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[1236] Leipzig, den 15. Oktober 1885
Werter und sehr lieber Herr, Ihr Brief, den ich gestern auf der Post entdeckte, hat mich gerührt: Sie haben recht – und was hülfe es zu beweisen, daß wenigstens meinerseits kein Unrecht gegen Sie begangen ist? Ich mache es, wie kranke Tiere der Wildnis und verstecke mich in meine »Höhle« – Leipzig ist noch mehr Höhle in diesem Sinne als es Naumburg sein konnte. Die Reise nach dem Norden ist mir nicht zum besten geraten; die Gesundheit immer trübe und bewölkt, einige Geschäfte, welche Eile zu haben schienen, wollen sich durchaus nicht zu Ende wickeln lassen. Und so weiter.
Gestern sah ich Rées Buch über das Gewissen: – wie leer, wie langweilig, wie falsch! Man sollte doch nur von Dingen reden, worin man seine Erlebnisse hat.
Ganz anders empfand ich bei dem Halb-Roman seiner Soeur inséparable Salomé, der mir scherzhafterweise zugleich vor die Augen kam. Alles Formale daran ist mädchenhaft, weichlich, und in Hinsicht auf die Prätension, daß ein alter Mann hier als erzählend gedacht werden soll, geradezu komisch. Aber die Sache selber hat ihren Ernst, auch ihre Höhe; und wenn es gewiß nicht das Ewig-Weibliche ist, was dieses Mädchen hinanzieht, so vielleicht das Ewig-Männliche.[1236]
Ich vergaß zu sagen, wie hoch ich die schlichte, klare und beinahe antike Form des Reeischen Buches zu schmecken weiß. Dies ist der »philosophische habitus«. – Schade, daß nicht mehr »Inhalt« in einem solchen Habit steckt! Unter Deutschen aber ist es nicht genug zu ehren, wenn jemand in der Art, wie es R. immer getan hat, dem eigentlich deutschen Teufel, dem Genius oder Dämon der Unklarheit, abschwört. – Die Deutschen halten sich für tief.
Aber was tue ich! Der Höhlenbär fängt an zu brummen – – Bleiben wir allesamt hübsch tapfer auf unserm Posten, auch mit einiger Nachsieht gegeneinander: denn eines schickt sich durchaus nicht für zweie. Und vor allem: so wenig als möglich brummen!
Treulich Ihr N.
(In einer Stunde geht's nach Naumburg: ich will da endlich den Dr. Förster einmal sehen.)
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