125.
An Malwida von Meysenbug

[1150] [Basel, 11. Juni 1878]


Wer hat denn am 30. Mai an mich gedacht? Es kamen zwei sehr schöne Briefe (von Gast und Rée) – und dann noch etwas Schöneres: ich war ganz ergriffen – – das Schicksal des Mannes, über den es auch nach 100 Jahren nur Partei-Urteile gibt, stand mir als furchtbares Symbol vor Augen: gegen die Befreier des Geistes sind die Menschen am unversöhnlichsten im Haß, am ungerechtesten in Liebe. Trotzdem: ich will stille meinen Weg gehen und auf alles verzichten, was mich daran hindern könnte. Die Krisis des Lebens ist da: hätte ich nicht das Gefühl der übergroßen Fruchtbarkeit meiner neuen Philosophie, so könnte mir wohl schauerlich einsam zumute werden. Aber ich bin mit mir einig.

– Mit Sorrent ist nun bei uns das Bild des guten Albert Brenner für immer verknüpft; rührend und melancholisch – das Grab des Jungen-Alten in dieser ewig jugendlichen heiteren Welt. – Von ganzem Herzen Ihnen gut und zugetan

F. N.[1150]

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1150-1151.
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Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
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