|
[1256] Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?
Gebt heiße Hände!
gebt Herzens-Kohlenbecken!
Hingestreckt, schaudernd,
Halbtotem gleich, dem man die Füße wärmt,
geschüttelt ach! von unbekannten Fiebern,
zitternd vor spitzen eisigen Frostpfeilen,
von dir gejagt, Gedanke!
Unnennbarer! Verhüllter, Entsetzlicher!
Du Jäger hinter Wolken!
Darniedergeblitzt von dir,
du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt!
So liege ich,
biege mich, winde mich, gequält
von allen ewigen Martern,
getroffen
von dir, grausamster Jäger,
du unbekannter – Gott...
Triff tiefer!
Triff einmal noch!
Zerstich, zerstich dies Herz!
Was soll dies Martern
mit zähnestumpfen Pfeilen?
Was blickst du wieder,
der Menschen-Qual nicht müde,
mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen?
Nicht töten willst du,
nur martern, martern?
Wozu – mich martern,
du schadenfroher unbekannter Gott?
[1256]
Haha!
du schleichst heran
bei solcher Mitternacht?...
Was willst du?
Sprich!
Du drängst mich, drückst mich,
Ha! schon viel zu nahe!
Du hörst mich atmen,
du behorchst mein Herz,
du Eifersüchtiger!
– worauf doch eifersüchtig?
Weg! Weg!
wozu die Leiter?
willst du hinein,
ins Herz, einsteigen,
in meine heimlichsten
Gedanken einsteigen?
Schamloser! Unbekannter! Dieb!
Was willst du dir erstehlen?
Was willst du dir erhorchen?
Was willst du dir erfoltern,
du Folterer
du – Henker-Gott!
Oder soll ich, dem Hunde gleich,
vor dir mich wälzen?
Hingebend, begeistert außer mir
dir Liebe – zuwedeln?
Umsonst!
Stich weiter!
Grausamster Stachel!
Kein Hund – dein Wild nur bin ich,
grausamster Jäger!
deine stolzeste Gefangne,
du Räuber hinter Wolken...
Sprich endlich![1257]
Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! sprich!
Was willst du, Wegelagerer, von – mir?...
Wie?
Lösegeld?
Was willst du Lösegelds?
Verlange viel – das rät mein Stolz!
und rede kurz – das rät mein andrer Stolz!
Haha!
Mich – willst du? mich?
mich – ganz?...
Haha!
Und marterst mich, Narr, der du bist,
zermarterst meinen Stolz?
Gib Liebe mir – wer wärmt mich noch?
wer liebt mich noch?
gib heiße Hände,
gib Herzens-Kohlenbecken,
gib mir, der Einsamsten,
die Eis, ach! siebenfaches Eis
nach Feinden selber,
nach Feinden schmachten lehrt,
gib, ja ergib,
grausamster Feind,
mir – dich!...
Davon!
Da floh er selber,
mein einziger Genoß,
mein großer Feind,
mein Unbekannter,
mein Henker-Gott!...
Nein!
komm zurück!
Mit allen deinen Martern![1258]
All meine Tränen laufen
zu dir den Lauf
und meine letzte Herzensflamme
dir glüht sie auf.
O komm zurück,
mein unbekannter Gott! mein Schmerz!
mein letztes Glück!...
Ein Blitz.
Dionysos wird in smaragdener Schönheit sichtbar.
Sei klug, Ariadne!...
Du hast kleine Ohren, du hast meine Ohren:
steck ein kluges Wort hinein! –
Muß man sich nicht erst hassen, wenn man sich lieben soll?...
Ich bin dein Labyrinth...[1259]
Ausgewählte Ausgaben von
Dionysos-Dithyramben
|
Buchempfehlung
Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro