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[688] Fleiß im Süden und Norden. – Der Fleiß entsteht auf zwei ganz verschiedene Arten. Die Handwerker im Süden werden fleißig, nicht aus Erwerbstrieb, sondern aus der beständigen Bedürftigkeit der anderen. Weil immer einer kommt, der ein Pferd beschlagen, einen Wagen ausbessern lassen will, so ist der Schmied fleißig. Käme niemand, so würde er auf dem Markte herumlungern. Sich zu ernähren, das hat in einem fruchtbaren Lande wenig Not, dazu brauchte er nur ein sehr geringes Maß von Arbeit, jedenfalls keinen Fleiß; schließlich würde er betteln und zufrieden sein. – Der Fleiß englischer Arbeiter hat dagegen den Erwerbssinn hinter sich: er ist sich seiner selbst und seiner Ziele bewußt und will mit dem Besitz die Macht, mit der Macht die größtmöglichste Freiheit und individuelle Vornehmheit.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 688.
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Menschliches, Allzumenschliches
TITLE: Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.4, Bd.4, Nachbericht zur vierten Abteilung: Richard Wagner in Bayreuth; Menschliches, Allzumenschliches I-II; Nachgelassene Fragmente 1875-1879
Menschliches, Allzumenschliches, I und II. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
Menschliches, Allzumenschliches: Ein Buch für freie Geister. Mit einem Nachwort von Ralph-Rainer Wuthenow (insel taschenbuch)
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