|
[1025] Maderanertal, Montag, 8. Aug. 1870
Verehrtester Herr Ratsherr, in der gegenwärtigen Lage Deutschlands darf Ihnen mein Entschluß nicht unerwartet sein, daß auch ich[1025] meinen Pflichten gegen das Vaterland zu genügen suche. In dieser Absicht wende ich mich an Sie, um mir – durch Ihre Fürsprache bei dem wohllöbl. Erziehungskollegium – Urlaub für den letzten Teil des Sommersemesters zu erbitten. Mein Befinden ist jetzt derart gekräftigt, daß ich ohne jede Bedenklichkeit als Soldat oder als Krankenpfleger mich nützlich machen kann. Daß ich aber auch das geringe Scherflein meiner persönlichen Leistungsfähigkeit in den Opferkasten des Vaterlandes werfen muß, das wird niemand so natürlich und billigenswert finden als gerade eine schweizerische Erziehungsbehörde. Wenn ich auch mir wohl bewußt bin, welcher Kreis von Pflichten in Basel von mir auszufüllen ist, so könnte ich mich – bei dem ungeheuren Rufe Deutschlands, daß jeder seine deutsche Pflicht tue – doch nur mit peinlichem Zwange und ohne wirklichen Nutzen in ihrem Banne festhalten lassen.
Soviel ich vor drei Wochen gehört habe, ist Herr Mähly imstande und gern bereit, seine Stunden im Pädagogium wieder zu übernehmen, und vielleicht wird Herr Hagenbach oder Herr Gelzer bestimmt werden können, in diesem außerordentlichen Falle den griechischen Unterricht der dritten Klasse in diesem Semester zu Ende zu führen; jedenfalls werde ich persönlich, falls Sie mir die Erlaubnis dazu geben, diese Herren um Unterstützung bitten.
Ich komme sofort nach Basel, um die Entscheidung einer wohllöbl. Erziehungsbehörde zu vernehmen und noch einige Anordnungen zu treffen. Bis dahin empfehle ich mich Ihrer Gewogenheit, die mir hoffentlich auch in diesem Falle zur Seite stehen wird.
Mit ehrerbietigem Gruße
Ihr ergebenster Dr. Friedrich Nietzsche
Prof. o. p.
Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
|