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[39] Unbedingte Pflichten. – Alle Menschen, welche fühlen, daß sie die stärksten Worte und Klänge, die beredtesten Gebärden und Stellungen nötig haben, um überhaupt zu wirken, Revolutions-Politiker, Sozialisten, Bußprediger mit und ohne Christentum, bei denen allen es keine halben Erfolge geben darf: alle diese reden von »Pflichten«, und zwar immer von Pflichten mit dem Charakter des Unbedingten – ohne solche hätten sie kein Recht zu ihrem großen Pathos: das wissen sie recht wohl! So greifen sie nach Philosophien der Moral, welche irgendeinen kategorischen Imperativ predigen, oder sie nehmen ein gutes Stück Religion in sich hinein, wie dies zum Beispiel Mazzini[39] getan hat. Weil sie wollen, daß ihnen unbedingt vertraut werde, haben sie zuerst nötig, daß sie sich selber unbedingt vertrauen, auf Grund irgendeines letzten indiskutablen und an sich erhabenen Gebotes, als dessen Diener und Werkzeuge sie sich fühlen und ausgeben möchten. Hier haben wir die natürlichsten und meistens sehr einflußreichen Gegner der moralischen Aufklärung und Skepsis: aber sie sind selten. Dagegen gibt es eine sehr umfängliche Klasse dieser Gegner überall dort, wo das Interesse die Unterwerfung lehrt, während Ruf und Ehre die Unterwerfung zu verbieten scheinen. Wer sich entwürdigt fühlt bei dem Gedanken, das Werkzeug eines Fürsten oder einer Partei und Sekte oder gar einer Geldmacht zu sein, zum Beispiel als Abkömmling einer alten stolzen Familie, aber eben dies Werkzeug sein will oder sein muß, vor sich und vor der Öffentlichkeit, der hat pathetische Prinzipien nötig, die man jederzeit in den Mund nehmen kann – Prinzipien eines unbedingten Sollens, welchen man sich ohne Beschämung unterwerfen und unterworfen zeigen darf. Alle feinere Servilität hält am kategorischen Imperativ fest und ist der Todfeind derer, welche der Pflicht den unbedingten Charakter nehmen wollen: so fordert es von ihnen der Anstand, und nicht nur der Anstand.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 39-40.
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Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.5, Bd.2, Idyllen aus Messina; Die fröhliche Wissenschaft; Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 - Sommer 1882
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Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden - Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft
Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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