sie hoffentlich in feiner Gesellschaft und bei größerem Aufpassen auf sich selbst vergessen wird. – Nun, liebe Mamma. Montag kommst Du doch heraus? 4-7 ist die Aufführung. Herrn Dr. Heinze habe ich um ein Billet angesprochen. Einen großen Gefallen tätest Du mir, wenn Du mir etwa 1/2 Mandel Eier und Zucker heraussendetest, da zu unsern Proben, täglich zweimal, und am Haupttage dreimal eine solche Stimmreinigung unumgänglich nötig ist. Lebe recht schön wohl, liebe Mamma!

Dein Fritz


Zum Lesen, wofür Du viel Zeit nun haben wirst, schlage ich Dir Auerbachs »Barfüßele« vor, was mich hoch entzückt hat. –[936]

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 935-937.
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Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
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