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[73] Der letzte Edelsinn. – Was macht denn »edel«? Gewiß nicht, daß man Opfer bringt; auch der rasend Wollüstige bringt Opfer. Gewiß[73] nicht, daß man überhaupt einer Leidenschaft folgt; es gibt verächtliche Leidenschaften. Gewiß nicht, daß man für andere etwas tut und ohne Selbstsucht: vielleicht ist die Konsequenz der Selbstsucht gerade bei dem Edelsten am größten. – Sondern daß die Leidenschaft, die den Edlen befällt, eine Sonderheit ist, ohne daß er um diese Sonderheit weiß: der Gebrauch eines seltenen und singulären Maßstabes und beinahe eine Verrücktheit: das Gefühl der Hitze in Dingen, welche sich für alle andern kalt anfühlen: ein Erraten von Werten, für die die Waage noch nicht erfunden ist: ein Opferbringen auf Altären, die einem unbekannten Gotte geweiht sind: eine Tapferkeit ohne den Willen zur Ehre: eine Selbstgenügsamkeit, welche Überfluß hat und an Menschen und Dinge mitteilt. Bisher war es also das Seltene und die Unwissenheit um dies Seltensein, was edel machte. Dabei erwäge man aber, daß durch diese Richtschnur alles Gewöhnte, Nächste und Unentbehrliche, kurz das am meisten Arterhaltende, und überhaupt die Regel in der bisherigen Menschheit, unbillig beurteilt und im ganzen verleumdet worden ist, zugunsten der Ausnahmen. Der Anwalt der Regel werden – das könnte vielleicht die letzte Form und Feinheit sein, in welcher der Edelsinn auf Erden sich offenbart.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 73-74.
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Die fröhliche Wissenschaft
Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.5, Bd.2, Idyllen aus Messina; Die fröhliche Wissenschaft; Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 - Sommer 1882
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Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden - Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft
Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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