|
[997] Ich las das Leben Thomas Carlyles, diese Farce wider Wissen und Willen, diese heroisch-moralische Interpretation dyspeptischer Zustände. – Carlyle, ein Mann der starken Worte und Attitüden, ein Rhetor aus Not, den beständig das Verlangen nach einem starken Glauben agaziert und das Gefühl der Unfähigkeit dazu (– darin ein typischer Romantiker!). Das Verlangen nach einem starken Glauben ist nicht der Beweis eines starken Glaubens, vielmehr das Gegenteil. [997] Hat man ihn, so darf man sich den schönen Luxus der Skepsis gestatten: man ist sicher genug, fest genug, gebunden genug dazu. Carlyle betäubt etwas in sich durch das fortissimo seiner Verehrung für Menschen starken Glaubens und durch seine Wut gegen die weniger Einfältigen: er bedarf des Lärms. Eine beständige leidenschaftliche Unredlichkeit gegen sich – das ist sein proprium, damit ist und bleibt er interessant. – Freilich, in England wird er gerade wegen seiner Redlichkeit bewundert... Nun, das ist englisch; und in Anbetracht, daß die Engländer das Volk des vollkommnen cant sind, sogar billig und nicht nur begreiflich. Im Grunde ist Carlyle ein englischer Atheist, der seine Ehre darin sucht, es nicht zu sein.
Ausgewählte Ausgaben von
Götzen-Dämmerung
|