[1260] Wie lange sitzest du schon
auf deinem Mißgeschick?
Gib acht! du brütest mir noch
ein Ei,
ein Basilisken-Ei
aus deinem langen Jammer aus.
Was schleicht Zarathustra entlang dem Berge? –
Mißtrauisch, geschwürig, düster,
ein langer Lauerer –,
aber plötzlich, ein Blitz,
hell, furchtbar, ein Schlag
gen Himmel aus dem Abgrund:
– dem Berge selber schüttelt sich
das Eingeweide...
Wo Haß und Blitzstrahl
Eins ward, ein Fluch –,
auf den Bergen haust jetzt Zarathustras Zorn,
eine Wetterwolke schleicht er seines Wegs.
Verkrieche sich, wer eine letzte Decke hat!
Ins Bett mit euch, ihr Zärtlinge!
Nun rollen Donner über die Gewölbe,
nun zittert, was Gebälk und Mauer ist,
nun zucken Blitze und schwefelgelbe Wahrheiten –
Zarathustra flucht...
[1260] Diese Münze, mit der
alle Welt bezahlt,
Ruhm –,
mit Handschuhen fasse ich diese Münze an,
mit Ekel trete ich sie unter mich.
Wer will bezahlt sein?
Die Käuflichen...
Wer feil steht, greift
mit fetten Händen
nach diesem Allerwelts-Blechklingklang Ruhm!
– Willst du sie kaufen?
Sie sind alle käuflich.
Aber biete viel!
klingle mit vollem Beutel!
– du stärkst sie sonst,
du stärkst sonst ihre Tugend...
Sie sind alle tugendhaft.
Ruhm und Tugend – das reimt sich.
So lange die Welt lebt,
zahlt sie Tugend-Geplapper
mit Ruhm-Geklapper –,
die Welt lebt von diesem Lärm...
Vor allen Tugendhaften
will ich schuldig sein,
schuldig heißen mit jeder großen Schuld!
Vor allen Ruhms-Schalltrichtern
wird mein Ehrgeiz zum Wurm –,
unter solchen gelüstets mich,
der Niedrigste zu sein...
[1261]
Diese Münze, mit der
alle Welt bezahlt,
Ruhm –,
mit Handschuhen fasse ich diese Münze an,
mit Ekel trete ich sie unter mich.
Still! –
Von großen Dingen – ich sehe Großes! –
soll man schweigen
oder groß reden:
rede groß, meine entzückte Weisheit!
Ich sehe hinauf –
dort rollen Lichtmeere:
o Nacht, o Schweigen, o totenstiller Lärm!...
Ich sehe ein Zeichen –,
aus fernsten Fernen
sinkt langsam funkelnd ein Sternbild gegen mich...
4
Höchstes Gestirn des Seins!
Ewiger Bildwerke Tafel!
Du kommst zu mir? –
Was keiner erschaut hat,
deine stumme Schönheit –
wie? sie flieht vor meinen Blicken nicht? –
Schild der Notwendigkeit!
Ewiger Bildwerke Tafel!
– aber du weißt es ja:
was alle hassen,
was allein ich liebe:
– daß du ewig bist![1262]
daß du notwendig bist! –
meine Liebe entzündet
sich ewig nur an der Notwendigkeit.
Schild der Notwendigkeit!
Höchstes Gestirn des Seins!
– das kein Wunsch erreicht,
– das kein Nein befleckt,
ewiges Ja des Seins,
ewig bin ich dein Ja:
denn ich liebe dich, o Ewigkeit! – –[1263]
Ausgewählte Ausgaben von
Dionysos-Dithyramben
|
Buchempfehlung
Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
146 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro