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[59] Der Entsagende. – Was tut der Entsagende? Er strebt nach einer höheren Welt, er will weiter und ferner und höher fliegen als alle Menschen der Bejahung – er wirft vieles weg, was seinen Flug beschweren würde, und manches darunter, was ihm nicht unwert, nicht unliebsam ist: er opfert es seiner Begierde zur Höhe. Dieses Opfern, dieses Wegwerfen ist nun gerade das, was allein sichtbar an ihm wird: danach gibt man ihm den Namen des Entsagenden, und als dieser steht er vor uns, eingehüllt in seine Kapuze und wie die Seele eines härenen Hemdes. Mit diesem Effekte, den er auf uns macht, ist er aber wohl zufrieden: er will vor uns seine Begierde, seinen Stolz, seine Absicht, über uns hinauszufliegen, verborgen halten. – Ja! Er ist klüger, als wir dachten, und so höflich gegen uns – dieser Bejahende! Denn das ist er gleich uns, auch indem er entsagt.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 59.
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Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.5, Bd.2, Idyllen aus Messina; Die fröhliche Wissenschaft; Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 - Sommer 1882
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Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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