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[1183] Tautenburg, 13. Juli 1882
Mein lieber Freund, keine Worte höre ich lieber aus Ihrem Munde als »Hoffnung« und »Erholung« – und nun mache ich Ihnen diese gräßliche Korrektur-Not gerade in diesem Zustande, wo es paradiesisch um Sie zugehen sollte!
Kennen Sie meine Harmlosigkeiten aus Messina? Oder schwiegen Sie darüber, aus Artigkeit gegen ihren Urheber! – Nein, trotzdem, was der Vogel Specht in dem letzten Gedichtchen sagt – es steht mit meiner Dichterei nicht zum besten. Aber was liegt daran! Man soll sich seiner Torheiten nicht schämen, sonst hat unsre Weisheit wenig Wert.
Jenes Gedicht »An den Schmerz« war nicht von mir. Es gehört zu den Dingen, die eine vollständige Gewalt über mich haben; ich habe es noch nie ohne Tränen lesen können: es klingt wie eine Stimme, auf welche ich seit meiner Kindheit gewartet und gewartet habe. Dieses Gedicht ist von meiner Freundin Lou, von welcher Sie noch nicht gehört haben werden. Lou ist die Tochter eines russischen Generals, und zwan zig Jahre alt; sie ist scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe und zuletzt doch ein sehr mädchenhaftes Kind, welches vielleicht nicht lange leben wird. Ich verdanke sie Fräulein von Meysenbug und Rée. Jetzt ist sie bei Rées zu Besuch, nach Bayreuth kommt sie hierher nach Tautenburg, und im Herbst siedeln wir zusammen nach Wien über. Sie ist auf die erstaunlichste Weise gerade für meine Denk- und Gedankenweise vorbereitet.
Lieber Freund, Sie erweisen uns beiden sicherlich die Ehre, den Begriff einer Liebschaft von unserm Verhältnis fernzuhalten. Wir sind Freunde und ich werde dieses Mädchen und dieses Vertrauen zu mir heilig halten. – Übrigens hat sie einen unglaublich sicheren Charakter und weiß selbst sehr genau, was sie will – ohne die Welt zu fragen und sich um die Welt zu bekümmern.
Dies für Sie und für niemanden sonst. Aber wenn Sie nach Wien kämen, wäre es schön!
In treuer Gesinnung
Ihr Freund F. N.[1183]
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