70.
An Gustav Krug

[1069] Basel, 24. Juli 1872


Mein lieber Gustav, diesmal trenne ich mich wirklich recht schwer von Deiner Musik, wie von etwas, was mir täglich lieber und sympathischer wurde und das man endlich nur mit Widerwillen der Post zum Lange-Nichtwiedersehen-Hören anvertraut. Verliebt habe ich mich in Deine Musik: nur möchte ich mehr Musiker sein, um sie noch unbehinderter schlürfen zu können. Mindestens wünschte ich mir ein recht schönes vierhändiges Arrangement, von einem Meister des Klaviers und der jetzigen Technik gemacht. Deine Musik trieft, um biblisch zu reden, vom Öle der Anmut und Wehmut; wie komme ich mir dann immer vor mit meinen plumpen Geschäften und täppischen fortissimis mit tremolis, wenn ich Deine Stimmenführungen sehe, wie schöngeschuppte graziöse Schlangen, und Deine Kontrapunktik studiere! Wirklich, mein lieber Freund, aus Dir braucht nichts zu werden: denn Du bist was geworden: ein tüchtiger Musiker, während unsereins sich mit »Dionysisch« und »Apollinisch« lächerlich macht. Wie unvergleichlich ist, gegen jedes Theoretisieren gehalten, jedes wirkliche Produzieren! Sei aber zufrieden, bei der innerlichen Art Deiner Musik, daß Du einen sogenannten Beruf hast, der gar nichts »Dionysisches« in sich trägt: denn es ist schädlich, so musikalisch schwermutsvoll auf dem Bauche zu liegen, wie ein Bär auf seiner Bärenhaut, »alle sechs Tagewerke im Busen fühlen«, wie Faust sagt – ich wenigstens habe wieder einmal für sechs Jahr das Musikmachen verschworen. »Der Ozean warf mich wieder einmal ans Land«, im vorigen Winter, nämlich auf die Sandbank der Dir bekannten Kompositionen. Damit soll's aber genug sein. Ich gerate, wie diese Kompositionen beweisen, in wahrhaft skandalöser Weise ins Phantastisch-Häßliche, ins Ungeziemend-Ausschweifende. Und ich erwartete von[1069] Deiner Seite, einigen Schimpf und Schmach davonzutragen. Solltest Du aber für Manfred eine wirkliche Art von Neigung haben, wie Dein Brief gütig genug war zu versichern, so warne ich Dich ganz ernsthaft, lieber Freund, vor dieser meiner schlechten Musik. Laß keinen falschen Tropfen in Deine Musikempfindung kommen, am wenigsten aus der barbarisierenden Sphäre meiner Musik. Ich bin ohne Illusionen – jetzt wenigstens.

Verlange nur von mir nichts Kritisches – ich habe keinen guten Geschmack und bin, in meinen musikal. Kenntnissen, recht heruntergekommen, kann auch, wie Du gesehn hast, gar nicht mehr orthographisch schreiben. – Ich bin jetzt nur soviel Musiker, als zu meinem philosophischen Hausgebrauche eben nötig ist.

Die Rohdesche Anzeige ist Dir und Wilhelm von Tegernsee aus durch Gersdorff geschickt worden. In Bälde erscheint eine Gegenschrift gegen das philologische Pamphlet; hast Du den Wilamo-Wisch (oder Wilam ohne Witz?) gelesen? Welch übermütig-jüdisch angekränkeltes Bürschchen! Es bekommt aber Prügelchen! Ist nicht zu hindern!

Natürlich habe ich mit dieser Züchtigung nichts zu tun. Denn ich muß nur durch eins das schimpfende unzufriedene Pack widerlegen, ärgern und erzürnen – durch den wohlgemuten Weitermarsch auf der vor mir erschlossenen Bahn, d. h., ich bin wieder produktiv gestimmt wie die Kater im Lenz.

Im Herbst komme ich wahrscheinlich nach Naumburg.

Ich wünsche Dir von Herzen Glück zu Deinen juristischen Absichten: so chaotisch mir wird, wenn ich an Euren Gesetzeswust denke, so siegreich tauche aus diesem Strudel empor – laufe Deine Bahn, lieber Freund, »freudig wie ein Held zum Siege« (Bayreuther Angedenkens!).

Leb wohl! Leb wohl! Da fällt mir ein, Dir noch nicht gesagt zu haben, daß der Tristan notwendig von Dir gehört werden muß. Es ist ein grenzenlos großartiges Werk und verleiht dem Menschen das höchste Glück, die höchste Erhabenheit, die höchste Reinheit. Mündlich mehr.

Dein F. N.[1070]

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1069-1071.
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