198.
An Elisabeth Nietzsche

[1232] April 1885.

Adresse: Venezia, poste restante


Mein liebes, liebes Lama, eigentlich kommt mir alles sehr wunderbar vor, zum Beispiel, daß Du da so, Dir nichts, mir nichts, mit einem fremden Manne Dich abgibst und sogar in die weite weite Welt gehen willst. Nun habe ich gleich an Overbeck geschrieben, von wegen des Dürerschen Blattes, das freilich mir viel zu düster vorkommt; dann will ich Dir auch noch mein buntes persisches Handexemplar meines Zarathustra schicken, Du kannst es in irgendeinem amerikanischen Urwalde aufstellen, als Fetisch. Auch sende ich zugleich 2 Exemplare des vierten Teils, für Dich und Herrn Dr. Förster, mit der ausdrücklichen Bitte, daß dieser vierte Teil überallhin verschwiegen wird, wie als nicht vorhanden. – Kommt später die Frage in die Nähe, was alles mit hinüber genommen werden soll in die neue Heimat: so möchte ich dann gern etwas von dem, was am notwendigsten ist, beschaffen dürfen, als eine Art »Hochzeits-Geschenk post festum«. Die Schmeitznersche Angelegenheit nimmt ja einen Verlauf, daraufhin ich ja wagen dürfte, sogar Geschenke zu machen: zunächst kommt dann mein Drucker Herr C. G. Naumann, welcher 284 Mark 40 Pfennige verlangt. Deine Vorschläge für die Zukunft klingen nicht übel auf meinem Resonanz-Boden wider; für die Sorge, die sich darin ausdrückt, weiß ich nicht genug zu danken. Meine Gegen-Bemerkung ist, daß vielleicht alle Sorgen für meine Zukunft[1232] mit einem Male abgetan sein könnten. Ich ertrage vormittags das Leben, aber kaum mehr nachmittags und abends; und es scheint mir sogar, daß ich genug getan habe, unter ungünstigen Umständen, um mich mit Ehren aus dem Staube machen zu können. – Dann werde ich zu blind, um noch viel lesen und schreiben zu dürfen, es fällt mir fast jeden Tag genug ein, daß deutsche Professoren daraus zwei dicke Bücher machen könnten. Aber ich habe niemanden, für den das Zeug paßt. Es ist so viel Unerlaubtes darunter; es tut andern wehe. Ich gestehe, daß ich ganz gerne hier und da eine Vorlesung halten würde, ganz ziemlich und schicklich, als Moralist und großer »Erzieher«, der nicht auf den Kopf gefallen ist; aber Studenten sind so dumm, Professoren sind noch dümmer! Und wo! In Jena? Ich habe jetzt keinen Ort mehr, wo ich gern bin, ausgenommen Venedig: nur daß der hohe Gehalt der Feuchtigkeit der Luft, 90 Prozent, mich malträtiert. Nizza und Oberengadin sind sehr trocken.

Übrigens rührt es mich, daß Ihr den 22. Mai als Hochzeitstag gewählt habt: mir ist immer zumute, als ob Du Dich, in allen möglichen Beziehungen, auf einen Fleck Erde niedergelassen und festgesetzt hast, wo ich einmal früher gesessen habe; alles was Du tust, ist mir Erinnerung, Nachklang. Ich selber – ich bin schrecklich weit davongelaufen, und habe niemanden mehr, dem ich auch nur erzählen möchte, wohin. Glaube ja nicht, daß mein Sohn Zarathustra meine Meinungen ausspricht. Er ist eine meiner Vorbereitungen und Zwischen-Akte. – Verzeihung!

Gersdorff kommt den Sommer in die Schweiz mit seiner kranken Frau. Lanzkge schrieb, zu meinem großen Erstaunen, kürzlich einen großen Dankes-Brief hierher! wie ein ganz umgewandelter Mensch –, und ich soll daran schuld sein! So sind die Bemühungen dieses Winters vielleicht doch nicht so umsonst gewesen, wie andre Bemühungen. – Ein alter Holländer aus Haarlem hat mir ein »Huldigungsschreiben« geschickt: »daß, nach dem Tode Schopenhauers, ich« usw. – Die Leute wissen und riechen nicht genug, wohin es mit mir geht. Ich bin ein gefährliches Tier und eigne mich schlecht zum Verehrtwerden.

Die akadem. Gesellschaft in Basel hat für 3 Jahre wieder die 1000 frs. Pension erneuert, insgleichen sind die 1000 frs. aus dem Heuslerschen Fonds seitens der Universitäts-Regenz mir auch wieder zuerkannt.[1233] Der Staats-Beitrag von 1000 frs. geht mit diesem Jahre (nicht schon mit dem Juni) zu Ende, und es ist kaum wahrscheinlich, daß er erneuert wird. Dies ist die »Sachlage«. –

Unsrer lieben Mutter habe ich gleich nach Empfang der schönen Sendung geantwortet; was für gute Hemden! Was für Honig! Danke ihr nochmals in meinem Namen. – Ich weiß nicht, wohin ich diesen Sommer gehe. Ein tiefer Wald wäre das Beste, aber es müßten heitere Menschen da sein, vor denen ich nicht auf der Hut zu sein not habe. – Alles was für »Emanzipation der Weiber« schwärmt, ist langsam, langsam dahinter gekommen, daß ich »das böse Tier« für sie bin. In Zürich, unter den Studentinnen, große Wut gegen mich. Endlich! – Und wie viele solche »Endlichs« habe ich abzuwarten! – – In Liebe

Dein Bruder


Ich habe schrecklich hier gewohnt, bin umgezogen, und nun ist's noch schlimmer. Niemand sorgt für so etwas. O Genua! und Nizza!

Himmel! Ich muß doch selber die drei ersten Zarathustras haben! Also bitte, schicke mir umgehend die drei Hefte aus dem Naumburger Vorrate. Du bekommst, wie gesagt, mein Exemplar.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1232-1234.
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Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
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