[995] Man bereichert in diesem Zustande alles aus seiner eignen Fülle: was man sieht, was man will, man sieht es geschwellt, gedrängt, stark, überladen mit Kraft. Der Mensch dieses Zustandes verwandelt die Dinge, bis sie seine Macht widerspiegeln – bis sie Reflexe seiner Vollkommenheit sind. Dies Verwandeln-müssen ins Vollkommne ist – Kunst. Alles selbst, was er nicht ist, wird trotzdem ihm zur Lust an sich; in der Kunst genießt sich der Mensch als Vollkommenheit. – Es[995] wäre erlaubt, sich einen gegensätzlichen Zustand auszudenken, ein spezifisches Antikünstlertum des Instinkts – eine Art zu sein, welche alle Dinge verarmte, verdünnte, schwindsüchtig machte. Und in der Tat, die Geschichte ist reich an solchen Anti-Artisten, an solchen Ausgehungerten des Lebens: welche mit Notwendigkeit die Dinge noch an sich nehmen, sie auszehren, sie magerer machen müssen. Dies ist zum Beispiel der Fall des echten Christen, Pascals zum Beispiel: ein Christ, der zugleich Künstler wäre, kommt nicht vor... Man sei nicht kindlich und wende mir Raffael ein oder irgendwelche homöopathische Christen des neunzehnten Jahrhunderts: Raffael sagte ja, Raffael machte ja, folglich war Raffael kein Christ...
Ausgewählte Ausgaben von
Götzen-Dämmerung
|